012019

Statements

Stefan Heße

Gang über den Markt

Stefan Heße, Jahrgang 1966, seit 2015 Erzbischof von Hamburg, zuvor Generalvikar im Erzbistum Köln.

Die Fragen stellte Jan-Christoph Horn.

Herr Heße, wenn Sie auf einen Markt gehen, wie verhalten Sie sich dann? Gehen Sie gezielt Ihrer Einkaufsliste nach, lassen Sie sich treiben von den Farben, Gerüchen und Auslagen, können Angebote Sie verlocken …

Ich mag Wochenmärkte. Natürlich bräuchten wir sie eigentlich nicht mehr, weil wir uns mittlerweile über Supermärkte versorgen oder Lebensmittel auch im Internet bestellen können. Aber Wochenmärkte haben einfach eine tolle Atmosphäre. Frische Lebensmittel, die regionalen Waren und das ein oder andere Gespräch machen Wochenmärkte auch im 21. Jahrhundert und in der Großstadt Hamburg nicht überflüssig. Sie sind Orte der Begegnung und machen mir auch die Schönheit und die Fülle der Schöpfung bewusst.

Marktplätze liegen oft zwischen Kirche und Rathaus. Heute ist die Kirche mit ihren Angeboten von Liturgie, Verkündigung, Diakonie und Gemeinschaft selber Teilnehmer am Markt der Sinndeuter, Ritenstifter, Lebenshelfer, Zusammenfüger. Wie finden Sie das? Genauer: Lassen Sie uns nicht über die sicherlich vorhandenen Nachteile sprechen. Was sind die Vorteile der Marktsituation um dem kirchlichen Sendungsauftrag der Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi in der heutigen Zeit zu entsprechen?

Es geht doch nicht um einen kirchlichen Selbsterhalt oder um einen zahlenmäßigen Triumphalismus. Wichtig ist, dass wir an der Sendung Gottes teilhaben.

Das Bild der Marktsituation und der Konkurrenz mit anderen teile ich so nicht. Wir sehen uns als Erzbistum nicht als eine Institution, die in Konkurrenz zu anderen steht. Wir verstehen uns als von Gott gesandt, das Evangelium hier und heute zu leben. Und zwar nicht gegen andere, sondern mit anderen. Es geht doch nicht um einen kirchlichen Selbsterhalt oder um einen zahlenmäßigen Triumphalismus. Wichtig ist, dass wir an der Sendung Gottes teilhaben. Diese müssen wir mit und für alle Menschen leben.

Die Marktplätze der Moderne liegen längst nicht mehr zwischen Kirche und Rathaus. Religiosität ist vieldeutiger geworden und spielt sich auch nicht in einer Konkurrenz zwischen Kirche und Welt ab. Unser Pastoraler Orientierungsrahmen bringt das zum Ausdruck: „Als Kirche mitten in der Welt hören, entdecken und lernen wir. Wir hören, was Menschen bewegt. Mit Ihnen suchen wir nach Spuren der Präsenz Gottes. Wir lernen gemeinsam mit Ihnen, das Evangelium der Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit zu leben.“1

Sie sind seit 2015 Erzbischof in Hamburg. Was sehen Sie und was erleben Sie, wenn Sie durch das Erzbistum Hamburg wie über einen Marktplatz gehen und sogar der Marktleiter sind?

In diesem Jahr besuche ich bewusst alle Pastoralen Räume des Erzbistums. Wir feiern gemeinsam Gottesdienst und tauschen uns anschließend über den Pastoralen Orientierungsrahmen und seine Bedeutung für die Gemeinden vor Ort aus. Diese Begegnungen sind für mich unschätzbar wertvoll. Als Marktleiter bin in ja für den groben Rahmen und einen guten Ablauf des Marktes zuständig. Die Gestaltung der Marktstände liegt in deren eigener Verantwortung.

