022016

Foto: Tyler Mullins

Statements

Klaus Vellguth

Inklusion und Exklusion als siamesische Zwillinge

Wie groß das Bedürfnis nach menschlicher Gemeinschaft ist, sieht man nicht zuletzt am inflationärem Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel. Wenn man die Kommunikation in den sozialen Medien analysiert, fällt auf, dass es nicht in erster Linie darum geht, gemäß eines simplifizierenden Sender-Empfänger-Models Inhalte auszutauschen. Kommunikation ist ein performativer Akt. Dadurch, dass Menschen kommunizieren, erwerben sie soziales Kapital und bilden Gemeinschaft. Somit kommt dem Akt der Kommunikation mitunter eine größere Bedeutung zu als dem, was scheinbar inhaltlich kommuniziert wird. Für viele Menschen ist Kommunikation somit ein Mittel, um Gemeinschaft zu bilden oder aus einer Gemeinschaft auszugrenzen.

Inklusion durch Exklusion

Inklusion und Exklusion sind stets eng miteinander verbunden. Gruppenbildung und Gruppenstärkung kann auch dadurch realisiert werden, dass sich eine Gruppe nach Außen abgrenzt, im schlimmsten Fall sogar Feindbilder konstruiert, um eine Abgrenzung nach Außen zu realisieren und damit die Gemeinschaft untereinander zu stärken.

So kann man nicht leugnen, dass Religion auch zum Spielball gesellschaftlicher Exklusion geworden ist. Davon zeugte in Deutschland zuletzt die Pegida-Bewegung gegen eine Islamisierung Europas, die verfassungswidrige Forderung der CSU, Flüchtlinge primär aus christlichen Ländern aufzunehmen sowie die Emotionalität, mit der die Flüchtlingsdebatte in den letzten Monaten geführt worden ist.

In ganz anderer Weise zeigt sich der exklusivierende Charakter von Religion, wenn man sich die gegenwärtigen Konflikte im Nahen Osten (Islamischer Staat), in Westafrika (Boko Haram) oder in Ostafrika (Al Shabaab) ansieht. Hier werden religiöse „Demarkationsgrenzen“ gezogen und Angriffsziele jenseits einer religiösen Zugehörigkeit definiert, obwohl die Ursachen der Konflikte in keiner Weise religiös sind. Religion wird stattdessen missbraucht, um von wirtschaftlichen, ethnischen, politischen und kulturellen Ursachen abzulenken und eigene Ziele religiös zu „verbrämen“. Die Analysen zur „Politischen Religion“ haben gezeigt, dass gerade Politik quasireligiöse Züge annehmen und zu einer Ersatzreligion mutieren kann.

Dialog statt Exklusion

Umso wichtiger ist es, dem exklusivierenden Missbrauch von Religion entgegenzutreten und unterschiedliche religiöse Identitäten als Chance einer gegenseitigen Bereicherung zu verstehen. Damit dies gelingt, ist der religionsverbindende Dialog von entscheidender Bedeutung. Als theologischer Meilenstein kann diesbezüglich das Zweite Vatikanum mit seiner Erklärung Nostra aetate ebenso wie die Antrittsenzyklika „Ecclesiam suam“ von Papst Paul VI. gesehen werden. Mit Blick auf den interreligiösen Dialog hat später Papst Johannes Paul II. wesentliche Weichenstellungen vorgenommen. Unvergessen ist das Weltgebetstreffen für den Frieden, zu dem Johannes Paul II. vor genau dreißig Jahren Religionsführer der verschiedenen Religionen in die italienische Stadt Assisi eingeladen hat. Während in Assisi seinerzeit ein Dialog auf der Ebene des gemeinsamen Gebetes realisiert worden ist, tragen aber auch der Dialog des Lebens sowie der theologische Dialog zu einem religionsverbindenden Dialog der Religionen bei, der inklusiven (und nicht exklusiven) Charakter besitzt.

Dennoch wird man es nicht verhindern können, dass Religion auch künftig instrumentalisiert wird, um als Vorwand für andersgelagerte Konflikte zu dienen beziehungsweise denjenigen ein Spielfeld zu eröffnen, die – frustriert von der Exklusion, die sie selbst gesellschaftlich erfahren – ein Terrain suchen, auf dem sie sich fanatisieren können – was letztlich Ausdruck eines für sie anders nicht zu kommunizierenden Protestes gegen ihre eigene gesellschaftliche Exklusion ist. Um dies zu verhindern stehen Gesellschaften vor der ständigen Herausforderung, gerade Schwächere zu fördern und zu integrieren.

Doch auch wenn Integration als wesentliche gesellschaftliche Herausforderung angenommen würde, wird eine Instrumentalisierung von Religion nicht in jedem Fall verhindert werden können. Umso wichtiger ist es, immer wieder darauf zu verweisen beziehungsweise spürbar werden zu lassen, dass allen Religionen ein Moment der Vergemeinschaftung innewohnt und dass Religion nicht nur mit einer transzendenten, sondern auch mit einer immanenten, ganzmenschlichen Rückbindung zu tun hat. Der gemeinschaftsorientierte Charakter einer Religion sowie ihre Offenheit gerade auch für andere Menschen trägt dazu bei, dass Religion nicht als exklusive Instanz, sondern als einladender Ort erlebt werden kann.

futur2 möglich machen

Hinter der futur2 steht ein Verein, in dem alle ehrenamtlich arbeiten.

Für nur 20 € pro Jahr machen Sie als Mitglied nicht nur die futur2 möglich, sondern werden auch Teil eines Netzwerks von Leuten, die an der Entwicklung von Kirche und Gesellschaft arbeiten.

» MEHR ERFAHREN