012023

Foto: Meritt Thomas/Unsplash

Statements

Peter Otten

Toskana Fanboys

Ein paar Mandolinen gurren Akkorde. Ein Drumstick schnalzt, ein Piano perlt ein paar Töne wie aus einer gut gekühlten Flasche Pino Grigio. Basslauf wie ein brummliger Nonno auf der Suche nach einem Stück Schinken. Dann die Stimme von Peter Fox, der diesmal klingt, als habe er ein bisschen Schnupfen. Oder ist es nur eine Pollenallergie?

Pinien am Wegrand
Streif’ durchs gelbe Feld
Wie bei Gladiator
Hm, ‘n Helm auf wie’n Held
Von zu viel Vino
Cantuccini machen Kilos
Wir roll’n durch die Hügel (Yeah, yeah)
Im Lancia Sportivo.

Na klar. Ridley Scott. Gladiator. Das Traumbild vom Anfang des Films. Fünf Oscars hat der bekommen. Vielleicht auch wegen der wiegenden Ähren, die Russel Crowe mit seiner Hand streichelt, in Zeitlupe. Streif´ durchs gelbe Feld. Und die sich am Ende, nach drei Stunden Kino sich mit den letzten Bildern verschränken: Wieder das gelbgoldene butterwarme Feld, das den sterbenden Schwertkämpfer jetzt empfängt.

Zwei Sätze reichen, und du bist in Paradiso.

Seit Ende Mai gibt’s eine neue Platte von Peter Fox. Und er braucht in seinem Stück Toskana Fanboys gerade ein paar Sekunden, ein paar hingeworfene Töne, wenige Worte. Schon sitze ich neben ihm auf dem Rücksitz eines Sportwagens. Versuche beim Hören meinen Bauch einzuziehen. Denn seine Cantuccini-Kilos sind ja auch meine, maledetto. Schöne Idee auch, das mit dem Helm von zu viel Vino. Der wohlige gefährliche Sommermoment, in dem Alkohol den Kopf in einen großen Wattebausch verwandelt.

Häng’n am Pool auf Cypress Hill
Bella figura, Freibad-Skills
Hör’n Celentano und die Grill’n
Toskana-Fanboys chill’n.

Ich bin gar kein Pool-Typ. Wirklich nicht. Aber wie Peter Fox es hinbekommt, dass sogar ich mir vorstellen kann, einer zu sein, ist schon elektrisierend. So geb ich mir den „Toskana-Fanboy“. Adriano singt von Liebe (ja, genau, DER Adriano Celentano). Und wir canceln unsere Flüge. Zwei Sätze reichen, und du bist in Paradiso.

Saint-Tropez ist nice
Aber hat keine Vibes
Chamonix-Mont-Blanc, alright
Aber zu kalt
Malibu-Beach ist heiß
Aber zu weit, hm
Ich bin und bleib’
Toskana-Fanboy for life.

Vielleicht ist das unfair, was ich jetzt mache. Popkultur ist eben populär. Geschmeidiger Zettelkasten. Sich ewig drehendes Kaleidoskop von Vibes and Hypes. Doch ich erlaube mir es trotzdem. Neulich war ich Gast bei einer Tauffeier. Ich stand etwas ungünstig, dass ich gar nicht richtig sehen konnte, was passierte. Vor allem habe ich gelauscht, was der Priester gesagt und gebetet hat. Ich gebe zu, dass ich meinen Gedanken wohl allzu freien Lauf gelassen habe. Will sagen: Ich war nicht richtig dabei. Vielleicht ist mir eine Taufe mit ihren Ritualen einfach zu geläufig. Kein Feld für Überraschungen. Eine Taufe ist nice. Aber hat keine Vibes.

Zwecksprache halt. Gar nicht mal unangenehm. Aber routiniert. Allzu routiniert.

