012023

Foto: Kura Tregenza/Unsplash

Praxis

Monika Kling-Witzenhausen

Gott* wohnt nicht im Tabernakel. Gott*suche in Worten und Gesten von Leutetheolog*innen

Es ist einer dieser faszinierenden ereignishaften Momente in denen aufblitzt, wie Gott*suche sich im Alltag von Leutetheolog*innen ereignet – und zwar abseits und auch losgelöst von geprägten Formen der Kirche oder parochialen Strukturen. Gerade deshalb sind Leutetheolog*innen wichtige Wegweiser angesichts der anstehenden notwendigen Entscheidungen innerhalb der Kirchenentwicklung.

Wir sitzen in einem Café, die B27 rauscht neben uns, wir träumen sie weg und malen uns einen Park über die vierspurige Stadtautobahn. „Ich habe gestern einen Text geschrieben“, platzt es aus Alessa heraus. Der Text, den sie mir vorliest, und das daran anschließende Gespräch zur jeweils eigenen Gott*suche bzw. zur Heimatlosigkeit in spirituellen und Glaubensthemen bieten wichtige Hinweise für das Anliegen dieser futur2-Ausgabe.

Gott* wohnt nicht im Tabernakel

Suche eine neue Wohnung. Hell soll sie sein, viel Sonnenschein soll es darin geben. Menschen sollen sich darin zuhause fühlen. Es gibt Hausschuhe in allen Größen. Die Wohnung sollte außerdem barrierefrei sein und einen kleinen Garten dabei haben.

Wünschenswert ist eine Solaranlage auf dem Dach und eine Wärmepumpe. Parkplatz brauche ich keinen. Aber eine Abstellmöglichkeit für Ebikes und eine gute Anbindung an den ÖPNV. Danke fürs Suchen-Helfen!

Gott*

Wie und wo über Gott* bzw. Transzendenzerfahrungen sprechen?

Der Text bietet nicht nur einen Einblick in die Gott*suche der Autorin, sondern auch in ihre eigene Leutetheologie. Mit Leutetheologien bezeichne ich die persönlichen Theologien eines/einer jede*n, der/die sich Gedanken über Gott*, Sinn, Religion etc. gemacht und diese reflektiert hat (vgl. weiterführend Kling-Witzenhausen 2020).

Leutetheolog*innen erscheint dann vor allem das als sinnvoll bzw. relevant, wenn es resoniert mit den eigenen Themen und Antwortversuchen auf die persönlichen Lebens- und Glaubensfragen.

Leutetheolog*innen erscheint dann vor allem das als sinnvoll bzw. relevant, wenn es resoniert mit den eigenen Themen und Antwortversuchen auf die persönlichen Lebens- und Glaubensfragen. Auf Seiten der Amtskirchen oder der pastoralen Praktiker*innen stellt sich hier hingegen ein Relevanzverlust ein – man nehme nur die sinkenden Teilnehmerzahlen oder das Wegbleiben bei kirchlichen Angeboten zur Kenntnis oder die Tatsache, dass Kirche bei gesellschaftlich-relevanten Fragestellungen weitestgehend nicht (mehr) als adäquater Gesprächspartner gilt.

Resonanzumkehr

Anstatt aus diesem Relevanzverlust gekränkt hervorzugehen, könnte eine Resonanzumkehr eine neue Sichtweise bieten: Nicht die Leute sollen Resonanz finden bei „uns“, sondern hier wollen wir/ will Kirche in all ihren Facetten von der Welt her lernen (vgl. Gaudium et spes, 44).

