022015

Foto: Ian Robertson Shotts: Highland Games_1986 (CC BY 2.0), Bildausschnitt

Konzept

Martin Lätzel

Warum empört ihr euch nicht? Eine Empörung

Die Kirche ist irrelevant. Die Kirche ist relevant. Man kommt je nach Perspektive zu dem einen oder dem anderen Ergebnis. Und diese Perspektive ist geografisch geprägt. In Europa, und hier macht die Himmelsrichtung kaum einen Unterschied, sieht man von Ländern wie Bosnien-Herzegowina ab, wo die Kirchen und Religionsgemeinschaften einen erheblichen Anteil am interreligiösen Dialog und damit am Dialog in der Gesellschaft haben, ist die Kirche mittlerweile absolut irrelevant geworden. Ja, schreien die Verächter der Ungläubigkeit auf, die Gesellschaft hat sich gewandelt, ist so materialistisch geworden, nur Not lehrt Beten. Wir aber, wir verkünden die wahren Lehren und wer sich, bitte schön, dem nicht gefügig machen will, ist verderbt und der Zuwendung nicht wert.

Und da sind die anderen, die weniger chauvinistisch auftreten und die reine kleine Herde propagieren, aber nicht weniger überheblich. Das nämlich sind die Verständigen, die bedächtig den Kopf wiegen, wenn sie mit Phänomenen der modernen, leider gespaltenen Gesellschaft konfrontiert werden, die Verständnis suggerieren, die ins Gespräch kommen wollen, die die Vielfalt in die Kapellen und Gemeindehäuser holen wollen, aber halt – nur so weit, dass es nicht die fundamentale Lehre der Kirche berührt. Die fundamentale Lehre, zumindest der katholischen Kirche, ist aber, folgt man der öffentlichen Wahrnehmung, nicht mehr die Erlösung und die Liebe Gottes; die fundamentale Lehre ist der Sex.

Haltet euch aus unseren Betten heraus und kümmert euch um das Wesentliche!

Alles darf man in der katholischen Kirche behaupten. Dass die Auferstehung vielleicht nur symbolisch zu verstehen sei, dass Gerechtigkeit nicht immer möglich sei, zumal unter realpolitischen Gegebenheiten, dass die Bergpredigt doch bitte schön nur im Kontext zu verstehen sei, dass Arme sich auch selber helfen müssen, schließlich hätten sich ja unter Umständen zu ihrer Armut beigetragen („Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott“ – was ursprünglich calvinistisches Gedankengut war, ist mittlerweile ökumenisches Allgemeingut geworden), dass die Umwelt zwar zu erhalten, aber gegebenenfalls den wirtschaftlichen Entwicklungen doch geopfert werden müsste – das ist der Tribut an die heutige Zeit.

Das alles ist erlaubt und niemand regt sich wirklich auf. Nur das eine, das darf man in der katholischen Kirche nicht sagen: Das Sex Spass macht, dass die Ehe für alle gelten solle, dass es unnatürlich ist, Männer zum Zölibat, zur pro forma Enthaltsamkeit zu zwingen, nur, damit sie Führungsjobs im System übernehmen können, und dass Frauen für diese Führungsjobs per se ungeeignet sind. Wenn das sonst so zurückhaltende Zentralkomitee der deutschen Katholiken endlich, endlich nach Jahren sich zur Vielfalt in der Kirche bekennt, wird es gleich von einem Spitzenbeamten der Kurie, ein nicht besonders herausragender Theologe namens Müller, der als „Glaubenswächter“ im Vatikan fungiert und nie durch originelle wissenschaftliche Entwürfe in Erscheinung getreten ist, gemaßregelt, man behalte sich – eine kleine Kaste alter Männer im Operettenstaat des Vatikans – vor, alleine die Regeln zu bestimmen. Um es mit einem berühmten Italiener zu sagen: Was erlauben Müller? Entweder hat er selber keine Erfahrungen mit geschlechtlicher oder gleichgeschlechtlicher Liebe, dann soll er sich aus dem Thema raushalten, oder er hat sie, dann ist sein Verhalten bigott. Was für ihn gilt, gilt für einen Großteil des katholischen Spitzenpersonals. Haltet euch aus unseren Betten heraus und kümmert euch um das Wesentliche!

Was aber ist das Wesentliche? Für die Kirchen in Deutschland, und das gilt für die katholische wie die evangelische Kirche gleichermaßen, ist das Wesentliche augenscheinlich der Erhalt des Status quo.

Was aber ist das Wesentliche? Für die Kirchen in Deutschland, und das gilt für die katholische wie die evangelische Kirche gleichermaßen, ist das Wesentliche augenscheinlich der Erhalt des Status quo. Das bedeutet den Erhalt der vorhandenen Konzernstrukturen mit gesicherter Einnahme durch die Kirchensteuer und Staatsleistungen, über deren Verwendung nicht wirklich Zeugnis abgelegt werden muss. Über die Gelder entscheidet ein kleiner Zirkel in den Führungsgremien der Kirchen und Kirchenleitungen. Das Geld aber macht satt und behäbig. Und es verhindert ein mutiges Auftreten gegenüber all dem, worüber Jesus sich heute die Haare raufen und zornig werden würde, wie er einst die Tische der Geldwechsler umstieß. „Doch die Kirche segnet den, der ihr zu Diensten fährt“, so steht es in Goethes Faust. Und sie segnet die Irrungen des Kapitalismus in unserer Gesellschaft (und beteiligt sich sogar noch daran, profitiert gar davon), sie schweigt noch zu sehr, angesichts drängender politischer Fragen. Sie handelt nicht, angesichts der sich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich, sie huldigt dem Götzen Wachstum, wie wir es alle tun, und freut sich über steigende Steuereinnahmen. Die Frage der Ökologie, die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts, ist ihr bisher egal gewesen. Ein straßenbahnfahrender Bischof ist bei uns unmöglich und unvorstellbar. Franz Peter Tebartz-van Elst und sein Verhalten in Limburg war doch nur die Speerspitze einer staatlich subventionierten und wenig nachhaltig agierenden Kirche. Im Schatten des Limburger Dramas wurde die Residenz des Münchner Erzbischofs aufwendig renoviert und niemand hat geklagt.

