012023

Foto: Alexander Grey/Unsplash

Praxis

Stefan Ottersbach und Jonas Fiedler

Vielfalt der Gottesbilder – Ein Zwischenbericht

Spätestens mit der Debatte um Gott* ist die Gottesfrage in den katholischen Jugendverbänden wieder ein großes Thema geworden. Im Jahr 2021 hat die BDKJ-Hauptversammlung einen Beschluss zu vielfältigen Gottesbildern gefasst. Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie es zu dieser Entwicklung kam und welche Konsequenzen und Erkenntnisse bis jetzt gewonnen wurden.

#whoisgodtoday – mehr als Strukturdebatten

Mit der Gott*-Kampagne erregte die Katholische Studierende Jugend (KSJ) im Jahr 2020 viel mediale Aufmerksamkeit 1. Unter dem hashtag #whoisgodtoday tauschten sich zahlreiche Gläubige über unterschiedliche Gottesbilder aus. Ziel war zunächst die Weiterentwicklung des Verstehens des katholischen Glaubens innerhalb des Verbandes. Die Kampagne zielte darüber hinaus darauf, dass auch andere Menschen sich mit der Thematik auseinandersetzen. Es ist bemerkenswert, dass es mit dieser Kampagne gelang, jenseits von Kirchenstrukturdebatten wirklich ans Eingemachte zu gehen – und das auch außerhalb der Kirchen-Bubble, wie zahlreiche Beiträge in nicht-kirchlichen Medien zeigen. Es ging dabei nicht um das vermeintlich richtige Gottesbild, sondern um die tatsächlich vorkommende Vielfalt in den Lebenswelten junger Menschen. Dabei zeigte sich, wie unterschiedlich ein einzelnes Gottesbild wahrgenommen werden kann und wie unterschiedlich passend Gottesbilder von Menschen erfahren werden.

Feministische Gottesrede – Junge Frauen willkommen?

Die Gott*-Kampagne entstand keineswegs aus heiterem Himmel, sondern wurzelt in der langen feministischen Tradition katholischer Jugendverbände. Im Mai 2011 formulierte etwa die BDKJ-Bundesfrauenkonferenz das Desiderat, weibliche Lebensrealitäten und Erfahrungshorizonte ernst zu nehmen und weibliche Gottesbilder und Identifikationsfiguren in Theologie und Spiritualität anzuerkennen: “Wir fordern die Bezugnahme auf ‘weibliche’ Gottesbilder, denn sie sind wichtig, um Gott nicht nur männlich zu denken, sondern in seiner/ihrer Vielschichtigkeit und Ungreifbarkeit wahrzunehmen.” Und weiter: “Wir fordern die durchgängige Verwendung geschlechtergerechter Sprache. Die […] vielschichtige Wirklichkeit, die Vielzahl von Erfahrungen und weiblichen Vorbildern lässt sich nur mit einer geschlechtergerechten Sprache hinreichend darstellen.”2.

Mit dieser Kampagne gelang es, jenseits von Kirchenstrukturdebatten wirklich ans Eingemachte zu gehen – und das auch jenseits der Kirchen-Bubble, wie zahlreiche Beiträge in nicht-kirchlichen Medien zeigen.

Ausgangspunkt dieser Überlegungen zur Notwendigkeit feministischer Gottesrede war damals, dass Mädchen und junge Frauen die katholische Kirche immer weniger als Heimat für ihren Glauben erleben. Für viele von ihnen war und ist Kirche zunehmend nicht zeitgemäß, irrelevant für ihr Leben oder sogar abschreckend. Es ist für sie nicht attraktiv, sich einer Gemeinschaft anzuschließen, in der sie sich – auch in der Gebetssprache – zweitrangig und marginalisiert fühlen. Die Gottesrede wird damit zu einem Ort, an dem die Korrelation von Leben und Glauben junger Menschen – insbesondere von LGBTIQ+-Personen – radikal in Frage gestellt ist.