Als Marktleiter bin in für den groben Rahmen und einen guten Ablauf des Marktes zuständig. Die Gestaltung der Marktstände liegt in deren eigener Verantwortung.

Nach etwa einem Drittel der Besuche steht für mich etwas Grundlegendes: In jedem Pastoralen Raum ist sehr viel da, die Auslagen der Marktstände – wenn man so will – sind sehr bunt und reichhaltig! Es gibt zahlreiche spirituelle und soziale Angebote und Aktivitäten. Dahinter stehen viele Menschen, die ehren- wie hauptamtlich engagiert vor Ort Kirche gestalten – sei es einzeln, in Gremien, Gruppen, Verbänden und Gemeinschaften Die Mehrzahl der Pastoralen Räume, die ich schon besucht habe, will mutig und missionarisch nach außen wirken. Die Entwicklung zum Pastoralen Raum wird von einigen als großer Gewinn bezeichnet, da man in Beziehung mehr erreichen könne. Es gibt ein schon traditionell gutes Verhältnis in der Ökumene. Teilweise ist auch die Bereitschaft zu erkennen, die Herausforderungen als Erneuerungschance zu gestalten bis hin zur kreativen Umnutzung oder Aufgabe von Immobilien. Sie lähmen die Gemeinden manchmal mehr als dass sie ihnen nützen.

Die besuchten Pastoralen Räume sehen daneben Entwicklungsbedarfe und Herausforderungen. Rund die Hälfte benennt ein Defizit an Glaubenswissen und Sprachfähigkeit in Glaubensfragen. Ich kann das durchaus positiv sehen. Denn der Wunsch zeigt: Wir sind auf der Suche! Räumliche Distanzen und unterschiedliche Haltungen zu Veränderungen spielen ebenfalls eine große Rolle. Dies wird unter anderem deutlich in der Schwierigkeit, Ehrenamtliche zu gewinnen. Steht für manche Gemeinden die Ausrichtung an den Charismen der Menschen im Vordergrund, möchten andere wie gewohnt bestehende Aufgaben verteilen. Auch ist man bereit, vor Ort Verantwortung zu übernehmen und neue Wege zu beschreiten. Gleichzeitig wird auch die Gefahr einer Überforderung ehrenamtlichen Engagements benannt. Auch die Gefahr der Selbstbezogenheit wird deutlich gesehen, die nicht zuletzt durch die zeitintensiven Prozesse zur Bildung der Pastoralen Räume selber und die Verwaltungsnotwendigkeiten in den größeren Gebilden entstehen.

Die Besuche benennen auch Erneuerungsbedarf für die ‚Marktleitung‘. Denn als der größte Knackpunkt wird das Verhältnis zur Bistumsebene gesehen. Durchgängig wird eine verbesserte Beziehung zum Erzbistum beziehungsweise zur Bistumsleitung angemahnt. Hier geht es um die Kommunikation von Prozessen und Ergebnissen, ein transparentes und effizientes Arbeiten sowie vor allem um die Wertschätzung der örtlichen Kompetenzen.

Ein zweiter großer Knackpunkt, der bei der Mehrzahl der Besuche benannt wird, sind unbesetzte Stellen. Lokale Ansprechbarkeit ist teilweise nicht gewährleistet und Seelsorger werden durch die Fülle an Aufgaben nicht mehr direkt als Ansprechpartner in seelsorglichen Anliegen wahrgenommen.

Ein dritter erneuerungsbedürftiger Bereich neben Verwaltungsfragen und Personalangelegenheiten ist die Wertschätzung der Wort-Gottes-Feiern und der Beauftragten, die sie verantworten. In ländlichen Gegenden sind die Wort-Gottes-Feiern für viele Katholiken der einzige erreichbare Gottesdienst am Sonntag. Gewünscht wird eine ortsnahe Ausbildung, weil Ehrenamtliche aus Flensburg oder Neustrelitz nicht ‚mal eben‘ nach Hamburg kommen.

