Botschafterdienste im kleinen Grenzverkehr
Ich bin das, was man einen kirchlichen Insider nennt. Von klein auf mit der Kirche großgeworden, habe ich in fast 30 Jahren von der Pfarrgemeinde über das Bistum bis hin zur Deutschen Bischofskonferenz auch beruflich alle Ebenen kennengelernt. Und doch stimmt das mit dem Insidertum nur bedingt und vordergründig.
Das hat seinen Grund. Ich habe nämlich bei Vertragsbeginn meine Vorgesetzten immer gleich gebeten, mich spätestens nach fünf Jahren daran zu erinnern, dass ich keine Wurzeln schlagen wolle. Das ist mir bis zur Gründung meines eigenen Unternehmens (fast) ausnahmslos gelungen.
Gesucht werden Alternativen zur XXL-Version von Kirchesein, kleine netzwerkartige Verbünde, die die harte Trennlinie zwischen dem „System“ und den individuellen Beheimatungsbedürfnissen der Menschen durchbrechen und neue Lebensformen des Christlichen wagen.
Im Hintergrund dieses etwas eigenwilligen Ansatzes steht ein früh verspürtes, eher intuitives Wissen um die Bedeutung von Nähe und Distanz, wenn eine Sache gut werden soll. Insider-Sein ist nur insofern gut, als es einem Outsider dienlich ist. Mein Expertentum ist nur dann und nur solange hilfreich, wie ich dem Nicht-Experten außerhalb meiner Einrichtung als Experte nützlich und zugleich zum Verwechseln ähnlich bin.
Ein Beispiel: Im Vorfeld meiner Weihe zum Diakon habe ich der Gemeinde erläutert, was mir an diesem Amt so wichtig sei. Ich sagte: „Der Diakon leistet Botschafterdienste im kleinen Grenzverkehr zwischen Kirche und Welt. Mit einem Bein, dem Standbein, steht er fest in der Gottesdienst feiernden Gemeinde, mit dem anderen, dem Spielbein, schreitet er aus in die Welt der religiös eher Ungeübten und Unmusikalischen. Diese der Kirche oft kritisch verbundenen, „treuen Fernstehenden“ haben es mir besonders angetan. Ich empfinde eine innere Nähe zu ihnen. Als Diakon will ich ihnen das Evangelium von Christus hinhalten: ‚Hier ist die Botschaft für dein Leben; lies, hör und schau!‘“
Dieses diakonische Prinzip ist so erfolgreich wie fluide und fragil. Gelegentlich führt es in Zerreißproben. Ich halte es jedoch für unumgänglich, wenn „der Mensch der Weg der Kirche“ sein soll. Hier tut radikales Umdenken not, ein grundsätzlicher Perspektivwechsel. „Fluide wird die Kirche an den Rändern und von unten. Gebraucht werden mutige Grenzgänger, Kundschafter, Experimentalisten, die operativ relevante Unterschiede herstellen“ (Valentin Dessoy im Nachgang zum „Relevanz“-Kongress). Gesucht werden Alternativen zur XXL-Version von Kirchesein, kleine netzwerkartige Verbünde, die die harte Trennlinie zwischen dem „System“ und den individuellen Beheimatungsbedürfnissen der Menschen durchbrechen und neue Lebensformen des Christlichen wagen – jenseits von Dogmatik und Moral.
Ich versuche dies publizistisch einzulösen, indem ich religiöse und gesellschaftliche Themen vornehmlich aus nicht-kirchlicher Perspektive aufgreife und bearbeite, verstanden als diakonische Kommunikation: Religionspublizistik als Dienstleistung, frei von Systemsprache, aktuell und nah am Sinn der Zeitgenossen. Ich versuche dies seelsorglich einzulösen, indem ich eine lange vergessene Dimension des Christlichen stärke: die therapeutische Funktion der Rede von Gott wirksam werden zu lassen durch einen empathischen, die Selbstheilungskräfte des Ratsuchenden aktivierenden Umgang.
Nicht das, was ohnehin schon überzeugten Frommen gemeinsam ist, gilt es anzubieten. Die Peripherien, wie Papst Franziskus sagt, das Leben der Randständler und Außenstehenden steht im Mittelpunkt des Interesses Jesu. Seine heilsame Zuwendung und Anerkennung bilden die Hermeneutik, mit der die Lehre und das Leben Jesu auch heute gelesen und vermittelt werden müssten. Diese Hermeneutik liefert zugleich den Spiegel für die Kirche als Organisation.