012019

Statements

Klaus Mertes

Was ist die Marke „Katholisch“?

Von Außen

Kürzlich war ich als Referent eingeladen, um vor leitenden Vertreterinnen und Vertretern von Kultusministerien mehrerer Bundesländer zu bildungspolitischen Fragen zu sprechen – allesamt aus Bundesländern, die nördlich des Mains liegen. Von den meist kirchenkritischen und kirchenfernen Beamten und Politikern wurde ich „gegrillt“, so dass ich nach zwei Stunden schweißgebadet war, als ich meinen Part beendet hatte. Während der Kaffeepause kam eine Person nach der anderen zu mir, klopfte mir begütigend auf die Schulter und nahm mehr oder weniger die Hälfte der kritischen Äußerungen zurück. Es kamen sogar Komplimente. Eine Aussage bleibt mir im Gedächtnis haften – von einem Teilnehmer an der Debatte, der sich besonders scharf kirchenkritisch geäußert hatte. Er sagte mir unter vier Augen: „Zwei Dinge sind es, die die katholische Kirche wirklich gut kann: Schule und Krankenhaus.“

Von Kirche wird erwartet, dass sie sich auf Grund ihres Menschenbildes und auf Grund des Nächstenliebe-Gebotes nicht dem Ökonomisierungsdruck beugt, weder konzeptionell noch im alltäglichen Umgang der Personen untereinander

Das ist eine Perspektive von außen, die sich einer langen Geschichte verdankt. Sie wird aktuell bestätigt durch die Nachfrage. Bis heute sind kirchliche Schulen und kirchliche Krankenhäuser überlaufen, lange nicht nur von kirchlichem Kernpublikum. Kirche wird also von außen weniger über Gemeinde wahrgenommen, und auch nicht bloß über die Negativ-Themen, die in den Medien gesetzt werden. Warum? Kirche ist über Schule und Krankenhaus außerhalb ihrer selbst präsent und deswegen ansprechbar. Von Kirche wird erwartet, dass sie sich auf Grund ihres Menschenbildes und auf Grund des Nächstenliebe-Gebotes nicht dem Ökonomisierungsdruck beugt, weder konzeptionell noch im alltäglichen Umgang der Personen untereinander: Persönliche Zuwendung, Engagement über bezahlbare Serviceleitungen hinaus, und schließlich auch Antworten – einschließlich praktischer Antworten/Riten/Traditionen – auf die großen Fragen, die sich stellen, wenn es um Geburt, Tod, Versöhnung und Schuld geht.

Die katholische Kirche wird in weiten Kreisen von Wissenschaft und Politik als Verbündete wahrgenommen bei der Sorge um die Bewahrung der Schöpfung. Kein katholischer Text hat in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit in politischen engagierten Kreisen gefunden wie das Schreiben von Papst Franziskus „Laudato Si“. Ich stoße immer häufiger auf Äußerungen von kirchenfernen Personen, die das schlechte Image der Kirche sehr bedauern, weil die Kirche als unverzichtbar wichtige Stimme wahrgenommen wird, wenn es um die Zukunft des Planeten geht. Denn wo gibt es eine Institution, die weit über nationale Grenzen hinaus mehr als eine Milliarde Menschen zu einer Überzeugungsgemeinschaft vereint, die sich nicht nur auf Internetplattformen vernetzt, sondern im alltäglichen Leben bis in die familiären Zellen hinein?

Von Innen

Die katholische Kirche hat in den letzten Jahren unter einem Imageproblem zu leiden, das, ganz allgemein gesprochen, mit dem Thema Sexualität zu tun hat. Die Lebenswirklichkeit der allermeisten Menschen, auch der allermeisten Katholiken stimmt nicht mehr mit der Lehre überein. Immerhin hat Papst Franziskus dieses Problem in seinem Schreiben „amoris laetita“ am Beispiel des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen offengelegt. Durch das Öffentlich-Werden von sexuellem Missbrauch hat sich das sexualfixierte Image-Problem verschärft. Zwar geht es bei Missbrauch primär um das Thema Macht, aber die sexualisierte Gewalt im Kontext von Machtmissbrauch hat insgesamt das Glaubwürdigkeitsproblem der katholischen Kirche in diesem Themenbereich verschärft.

Die Lebenswirklichkeit der allermeisten Menschen, auch der allermeisten Katholiken stimmt nicht mehr mit der Lehre überein.

