022019

Foto: Matthew Henry/Unsplash

Statements

Sara Krüßel, Andrea Qualbrink und Yvonne von Wulfen

Frauen. Macht. Kirche. Ein Gespräch.

Wie erleben Frauen, die hauptberuflich in der Kirche arbeiten, das Thema Macht innerhalb der Institution? Und was schlagen sie vor, um zu einem ausgeglichenen Verhältnis der Geschlechter in der Kirche zu kommen? Darüber sprach Jan-Christoph Horn mit Andrea Qualbrink, Sara Krüßel und Yvonne von Wulfen – drei Frauen, die bei aller Unterschiedlichkeit der Berufsbiographie die Leidenschaft für die Erneuerung Kirche eint. Die drei haben in dieser Konstellation noch nie miteinander gesprochen. Gute Voraussetzungen für entdeckende, vertiefende, erfrischende und mutige Gedanken.

Sara, Andrea, Yvonne – ihr steht für drei weibliche Berufsbiographien in Kirche. Erzählt doch mal.

Sara Krüßel: Ich bin Religionspädagogin und Erwachsenenbildnerin und seit über 15 Jahren im pastoralen Dienst des Bistums Münster und stamme aus einer Pfarrei, in der ich eine Jugendarbeit erleben durfte, in der viel Gestaltung durch uns Jugendliche möglich war. 

Mein Einsatz als Pastoralreferentin war immer in einer Pfarrei, typischerweise für unsere Zeit in Pfarreien mit Fusionsgeschichten. Typisch ist wohl auch, dass wir als Frauen in den Pastoralteams in der Minderheit waren – es gab außer mir jeweils noch ein oder zwei weitere Frauen unter mehreren Männern. Das zog sich durch. Ich war und bin, vielleicht auch typisch, in der Katechese tätig. So typische Frauenfelder wie die kfd waren eigentlich nie meins. Die Impulse, die aber gegenwärtig von da in Bezug auf Kirche und Frauen ausgehen sind ein wichtiger kirchenpolitischer Motor. Ich mag dagegen Konzeptarbeit, ich mag es, Menschen zusammenzubringen und mit ihnen strategisch zu überlegen, wie wir unsere jeweilige Aufgabe gut angehen können; gerade in den großen Pfarreistrukturen.

Als Pastoralreferentin gehört es zur DNA der Berufsgruppe, nicht am ersten Platz zu sein.

Als Pastoralreferentin gehört es zur DNA der Berufsgruppe, nicht am ersten Platz zu sein. Bei uns Frauen kommt hinzu, dass viele Kolleginnen nur in Teilzeit arbeiten, was nochmals mit weniger Präsenz einhergeht. Aber ich sehe darin noch ein Manko: Teilzeitkräften fehlt schnell der notwendige zeitliche Freiraum für Konzept- und Strategiearbeit. Mit inhaltlichem Nicht-Können hat das wenig zu tun. Denn auch ich bin verheiratet und habe zwei kleine Kinder. Aber ich bin die Grundverdienerin, arbeite Vollzeit, mein Mann arbeitet erst seit kurzem wieder mit halber Stelle. Da bin ich schon die Ausnahme. Junge Frauen in Kirche, die auf sich aufmerksam machen, sind eher ungebunden und kinderlos. Aber ich arbeite halt gerne und erfreue mich trotzdem gerne und mit Zeit an meinen Kindern. Das ist doch kein Widerspruch – ist es bei Männern ja auch nicht.

