012016

Foto: Jitter Buffer: physical hazard (CC BY-NC-SA 2.0), Bildausschnitt

Statements

Ute Wollenweber

Meine Schulleitertätigkeit im Spannungsfeld von Sehnsucht nach Sicherheit und Lust am Neuen

Unsere Gesellschaft ist geprägt von zahlreichen massiven Umbrüchen und rasanten Entwicklungen. Organisationen und Institutionen stehen unter dem massiven Druck, sich permanent an neue Umwelten anzupassen zu müssen. Organisationen, die dies nicht schaffen, stehen in der Gefahr, ihre Relevanz zu verlieren und werden früher oder später sterben. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in diesen Organisationen arbeiten, wird zunehmend eine hohe Flexibilität und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen erwartet. Uns interessiert, wie Menschen mit diesem permanenten Veränderungsdruck umgehen: Wie erleben sich Menschen persönlich in der Spannung von Sehnsucht nach Sicherheit und der Lust am Neuen und Experimentieren? Was erleben sie für sich angesichts dieser gesellschaftlichen Entwicklung als größte Herausforderung? Was hilft, sich diesen Herausforderungen zu stellen?

Als Schulleiterin arbeite ich in einem System, das jeder und jede in einer prägenden Zeit von innen erlebt hat. Eltern haben ganz klare Vorstellungen, was mit ihren Kindern passieren soll und wie das optimalerweise zu geschehen hat. Hier ist die Sehnsucht nach Sicherheit und Verlässlichkeit besonders groß: „Das war schon immer so“, „Wenn ich für tägliche Hausaufgabenhilfe sorge, wird mein Kind das Abitur schon schaffen“. Heute ist aber vieles anders – Hausaufgaben, die ja in erster Linie für soziale Ungerechtigkeit sorgen, kommen z.B. im Ganztagsbereich so gut wie gar nicht mehr vor.

Im Kollegium sind die „Sehnsucht nach Sicherheit“ und die „Lust auf Neues“ tatsächlich Bedürfnisse, Kräfte und Energien, die für ein tägliches Spannungsfeld sorgen.

Im Kollegium sind die „Sehnsucht nach Sicherheit“ und die „Lust auf Neues“ tatsächlich Bedürfnisse, Kräfte und Energien, die für ein tägliches Spannungsfeld sorgen. Der Beruf der Lehrerin bzw. des Lehrers unterzieht sich seit dem PISA-Schock einem fundamentalen Wandel. Die Schulaufsicht und der Schulträger stehen unter Druck, die Gesellschaft beäugt kritisch, die Eltern haben sehr hohe, teilweise unrealistische Erwartungen (die man z. B. daran erkennt, dass die Hauptschule eine so gut wie ausgestorbene Schulform ist, man denke nur an den überaus treffenden Film „Frau Müller muss weg“), die Kinder und Jugendlichen bewegen sich in einer völlig anderen Lebenswelt als noch vor zehn Jahren. Dass wir Inklusion und individuelle Förderung und Forderung praktizieren, wird inzwischen völlig selbstverständlich erwartet, was ein absolut gerechtfertigter Anspruch ist, für den aber leider viel zu wenige Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Da ist es sehr verständlich, wenn Kolleg*innen aus einem Gefühl der sehr starken Forderung heraus (um nicht zu sagen: Überforderung) auf alt Bewährtes (Unterrichtsinhalte, Verhaltensweisen, Sanktionsmöglichkeiten…) zurückgreifen wollen. Mein Umgang damit ist: wahrnehmen, anerkennen, in jedem einzelnen Fall nach Kompromissen und / oder Alternativen suchen. Das kostet Zeit, aber würde ich neue Ideen mit der Keule durchsetzen, würde ich bestimmte Mitarbeiter*innen ganz verlieren, und damit wäre mit Sicherheit nichts gewonnen.

Ich schaue, was die Kinder mitbringen – und wie man das Potenzial, das sie mitbringen, gut nutzen kann. Und ich freue mich an allem, was gelingt.

Für mich persönlich ist Schulentwicklung eine leidenschaftliche Haltung, sonst wäre ich nicht Schulleiterin geworden. Zwischen den Polen „Sehnsucht nach Sicherheit“ und „Lust auf Neues“ siedle ich mich, was mein berufliches Engagement betrifft, ganz bei der Experimentierfreude an. Die bewahrende, konservative Komponente kommt durch andere ins Spiel (siehe oben). Was mir dabei hilft? Ich will, dass Kinder und Heranwachsende gut fürs Leben lernen können. Ich schaue, was sie mitbringen – und wie man das Potenzial, das sie mitbringen, gut nutzen kann. Und ich freue mich an allem, was gelingt. An unserer Schule hat das selbstständige Arbeiten und Präsentieren einen besonders hohen Stellenwert. Wenn man sieht, wie 10-Jährige ihren Mitschüler*innen etwas erklären und diese ganz aufmerksam zuhören, hinterher ein professionelles Feedback geben – da kann einem schon das Herz aufgehen.

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