Über Gott reden – was tun wir da?
Im Zentrum der christlichen Botschaft steht die Aussage der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Das war zu allen Zeiten eine sehr ungewöhnliche, ja fremde Botschaft. Wie sollte es möglich sein, dass Gott selbst Mensch wird? In früheren Zeiten wurden die Eigenschaften Gottes mit den Eigenschaften des Menschen verglichen und es schien vollkommen unverständlich, wie in Christus Gott ganz und gar Mensch geworden ist.
Die christliche Botschaft war also immer schon eine fremde Botschaft, und sie ist es auch heute. Allerdings hat sich der Akzent der Fremdheit deutlich verschoben: Heute setzt die Fremdheit schon bei Gott selbst an. Und das hat dramatische Folgen für die Rede von Gott: Wen oder was adressieren wir, wenn wir von Gott reden?
Die christliche Botschaft war also immer schon eine fremde Botschaft, und sie ist es auch heute.
Diese Akzentverschiebung ist auch Folge der weltanschaulichen Neuorientierungen in der Moderne. Zu ihnen haben die Naturwissenschaften einen erheblichen Beitrag geleistet. Die Naturwissenschaften, allen voran die Physik, stellen das Universum in einer Weise dar, die vollkommen inkompatibel ist mit traditionellen Vorstellungen von Gott.
Schwächen also die Naturwissenschaften die christliche Rede von Gott? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, die Entwicklung hat auch eine entschieden gute Seite. Denn offenkundig führten bestimmte traditionelle Gottesvorstellungen der Vergangenheit in die Irre und sind auch aus theologischen Gründen abzulehnen. Deistische und auch manche theistische Vorstellungen von einem allmächtigen, im Himmel thronenden Gott etwa wurden so zurecht massiv in Frage gestellt. Die Rede von der Menschwerdung Gottes ist eine entscheidende kritische Spitze gegen alle Gottesvorstellungen, die einen distanzierten, über allem schwebenden und allmächtigen Gott suggerieren. In der christlichen Tradition hat sich allerdings dieses Bild immer wieder neu eingeschlichen. Wahrscheinlich waren es nicht zuletzt auch gesellschaftliche und kulturelle Gründe, die ein solches Gottesbild unterstützten. Denn Gott wurde so zum Garanten der weltlichen Ordnung, die in der Vergangenheit vor allem eine hierarchische Ordnung war. Die Schöpfungserzählung wird dabei zum Kernelement christlicher Weltanschauung. Die Theologie kann in dieser Hinsicht den Naturwissenschaften dankbar sein, dass sie die alten Vorstellungen eines Herrschers der Himmel in Frage gestellt haben. Irrwege in den Versuchen, zu verstehen, wer Gott ist, sind aber für eine biblisch orientierte Theologie nichts Neues. Denn schon die biblischen Texte haben in immer neuer Form zum Teil fundamentale Kritik an menschlichen, ja allzu menschlichen Vorstellungen von Gott geübt.
Die biblischen Texte haben in immer neuer Form zum Teil fundamentale Kritik an menschlichen, ja allzu menschlichen Vorstellungen von Gott geübt.
Doch leider beschränkt sich die kritische Anfrage eines Weltbildes, das sich an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, nicht auf ein auch theologisch zu kritisierendes deistisches Gottesbild. Tatsächlich wird die Rede von Gott als solche vor dem Hintergrund einer „modernen“ Weltsicht fragwürdig. Das aber hat mit einem weitergehenden Missverständnis zu tun, das aber nicht aus traditionellen Gottesvorstellungen resultiert, sondern aus der modernen Sicht auf die Welt.
Hiernach ist alles, was relevant ist, mit einer naturwissenschaftlichen Sprache beschreibbar. Physikalische, biologische und chemische Entitäten lassen sich genau bestimmen, auch wenn wie in der Quantenphysik Ort und Zeit eines Teilchens vielleicht nicht eindeutig zuzuordnen ist. Aber natürlich ist jedes Teilchen in der physikalischen Sprache etwa mit der Schrödingergleichung genau bestimmbar. Gibt es aber nicht zumindest menschliche Phänomene, die nicht eindeutig naturwissenschaftlich beschreibbar sind wie etwa Gedanken oder Gefühle? Aber auch sie haben neurowissenschaftliche Korrelate. Was auch immer Gedanken, Gefühle, Bewusstsein sein mögen, sie lassen sich mit bestimmten neuronalen Aktivitäten des Gehirns eindeutig in Beziehung setzen. Doch das, was wir christlich mit den vier Buchstaben GOTT bezeichnen, entzieht sich vollständig jeder naturwissenschaftlichen Beschreibbarkeit. Ist es, kann es dann noch für eine moderne Beschreibung der Welt relevant sein?