Andrea Qualbrink: Ich bin Diplom-Theologin und mein erster Berufswunsch war es, wie Sara, Pastoralreferentin zu werden. Ich habe dann aber eine Stelle in der Studierendengemeinde angenommen und bin später an die Uni gewechselt. Dort habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet und begann ich mit einer Promotion. Ich bekam ein Stipendium und wurde schwanger. Und ich muss sagen: Rückblickend war das der Wahnsinn, mit Kleinkind zu promovieren. Mein Mann hat für ein Jahr seine Stelle reduziert und war ansonsten voll berufstätig. Ich musste mich sehr disziplinieren für die Dissertation und wollte natürlich gleichzeitig für unser Kind da sein. Das war nicht einfach, zumal ich vor allem in der Kita- und Grundschulzeit mit vielen Frauen zu tun hatte, die sehr viel mehr Zeit für ihre Kinder hatten. Der Anspruch, alles unter einen Hut zu bringen, war und ist hoch. Und ich glaube, er ist bei Frauen nach wie vor höher als bei Männern.

Ich habe dann viel als Honorarkraft gearbeitet, aber mir fehlte die institutionelle Anbindung. Eine Elternzeitvertretung als Fortbildungsreferentin im Bistum Essen war der ideale Wiedereinstieg für mich. Seit November 2018 arbeite ich im Bereich Strategie und Entwicklung, einem Stabsbereich beim Generalvikar im Bistum Essen. Dort kann ich Strategie, Entwicklung, Theologie und Kirche zusammenbringen. Ich arbeite auf einer vollen Stelle, mein Mann arbeitet auf 85 % und selbständig und ist zuhause, wenn unser Sohn von der Schule kommt. D. h. auch ich bin, wie Sara, die Grundverdienerin.

Yvonne von Wulfen: Die Reihe der Grundverdienerinnen in der Familie setze ich fort. Damit sind wir allerdings alles andere als typisch: Das Tarifrecht macht es den Familienfrauen im kirchlichen Dienst oft schwer in diese Rolle zu gehen – sobald sie Elternzeiten nehmen, fallen viele Frauen in den Erfahrungszeiten hinter den Partnern zurück und verdienen dementsprechend weniger. 

Das Tarifrecht macht es den Familienfrauen im kirchlichen Dienst oft schwer in diese Rolle zu gehen.

Ich komme aus der Jugendverbandsarbeit – KJG! – und war dort bis auf die diözesane Leitungsebene hinauf engagiert. Ohne diese Zeit wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Glaubensfragen und politische Themen waren mir wichtig. Aber auch die Fragen nach Strukturen, Organisation und Kommunikation für kompetenzorientierte Arbeit. Meiner Beobachtung nach teile ich diese Vergangenheit mit vielen Frauen, die heute in Kirche an verantwortungsvoller Stelle tätig sind. Die Jugendverbände sind ein Ort, wo Mädchen und junge Frauen gleichberechtigt Kirche erleben und gestalten. 

Ich bin Psychologin und habe sieben Jahre in einem privatwirtschaftlichen Bildungsinstitut gearbeitet. Das ist vielleicht weniger typisch. Im Unterschied zu Andrea hat mir die erste Schwangerschaft geholfen, die Dissertation fertig zu bekommen, weil ich wusste, wenn das Kind da ist, würde ich die Arbeit niemals fertig stellen. Beruflich fehlten mir meine Wurzeln, deswegen bin ich vor 12 Jahren zurück zum Dienstgeber Kirche gegangen. Ich war im Bistum Osnabrück zunächst für den pastoralen Personaleinsatz tätig, bin jetzt in der Personalentwicklung. Das war schon verrückt: Mit der Erfahrung in der Jugendverbandsarbeit und meinen Idealen der Gleichberechtigung mitten hinein in das männliche, hierarchische Kirchensystem. 

Danke für eure Lebenszeugnisse! Gehen wir mit dem, was euch ausmacht und geprägt hat, direkt weiter: Gibt es einen weiblichen Zugang zur Macht? Was ist Macht überhaupt aus weiblicher Sicht? 

von Wulfen: Weibliche Macht ist vielleicht eher darauf ausgerichtet, andere groß werden zu lassen, statt den eigenen Machtbereich auszuweiten. Vielleicht ist das sogar Teil unserer biologischen Prägung. Es ist umgekehrt sicher zu platt zu behaupten, dass Männer Macht nutzen, um andere klein zu machen. Frauen suchen eher Gestaltungsspielräume als Macht – machen eher Fach- als Führungskarrieren.