Diese Umkehr zeigt sich dann auch in einem Wechsel von einer Theologie im Modus der Verkündigung hin zu einem Modus des Zuhörens bzw. Hinschauens und der gemeinsamen Gottsuche. Gerade im ereignishaften Aufblitzen Gottes und der gemeinsamen Suche, wie sich das Ereignen Gottes einordnen und zumindest fragmentarisch fassbar machen lässt, liegt nicht nur der Clou der oben beschriebenen Begegnung, sondern von Gotteserfahrung allgemein. Hier finde ich die Arbeiten von Michael Schüßler und seine Einsichten zum Ereignisdispositiv und der Wende vom Dispositiv der Ewigkeit über das Dispositiv der Geschichte hin zum Ereignis augenöffnend – auch im oben genannten Text wird Gott* nicht als ewiger Gott in den ehrfurchtgebietenden gotischen Kathedralen oder im Kontext der aktiven Gemeinschaft einer Gemeinde beschrieben, sondern als heimatloser Gott*.

Anstatt aus diesem Relevanzverlust gekränkt hervorzugehen, könnte eine Resonanzumkehr eine neue Sichtweise bieten: Nicht die Leute sollen Resonanz finden bei „uns“, sondern hier wollen wir/ will Kirche in all ihren Facetten von der Welt her lernen.

Diese Suchbewegung drückt sich auch sprachlich bei Leutetheolog*innen aus und findet ihren Niederschlag in den sogenannten Grammatiken einer suchenden Gottesrede, die auch Zögern, Stottern und Satzfragmente zulässt. Gleichzeitig macht der Blick auf Leutetheologien deutlich, dass die Reduktion auf Grammatiken oder Sprache an sich bei der Gott*suche bzw. Gott*rede nicht ausreicht, sondern hier auch Emotionen, Gesten, ja Praktiken an sich unerlässliche Bestandteile sind.

Reziprokes Empowerment als Schlüssel

Was bedeutet dies nun für ein Miteinander, welches nicht in paternalistischem oder maternalistischem „Helfen“ des*der einzelnen Leutetheolog*innen von Seiten der akademischen Theolog*innen und Praktiker*innen mündet? In Anlehnung an die performative Wende könnten hier die Kunst, das Theater etc. gute Lernorte darstellen, wo die Grenze zwischen Bühne und Publikum aufgebrochen und somit aufgehoben wird (vgl. auch die Forschungsarbeiten von Christian Kern und den Beitrag in dieser Ausgabe). Für die hier vorliegende theologische Fragestellung ist ein reziprokes Empowerment anzuzielen – indem beide Gesprächspartner*innen von- und miteinander lernen können und gegenseitig befähigt werden. Diese Art der Präsenz bedeutet gleichfalls auch ein Sich Aussetzen, Erproben, um Worte Ringen, bei dem man sich weder hinter der Kanzel oder dem Schreibtisch noch hinter dem vorab formulierten geistlichen Impuls verstecken könnte. Entsprechend entwickelt sich hier theologisches Handeln und somit auch theologisches Forschen weiter zu einer öffentlichen Theologie (doing public theology), welche ihren Ausgangspunkt in „situativ-explorativen Theologien“ hat: „Bei ihnen besteht zunächst keine Apriori-Ausrichtung an institutionalisierte Themen, Formen und Funktionen, die man übernehmen oder übersetzen müsste. Sie haben, wenigstens anfänglich, etwas Unbestimmt-Offenes.“ (Kern 2021)

Theologien als Werkzeug zur Lebensbefähigung?

Aus kirchenentwicklerischer Perspektive müsste eine Suche nach Schnittstellen und Berührungspunkte zu den Leutetheologien folgen: Wo ereignen sich Bewährungsmomente der Leutetheologien bzw. Theologien allgemein? Wo kommt der Lebensglaube zum Tragen? Und überhaupt: In welchen Situationen ist es nicht peinlich, über Gott zu sprechen? Hier sind theologische Spürnasen gefragt – gerade wenn ritualisierte Formen wegfallen und geprägte Bilder etc. nicht mehr tragen. Dabei gilt wie so oft, wenn es um Teilhabe geht – „Nicht ohne uns über uns“ (vgl. Rath 2022) – Kreativitätspotential inklusive!

 

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