Das Problem ist nicht dadurch zu lösen, dass man innerkirchlich versucht, andere Themen zu setzen. Der katholischen Familienkongress im Herbst 2018 in Irland hat gezeigt: Es gelingt der Kirche nicht mehr, aus eigener Kraft Themen zu setzen. Trotz und anlässlich der Papstbesuches in Dublin interessierte sich die Öffentlichkeit nicht für das Thema Familie, sondern vornehmlich für die Themen 1. Lehre der Kirche zur Homosexualität und 2. Verantwortlichkeit der Bischöfe beim Vertuschen von sexuellem Missbrauch durch Kleriker. Den Fragen der Öffentlichkeit entsprechen auch immer mehr drängende innerkirchliche Fragen an die Lehre und an die Hierarchie – zuletzt in Deutschland sichtbar geworden anlässlich der Aktion Maria 2.0.

Einflussreiche, wenn auch zahlenmäßig kleine katholische Kreise neigen in dieser Situation dazu, die auf sexualmoralische und Genderfragen fixierte Agenda quasi seitenverkehrt zu übernehmen: Sie sprechen denjenigen Personen in der Kirche Katholizität ab, die zum Beispiel das kirchliche Verbot jeglicher „künstlicher“ Verhütung, die Ablehnung homosexueller Liebe, die männerbündische Struktur des Klerus etc. kritisieren. Das verstärkt dann nach außen hin wieder die problematische sexualfixierte Marken-Bildung. Auf talk-shows werden krawall-katholische Außenseiter als Vertreterinnen und Vertreter der „eigentlich katholischen“ Positionen eingeladen, während die breite normal-katholische Mehrheitsposition nicht interessiert.

Das Erscheinungsbild der Kirche krankt nicht an der richtigen oder falschen Strategie für die Öffentlichkeitsarbeit, sondern an ihren inneren Widersprüchen.

Alle Versuche, aus dieser Falle herauszukommen, werden nichts nützen, wenn die katholische Kirche nicht ihre inneren Probleme löst. Ihr Erscheinungsbild krankt nicht an der richtigen oder falschen Strategie für die Öffentlichkeitsarbeit, sondern an ihren inneren Widersprüchen. Image-orientierte Öffentlichkeitsarbeit kann sogar kontraproduktiv sein, wenn sie vornehmlich an Fragen des Erscheinungsbildes orientiert ist. Die Öffentlichkeit spürt die narzisstische Selbstumdrehung und wendet sich desinteressiert ab oder maximal misstrauisch zu.

Der Ausweg kommt auch wieder von außen. Ich wurde in den letzten Jahren oft vor großer kritischer Öffentlichkeit, auf Pressekonferenzen etc. gefragt, warum ich „noch“ katholisch sei. Das war die Gelegenheit, die Kirche zu preisen: In der Kirche bin ich mit Menschen zusammen, die sich für die Frage nach Gott interessieren, und in der ich diese Frage besprechen kann, und in der ich mit anderen Menschen beten kann. Die Kirche stellt mir die Gesänge und Riten zur Verfügung, sie mich ein Leben lang begleiten und die mich auf meine Todesstunde vorbereiten. Die Kirche, gerade die katholische, trennt kirchliche Zugehörigkeit von nationaler Zugehörigkeit und öffnet mir so eine ganze Welt als Heimat. Ohne die Kirche hätte das Evangelium nicht 2000 Jahre bewahrt werden können, und es wird auch in Zukunft nicht ohne die Kirche bewahrt werden.

Alle tiefen Fragen, die durch den Machtmissbrauch aufgeworfen werden, werden auch im Evangelium angesprochen. Die katholische theologische Tradition, Glaube und Vernunft miteinander zu verbinden, bewahrt vor religiösen Fanatismus und hat auch die Kraft, diesen in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Und schließlich: In der gegenwärtigen Missbrauchs-Krise, in der die ganze Welt auf die Kirche schaut, hat die Kirche die Gelegenheit, der ganzen Welt zu zeigen (auch den Teilen der Welt, die dieses Thema noch gar nicht wahrnehmen wollen), wie man an einer solchen Krise wachsen und Wege des Friedens im Verhältnis zwischen Opfer und Institution finden kann. Denn schließlich stimmt ja auch dies: Was die Kirche hier zurzeit beschäftigt, ist ja auch ein Problem der angeblich nur „zuschauenden“ Öffentlichkeit. Gerade hier leistet die katholische Kirche deswegen aktuell einen unverzichtbaren Dienst.

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