012023

Foto: Karl Magnuson/Unsplash

Statements

Annette Jantzen

Wie mit und über Gott reden?

Wie darf man Gott anreden? Hat es eine Bedeutung, dass Gott im Deutschen – und den meisten anderen Sprachen – männlich gegendert wird? Ist es eine Übertretung Gott gegenüber, das Pronomen zu wechseln? Die Frage ist keine rhetorische, denn Gott weiblich anzureden – Gott-die-Ewige, Gott-die-Lebendige, Gott, die du in allem mächtig bleibst – ist vielfach noch so ungewohnt, dass Menschen tatsächlich Skrupel haben, ob sie damit Gott gegenüber nicht eine Sünde begehen.

Eine Unterart dieser Skrupel ist die Furcht, mit einem weiblichen Pronomen Gott als eine Gottheit unter mehreren anzureden, Gott nicht in Gottes Unbegrenztheit anzuerkennen, sondern nur einen partikularen Teil von Gott anzusprechen. Diese Befürchtung hat ihre Wurzel im allgemeinen Sprachgebrauch und Alltagsbewusstsein – beide stehen miteinander in Wechselwirkung –, in dem immer noch das Männliche für das Allgemeine, Umfassende und das Weibliche für das Besondere gebraucht werden: Vom Menschen gesprochen zu haben, heißt automatisch, vom Mann gesprochen zu haben. Von Frauen müsste man nochmals gesondert reden – diese Denkfigur steht auch hinter der päpstlichen Forderung, es müsse eine „Theologie der Frau“ entwickelt werden. Oder: Medikamente für Männer entwickelt zu haben, heißt Medikamente für den Menschen entwickelt zu haben. Dass weibliche Körper Medikamente anders verstoffwechseln und zum Beispiel viele Schmerzmittel daher weniger oder gar nicht wirken, das ist dann der ausgeklammerte Sonderfall. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Anfrage einordnen, ob Gott weiblich gegendert nicht zu einer Partikulargottheit herabgestuft würde. Im Allgemeinen wird es weniger kritisch betrachtet, von einer „weiblichen Seite“ Gottes zu sprechen – womit man dann aber wiederum eine Binarität und damit eine Idee von Über-und Unterordnung in Gott einträgt und zudem die Illusion nährt,  man könne diese Seite ohne Verluste auch wieder weglassen. Zudem stärkt diese Vorstellung einengende Genderrollen, weil dann alles Weiche und Zärtliche in Gott als weiblich gelabelt wird und alles Strenge und Machtvolle männlich – als ob eine Mutter für ein sehr kleines Kind nicht eine geheimnisvolle und höchst mächtige Wirklichkeit wäre, der man im Zorn nicht in die Quere kommen will.

Gott weiblich zu gendern, macht allein durch die damit ausgelöste Irritation deutlich, wie tief die männliche Prägung der Gottesvorstellung ist.

Gott weiblich zu gendern, macht allein durch die damit ausgelöste Irritation deutlich, wie tief die männliche Prägung der Gottesvorstellung ist. Denn die Argumentation, dass Gott übergeschlechtlich sei und darum in der Anrede nicht gegendert werden müsse oder gar dürfe, wird in aller Regel nur von der Irritation der weiblichen Anrede ausgelöst, während männliche Anreden – die ja Gott auch gendern, nur eben männlich – diese Gegenwehr nicht provozieren. Nun lässt sich natürlich aufweisen, dass die Eigenheiten deutscher Grammatik die göttliche Wirklichkeit, die hinter dieser unfassbar großen Schöpfung steht, nicht tangieren. Dennoch gibt es diese abwehrende Reaktion, die die Irritation zu rationalisieren versucht, indem sie darauf hinweist, dass Gott nicht zu gendern sei, weil Gott übergeschlechtlich sei. Beim Hinweis, dass alle Anreden nur Bilder für Gott sind, kommt dann gelegentlich das biblische Bilderverbot zur Sprache. Dieser Einwand trifft aber in mehrfacher Hinsicht nicht den Kern, denn die Bibel ist voll mit Sprachbildern für Gott. Ihre Autor*innen wenden sich nur gegen Bilder, die mit Gott verwechselt werden können, oder in einer jüdisch-feministischen Lesart des ersten Gebots, dagegen, sich nur ein Bild von Gott zu machen und nicht mehrere, diverse. Dabei lässt die Vehemenz, mit der Christ*innen das Vater-Bild für Gott als Gottes Wirklichkeit verteidigen, bisweilen doch fragen, ob hier nicht ein Bild von Gott mit Gottes Wirklichkeit verwechselt wird.

Die Vehemenz, mit der Christ*innen das Vater-Bild für Gott als Gottes Wirklichkeit verteidigen, lässt bisweilen doch fragen, ob hier nicht ein Bild von Gott mit Gottes Wirklichkeit verwechselt wird.

Hier kann wiederum das vierte Laterankonzil (1213-1215) weiterhelfen. Es hat die Debatte um die Reichweite der universitären Theologie in interessanter Weise geklärt und damit eine philosophische Variante des biblischen Bilderverbots formuliert: Jedes Bild von Gott ist Gott immer unähnlicher als ähnlich. Also: Jedes Bild von Gott, das sich aus Schrift und Tradition speist, trifft einen Teil von Gottes Wirklichkeit. Der je größere Teil von Gott wird mit diesem Bild nicht erfasst. Gott macht Menschen also ein Beziehungsangebot wie ein Vater. Aber der größere Teil von Gott ist ganz anders als Vater. Dass ich hier mit Quantifizierungen arbeite, zeigt, wie schwierig es ist, sprachlich mit der Unanschaulichkeit Gottes umzugehen, denn natürlich geht es nicht um größere und kleinere Teile von Gott, die alles Denkbare übersteigt, sondern um Gottes Sein, das nicht quantifizierbar ist, sich aber auch allen anderen Möglichkeiten menschlicher Veranschaulichung entzieht.