Als grundsätzliche Schwierigkeit werden schließlich viertens erstaunlicherweise nur vereinzelt die Morallehre der Kirche benannt sowie die Skandale des sexuellen Missbrauchs.

Das Erzbistum Hamburg befindet sich im „Erneuerungsprozess“, einer grundlegenden pastoralen aber auch strukturellen Neuorientierung. Viele angestoßene Veränderungen finden Anklang, kritisch hinterfragt wurde die Entscheidung, sich in Teilen aus der Trägerschaft von Schulen herauszunehmen und die Leitung der lokalen Kirche in große pastorale Räume zu geben. Was haben diese Entscheidungen mit dem „Markenkern“ der Kirche, so wie Sie diesen in Ihrem Bistum prägen möchten, zu tun?

Bei der Neuausrichtung des Bistums fragen wir zuerst: Was ist unsere Aufgabe?

Die Schulentscheidung ist keine Frage des Markenkerns, sondern eine Frage der finanziellen Machbarkeit. In unserem Erneuerungsprozess geht es selbstverständlich auch um – bisweilen harte – strukturelle Reformen. Die entscheidende Entwicklung, die wir uns aber wünschen, liegt nicht im Bereich der Immobilien und Strukturen. Entscheidend ist eine Veränderung unserer Haltungen. Deswegen haben wir den Erneuerungsprozess mit der Bitte begonnen: Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an. Dieser Prozess des Umlernens ist fundamental und dauert natürlich an. Bei der Neuausrichtung des Bistums fragen wir zuerst: Was ist unsere Aufgabe? Danach fragen wir, was wir für diese Aufgaben ausgeben können und wollen. Denn unsere Sendung hängt nicht an unseren finanziellen Mitteln.

Bei der Entscheidung für größere Pastorale Räume beispielsweise geht es gerade darum, auf der Basis einer Volk-Gottes-Theologie die Verantwortung für das Kirche-sein vor Ort verstärkt in die Hände der Getauften zu legen. Das zeigt sich in Verantwortungsformen wie Gemeindeteams auf der lokalen Ebene. Auf der großen Ebene eines Pastoralen Raumes und zum Teil auf Bistumsebene werden unterstützend die Arbeitsbereiche Verwaltung, Finanzen, Kindertagesstätten zentral zusammengeführt, gerade um die in der Pastoral Tätigen vor Ort von diesen Aufgaben zu entlasten und neue Modelle kirchlichen Lebens auszuprobieren.

Marktpräsenz benötigt Professionalität. Welcher Instrumente der Markenentwicklung bedienen Sie sich? Wer unterstützt Sie? Und inwieweit lassen Sie sich vom Rat anderer beeinflussen?

Katholisch ist schon eine Marke im Norden. Damit verbinden sich aber sehr unterschiedliche Assoziationen. Mir ist wichtig, dass es eine positive, nicht abgrenzende Profilbildung des Katholisch-seins gibt. Dazu tragen unsere Aktivitäten bei, die sich zuerst an die 400.000 Katholikinnen und Katholiken richten. Wir leben nicht abgeschlossen hinter den Kirchenmauern und es ist wichtig, in der Ökumene, im Dialog mit anderen Religionen und auch im gesellschaftlichen Umfeld klar zu sagen, dass wir katholisch sind. In der Debatte um unsere Schulen in der Stadt Hamburg haben wir gemerkt, wie wichtig für viele gerade das katholische Profil ist.

Wir lassen uns in unserer Kommunikation von Agenturen beraten. Das weitet den Blick. In der Beratung ist aber auch immer klar, dass wir authentisch bleiben müssen. Und schließlich stehe ich als Bischof verantwortlich in der Öffentlichkeit und habe das Katholisch sein im Norden zu vertreten.