Vielleicht war es aber auch das sprechautomatige Sprechen des Priesters. Er klang ein bisschen so, wie ein Navigationsgerät spricht, dass sich aus tausenden hinterlegten Worten Sätze zusammenkombiniert. Zwecksprache halt. Gar nicht mal unangenehm. Aber routiniert. Allzu routiniert. Der allmächtige Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, hat dich von der Schuld Adams befreit und dir aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt, monotonte der Priester. Zum ersten Mal ist mir aufgefallen, dass er in diesem Augenblick und mit diesen Worten ja ein kleines Kind angesprochen hat. Dio mio. Und als dessen Vertreterinnen und Vertreter Patin und Pate. Die Eltern. Die anderen Umherstehenden. In mir drängte sich ein Gedanke auf. Ich wollte Stopp! rufen. Und: Habt ihr gehört, was der Mann gesagt hat? Um nicht zu sagen: Habt ihr das verstanden? Ich habe Fragen: Was ist die Schuld Adams? Wer ist Adam überhaupt? Warum ist das Kind schuldig? Wie kann das überhaupt sein? Was hat das Kind mit diesem Adam zu tun? Wer ist dieser Heilige Geist? Und vor allem: Wieso neues Leben? Ist das alte etwa nicht gut genug?

Aus dem unverständlichen Latein der frühen und ganz frühen Jahre ist die unverständliche Routine der Gegenwart geworden.

Vielleicht war ich auch nur der einzige, dem diese Fragen in den Kopf gestiegen sind. Vielleicht ist die Erwartung von Menschen, die zum Beispiel an einer Taufliturgie teilnehmen, ja gar nicht mehr die, zusammen mit einem Kind durch die Hügel zu roll´n, natürlich in einem Lancia Sportiva, sprich: mitgenommen zu werden. Kein kehliger Adriano Celentano, nirgends. Kein Peter Fox mit Schnupfen. Aber vielleicht vermissen sie das auch nicht mehr, weil sie gar nicht (mehr) damit rechnen. Ist doch gut, wenn einer das Navigationsgerät durch die eigenartige skurrile Welt des Katholischen gibt. Andersherum: Aus dem unverständlichen Latein der frühen und ganz frühen Jahre ist die unverständliche Routine der Gegenwart geworden. Früher und ganz früher hatte niemand die Absicht, verständlich zu sein. Heute scheint niemand mehr die Absicht zu haben, sich verständlich zu machen. Das Latein der frühen Jahre klang wenigstens noch unheimlich fremd und zugleich heimlich bedeutungsvoll. Die Sprechautomaten von heute klingen einfach oft nur noch bedeutungsschwanger. Routiniert eben. Und das ist etwas anderes. Und halten in ihrer Routine den garstigen Graben auf, den die „Volkssprache“ doch zuschütten wollte: Dass Sprechakte, zumal in der Liturgie doch die Menschen, die Schöpfung in die Gemeinschaft mit Gott hineinholen will.

Dass ich selbst und die Umstehenden Teil von einer aufregenden, anregenden, erlösenden, aufrichtenden, leidenschaftlichen, tröstlichen Geschichte werden.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich habe da keine Patentlösung. Erstmal bin ich nur traurig darüber, dass die Populärkultur (oft, auch nicht immer) schafft, was dem religiösen, liturgischen Sprechen allzu oft nicht gelingt: Dass ich selbst und die Umstehenden Teil von einer aufregenden, anregenden, erlösenden, aufrichtenden, leidenschaftlichen, tröstlichen Geschichte werden.

Ich seh im Internet ein Filmchen. Aus der Kabine des 1. FC Köln. Jonas Hector erzählt seinen Mitspielern, dass er zum Saisonende aufhört. Er steht. Die anderen sitzen. Der Lehrer. Mit seinen Schülern. Ich hör auf mit dem Fußballspielen im professionellen Bereich. Das ist jetzt schwer. Sein Abschied ist für Köln ungefähr so bedeutsam wie das Ende der Beatles für die ganze Welt. Naja, das mag man jetzt außerhalb von Köln übertrieben finden. Aber die Populärkultur lebt ja von der Übertreibung und der (großen) Geste. Nach der Ansprache bilden die Mitspieler einen Kreis. Ihre Arme haben sie einander auf die Schultern gelegt. Aus einer Bluetoothbox oder einem Handy krabbeln die Töne von Tommi, das ist ein Song der Kölner Band Annenmaykantereit:

Tommi, ich glaub’, ich hab’ Heimweh
Vielleicht liegt es am Licht und wie’s sich grade bricht
Oder daran, dass man hier in der Bahn die Spree sehen kann

 

Tommi, vielleicht ruf’ ich an
Damit du sagst: „Irgendwann, irgendwann, irgendwann
Fangen wir hier zum letzten Mal von vorne an“

Da, wo mer zosamme jroß jeworde sin, do
Ziehen mer alle irgendwann wieder hin
Damit die Kinder, die mer krieje könn
Alle in Kölle jebore sin
Da, wo mer zosamme jroß jeworde sin, do
Ziehen mer alle irgendwann wieder hin
Damit die Kinder, die mer krieje könn
Alle in Kölle jebore sin
Jebore sin
Jebore sin.

Hey, wieso habe ich beim Zusehen auf einmal das Gefühl, ich bin Teil einer Art von Andacht? Da brennen keine Kerzen in der Kabine. Und die Männer stehen auch nicht um einen Altar herum, sondern um eine Batterie Mineralwasserflaschen. Berührend, wie sie zosamme jro-ho-ho-hoß jeworde sin singen. Ein bisschen klingt das wie Großer Gott, wir lo-ho-ben dich. Ob Ellyes Skhiri und Linton Maina verstehen, was sie da singen? Kölsch ist ja so etwas wie das Latein des kleinen Mannes.

Hey, wieso habe ich auf einmal das Gefühl, ich bin Teil einer Art von Andacht? Ein Moment eschatologischer Hoffnung in der Kabine des 1. FC Köln. Ist das übertrieben?

Die Szene hat etwas Konzentriertes, Verbindendes, etwas von einem kurzen Moment, in dem Gegenwärtiges überstiegen wird. In den Abschied eines Mitspielers mischen sich Hoffnung und Zuversicht, dass dessen Abschied nicht für immer ist. Und damit kein Abschied auf dieser Welt. Keiner. Sehnsucht von Verbindung über alle menschenmöglichen Grenzen hinweg. Mir fällt ein Text aus der Offenbarung des Johannes ein: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein. Und er, Gott, wird bei ihnen sein (Offb 21,3f.) Ein Moment eschatologischer Hoffnung in der Kabine des 1. FC Köln. Ist das übertrieben?

Ich finde nicht. Natürlich ist die Situation von hochbezahlten Profifußballern nicht zu vergleichen mit Jesusnachfolgerinnen und -nachfolgern, die Minderheit sind in einer Umwelt, die für sie lebensbedrohlich ist und in der sie die Worte für den Text der Offenbarung finden. Und doch treffen sich beide Gruppen, die Fußballspieler und die Jesusnachfolgerinnen und -nachfolger in ihrem Hoffen und Sehnen. Beides, der Text aus der Offenbarung und das Ritual der Fußballer sind meines Erachtens Beispiele für nicht-routiniertes Sprechen.

Und das Gegenteil von Routine ist nun mal das Abenteuer.

Das erlebst du auf dem Rücksitz eines Lancias an einem somnambulen Tag. Nicht so oft in der Kirche. Ein schöner Dom, alright. Aber leider zu kalt. Dabei gäbe eine Taufe nun wirklich genug Stoff für ein Abenteuer her: Liebe. Leidenschaft. Schwangerschaft. Bangen. Hoffen. Sorgen. Wehen. Schmerzen. Schreien. Angst. Tränen. Glück. Aus zwei mach drei. Damit die Kinder, die mer krieje könn alle in Kölle jebore sin.

Ich habe neulich in den Schulgottesdienst die Geschichte vom guten Hirten mitgebracht. Problem: In Köln gibt es keine Hirten. Hirtinnen auch nicht. Bei uns im Agnesviertel schon mal gar nicht. Schafe auch nicht. Um Ostern rum, okay, unten am Rhein. Aber sonst? (Okay, Shaun, das Schaf. Das gibt’s. Aber in diesen Geschichten frage ich mich immer, ob nicht das Schaf der Hirte des Bauern ist.) Das Schaf hört auf die Stimme des Hirten, weil es die Stimme kennt. Kein Stadtkind hat dieses Abenteuer aus eigener Anschauung schon mal erlebt.