Weibliche Macht ist vielleicht eher darauf ausgerichtet, andere groß werden zu lassen, statt den eigenen Machtbereich auszuweiten.

Krüßel: Ja, Frauen bewerten Macht anders als Männer. Mit Macht verbindet sich für uns Frauen kein Gewalt- oder Herrschaftsanspruch. 

Qualbrink: Ich glaube nicht, dass Frauen und Männer von Natur aus Macht unterschiedliche gebrauchen, sondern dass wir geprägt werden. Geht es um Macht in der Arbeitswelt oder auch in der Kirche, so ist Macht aber typisch männlich und patriarchal geprägt. Als Frau macht man es dann eigentlich immer falsch: Tritt man durchsetzungsstark auf, gilt man als Mann-Weib. Demonstriert man keine Stärke, wird einer Frau Macht und Führung nicht zugetraut. 

Frauen, Macht, Kirche – wie würdet ihr die Verbindungslinien in diesem Dreiecksverhältnis bezeichnen? 

Krüßel: „Vernetzung“ zwischen Frauen und Macht, „Stand halten“ zwischen Frauen und Kirche, auch um die Aspekte für den eigenen Anteil Gestaltungsmacht in der Kirche im Blick zu halten.

Qualbrink: Ja, es gibt Gestaltungsmacht, und die hat mit Amts- und Funktionsmacht zu tun. Funktionsmacht können Frauen haben und brauchen sie auch um zu gestalten, Amtsmacht haben sie nicht und damit auch keine Schlüsselpositionen mit Gestaltungsmacht. Auf jeden Fall braucht es in diesem Dreieck eine gewissen Leidenschaft und Nüchternheit. 

Funktionsmacht können Frauen haben und brauchen sie auch um zu gestalten, Amtsmacht haben sie nicht und damit auch keine Schlüsselpositionen mit Gestaltungsmacht.

von Wulfen: Ja, wohl wahr. Ich stimme aber auch Sara zu: In der Tendenz liegt Frauen das Vernetzende, Kommunikative mehr. Ich erlebe das in der Zusammenarbeit mit Frauen anders als wenn Männer dabei sind. „Netze“ sind für uns nicht so exklusiv, sondern explorierend. 

Was ist in der evangelischen Kirche, dem öffentlichen Sektor und der freien Wirtschaft anders? Denn dort ist das Themenfeld nicht stressbesetzt, oder?

Krüßel: Ja. In der Politik gibt es eine mehr verankerte Frauenquote. Aber je wirtschaftlicher es wird, desto mehr greift auch hier all das das, was wir aus der katholischen Kirche an Begrenzungen kennen. Der Unterschied ist nur: diese Decke ist gläsern, also transparent sichtbar. 

Qualbrink: Die Leitung zumindest der obersten Ebene ist in der römisch-katholischen Kirche an das Weiheamt und das Weiheamt an das Mann-Sein gebunden. In anderen Aufstiegshemmnissen und -fördernissen sind wir uns mit allen anderen ähnlich. Es gibt also eine gläserne und noch eine Decke.

Die römisch-katholische ist keine Demokratie, das heißt vor allem: Die Machtkontrolle fehlt. 

von Wulfen: Familienunternehmen sind bislang auch eher patriarchalisch geführt. Da ist die Frau und Tochter mit auf dem Foto, aber vorne steht der Mann. Doch das ändert sich langsam. Und in mittelständischen Unternehmen, die wirtschaftlich den Wellenbewegungen der heutigen Zeit stärker ausgesetzt sind, greift der Teamgedanke schon viel stärker, weil man zusammenrücken muss.  

Qualbrink: Ich würde sagen: In der Politik, der Wirtschaft, auch – stärker zumindest – in anderen Kirchen ist Macht kontrollierbar. In der römisch-katholischen Kirche gilt das nicht. Sie ist keine Demokratie, das heißt vor allem: Die Machtkontrolle fehlt. 

von Wulfen: Nicht die Macht als solche, sondern die Legitimation von Macht ist ein Thema!

