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Foto: Nadim Merrikh/unsplash

Statements

Christiane Florin

Die Kirchen sollten nicht enger werden, wenn sie kleiner werden

Welchen Rat erwarten Sie von einer Autorin, die ein Buch namens „Weiberaufstand“ geschrieben hat? Vermutlich, dass sie empfiehlt: Frauen zu Priesterinnen weihen, Bischöfinnen ernennen, Kardinälinnen die nächste Päpstin wählen lassen. Dann wird alles gut oder zumindest energieeffizienter. Derzeit verschwendet das Lehramt viel Kraft darauf, mit schwachen Argumenten zu erklären, warum der Ausschluss der Frauen vom Klerus keine Diskriminierung ist. Also: Frauen gleichberechtigen, das wäre für die katholische Kirche ein Schritt aus dem Exoten-Dasein. Jesu wichtigste Eigenschaft dürfte wohl kaum gewesen sein, dass er nicht weiblich war.

Bei der Lektüre dieser Zeilen steigen die ersten schon aus dem Text aus.

Ich weiß: Bei der Lektüre dieser Zeilen steigen die ersten schon aus dem Text aus. Nicht deswegen, weil das Thema so unglaublich heiß und gefährlich ist. Es ist es vielmehr gerade hip, bei Ideen dieser Art gelangweilt abzuwinken und zu behaupten: „Diese ganzen Reformagenden von Amtsverständnis bis Zölibat interessieren niemanden mehr. Es geht um Mission, um Berührung, um die Beziehung zu Jesus.“

Wenn ich das Wort Mission höre, wenn ich vom Lobpreis betörte Massen sehe und beduftete Dome betreten soll, dann bin ich schnell wieder draußen. Kürzlich wurde ich von Frauen mit Teelichtern in der Hand in eine mir wohl bekannte Kirche gelockt.

Den Innenraum erkannte ich kaum wieder: Scheinwerfer färbten den Altar, aus einem Keyboard perlte sanfte Musik, ein Sängerin riet mir: „Sei nicht so hart zu dir selbst“. Im Seitenschiff saß ein Kaplan und wartete auf Besucher mit persönlichen Gebetsanliegen. Auf dem Vorplatz nannten mir die Initiatoren hohe Besucherzahlen. Die Variation von Nightfever war offenbar ein Erfolg. Auf mich wirkte sie wie ein spiritueller Überfall. Mission impossible.

Welchen Rat erwarten Sie von einer Katholikin, Jahrgang 1968, die in der katholischen Landjugend begeistert „Laudato Si“ geklampft hat, weil sie „Ein Haus von Glorie schauet“ unerträglich hochmütig fand? „Du bist wuhundeherbahar, Herr“, sangen wir und dachten zugleich, dass die Tage der herrischen Klerikerkirche gezählt seien. Heute wird mir signalisiert: Wir sind das Problem mit unserer Nostalgie, mit unseren Gitarren und unserer Bewunderung für diesen rebellischen Frauenversteher namens Jesus. Wir sind die Alten. Wir sollen loslassen.

Die Bandbreite von links bis erzkonservativ besteht liturgisch und kirchenpolitisch schon lange. Doch jetzt, da die Breite abhanden kommt, geraten die Lager schmerzvoller aneinander.

Die angeblich eine Una Sancta beherbergt verschiedene Kirchen unter einem Dach, liberale und autoritäre, selbstgebastelte und offizielle. Verschiedene evangelische Kirchen gibt es ohnehin. Die Bandbreite von links bis erzkonservativ besteht liturgisch und kirchenpolitisch schon lange. Doch jetzt, da die Breite abhanden kommt, geraten die Lager schmerzvoller aneinander. Die

Kampflinien verlaufen weniger zwischen als innerhalb der Konfessionen. Liberale Katholikinnen und Katholiken haben mit protestantischen Liberalen mehr gemein als mit Konservativen der eigenen Konfession. Entsprechend bilden sich am anderen Ende des Spektrums Allianzen zwischen Evangelikalen und rechten Katholiken. Eine Ökumene der Häme für die Volkskirche artikuliert sich: Endlich, endlich, endlich ist diese langweilige, graumäusige, stuhlkreisbildende Gremienkirche vorbei! Wenn die 68er erst mal das Zeitliche segnen, dann geht mit ihnen auch der Diskurs ins Grab! Endlich, endlich, endlich kann stramm durchgeglaubt werden! Von einer „Welle des Gebets“ träumen zum Beispiel die Initiatoren und Unterzeichner des Missionsmanifests; evangelikale Thesen klingen ähnlich. Wenn solche Wellen anbranden, versuche ich, mich aufs Trockene zu retten.

