012019

Foto: Raquel Martinez/Unsplash

Konzept

Kai-Uwe Hellmann

Kann Kirche Marke?

1 Ausweitung der Markenzone

Marken sind echte Hingucker. Wenn ein Unternehmen über eine erfolgreiche Marke verfügt, sichert diese ihm in der Regel Aufmerksamkeit, Kundentreue, Marktanteile und Profitabilität. Schon innerhalb des Wirtschaftssystems, und keineswegs nur für die Konsumgüterbranche, geht der Trend daher seit Jahren dahin, das eigene Produkt zur Marke aufbauen zu wollen. Nachahmenswerte Vorbilder gibt es ja genug, ob Adidas, Coca-Cola, Golf, Nivea oder Tempo und wie sie alle heißen.

Doch auch jenseits der Wirtschaft trägt dieser Trend Früchte. Kaum ein Bereich der Gesellschaft, der sich nicht mit dem Gedanken trägt, einzelne Events, Institutionen, Lokalitäten, Personen als Marken zu inszenieren, oder längst entsprechende Aktivitäten entfaltet hat. Wir kennen diese Entwicklung aus den Bereichen Erziehung, Kultur, Massenmedien, Politik, Sport, Tourismus, Wissenschaft. Insofern kann von einer enormen Ausweitung der Markenzone gesprochen werden.1

Aber wie kann es sein, dass religiöse Institutionen zur Marke werden wollen? Sind sie nicht einer ganz eigenen Sinnsphäre zugehörig?

Vor diesem Hintergrund dürfte es nicht überraschen, dass auch im Bereich der Religion vergleichbare Bestrebungen festzustellen sind. Funktional äquivalent zu Unternehmen sind es dabei vor allem Kirchen, die sich mit dieser Fragestellung beschäftigen. Ein herausragendes Beispiel stellt etwa das Bistum Münster dar, das vor einiger Zeit eine solche Initiative gestartet hat.2 Überdies gibt es inzwischen auch wissenschaftliche Studien zu diesem Ansatz.3 Aber wie kann es sein, dass religiöse Institutionen zur Marke werden wollen? Sind sie nicht einer ganz eigenen Sinnsphäre zugehörig?

2 Der Markt der Religionen

Zur Beantwortung dieser Frage bieten sich gewiss mehrere Antwortmöglichkeiten an. So ist kaum ein Bereich unserer Gesellschaft davor gefeit, dem Druck der Ökonomisierung früher oder später nachgeben zu müssen. Auch das wichtiger werdende Gebot der Transparenz zwingt zur ständigen Selbstüberprüfung der eigenen Außendarstellung. Und selbst die Gewinnung motivierter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hängt von attraktiven Jobangeboten und guten Arbeitsverhältnissen ab. All das hat inzwischen auch die Kirchen erreicht. Und Marke-sein kann hierbei oftmals Vorteile bringen.

Überdies, schon Thomas Luckmann hatte hierzu frühzeitig Stellung bezogen, sehen sich die etablierten Religionsanbieter verstärkt einem erheblichen Wettbewerbsdruck durch neue Formen der Religiosität und Spiritualität ausgesetzt.4 Hartmut Zinser sprach deswegen auch von einem Markt der Religionen.5 Wer aber in einem Marktumfeld agiert, kämpft um Aufmerksamkeit und Vertrauen und letztlich um Kunden. Es geht um Marktanteile und Alleinstellungsmerkmale. Kosten und Leistungen spielen eine zentrale Rolle. Tadellose Reputation wird angestrebt und Versprechen werden gemacht, die man freimütig gibt und dann besser auch hält.

Wer aber in einem Marktumfeld agiert, kämpft um Aufmerksamkeit und Vertrauen und letztlich um Kunden. Es geht um Marktanteile und Alleinstellungsmerkmale.

Wenn dem so ist, dass auch die etablierten Religionsanbieter sich mit der Möglichkeit, gar Notwendigkeit befassen (müssen), sich als Marke zu inszenieren: Welche Chancen, welche Risiken sind damit verbunden? Was ist zu tun und was zu unterlassen, damit eine solche Strategie Erfolg verspricht? Klar ist, dass im Rahmen eines Essays auf solch globale Fragen nur punktuell reagiert werden kann. Gleichwohl, ein paar erfolgskritische Aspekte sollen doch angesprochen werden.