Qualbrink: Macht wurde „Dienst“ genannt. Das verschleiert, dass es natürlich auch in der Kirche Macht gibt.

von Wulfen: Noch mehr: Macht wurde Evangelisierung genannt. Und wer hat etwas gegen Evangelisierung?

Angenommen, ihr hättet für einen Tag alle Macht über Strukturen, Personal, Finanzen und Normen der Kirche. Welche Dinge würdet ihr ändern, welche Dinge aber auch ganz bewusst so lassen, wie sie sind? Was für eine Kirche würdet ihr als Frauen formen? 

Krüßel: Das ist eine schwere Frage. Vor allem: Ein Tag ist zu wenig. 

von Wulfen: Mehr Basisdemokratie! Geben wir einfach die Gestaltungshoheit auf die untere Ebene, vor allem die Ressourcen. Dann passiert und ändert sich schon was. 

Deswegen denke ich an Leutepriester, auf Zeit benannt.

Krüßel: Ich möchte auch die erwartbaren Antworten nennen, aber aus guten Gründen: Pflichtzölibat fallenlassen, Zulassung von Frauen zu den Ämtern. 

Qualbrink: Ja, da gehe ich mit – aber auch einen Schritt weiter: Nicht einfach nur Frauen zu alle dem zulassen. Wir müssen Ämter, Dienste und Aufgaben weiterentwickeln. Sie haben dem Reich Gottes zu dienen. Tun sie das, wenn wir Frauen in die bisherige Struktur lassen?   

von Wulfen: Genau. Wir brauchen nicht nur eine offene, sondern eine differenzierte Ämterstruktur. 

Krüßel: Machtmissbrauch durch Ämter ist in jeder Form des Amtes zu verhindern. Die Sakralisierung von Personen – egal ob Frau oder Mann – ist theologisch nicht zu rechtfertigen. 

von Wulfen: Deswegen denke ich an Leutepriester, auf Zeit benannt. So jemand darf auch einfach wieder gehen, wenn es zeitlich, inhaltlich oder vom eigenen Lebensplan her nicht mehr passt. 

Noch was anderes: Ich denke auch an Innovationsprojekte und Glaubwürdigkeitsprojekte. Es muss sich auch inhaltlich etwas ändern. Das muss man den Kritikern der Weihefrage ja zugute halten: Wenn wir nur allein „evangelische Strukturen“ hätten, ändert das letztlich wenig. 

Inhaltlich sind wir Christinnen und Christen starke Zeitgenossen, wenn es um Nachhaltigkeit und einen ökologischen Lebensstil geht. 

Qualbrink: In unserem Büro gibt es einen „Gott-Button“ auf dem Schreibtisch. Den drücke ich, wenn mir die Innovationsprojekte, von denen du sprichst, zu sehr an der Oberfläche bleiben und wir zu wenig fragen, warum und wozu tun wir, was wir tun?

Krüßel: Inhaltlich sind wir Christinnen und Christen starke Zeitgenossen, wenn es um Nachhaltigkeit und einen ökologischen Lebensstil geht. 

von Wulfen: Was für eine gute Vorstellung! Ein ökologischer Lebensstill als evangeliumstreuer und die Kirche kennzeichnenden Lebensstil. Nicht die Ehelosigkeit. 

Vor einigen Jahrzehnten noch sprach man angesichts der kirchlichen Entwicklungssituation von der „Stunde der Laien“. Können wir heute von der „Stunde der Frauen“ sprechen, weil Entwicklung weibliche Energie ist und es diese „Macht“ heute braucht? 

Qualbrink: Ja, wenn wir in dem, was du weibliche Energie nennst, „Mann“ und „Frau“ nicht naturalistisch eng führen. Frauen kommunizieren anders, davon sprachen wir schon, sie netzwerken anders – und das wird im System gebraucht. 