Wenn schon die Volkskirche nicht in Zahlengestalt überlebt, dann sollte etwas von ihrem Geist lebendig bleiben. Dieser Geist macht Platz für vieles und viele, selbst dann, wenn nicht mehr viele Kirchenmitglieder übrig bleiben.

Derzeit erfasst der Geist der Polarisierung beide Kirchen, erkennbar an allerlei Entweder-Oder-Debatten. Entweder Beten oder Diskutieren, entweder politisch oder fromm, entweder 90 Prozent oder 10 Prozent. Ich misstraue jedem, der sich auf dem einzig richtigen Weg wähnt, der Diskurs gegen Glauben, Frauen gegen Männer, Junge gegen Alte und Gott gegen den Menschen ausspielt. Ich habe als Kirchenmitglied keinen praktischen Rat an die Entscheider – wer immer das auch sein mag. Ich habe nur eine Hoffnung: Wenn schon die Volkskirche nicht in Zahlengestalt überlebt, dann sollte etwas von ihrem Geist lebendig bleiben. Der Geist steht zwar im Singular, ich verstehe ihn jedoch als Plural. Dieser Geist macht Platz für vieles und viele, selbst dann, wenn nicht mehr viele Kirchenmitglieder übrig bleiben. Und, nein: Das ist kein Relativismus, das ist ein erwachsener Glauben, der sich nicht kindisch an Absolutheitsansprüche klammert.

Für mich bedeutet Kirche jedoch nie „nur“, sondern immer „auch“.

„Kirche ist da, wo Eucharistie ist“, sagte der Erzbischof von Köln kürzlich in seiner Fronleichnamspredigt. Er meint wohl: Sie ist nur da, wo Eucharistie ist. Für mich bedeutet Kirche jedoch nie „nur“, sondern immer „auch“. Sie ist auch da, wo zwei oder drei – noch so ein Schlager meiner Jugend – in seinem Namen versammelt sind, ohne diesen Glauben wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Sie ist auch da, wo das Leben gefeiert wird mit all seinen Widersprüchen, seiner Schönheit und Verletzlichkeit. Sie ist auch da,  wo die Frage „Wie kann ich helfen?“ von innen kommt und nicht aus dem Handbuch für erfolgreiche Servicekräfte.

Welchen Rat erwarten Sie von einer Journalistin, für die Sprache ein Lebensmittel ist? Schon lange fällt mir auf: Beide Kirchen haben Wortfindungsstörungen, leiden aber nicht erkennbar darunter. Ich leide aber, wenn ich Ein-Satz-Frohbotschaften höre wie: Wir haben eine super Message, müssen sie nur besser verpacken; Jesus Christus ist immer die Lösung; Gott ist die Liebe. Institutionen mit soviel Lebenserfahrung müssten einen Wortschatz angesammelt haben, der funkelt und blitzt. Sie verstecken ihn gut.

Beide Kirchen haben Wortfindungsstörungen, leiden aber nicht erkennbar darunter.

Eigentlich möchte ich gar nicht die Kirchen beraten, ich hätte als Journalistin gern von ihnen eine gute Idee, einen riskanten Gedanken, eine treffende Formulierung, etwas, worauf ich aus eigener Kraft nicht gekommen wäre und was mir auch kein rein weltlicher Thinktank liefert.Ich meine weder die Felsblock-Moral alter katholischer Schule noch das mit sanften Sinnsprüchen bestickte Kissen mancher evangelischer Morgenandacht. Ich meine eine tiefenscharfe Auseinandersetzung mit diesem Leben, mit dieser Gesellschaft, mit dieser Welt.

Beide Kirchen fallen nicht – wie ihnen von rechts gern vorgeworfen wird – dadurch auf, dass sie sich zu viel in Politik und Gesellschaft einmischen, sondern dadurch, dass sie es sich zu leicht machen. Zu wenig ringend, zu wenig ernsthaft, zu wenig geistesgegenwärtig. Toleranz, Miteinander reden, irgendwas gegen die AfD und für das Grundgesetz. Das geht immer, das ist so anschlussfähig wie ein Playmobil-Luther, der mit ein paar Kunstgriffen in einen Astronauten, einen Lokführer oder eine Krankenschwester verwandelt werden kann.

Beide Kirchen fallen nicht – wie ihnen von rechts gern vorgeworfen wird – dadurch auf, dass sie sich zu viel in Politik und Gesellschaft einmischen, sondern dadurch, dass sie es sich zu leicht machen.