Gott ist lebensrelevant – oder Gott ist nicht

Dabei ist es mittlerweile ein Allgemeinplatz: Es braucht eine Korrelation zwischen dem christlichen Glauben und dem Alltag junger Menschen. Dieser Erkenntnis wird aber teilweise zu wenig praktische Beachtung geschenkt, wenn auch bzw. obwohl die Brücke zwischen Glauben und Lebenswelt leicht zu finden bzw. zu gehen ist. Denn die Menschwerdung Gottes meint nichts anderes: Gott wird Mensch, um erkannt zu werden. Gott wird Mensch, damit Verstehen auf Augenhöhe möglich ist – nämlich von Mensch zu Mensch. Natürlich bleibt Gott dabei auch Gott. Denn das ist ja gerade unsere Hoffnung, dass mehr sein kann, als uns Menschen allein möglich ist. Unser jugendverbandlicher Anspruch ist eben auch, dass wir von Gott so sprechen können und dürfen, dass Gott mit unserer Welt, mit der Welt der jungen Menschen etwas gemein hat. Ja, wir können erst dann von Gott sprechen, wenn Gott etwas mit unserer Lebenswelt zu tun hat. Ist Gott nicht damit verbunden, kann Gott im Leben von jungen Menschen keine Relevanz erwirken. Wir erfahren und müssen daher feststellen: Zunehmend betrifft dies heute die Lebens- und Glaubensrealitäten queerer Menschen, Frauen und Migrant*innen. Wir verspielen Möglichkeiten, von der begeisterten Erfahrung Gottes zu berichten. Wir verfehlen unseren Auftrag, weil wir hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben.

Gott ist vielfältig – um der Würde der Menschen willen

Heute können wir sagen: sicherlich braucht es eine weiblichere Sichtweise auf unsere Gottesbilder. Die Betonung von Weiblichkeit in Bezug auf die Gottesrede darf uns aber nicht dazu führen, dass wir Heteronormativität bestärken. Die Betonung weiterer Facetten Gottes neben geschlechtlichen Attributen zeigt die Vielfalt, die hilft, von den engen Normen Abstand zu nehmen. Dann kommt die Vielfalt der Lebenswelten in den Blick. Das verstehen wir unter der notwendigen Korrelation zwischen Lebenswelt und Erfahrung Gottes.

Ist Gott nicht mit unserer Lebenswelt verbunden, kann Gott im Leben von jungen Menschen keine Relevanz erwirken.

Es geht eben um die je einzelne Lebensgeschichte, um die je konkret sich realisierende Würde eines Menschen. Es kann einer christlichen Spiritualität als Grundhaltung nicht um ein Festsetzen gehen, sondern um ein Aufreißen von Vorurteilen, ein Befreien von Zwängen. Die Frohe Botschaft als Botschaft zur Freiheit bedeutet in diesem Themenfeld: Vielfältige Gottesbilder wirken befreiend von Hindernissen, Zwängen und Beeinträchtigungen und ebenso ermöglichend zur Freiheit der Selbstbestimmung von Menschen. Vor diesem Hintergrund hat sich die BDKJ-Hauptversammlung im Dezember 2021 klar positioniert und Konsequenzen gezogen: “In der Amtskirche begegnet uns oft ein eindimensionales, cis-männliches, weißes Gottesbild. Als BDKJ finden wir aber: Gott ist keinem Geschlecht oder einer anderen menschlichen Kategorie zuzuordnen. Gleichzeitig ist jeder Mensch unabhängig seines Geschlechts, seiner Sexualität und Hautfarbe ein Abbild Gottes.”3

Vielfältige Gottesbilder wirken befreiend von Hindernissen, Zwängen und Beeinträchtigungen und ebenso ermöglichend zur Freiheit der Selbstbestimmung von Menschen.

Deshalb möchte sich der BDKJ für ein vielfältigeres Gottesbild aussprechen, um Menschen unterschiedlichen Geschlechts, Sexualität und Hautfarbe einen Zugang zu einer Beziehung mit Gott zu ermöglichen. Vielfältige Gottesbilder heißt für uns: Neben den männlichen und auch weiblichen Gottesvorstellungen soll ebenso einem geschlechtsneutralen Gottesbild Raum gegeben werden, welches sich beispielsweise in der elterlichen Liebe oder der Geisteskraft ausdrückt. Eine Grundlage dafür findet sich mehrfach in der Bibel.” 4. Auf dieser Basis haben wir in den vergangenen Monaten einen Bewusstwerdungs- und Lernprozess in Gang gesetzt.

Gott+ – da geht noch mehr

Viele junge Menschen in den Diözesan- und Jugendverbänden haben sich mit ihrem eigenen Gottesbild befasst. Von der Ortsebene bis zu Multiplikator*innen auf Bundesebene sind junge Menschen in den Austausch darüber gekommen, wie sie Gott erfahren und wie sie Gott glauben. Beispielsweise standen vielfältige Gottesbilder Ende 2022 im Fokus eines mehrtägigen Studienteils der Jahreskonferenz Jugendseelsorge der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der DBK (afj).

Es ging im bisherigen Prozess um mehr als die korrekte orthographische Schreibweise Gottes – auch wenn diese medial besonders adressiert wurde.

