022016
Bonustrack
Wie sieben Begriffe die Kirche verändern
Die Zukunft des Bistums Essen begann im Sommer 2011. Viel stärker als in anderen Regionen Deutschlands war hier in den Monaten zuvor die immense katholische Verunsicherung nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals auf eine ohnehin schon vorhandene Unruhe in der Ortskirche geprallt. Die Folgen der massiven Umstrukturierungen, die das Bistum seit 2005 geprägt haben – inklusive der Aufgabe von fast 100 Kirchenstandorten und der großflächigen Fusion von Pfarreien –, sorgten auch sechs Jahre später bei vielen Gemeindemitgliedern nach wie vor für Verärgerung. Dieses Unverständnis über die Situation vor Ort, gepaart mit der Verunsicherung über die katholische Kirche bundesweit, war der Nährboden für den Dialogprozess „Zukunft auf katholisch“. Aus diesem Dialogprozess entstand das Zukunftsbild, das heute das maßgebliche Leitbild für alle weiteren Entwicklungen im Bistum Essen ist.
Eine neue Kultur und neue Formen des Dialogs
Als sich im Frühjahr 2011 die Erkenntnis durchsetzte, dass das Ruhrbistum nur durch intensive Gespräche, eine neue Kultur und neue Formen des Dialogs das verloren gegangene Vertrauen zumindest stückweise zurück gewinnen könne, musste Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck nicht erst auf den offiziellen Aufruf der Deutsche Bischofskonferenz (DBK) warten. Als der DBK-Vorsitzende Erzbischof Robert Zollitsch im März 2011 alle Bistümer zu solchen Gesprächen aufrief – verbunden mit der Ankündigung des bundesweiten Gesprächsprozesses „Im Heute glauben“ – gab es im Ruhrgebiet bereits eine Dialoginitiative der im Diözesanrat zusammengeschlossenen Laien. Unter der provokanten Überschrift „Auf!RuhrBistum – Kirche gestalten. Jetzt“ war diese Initiative bereits seit einigen Wochen mit eigenen Veranstaltungen im Bistum unterwegs. Ruhrbischof Overbeck bündelte im Frühjahr 2011 die Initiative der Laien und die der DBK und kündigte mit einem Hirtenwort am 19. Juni den Dialogprozess „Zukunft auf katholisch“ für das Bistum Essen an.Die Zukunft des Bistums Essen begann im Sommer 2011: „Auf!RuhrBistum – Kirche gestalten. Jetzt“.
Sechs ganztägige Bistumsforen – und flankierende Gespräche in der Akademie
Kern dieses Prozesses waren zwischen Januar 2012 und Sommer 2013 sechs Veranstaltungen, bei denen jeweils rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Tag lang in verschiedenen Konstellationen zu einem gemeinsamen Thema arbeiteten und diskutierten. Als Orte für diese Bistumsforen wählten die Verantwortlichen bewusst nichtkirchliche Räume in allen Regionen der Diözese:
_Januar 2012 – „Zukunft auf katholisch – lebendige Kirche im Dialog“, Congress Center, Essen_Mai 2012 – „Im Bistum zu Hause und lebendige Kirche sein“, Maschinenhalle, Gladbeck
_November 2012 – „Offenes Ohr – klares Wort – konkrete Tat. Dialog als Prozess. Eine erste Ergebnissicherung“, Luise-Albertz-Halle, Oberhausen
_Januar 2013 – „Sorge um den Nächsten: Als Christinnen und Christen vor Ort Verantwortung tragen“, Schauinsland-Reisen-Arena, Duisburg
_April 2013 – „Wie feiern wir Gott?“, Henrichshütte, Hattingen
_Juni 2013 – „Glaubensweitergabe in der Welt“, Schützenhalle, Lüdenscheid
Flankiert wurden diese Foren unter anderem durch besondere Veranstaltungen in der Akademie „Die Wolfsburg“. Hier wurden vor allem jene kirchlichen Themen diskutiert, die zwar hierzulande regelmäßig zu kontroversen Debatten führen, letztlich aber nur auf Ebene der Bischofskonferenz oder der Weltkirche geklärt werden können. Unter anderem standen bei den „Dialogen mit dem Bischof“ die Rolle der Frau in der Kirche, die Frage nach Macht oder die katholische Sexualmoral auf dem Programm.
Als Orte für diese Bistumsforen wählten die Verantwortlichen bewusst nichtkirchliche Räume in allen Regionen der Diözese.
Ein Zukunftsbild in sieben zentralen Begriffen
Zwei Jahre nach dem Hirtenwort Bischof Overbecks mündete diese erste Phase des Dialogprozesses am 13. Juli 2013 in ein großes Bistumsfest am Essener Dom.
Unter dem Motto „Wir feiern den Dialog“ wurde als erste Quintessenz des Dialogs das Zukunftsbild des Bistums vorgestellt, das in sieben zentralen Begriffe beschreibt, wie die Katholiken im Ruhrbistum Kirche sein möchten:berührt,
wach,
vielfältig,
lernend,
gesendet,
wirksam,
nah.
Was das konkret bedeutet, entfaltet sich – im wahrsten Sinn des Wortes – beim Auseinanderklappen des gedruckten Zukunftsbilds von Bierdeckel- auf Plakatgröße. Dann sind die sieben Zukunftsbild-Begriffe sowohl mit Bibelzitaten und Texten des II. Vatikanischen Konzils als auch mit ersten Umsetzungs-Ideen hinterlegt.