In Hamburg, aber auch schon in Ihren Tätigkeiten im Erzbistum Köln, werden Sie immer wieder vor der Frage gestanden haben: „Wie transportiere ich das, was mir wichtig ist und was ich entschieden habe, zu den Leuten – inner- und außerkirchlich?“ Was haben Sie in all den Jahren gelernt? Dürfen wir an Ihren Erkenntnissen partizipieren?

Im Erzbistum Hamburg sind wir stark von großen Entfernungen und überhaupt der großen Fläche des Bistums geprägt. Die Katholikinnen und Katholiken leben, zumindest außerhalb der großen Städte, weit verstreut im Land. Wir nutzen verstärkt die sozialen Medien, ich selber biete einen WhatsApp-Kanal an. Und das ist eine Entwicklung, die weitergehen wird. Sie können die reale Begegnung zwischen Menschen – wie bei meinen Gemeindebesuchen – nicht ersetzen. Aber diese Medien können sie unterstützen, sind Teil einer Netzwerkarbeit. Neben den konkreten Inhalten transportiert der Kanal den Abonnenten eine Botschaft: Ich bin als Christ nicht allein, sondern gehöre zu einer größeren Gemeinschaft. Auch wenn wir vor Ort vielleicht wenige sind, woanders gibt es noch mehr.

Wieviel gemeinsame Marke braucht ein Bistum? Wieviel individuelle Markenbildung braucht die lokale Ebene – ob einer Gemeinde, einer Einrichtung, eines Verbands? Und welche Unterstützung geben Sie den Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Engagierten vor Ort?

Das Subsidiaritätsprinzip finde ich ganz entscheidend.

Auf allen Ebenen ist es wichtig zu zeigen, welche Relevanz die katholische Kirche für den einzelnen Menschen, für eine Gemeinschaft und für die Gesellschaft hat oder haben kann. Das Subsidiaritätsprinzip finde ich da ganz entscheidend. An vielen Stellen muss es nach meiner Meinung wieder entdeckt werden. Denn was vor Ort und lokal erfolgreich geleistet wird, das sollten wir uns nicht zentral nach Hamburg auf den Tisch ziehen. Es bestehen da Vorbehalte und manchmal sogar Vorwürfe, „ihr in Hamburg …“. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir trotz der großen Ungleichzeitigkeiten in den Entwicklungen die gute Arbeit auf allen Ebenen benötigen. Deshalb ermuntere ich vor Ort, selber nach guten Lösungen zu suchen und in den zentralen Einrichtungen wie dem Generalvikariat werbe ich dafür, die lokale Ebene nicht zu vergessen.

Voraussetzung für gute Arbeit ist allerdings der Glaube, eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus. Das ist – wie gesagt – der wesentliche Ausgangspunkt unseres Erneuerungsprozesses. Wir wollen den lebendigen Glauben jedes einzelnen Menschen stärken. Ich bin überzeugt, dass jeder einzelne und auch wir als Gemeinschaft nur von diesem Fundament aus auch gute Arbeit leisten können.

Ist man als Bischof selber eine Marke?

Aber natürlich bin ich als Bischof eine Marke. Ich bin ein katholischer Bischof und stehe an der Spitze eines katholischen Bistums. Ich repräsentiere das, was katholisch ist und was die katholische Kirche ausmacht, wofür sie steht. Das heißt: Ich verkündige nicht mich, sondern Jesus Christus. Ich bin – hoffentlich – ein Zeugnis für ihn. Das lässt sich nicht von meiner Person trennen. In den täglichen Begegnungen, da wo wir Mensch sein können, kommt es nicht so sehr auf das Amt an. Mir ist wichtig, dass die Menschen mich nicht als fern und abgehoben erleben. Und daher bin ich auch lieber menschlicher Bischof als werbende Marke.

  1. https://www.erzbistum-hamburg.de/ebhh/pdf/Pastoraler_Orientierungsrahmen/Pastoraler-Orientierungsrahmen-Web.pdf?m=1517576725.

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