In den kommenden Jahren wird man den seelsorglichen Bankrott erklären müssen. Der Zusammenbruch ist unvermeidlich.

Die pastorale Insolvenz ist indes längst erklärt. Wer einen normalen evangelischen Sonntagsgottesdienst betritt, verliert sich im Häuflein der Gläubigen. Die katholische Kirche hat, aus Machtkalkül und weil man fürchtet, dass die (berechtigte) Kritik steigt, mit dem Konstrukt „pastoraler Räume“ oder „Großpfarreien“ versucht, das klerikale tridentinischen Kirchensystem in die Zukunft zu verlängern. In den kommenden Jahren wird man den seelsorglichen Bankrott erklären müssen, weil man die Gläubigen jahrelang auf Versorgung durch Hauptamtliche gepolt und die Subjekthaftigkeit des Volkes Gottes ignoriert hat. Ja. Eine solche Kirche ist irrelevant. Leider ist sie Realität.

Burkhard Spinnen, sonst eher wenig bekannt für kirchenkritische Äußerungen, bewegt er sich doch eher im konservativen Milieu und fordert auch gerne mal die lateinische Messe, hat jüngst in der Herder Korrespondenz mit einer lesenswerten Philippika gegen die katholische Kirche – seine Kirche – Aufsehen erregt. Eine Person aber wollte er von seiner Kritik dezidiert ausnehmen: Papst Franziskus. Dieser Papst nämlich verkörpere all das, was die Relevanz der Kirche wieder steigern könnte. Die Hinwendung zu den eigentlichen Kernthemen der Botschaft Jesu: Frieden, Gerechtigkeit und Wahrung der Schöpfung. Sein pastoraler Pragmatismus. Seine Fröhlichkeit und Umsichtigkeit. Die Bescheidenheit. Das gilt, meines Erachtens, für beide Kirchen. Erst wenn wieder die Kernbotschaft verkündet und glaubwürdig gelebt werden, gelegen oder ungelegen, wird die Kirche wieder gehört werden.

Erst wenn wieder die Kernbotschaft verkündet und glaubwürdig gelebt werden, gelegen oder ungelegen, wird die Kirche wieder gehört werden.

Zumindest in Deutschland ist sie zurzeit eine Institution wie die anderen, die Unterschiede zum ADAC marginal. Was wir brauchen, ist eine Botschaft, die aufhorchen lässt, die anders ist. Das gilt im Übrigen auch für die evangelische Kirche, die sich ebenso eingerichtet hat in ihren unüberschaubaren Strukturen und Gremien, Kirchenämtern und Werken, die sich in unzähligen gesellschaftliche Bereichen engagiert und leider auch verliert. Wo aber ist das, was wir Spiritualität nennen, und wo sind die Mystiker, die nach Karl Rahner allein die Kirche noch retten können?

Wenn die Kirchen noch Relevanz haben, dann dort, wo sie sich für die Entrechteten einsetzen. Am Amazonas. In Pakistan. Auf Lampedusa. In Sarajevo. Die Beispiele mag sich jeder weiter denken. Die Fragen dort sind existenziell und im Mittelpunkt steht der Mensch, kein leeres Dogma und schon gar keine große Organisation. Das ist insbesondere ein Problem Nordeuropas. Ich erinnere mich an einen Mitarbeitergottesdienst in einem Ordinariat in Südfrankreich. Das ganze Generalvikariat, vielleicht zehn Leute, passte prima in eine kleine Kapelle. Für die deutschen Kirchenverwaltungen würden wohl Dome kaum ausreichen. Ich erinnere mich an einen Bischof aus Brasilien, der von seinen Reisen übers Land berichtete und von lebendigen kleinen Gemeinden, die nicht verstünden, warum die Gemeindeleiterinnen und Gemeindeleiter dort, Vorbilder im Glauben, nicht ordiniert werden könnten. Das Volk habe sie bereits erwählt. Wer aber gibt einer Kurie das Recht, den Willen des gläubigen Volkes um eines schalen Kirchenrechts wegen zu ignorieren?

Diese Kirche ist irrelevant. Wenn sie wieder relevant werden will, muss sich sie fundamental ändern.

Diese Kirche ist irrelevant. Zumindest in Europa. Der Papst kann auch am Rio de la Plata wohnen. Wenn sie wieder relevant werden will, muss sich sie fundamental ändern. Von oben – oder aber von unten. Dafür ist Empörung notwendig. Doch dieser Zug scheint mittlerweile abgefahren zu sein.

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