Auch die Katholische junge Gemeinde (KjG) führte ihre im Jahr 2021 begonnene Auseinandersetzung um eine Bezeichnung von Gott fort, die jungen Menschen einen Zugang erleichtert bzw. ermöglicht 5. Ziel der KjG ist es, „jungen Menschen brauchbare Impulse für die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und die persönliche Entwicklung eines lebensbejahenden Gottes+bildes an[zu]bieten.“ Zuletzt hat der Bundesverband eine Methodensammlung veröffentlicht, die junge Menschen bestärken soll, über Gott in ihrer je individuellen Prägung zu sprechen. Die Sammlung unterstützt dabei, ein für junge Menschen passendes Gottesbild zu entwickeln. Damit ist klar: Es ging im bisherigen Prozess um mehr als die korrekte orthographische Schreibweise Gottes – auch wenn diese medial besonders adressiert wurde.

Vielfalt Gottes – eine Anfrage an die liturgische Sprache

In unserer liturgischen Praxis, in spirituellen Impulsen und Gottesdiensten, ist die Sensibilität für eine Vielfalt von Gottesbildern und -attributionen spürbar gewachsen. Werden hier vielfältige Gottesbilder sensibel verwendet, dann wird das in der Regel positiv wahrgenommen. Junge Menschen hinterfragen hierdurch ihren eigenen Gottesglauben und blicken verändert auf sich selbst. Dabei zeigt sich als Herausforderung für die Zukunft, dass viele vorformulierte liturgische Texte in einseitig-männlichen Sprachbildern verfasst sind. Schmerzlich bewusst wurde die beinahe monopolisierte Herr-Anrede. Sie stellt einen Verlust der biblischen Vielfalt – z.B. Burg in Zeiten der Not (Ps 9,9), Bärin (Hos 13,8), Gebärende (Jes 42,14), Mutter (Jes 66,13), Licht (1 Joh 1,5), Fels meiner Befreiung (2 Sam 22,47), Richter*in (Ps 7,12) – dar. Besondere Herausforderungen sind auch im Sprechen des Kreuzzeichens und des Vater Unser erkennbar geworden. Dem weiten Entwicklungsfeld vielfältiger Gottesrede in spirituellen Impulsen und Gottesdiensten widmet sich daher im September 2023 ein Fachtag für Geistliche Verbandsleitungen im BDKJ.

Mensch. Vielfalt. Zukunft. Gott.

Es gehört zu den zentralen Aufgaben jugendpastoralen Engagements, Menschen in ihrer Identitätsentwicklung lebensförderlich zu begleiten. Die Jugendverbände im BDKJ sind dieser Aufgabe verpflichtet, indem hier der christliche Glaube lebensweltbezogen, partizipativ und selbstbestimmt gelebt wird.

Die Jugendverbände im BDKJ stellen sich daher der Aufgabe, jungen Menschen eine lebendige Gottesbeziehung zu ermöglichen, in der sich niemand zurückgewiesen oder minderwertig fühlt.

Es stellt ein Problem dar, wenn das kirchliche Sprechen von Gott nicht mit den vielfältigen Lebenswelten junger Menschen und ihren persönlichen Erfahrungswelten korreliert. Belassen wir es dabei, verspielen wir die Möglichkeit, dass junge Menschen eine lebensdienliche Erfahrung von/mit Gott erleben; sie haben dann nicht die Möglichkeit, ihre Leben in der Geistkraft Jesu zu deuten. Die Jugendverbände im BDKJ stellen sich daher der Aufgabe, jungen Menschen eine lebendige Gottesbeziehung zu ermöglichen, in der sich niemand zurückgewiesen oder minderwertig fühlt. Dafür braucht es aber vielfältige begriffliche Zugänge und cis-männlich-freie Bilder von Gott. Die Bibel ist hierzu eine wichtige Quelle. Eine solche Vielfalt ist die Basis für eine lebendige Kirchenzukunft – auf der Basis der Erfahrung mit Gott: da ist jemand und ist immer für mich da ist (Ex 3,14).

  1. Vgl. https://bundesamt.ksj.de/gott-whoisgodtoday
  2. Vgl. https://www.bdkj.de/fileadmin/bdkj/bilder/referat_frauen/4_27_Beschluss_Frauenkonferenz.pdf
  3. https://www.bdkj.de/fileadmin/bdkj/bdkj/gremien/hauptversammlung/hv2021ao/Beschluss_Vielfalt_der_Gottesbilder__vorlaeufige_Fassung_.pdf
  4. Vgl. https://www.bdkj.de/fileadmin/bdkj/bdkj/gremien/hauptversammlung/hv2021ao/Beschluss_Vielfalt_der_Gottesbilder__vorlaeufige_Fassung_.pdf
  5. Vgl. https://kjg.de/blog/2022/02/14/report-presse-echo-und-oeffentliche-reaktionen-auf-verbandsinterne-debatte-vielfaeltiges-gottesbild/

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