3 Sich als Marke inszenieren: was heißt das eigentlich?

Um sich mit dieser Frage eingangs zu befassen, soll zunächst zwischen Marke und Produkt unterschieden werden. Denn der Ausgangspunkt für jede Markenbildung ist zuallererst ein bestimmtes Produkt, also ein technisch geartetes Leistungsversprechen. Dies gilt für Sach- wie Dienstleistungen gleichermaßen: Man bietet eine bestimmte Leistung an, diese hat eine spezielle Funktion, ein besonderes Einsatzgebiet, eine bewährte Problemlösungskapazität, vielleicht sogar ein einzigartiges Image, und je nach Bedarf entscheidet sich der eine dafür, die andere dagegen, je nach Bedürfnislage.

Wenn von dieser Ausgangslage versucht wird, aus diesem Produkt eine Marke zu machen, dann geht es in erster Linie um den Stil der Kommunikation, der mit möglichen und schon vorhandenen Kunden gepflegt wird. Zwar muss hauptsächlich das Produkt für das Leistungsversprechen einstehen und bei Ingebrauchnahme unbedingt auch einlösen können sollen. Um dafür aber Kunden zu gewinnen, sollte dieses Leistungsversprechen auf glaubwürdige Art und Weise kommuniziert werden, damit sich für dieses Produkt Vertrauen und schließlich Bindungsbereitschaft, sprich Loyalität einstellen. Marke ist sozusagen das Produkt der Kommunikation über ein bestimmtes Produkt – das, was sich im öffentlichen Bewusstsein als Strukturbestand institutionalisiert, sofern überzeugend genug, gleichsam ein kollektiver Gedächtniswert.6

Marke ist sozusagen das Produkt der Kommunikation über ein bestimmtes Produkt – das, was sich im öffentlichen Bewusstsein als Strukturbestand institutionalisiert, sofern überzeugend genug, gleichsam ein kollektiver Gedächtniswert.

Entscheidend hierfür ist allerdings, dass das, was in der Kommunikation über das Produkt strategisch vermittelt wird, sich beim Produktgebrauch auch bestätigt. Es werden ja absichtlich bestimmte Erwartungen geweckt, und mit diesem Bestand an Erwartungen sollte der Markeninhaber dann auch äußerst verantwortungsvoll umgehen. Andernfalls kommt es zu erwartbaren Erwartungsenttäuschungen, Vertrauen wird erschüttert und Markentreue geht verloren.

Sich als Marke zu inszenieren, bedeutet daher vor allem, die Leistungsqualität des jeweiligen Produktes sicherzustellen und dafür dann kontinuierlich gegenüber bestimmten Zielgruppen zu werben. Die wichtigste Maxime lautet somit: Nur Versprechen geben, die man auch halten kann, und dies für eine unbestimmt lange Zeitdauer und ggf. sogar gegenüber unterschiedlichen Kundengruppen gleichzeitig. Gelingt dies soweit umfassend, hat man es mit einer Form der Kommunikation zu tun, die alle Leistungsaspekte integriert zu thematisieren vermag, die sich der fragilen Interdependenz all dieser Elemente bewusst ist, um die es jeweils geht – wie ein Jongleur mit vielen Bällen operiert – und die sich in der Lage zeigt, keinen dieser Bälle aus den Augen zu verlieren, und schon gar nicht, einen leichtsinnig fallen zu lassen.

4 Komplexität erschwert Markenbildung

Angesichts der Allegorie des Jongleurs dürfte einleuchten, wenn hier nun der Einwand vorgebracht wird, dass es um so schwerer ist, integriert zu kommunizieren, je mehr Bälle im Spiel sind. Anders formuliert: Je komplexer ein Produkt ist, desto unwahrscheinlicher die Chance, dass daraus eine Marke wird – zumindest eine Marke, die nicht an innerer Zerrissenheit zugrunde geht.7 Für Politik lässt sich das wohl plausibel machen: Während einzelne Politiker noch gut damit fahren mögen, sich als Personenmarke zu inszenieren, fällt dies für Parteien oder gar Regierungsformen ungleich schwerer.8