Der Blick auf die Wirklichkeit ist nicht wach genug, deshalb die verschlafene Sprache.

Die Kirchen fühlen sich für die klassischen ethischen Dilemmata zuständig, für die Pränataldiagnostik und die Sterbehilfe. Da sitzen sie in Kommissionen, da sind sie verräterisch gut aufstellt. Doch es gibt viel mehr Anlässe, um darüber nachzudenken, was gerade in dieser Gesellschaft passiert, wer die Schwachen sind und wer die Starken, wer die Gefährdeten und wer die Gepanzerten. Ich trage zwar Zorn auf die lange Zeit so hartherzige Institution katholische Kirche mit mir herum und dennoch interessierte es mich, wenn sie jenseits der Gott-ist-die-Liebe-Floskelei und jenseits der Ethikrat-Termine etwas dazu zu sagen hätte, wie das gehen könnte: anständig leben, anständig lieben, anständig sterben.

Ich lese unterschiedlichste kirchliche Texte, nehme berufsbedingt reichlich Wortmeldungen der Hierarchen wahr. In trauter Ökumene der Belanglosigkeit wird viel geredet, ohne vorher genau hingehört zu haben. Zu viele Texte entstehen, weil es eine Kommission gibt, die Texte entstehen lassen soll. Vieles liest sich so, als hätten es sich die Autorinnen und Autorinnen nicht einmal selbst vorgelesen. Papiere werden so lange abgestimmt, bis sie „Der Mensch im Mittelpunkt“ heißen und zur Unkenntlichkeit glattgeschliffen sind.

Es interessierte mich, wenn Kirche jenseits der Gott-ist-die-Liebe-Floskelei und jenseits der Ethikrat-Termine etwas dazu zu sagen hätte, wie das gehen könnte: anständig leben, anständig lieben, anständig sterben. 

Natürlich tun Kirchen vieles für diese Gesellschaft. Es ist unfair, sie statt an den Werken allein an ihren Worte zu messen. Kirchen sind nicht dazu da, Journalistinnen Denkstoff zu liefern und mir dabei zu helfen, die Welt etwas besser zu verstehen. Aber ich staune doch, wenn trotz des hohen Wortaufkommens so wenig dabei ist, was außerhalb des selbstreferentiellen Verlautbarungsverbreitungssystems der Rede wert ist.

Vom Reformationsjubiläum zum Beispiel ist bei mir kein Satz hängengeblieben. Vielleicht habe ich die falschen Veranstaltungen besucht und die falschen Agenturmeldungen gelesen. Aber ich glaube, es ist nicht nur mein Fehler. Es hat auch mit einer ängstlichen inneren Verfassung beider Kirchen zu tun: Bloß keine falsche Bewegung! Bloß kein Satz, der anecken könnte! Erst recht nicht in dieser schwierigen Situation! So dümpeln beide Kirchen zwischen Polarisierung und Langweile dahin.

Pluralität entsteht weder aus Flügelkämpfen noch aus einer furchtsam abgezirkelten Unauffälligkeitszone. Geistige Weite lässt sich weder verordnen noch  planen. Aber ich möchte den Wunsch danach offen halten. Die Kirchen sollten nicht enger werden, wenn sie kleiner werden.

Nur wenige Führungskräfte fallen durch so etwas wie Leidenschaft auf. Wenn ich Karteikarten für potenzielle Gesprächspartner aus den Kirchen anlege, muss ich lange überlegen, welche Stichworte ich darauf schreibe. Experten gibt es für alle Bereiche, Kommissionen auch, aber wer streitet für etwas, weil es ihm oder ihr ein Herzensanliegen ist? Da wird die Kirchenkarteikartensammlung ganz dünn. Öffentliche, mediale Präsenz ist keine Dekoration. Eine Religion, die sich auf die Zeile „Im Anfang war das Wort“ beruft, kann sich keine wörtliche Betäubung leisten. Sie braucht nicht nur Strategiepapiere, sie braucht Persönlichkeiten mit Esprit, Witz, Lust an der Auseinandersetzung. Genau die aber werden in den Institutionen entmutigt oder allenfalls als externe Berater akzeptiert.

Pluralität entsteht weder aus Flügelkämpfen noch aus einer furchtsam abgezirkelten Unauffälligkeitszone. Geistige Weite lässt sich weder verordnen noch  planen. Aber ich möchte den Wunsch danach offen halten. Die Kirchen sollten nicht enger werden, wenn sie kleiner werden.

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