Das Zukunftsbild ins Gespräch bringen
Erste Quintessenz des Dialogs: ein Zukunftsbild auf Bierdeckelformat.
In den ersten Monaten nach der Präsentation ging es zunächst darum, das Zukunftsbild möglichst vielen Menschen bekannt zu machen und eine erste Auseinandersetzung damit anzuregen.
In vielen Gemeinden und an anderen kirchlichen Orten, in Verbänden und Einrichtungen gab es zahlreiche Diskussionsrunden und erste Überlegungen, was die Aussagen des Zukunftsbildes denn konkret für den eigenen Bereich bedeuten. Eigens geschulte Moderatorinnen und Moderatoren zogen als Botschafterinnen und Botschafter des Zukunftsbildes durch das Bistum und brachten die sieben Leitworte – unterstützt von zahlreichen gedruckten und online verbreiteten Medien – ins Gespräch. Gleichzeitig entwickelten verschiedene kirchliche Orte erste Strategien, die auf dem Zukunftsbild fußen und in ersten Projekten ausprobiert werden. Im Fokus stand hier vor allem, als Kirche neue Zielgruppen oder neue Orte in den Blick zu nehmen oder die Qualität von bestehenden Initiativen und Aktivitäten zu verbessern. Exemplarisch macht sich dies auch der Essener Dom zu eigen, der im Advent 2014 sich mit den Aktionen „Advent to go“, „Der Dom leuchtet“ und „Nikolaus bittet zu Tisch“ bewusst Zielgruppen öffnete, die üblicherweise nicht zum Kernpublikum der Kathedrale zählen.Aus 40 konkreten Ideen werden 20 Zukunftsbild-Projekte
Die verschiedenen Erfahrungen mit dem Zukunftsbild wurden im ersten Halbjahr 2015 in vier Gesprächsrunden gebündelt. Insgesamt 160 ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche diskutierten, welche pastoralen Schwerpunktsetzungen für das Ruhrbistum im Sinne des Zukunftsbildes zukunftsweisend sein könnten. Im Zentrum stand dabei eine Konkretisierung des Zukunftsbildes.
So entstanden 40 Projektskizzen, die Grundlage des Zukunftsforums am 20. Juni 2015 wurden: Rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Bereichen des Ruhrbistums sichteten, diskutierten und bewerteten die Ideen. Diese Einschätzungen waren die Grundlage für verschiedene Arbeitsgruppen und letztlich Bischof Overbeck und Generalvikar Klaus Pfeffer, aus den 40 Vorschlägen im Sommer 2015 20 Ideen auszuwählen. In 20 Projektgruppen mit Ehren- und Hauptamtlichen sollten diese Bistumsprojekte in den folgenden drei Jahren möglichst konkret an der Umsetzung einzelner Facetten des Zukunftsbildes arbeiten und so zeigen „wie wir Kirche verändern“, wie die Projektübersicht überschrieben ist. Mit einem weiteren Bistumsfest am Essener Dom wurden die Projekte am 29. August 2015 offiziell eingesetzt.In 20 Projektgruppen mit Ehren- und Hauptamtlichen soll bis 2018 möglichst konkret an der Umsetzung einzelner Facetten des Zukunftsbildes gearbeitet werden.
Seitdem entwickeln Projektgruppen im Ruhrbistum zum Beispiel
- Modelle für die ehrenamtliche Leitung von Gemeinden,
- Ideen für ein Team, das pfarreiübergreifend Brautpaare betreut, die keine Anbindung an eine Gemeinde haben,
- ein Konzept für die Einbettung von Pop- und anderen modernen Musikstilen in die Kirchenmusik,
- neue sozialpastorale Zentren,
- Strategien, um Kirchenmitglieder zu halten,
- erweiterte Nutzungsmöglichkeiten für Kirchengebäude,
- eine projektorientierte Gemeindecaritas,
- ein Gründerbüro für pastorale Innovationen,
- neue Citypastoral-Projekte für die Innenstadtkirchen im Ruhrbistum.
Verknüpfung mit den bistumsweiten Pfarreiprozessen
Eine Steuerungsgruppe ist Ansprechpartner für die Projektleiter, um den jeweiligen Auftrag im Blick zu halten. Abgesehen davon haben die Gruppen jedoch die größtmögliche Freiheit, diesen Auftrag ihren Überlegungen entsprechend umzusetzen. Gleichzeitig sind alle Pfarreien und Einrichtungen des Bistums aufgefordert, auch ihre Überlegungen – etwa im Rahmen der bistumsweiten Pfarreiprozesse – am Zukunftsbild auszurichten und eigene Projekte zu starten, um das Zukunftsbild in ihrem Bereich konkret werden zu lassen.
Für den Frühsommer 2018 plant das Bistum eine Veranstaltung, um eine weitere Zwischenbilanz des Dialogprozesses zu ziehen: Dann enden die 20 Bistumsprojekte, und es wird klar sein, welche Ideen geglückt sind und als reguläres Angebot weitergeführt werden. Zudem werden dann – 60 Jahre nach Gründung des Bistums Essen – womöglich neue Weichen gestellt, um die Pastoral des Ruhrbistums an seinem Zukunftsbild auszurichten.