Krüßel: Es kommt auch darauf an, zu berücksichtigen, dass solch entwickelnde Kommunikation zwei Seiten braucht. In den Pfarreien fehlt da meiner Erfahrung nach noch was an Offenheit, da wird noch viel Besitzstand verteidigt. Ich muss die Entwicklungsperspektive in dem, was wir vor Ort tun, immer noch aktiv einbringen. 

Erlebte Struktur und im besten Fall gewollte Kultur passen nicht zueinander.

von Wulfen: Auf diözesaner Ebene geht’s da auch noch auseinander: Erlebte Struktur und im besten Fall gewollte Kultur passen nicht zueinander. Zum einen wird die Gleichstellung beider Geschlechter zunehmend hochgehalten, zum anderen folgt die Logik der Organisation aber weiterhin der Trennung von Beruf und Familie, die diejenigen, die sich für Beruf und Familie entscheiden, sofort segmentiert und benachteiligt. Aber warum muss das so sein? 

In aller Offenheit gefragt: Wo wart ihr Adressaten von Attribuierungen und Machtgebrauch über euch, weil ihr Frauen seid?

von Wulfen: Ich habe diskriminierende Erfahrungen erst nach einigen Jahren im Dienst gemacht. Ab dem Zeitpunkt, wo ich nicht mehr die junge „Vorzeigefrau“ war, sondern eine Funktionsrolle hatte mit Einflussmöglichkeiten und Entscheidungskompetenz. Hier bin ich oftmals alleine unter Männern – werde sogar explizit als Frau gebeten dazu zu kommen, damit eine Frau „am Tisch ist“. So gut es ist, dass Frauen mehr und mehr in kirchliche Gremien und Hierarchien eingebunden werden – für die Pionierinnen ist es auch ein hartes Brot. Jetzt kommen mehr Frauen in solche Aufgaben, aber sofort heißt es auch: „Die kommen nur wegen der Frauenquote.“   

Die Haltung der Bischöfe zu Frauen in Führungspositionen ist bei der Mehrheit sicherlich gut, mit Blick auf die strukturelle Umsetzung sage ich manchmal aber „Hallo!?“. 

Krüßel: Das lässt sich genauso auch auf die Pfarreiebene übertragen. Frauen, die seelsorgerische Dienste machen werden noch schräg angeschaut. „Auch Frauen können Menschen seelsorgerisch begleiten?“ Also ehrlich, das ist Klerikalismus von unten. 

Qualbrink: Die Machtfrage muss immer auch mit der Kompetenzfrage verbunden werden. Ich habe mich unsäglich geärgert, als mir mal ein Priester sagte, er kenne sich letztlich sicher besser als ich aus mit Genderfragen. Es gehe ja letztlich darum, in den Spuren Jesu zu gehen. Und es bleibt einfach auffällig, dass auf Leitungsebene in den Generalvikariaten kaum eine Frau arbeitet. Die Haltung der Bischöfe zu Frauen in Führungspositionen ist bei der Mehrheit sicherlich gut, mit Blick auf die strukturelle Umsetzung sage ich manchmal aber „Hallo!?“. 

Rufen wir dann jetzt laut “Frauen an die Macht“? 

Qualbrink: Jede Form von Quote ist eine Krücke. Krücken sind nicht gut, aber hilfreich und notwendig. Früher gab es eine heimliche Männerquote: Männer habe Positionen auch bekommen, weil sie Männer waren. Das macht eine Frauenquote umgekehrt und sichtbar. Dann geht es letztlich um die Kompetenz, wenn es um Positionen geht.  

Krüßel: Ihr habt beide einen Doktortitel. Hilft der? Sarkastisch gesagt: Ersetzt er die Weihe, verhilft er beim Aufstieg und beim Sich-bewegen in Kirche?