Jedes Bild von Gott ist Gott immer unähnlicher als ähnlich.

Die Relativierung jedes Bildes von Gott bedeutet umgekehrt: Je weniger Bilder es für Gott in einer Religion gibt, desto mehr verpasst man von Gott. Wenn jedes Bild nur ein Mosaikstück von Gottes Wirklichkeit ist, dann wäre eine Vielzahl an Bildern enorm wünschenswert – und das würde gleichzeitig das Bewusstsein dafür wachhalten, dass es nur Bilder sind – nicht weniger, nicht mehr.

Ich halte es für einen lohnenden Ansatz, einmal zwei Beobachtungen zusammenzufügen: Die Gottesrede in den großen Kirchen in Deutschland ist relativ monoton geworden, sie kommt mit sehr wenigen und nahezu ausschließlich männlichen Bildern aus, lediglich der Geist Gottes schafft es in einigen Varianten, als weibliche Geistkraft wahrgenommen zu werden. Und: Die Gottesrede der großen Kirchen in Deutschland ist für die meisten Menschen nicht mehr relevant. Sie ist lebensfern, steril, autoritär, ohne sich Autorität verdient zu haben, und oft genug einfach langweilig.

Je weniger Bilder es für Gott in einer Religion gibt, desto mehr verpasst man von Gott.

Mir scheint, das hat damit zu tun, dass beim Sprechen über und mit Gott der Akzent auf dem Richtigen, Belegbaren, Sicheren liegt, also beim Behaupten und Argumentieren. Dann spricht man nicht in vielfältigen Bildern von Gott, sondern sauber und geordnet, und natürlich gendert man dabei männlich, weil das in unserem Sprachgebrauch eben die Form für das Allgemeingültige ist.

Ich möchte nun nicht das Klischee bedienen, dass das Emotionale, Gefühlsbetonte eine Domäne des Weiblichen sei. Mir scheint das auf alle Geschlechter hin zu einengend zu sein. Aber an der männlichen Sprachdominanz lässt sich zumindest ein Fehlen ausmachen: Wenn Gebetssprache vor allem richtig und korrekt sein will und sich auf der Ebene der philosophischen Argumentation bewegt, dann kommen wichtige Momente des Menschseins in dieser Gebetssprache nicht zum Zug: Beim Beten werden Selbstkonzept und Selbstgefühl berührt, hier spielt das Empfinden genauso eine Rolle wie das Unbewusste. Und für diese Ebenen ist Gender ein wesentlicher Begriff, weil die Geschlechtsidentität eines Menschen einen großen Teil seiner Prägung ausmacht, weil hier wesentliche Auseinandersetzungen mit kulturellen Vorgaben stattfinden. Darum ist es so überraschend herzöffnend, wenn Gott einmal weiblich gegendert wird, und fühlen sich Menschen davon in ganz unerwarteter Weise berührt und gemeint.

Es ist so überraschend herzöffnend, wenn Gott einmal weiblich gegendert wird. Menschen fühlen sich  davon in ganz unerwarteter Weise berührt und gemeint.

Denn von Gott zu sprechen, heißt natürlich auch, vom Menschen zu sprechen. Und wenn man der Schwerkraft der männlichen Sprachformen in Bezug auf Gott folgt, dann hat das Auswirkungen auf alle nicht-männlichen Beter*innen. Sie sind dann die mitgemeinten Auch-Menschen, nie so gottgleich und gottfähig wie Männer, sie müssen sich über Umwege identifizieren und ihr Eigenes erst als von Gott gewollt und geliebt verstehen lernen.

Eine weibliche oder Geschlechtergrenzen ganz überschreitende Gottesrede würde die Chance eröffnen, beim Beten mehr zu tun als etwas Richtiges zu sagen. Es würde nicht nur die Gottesvorstellungen weiten und diskriminierte menschliche Geschlechtsidentitäten aus der Diskriminierung holen, weil es Menschen, die nicht männlich sind, einen unmittelbareren Zugang zum Göttlichen erschließen würde, den Männer mit männlicher Gottesrede schon sehr lange sehr selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen und für normal halten. Sondern es würde auch die Ebene des Spielerischen und Vorläufigen, der Ahnungen und der Träume mit einbeziehen. Es würde so Menschen auf einer anderen Ebene als der des rationalen Verstehens ansprechen und mitnehmen, und zugleich eine Form der Patriarchats- und Herrschaftskritik wieder bestärken, die verloren zu haben den Kirchen in Deutschland nun sehr zu Schaden kommt, weil ihr damit auch ihr utopisches Potential abhanden gekommen ist.

Die Chance, beim Beten mehr zu tun als etwas Richtiges zu sagen.

Natürlich hat Gott kein Geschlecht. Aber Geschlecht ist für Menschen eine bedeutende Wirklichkeit und Genderoffenheit in Bezug auf Gott ändert mehr als die grammatikalische Gestalt eines Gebetstextes. Es stellt patriarchale Deutungsmonopole infrage und holt die Gottesrede aus der Sackgasse des richtigen, aber eben auch so erwartbaren Sprechens hinaus. Letztlich sind weibliche Gottesanreden – Gott Freundin, Gott Schwester, Gott Retterin – gar nicht so spektakulär. Dennoch passiert eine Menge, wenn sie geläufiger werden.  Die Bewegung wahrzunehmen, die sie auslösen, ist etwas sehr Berührendes und es gibt eine Ahnung davon, zu welcher Freiheit und Weite ein Gottesglaube jenseits der Herrschaftslegitimation führen kann.

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