Das, was wir christlich mit den vier Buchstaben GOTT bezeichnen, entzieht sich vollständig jeder naturwissenschaftlichen Beschreibbarkeit
Der etablierte Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie versucht sich diesem Problem zu stellen. Doch welcher Sprache soll man sich bedienen, wenn es kaum eine gemeinsame Basis zwischen theologischer Rede von Gott und den naturwissenschaftlichen Beschreibungen der Welt gibt? Zumeist bearbeiten die Beteiligten des Dialogs einen dritten Bereich, der sich zwischen der Theologie und den Naturwissenschaften befindet, der Naturphilosophie. Insofern sich die Philosophie Grundfragen des Erkennens und der Wirklichkeit stellt, ist sie der Theologie nah, insofern sie aber zugleich auch über Möglichkeiten und Grenzen der Naturwissenschaften nachdenken, ist sie den Naturwissenschaften nah. Damit ist die Naturphilosophie eine Grundlage des Dialogs. Kann sie zu einer besseren Bestimmung dessen führen, was wir mit dem Wort „Gott“ beschreiben? Leider gibt es nun aber in der Naturphilosophie sehr unterschiedliche, sich zum Teil gegenseitig ausschließende Ansätze. Die letzten Jahrzehnte des Dialogs haben keinen gemeinsamen Standard entwickeln können, so ist auch eine Übereinkunft über die Frage, worauf sich GOTT bezieht, in weiter Ferne.
Diese Schwierigkeit führt angesichts des verbreiteten modernen Weltbildes zu sehr asymmetrischen Folgen. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sind vor diesem Hintergrund leicht akzeptiert, sofern denn Standards der selbstkritischen Erkenntnis akzeptiert werden und nicht Verschwörungstheorien um sich greifen. Die Aussagen der Theologie werden dagegen vor diesem Hintergrund immer weniger verständlich.
Das Ziel einer allgemein verbindlichen Rede von Gott ähnlich den allgemein verbindlichen Beschreibungen der Welt durch die Naturwissenschaften wird nicht zu erreichen sein.
Wie soll darauf die Theologie reagieren? Sollte sie sich auf die Suche nach einem Gottesbild machen, das mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen kompatibel ist? Viele Ansätze des Dialogs zwischen Naturwissenschaften und Theologie versuchen das. Aber das Ziel einer allgemein verbindlichen Rede von Gott ähnlich den allgemein verbindlichen Beschreibungen der Welt durch die Naturwissenschaften wird nicht zu erreichen sein. Das hat sehr tiefliegende Gründe, die wieder zu der zu Beginn festgestellten Fremdheit der Rede von Gott zurückführen. Jeder Ansatz einer Rede von Gott entkommt nicht dem Dilemma, dass wir von Gott reden sollen, aber als Menschen nicht von Gott reden können. Das gilt unabhängig von den jeweils herrschenden Weltbildern. Dieses Dilemma bestand schon in biblischen Zeiten und es besteht heute. Der protestantische Theologe Karl Barth folgerte aus dem Dilemma, dass wir in diesem Dilemma zwischen „Sollen“ und „Nicht-Können“ Gott die Ehre geben sollen.
Ich meine, dass es vielleicht die vornehmste Aufgabe der Theologie ist, die Frage nach Gott offen zu halten.
Wir geben, mit anderen Worten, Gott gerade darin die Ehre, dass wir immer wieder daran scheitern, allgemein verbindliche Standards im Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie aufzustellen. Ich meine, dass es vielleicht die vornehmste Aufgabe der Theologie ist, die Frage nach Gott offen zu halten. In dieser Hinsicht sind allgemein gültige Antworten eher eine Gefahr als eine Errungenschaft.
Also bleibt eine negative Theologie, eine Aussparung der Beschreibung Gottes? Das ist nicht der Fall, weil die Gotteserfahrungen solche sind, die Menschen über alles sprachlich Verfasste hinaus persönlich berühren, die sich auch zwischen Menschen ereignen. Die Rede von Gott kann die persönliche Beteiligung nicht außen vor lassen. Persönliche Erfahrungen mit Gott dringen auf Mitteilung, sie wollen sozial geteilt werden. Sie dringen auf einen sprachlichen Ausdruck. Christinnen und Christen sind dankbar, dass es eine reiche Sprache und Bilderwelt gibt, die biblische Texte und christliche Traditionen bereitstellen, um einen angemessenen Ausdruck zu finden. Gott die Ehre geben, heißt nicht, von der Mühe, die Erfahrungen mit Gott zu versprachlichen, abzulassen. Wir sollten uns stets um größtmögliche Allgemeingültigkeit und Verständlichkeit bemühen. Aber zugleich sollten wir sehen, dass wir nicht zum Ziel kommen und gerade darin Gott als den immer Größeren bezeugen.
Persönliche Erfahrungen mit Gott dringen auf Mitteilung, sie wollen sozial geteilt werden.
Um den angemessenen Ausdruck kann und muss manchmal auch gestritten werden. Insofern ist nicht eine negative Theologie, die jede Bestimmung konsequent ausspart, die Antwort auf unsere Situation, sondern eine Rede von Gott, die immer und jederzeit von der Differenz zwischen den persönlichen Erfahrungen, den sozialen Kommunikationskontexten und einer allgemeingültigen sprachlichen Form weiß. Gerade dann, wenn wir diese Differenz nicht aufzulösen versuchen, sondern aufrechterhalten, geben wir darin Gott die Ehre: Wer auch immer Gott ist, er ist größer als alle unsere menschliche Vernunft.