Wendet man sich daraufhin wieder den Religionen und speziell den Kirchen zu, dann dürfte ebenso einleuchten, dass sich die beiden Großkirchen an Komplexität, wenn man ihre weltweite Verbreitung mit in Rechnung stellt, kaum überbieten lassen. Um so schwieriger dürfte es aber auch sein, sich selber strategisch als Marke zu inszenieren, zumindest diesen Anspruch wagemutig zu erheben und dann auf unbestimmte Zeit konsequent umzusetzen. Denn gerade in den letzten Jahren sind dermaßen viele Vorfälle ans Licht der Öffentlichkeit gekommen, lauter Vorkommnisse, die auf das Engste mit den ureigensten Produktversprechen der Kirchen verbunden sind und diese zum Teil eklatant brechen, dass es überaus heikel sein dürfte, angesichts solcher Vorkommnisse noch für Glaub- und Vertrauenswürdigkeit zu werben. Und noch der Stil der Aufarbeitung dieser Skandale empört massenhaft.

Würden sich die Kirchen somit als reine Dienstleister präsentieren, mit ihren fraglos bedeutenden Beiträgen zur Wohlfahrt von Menschen, die auf die eine oder andere Weise bedürftig sind, dann läge darin echtes Potenzial, um wirkungsvolle ‚claims‘ abzustecken.

Im Falle der Religionen dürfte allerdings eine besondere Herausforderung darin liegen, ihr genaues Leistungsvermögen zu ergründen, auf dem letztlich das Produktversprechen und damit wiederum die Markenbildung beruhen. Religionssoziologisch ist dies zwar gut untersucht.9 Dennoch stellt sich die Frage, ob sich Leistungsversprechen identifizieren lassen, die so klar ausgerichtet werden können, dass ihre Einhaltung in der Regel erfolgreich gelingt – Bedingung der Möglichkeit erfolgreicher Markenbildung.

Nach Luhmann umfasst der Leistungskatalog der Religionen Diakonie und Seelsorge, sofern man auf einzelne Personen abstellt.10 Würden sich die Kirchen somit als reine Dienstleister präsentieren, mit ihren fraglos bedeutenden Beiträgen zur Wohlfahrt von Menschen, die auf die eine oder andere Weise bedürftig sind, dann läge darin echtes Potenzial, um wirkungsvolle ‚claims‘ abzustecken. Aber wie verträgt sich das mit all den anderen Aktivitäten der Kirchen, die mitunter einen ganz andersartigen Charakter haben? Was ist mit den erheblichen Vermögenswerten der Großkirchen: Wie balanciert man diesen Umstand? Wie schaut es mit den Organisationskulturen der Großkirchen aus, die permanent in der Kritik stehen? Was ist mit den Tausenden von entdeckten Missbrauchsfällen?

5 Klein, aber fein

Kommt man zum Schluss nochmals auf die eingangs erwähnte Markenkampagne des Bistums Münster zurück, dann mag es ratsam sein, die Entscheidung für eine solche Kampagne von der Zahl der Bälle abhängig zu machen, die gleichzeitig kontrolliert werden müssen. Sind es zu viele und die Unwägbarkeiten zu groß: Finger weg! Ist der Keller vorher nicht aufgeräumt worden, die Bilanzen nicht bereinigt: Finger weg! Wenn ein solches Projekt allerdings in überschaubarem Maße betrieben wird, alle darauf eingeschworen werden können, die bisherige Kundschaft mitzieht und von außen nicht ständig Störeffekte das Erreichte gefährden, dann sei ein solcher Versuch unternommen. Man wird dann in einigen Jahren ermitteln und bewerten können, wie erfolgreich dieser Ansatz für das Bistum Münster etwa funktioniert hat. Denn Vertrauen zu gewinnen braucht Zeit. Es sei den Initiatoren zu wünschen!