Qualbrink: Ja, der Titel unterstellt erst einmal Kompetenz, und das hilft. Manche Frauen haben mir aber auch gesagt, der Titel befördert Konkurrenzverhalten, vor allem von Männern. Das habe ich noch nicht erlebt. 

Das Verständnis von Leitungsämtern ändert sich da, wo die Ansprüche höher werden: große Pfarreien leiten, Abteilungen in komplexer Organisation führen.

von Wulfen: Ja, ganz klar, er hilft, als „Eintrittskarte“ in bestimmte Aufgaben oder Gremien. Das Kulturphänomen in Kirche bleibt die Bedeutung der Weihe. In der kirchlichen Hierarchie greift der höchste Weihegrad. Da sind wir raus. Ein akademischer Grad ist da in gewissen Weise „systemkompatibel“. Doch ich attestiere gerne auch einen Kulturwandel. Im Bistum Osnabrück weicht dieses Denken durch die um sich greifende Idee „geteilter Leitung“ auf. Aber es braucht Zeit. 

Qualbrink: Das Verständnis von Leitungsämtern ändert sich da, wo die Ansprüche höher werden: große Pfarreien leiten, Abteilungen in komplexer Organisation führen. Da braucht es Führungskompetenz, und die wird nicht mit der Weihe vermittelt. Dadurch ändert sich etwas, fundamental sogar. Aber als überall angekommen würde ich das noch nicht bezeichnen. 

Jetzt ein ganzes Fragenbündel zum Stichwort „Frauenförderung“: Auf welche Weise macht ihr in euren Arbeitskontexten auf die Anliegen der Frauenförderung aufmerksam? Haben eure Bistümer strategische Programme dafür? Was läuft in anderen Bistümern und auf Ebene der Bischofskonferenz? Und haltet ihr die Funktion einer diözesanen Frauenbeauftragten, die die Bistumsleitung berät und in der Personalauswahl eine erinnernde Rolle übernimmt, für sinnvoll?

Qualbrink: Ich nutze das Wort Frauenförderung immer weniger, weil es suggeriert, dass man Frauen fördern müsste. Es braucht personalentwicklerische und vor allem organisationsentwicklerische Maßnahmen, damit kompetente Frauen gesehen und in Leitungspositionen gebracht werden. Die Aussage „Wir hätten ja gerne Frauen, aber die bewerben sich einfach nicht.“ schiebt den Frauen die alleinige Verantwortung zu. Es ist aber Aufgabe der Organisation, überhaupt attraktiv für Frauen zu sein und sie aktiv zu akquirieren und zu integrieren.

Es ist aber Aufgabe der Organisation, überhaupt attraktiv für Frauen zu sein und sie aktiv zu akquirieren und zu integrieren.

Gleichstellungsmaßnahmen sind wichtig und ihre Vertretung durch Gleichstellungsbeauftragte ist gut, wenngleich die Menschen, die das dann machen, einen schweren Stand haben. Eigentlich ist Gleichstellung eine Querschnittsaufgabe.

In Deutschland gibt es sehr unterschiedliche Maßnahmen in den Bistümern: von einer Quote über Mentoringprogramme bis zu „gar nichts“. Jetzt hat die Bischofskonferenz eine Selbstverpflichtung zu einer Quote von 1:3 mehr Frauen in Leitung verabschiedet, deren Umsetzung 2023 überprüft wird. 

Krüßel: Aber diese Mentoring-Programme gibt es in meinem Bistum bislang nur für Fachkräfte im Generalvikariat. Gleichstellungsbeauftragte in der Pfarrei – das wäre ein Kracher. 

von Wulfen: De facto haben wir keine Gleichstellung im pastoralen Dienst – auch abgesehen von der Ämterfrage: Vom Verdienstabfall sprach ich schon, in Leitungs- oder Fachstellen, die für Laien offen sind, kommen aufgrund der geringeren Dienstzeit von Frauen durch Elternzeit und halbe Stellen auch eher Männer. 