Ich habe meinen Hund Greta in den Schulgottesdienst mitgenommen. Und habe mich mit dem Hund auf die Altarstufen gesetzt. Und dann habe ich die Kinder gefragt: Wer von euch lebt mit Tieren? Die Finger flogen nach oben. Die Kinder haben die Tiere aufgezählt: Katzen, Kaninchen, Hamster. Und natürlich ein paar Hunde. Magst du von deinem Hund erzählen? Kopfnicken. Fünf Kinder haben sich neben mich gesetzt. Erzähle von deinem Hund. Wie heißt er? Was machst du, damit er sich bei dir wohl fühlt? Viele kluge Abenteuergeschichten. Ich gehe mit ihm spazieren. – Ich spiele mit ihm. – Ich bringe ihm Sachen bei. – Welche Sachen? – Zum Beispiel, dass er kommt, wenn ich ihn rufe. Dass er sich hinsetzt. – Warum machst du das? – Es ist wichtig, dass er mir vertraut. Wow.

Sollten wir nicht viel häufiger versuchen, abenteuerlicher zu erzählen? Zu inszenieren?

Ich habe Greta zur anderen Seite der Kirche gebracht. Die Kinder haben sich zu ihr umgedreht. Greta hat sich hingesetzt. Ich bin wieder zurück gegangen. Dann habe ich Greta gerufen. – Greta! Hier! Und da ist sie angewetzt gekommen. Die letzten Meter ist sie über den Boden gerutscht. Wie eine kleine Eiskunstläuferin. Ich bin der gute Hirt. Ich bin die gute Hirtin. Hier und heute, mitten in der Stadt, jeden Tag. Wir bekommen einen Hund aus dem Tierschutz, flüstert mir ein Mädchen zu. Aus Rumänien.

Sollten wir in der Liturgie, in der Verkündigung, überhaupt im seelsorgerischen Kontext nicht häufiger aus Routinen ausbrechen? Sollten wir nicht viel häufiger versuchen, abenteuerlicher zu erzählen? Zu inszenieren? Damit meine ich nicht immer das große Brett. Als Kind habe ich Aschermittwoch nie verstanden. Der Priester meiner Heimatpfarrei, zugegeben ein schon älterer Herr, hat beim Austeilen des Aschenkreuzes immer gesagt: Gedenke Msch dssd Staubist und zum Staub rückkehrst. Er neigte halt dazu, Wörter zu verschlucken. Nach ein paar Jahren hatte ich den Satz endlich komplett verstanden. Wenigstens akustisch. Aber wieso sollte ich Staub sein? Hä? Den Staub gabs doch unter der Kommode. Und warum um Himmels willen sollte ich unter die Kommode kriechen? Was für eine absurde Geschichte.

Glaub mir, die Liebe gewinnt.

Seit einiger Zeit sage ich beim Austeilen des Aschenkreuzes: Dreh dich um und vertrau auf die gute Botschaft: Dass die Liebe gewinnt. Ist für mich eine sprechendere Alternative zu Kehr um und glaube an das Evangelium. Was spricht dagegen, einen Kernaspekt des Evangeliums auszusprechen? Zumal dieser Kern (die Liebe gewinnt) als Echo aus den verflossenen Karnevalstagen am Aschermittwoch noch in den Herzen der Menschen nachklingt – wenigstens hier in Köln. Denn eins der spirituellsten Lieder im Kölner Karneval ist ja von der Band Brings:

Wir werden frei sein, wenn wir uns lieben
Es wird vorbei sein mit all den Kriegen.
Wir sind Brüder, wir sind Schwestern, ganz egal, wo wir sind.
Glaub mir, die Liebe gewinnt.

Ist vielleicht nicht so würdevoll wie Der allmächtige Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, hat dich von der Schuld Adams befreit und dir aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt.

Meint aber dasselbe. Und klingt nicht wie ein VW Golf mit Hutablage. Sondern sagen wir immerhin wie ein Ford Mustang. Vielleicht sogar auf dem Weg. In die Toskana.

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