  1. Vgl. Kai-Uwe Hellmann/Rüdiger Pichler (Hrsg.), Ausweitung der Markenzone. Interdisziplinäre Zugänge zur Erforschung des Markenwesens. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2005.
  2. Vgl. den Online-Beitrag „Die neue Markenkampagne des Bistums Münster“, URL: https://www.bistum-muenster.de/beziehung/. Ich danke Prof. Dr. Peter Kenning für den Hinweis.
  3. Vgl. Paul A. Djupe, Religious Brand Loyalty and Political Loyalties, Journal for the Scientific Study of Religion, 39(1),  2000, S. 78-89; Lynn Schofield Clark, The Emergence of Religious Lifestyle Branding: Fashion Bibles, Bhangra Parties, and Muslim Pop. In Peter Horsfield, (Hrsg.), Papers from the Trans-Tasman Research Symposium, ‘Emerging Research in Media, Religion and Culture‘. Melbourne, Vic.: RMIT Publishing 2005, S. 22-39; Phil Cooke, Branding Faith. Why some churches and nonprofits import culture and others don’t. Ventura: Regal Books 2008; Rajkumar Dixit, Branded Faith. Contextualizing the Gospel in a Post-Christian Era. Eugene: Wipf and Stock 2010; Michael L. Butterworth, Saved at Home. Christian Branding and Faith Nights in the „Church of Baseball“, in: The Quarterly Journal of Speech, 97(3), 2011, S. 309-333; Mara Einstein, The Evolution of Religious Branding, in: Social Compass, 58(1), 2011, S. 331-338; Riza Casidy Mulyanegara, The Role of Brand Orientation in Church Participation: An Empirical Examination, in: Journal of Nonprofit and Public Sector Marketing, 23, 2011, S. 226-247; Jeremy Carrette/Richard Kind, Spirituality and the Re-branding of Religion. In Gordon Lynch/Jolyon Mitchell/Anna Strhan (Hrsg.), Religion, Media and Culture. A Reader. London/New York: Routledge 2012, S. 59-69; Riza Casidy, How great thy brand. The impact of church branding on perceived benefits. International Journal of Nonprofit and Voluntary Sector Marketing, 18(3), 2013, S. 231-239; Christina Aus der Au, Corporate Identity – Kirche als Marke. In Ralph Kunz/Thomas Schlag (Hrsg.), Handbuch für Kirchen- und Gemeindeentwicklung. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagsgesellschaft 2014, S. 209-217; Jean-Claude Usunier/Jörg Stolz (Hrsg.), Religions as Brands. New Perspectives on the Marketization of Religion and Spirituality. London/New York: Routledge 2014; Veronika Krönert/Andreas Hepp, Religious Media Events and Branding Religion. In Michael Bailey/Guy Redden (Hrsg.), Mediating Faiths. Religion and Socio-Cultural Change in the Twenty-First Century. London/New York: Routledge 2016, S. 89-104; Daniela Andreini/Diego Rinallo/Giuseppe Pedeliento/Mara Bergamaschi, Brands and Religion in the Secularized Marketplace and Workplace: Insights from the Case of an Italian Hospital Renamed After a Roman Catholic Pope. Journal of Business Ethics, 141, 2017, S. 529-550; Cylor Spaulding/Melanie Formentin, Building a religious brand. Exploring the foundations of the Church of Scientology through public relations. Journal of Public Relations Research, 29(1), 2017, S. 38-50.
  4. Vgl. Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991.
  5. Vgl. Hartmut Zinser, Markt der Religionen. München: Fink 1997; Mary Hinton, The Commercial Church. Black Churches and the New Religious Marketplace in America. Plymouth: Lexington Books 2011; James H. McAlexander/Beth Leavenworth Dufault/Diane M. Martin/John W. Schouten, The Marketization of Religion: Field, Capital, and Consumer Identity, in: Journal of Consumer Research, 41, 2014, S. 858-875; Thomas kern/Insa Pruisken, Religion als Markt. Megakirchen und der religiöse Wandel in den USA, in: uni.vers Forschung, Mai 2019, S. 36-39.
  6. Vgl. Kai-Uwe Hellmann, Marke als Kommunikation und Metaprodukt. Sozialwissenschaftliche Grundlagen der Marken/führung. In Franz-Rudolf Esch (Hrsg.), Handbuch Markenführung. Wiesbaden: Springer 2019. S 95-120
  7. Besonders augenfällig wird dies im Falle des Wissenschaftssystems, vgl. Kai-Uwe Hellmann, Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken der Markenbildung und Markenführung im Wissenschaftssystem. In Wolfgang Merten/Thorsten Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing. Konzepte, Instrumente, Praxisbeispiele. Wiesbaden: Springer Gabler 2019, S. 87-120.
  8. Vgl. Kai-Uwe Hellmann, Alles Marke oder was? Markenpolitik in der politischen Kommunikation. Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 16(3), 2003, S. 17-23.
  9. Vgl. Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung. Graz/Wien/Köln: Styria 1986; Franz-Xaver Kaufmann, Religion und Modernität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven. Tübingen: Mohr (Siebeck) 1989.
  10. Vgl. Niklas Luhmann, Die Funktion der Religion. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977, S. 58.

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