Aus meiner Sicht muss Gleichstellung von Frau und Mann in jeder Personalabteilung und bei allen Führungskräften als Querschnittsaufgabe etabliert werden – sogar noch geweitet um Diversität in der pastoralen Berufswelt insgesamt. 

Die beste Gleichstellungsmaßnahme sind Modelle geteilter Verantwortung.

Für unser Bistum wäre eine Gleichstellungskonferenz (statt einer Gleichstellungsbeauftragten) ein sinnvoller Schritt. Neben der Evaluation, wie diese Fragen weiterentwickelt werden, wäre das ein Schritt, die Verantwortung dafür auf vielen Schultern zu legen. 

Qualbrink: Du sprichst von Diversität, das möchte ich unterstreichen: Diversität nicht nur im Personaleinsatz, sondern auch in der Personalakquise und -auswahl. Überhaupt brauchen wir eine Professionalisierung der Personalarbeit. 

von Wulfen: Die beste Gleichstellungsmaßnahme sind Modelle geteilter Verantwortung. Ich merke das in meiner Arbeit, wenn sich die Basisprämissen ändern und es nicht nur dekorative Schaueffekte gibt. Frauen und Männer, Kleriker und Laien im gemeinsamen Führungskurs, beispielsweise – das bedeutet Lernen über Erfahrung: man kennt sich, geht gemeinsam. Das ist der Schlüssel für Kulturwandel. 

Zum Schluss gefragt: Bist du in 10 Jahren Teil dieser Veränderungsgeschichte von Kirche?

Krüßel: Meine Hoffnung ist, dass sich Kirche weiterentwickelt, dass nicht nur einfach zurückgebaut wird. Und ich sehe Entwicklung, ich sehe Offenheit und Gespräch und das macht mir Lust auf mehr. Da bin ich dabei. 

von Wulfen: Die Zeit spielt uns in die Hände – viele Abbrüche, die wir heute erleben, werden ein Motor von Entwicklung sein. Frauen und Männer werden in naher Zukunft eine viel stärkere Kirche der Beteiligung schaffen, mit allen Rechten aber auch Pflichten, die dazugehören. Unsere Kirche wird eine Kirche der Ehrenamtlichen sein. Und es wird teilkirchliche Lösungen geben, das ist im Horizont von 10 Jahren sehr deutlich. – Also, ich wäre gerne dabei, ehrenamtlich wie hauptamtlich. 

Es zählt nicht Frau, Mann, Priester … es zählt das bessere Argument. Schreib das unbedingt auch auf! 

Qualbrink: In 10 Jahren wird die Kirche noch viel heterogener sein als heute. Die Frage wird in den Mittelpunkt kommen, wieder jesusförmiger zu sein. Es werden Entwicklungen angestoßen, gemeinsam – Frauen, Männer, Kleriker, Lauen – Kirche zu sein. Das Volkskirchliche ist allerdings am Ende. Ich schätze, ich werde dabei sein, weil es für mich persönlich keinen sinnhafteren Ort geben kann. Wenn, ja, wenn Kirche sich aufmacht. 

von Wulfen: Entscheidend wird sein, sowohl für die Zukunft der Kirche insgesamt als auch für meine persönliche Perspektive, wie mit den Erkenntnissen aus dem Missbrauchsskandal umgegangen wird. 

Qualbrink: Genau, es braucht ein Schuldeingeständnis und Reue. Wenn das unterlassen wird, hat die Kirche komplett versagt. Dann haben wir den Machtmissbrauch verbrieft. 

von Wulfen: Lasst uns konkreter werden: Wir müssen reden über bessere Kommunikation und Transparenz. Über die Übernahme von Verantwortung bei Menschen, die Dinge in ihrer z.B. Aufsichtsfunktion falsch gemacht haben. Über sichtbare Veränderungen in Strukturen der Leitung und der Verantwortungsübernahme.

Qualbrink: Es zählt nicht Frau, Mann, Priester … es zählt das bessere Argument. Schreib das unbedingt auch auf! 

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