22018

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Thomas Bäckenberger

Um Gottes Willen, Veränderung! – Genau deswegen!

Die notwendig anstehenden Veränderungen in den Diözesen im deutschsprachigen Raum evozieren sehr unterschiedliche Reaktionen. Die Bandbreite spannt sich von „Na endlich, war ja schon höchste Zeit!“ über den Versuch, angedachte oder begonnene Änderung sehr subtil durch (kirchen)rechtliche, sprachliche oder organisationale Spitzfindigkeiten zu unterlaufen bis hin zum Widerstand in offener (lautstarker Protest) oder häufiger versteckter (Ignoranz, Aussitzen wollen) Form.

Bis alle bereit zur Veränderung sind, stehen schon drei neue Veränderungsnotwendigkeiten an.

Schon allein die Zustimmung zur Notwendigkeit und das aktive Angehen von Veränderungen hängen stark vom Rollenverständnis und Kirchenbild der handelnden Personen ab. Die mir sehr wichtige katholische Breite hat den großen Nachteil einer ausgeprägten Heterogenität im Binnenraum. Unter diesen Rahmenbedingungen halte ich es für unmöglich, einen gemeinsamen Weg in eine neue Richtung zu gehen, auf dem möglichst alle mitgehen. Denn bis alle bereit zur Veränderung sind, stehen schon drei neue Veränderungsnotwendigkeiten an. Es braucht vielmehr eine kritische Masse, die es für die Neuerungen zu gewinnen gilt, aber da stehen wir vor einem scheinbar fast unüberwindlichen Hindernis. Die zum Teil schmerzhaften Veränderungen und das Vorankommen mit einer relevant großen Gruppe hin auf ein neues Zukunftsbild wird auf dem Altar der vermeintlichen Einheit geopfert und es werden so lange Abstriche gemacht, bis von der Ursprungsintention wenig bis nichts übrigbleibt.

Leider denken wir Kirche sehr dogmatisch überwiegend von den alten Texten (Bibel, Kirchenväter…) her und ignorieren die zweite Quelle der Offenbarung, nämlich Gottes Schöpfung und deren Gesetzmäßigkeiten. Wir reden vom Leib Christi und beschreiben ihn technisch und nicht in der jedem lebendigen Wesen eigenen Dynamik und Unvorhersagbarkeit. Mutationen und ein Abweichen vom Idealbild haben darin schwer Platz. Zugespitzt könnte man sagen, die Form ist wichtiger als der Inhalt – aber das wäre die Perversion des Auftrags und des Wesens von Kirche. Schon die Kirchendefinition in Lumen Gentium 1 verbietet eine solche starre Verstehensweise oder Praxis. Wenn man Gaudium et spes dazulegt, kann man erst recht nicht von einer engen Orthodoxie und auch Orthopraxie ausgehen, wenn Kirche ihrer Sendung gerecht werden soll. Denn Zeichen und Werkzeuge verändern sich im Lauf der Jahrhunderte, um den Anforderungen und Denkmustern gerecht zu werden um wirksam und verständlich zu sein. Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen sind ebenfalls zum Teil massiven Veränderungen unterworfen. Wenngleich die Grundbedürfnisse prinzipiell gleich bleiben, so ändern sich doch die jeweiligen Realisierungen, denn die hängen von Kultur und Umfeld ab.

Weil es Gottes Wille ist, müssen wir uns und muss sich Kirche verändern.

„Leben heißt, sich verändern; vollkommen sein heißt, sich oft verändert haben.” Dieses Diktum von Kardinal Newman wünschte ich mir eingeschrieben in die kirchliche DNA, sowohl der Organisation als auch der in ihr Tätigen und Verantwortlichen. Und warum soll das, was wir als Grundhaltung von jedem gläubigen Menschen erwarten, nämlich die Bereitschaft zur Reflexion und Veränderung (Umkehr oder vielleicht besser Hinkehr zum Willen Gottes) nicht auch für die Organisation Kirche gelten? Weil es Gottes Wille ist, müssen wir uns und muss sich Kirche verändern!

So weit, so schwierig. Wie denn nun diese Veränderung auch wirklich bewerkstelligt werden kann, dazu gibt es mittlerweile Legionen an Beispielen. Viele die gescheitert sind aber auch viel Gelungenes. Dabei kann man ein interessantes Phänomen beobachten: Gerade jene, die Kirche theologisch-dogmatisch denken, tun sich ganz schwer, die „weltlichen“ Regeln von Organisationsentwicklung und Managementtheorien zu akzeptieren. „Kirche ist ja etwas anderes, das kann man nicht so sehen oder machen“ heißt es dann. Dann wird in den Texten um Punkt und Beistrich gefeilscht, man opfert um der (kirchlich-binnen)sprachlichen Verträglichkeit Willen eine exakte Begrifflichkeit und verwendet klassisch theologisch, vertraute, aber eben auch sehr breit und unterschiedlich deutbare Begriffe. Mit dem Vorwurf, dass da zu viel „OE-Fachchineschisch“ verwendet wird, entzieht man sich der Notwendigkeit, sich wenigsten manche Grundbegriffe der Organisationsentwicklung anzueignen und übersieht auf der anderen Seite, dass das „Theologenfachchinesisch“ auch für viele Kirchenmitglieder unverständlich und nichtssagend ist. Letztlich ist aber das ganze zeitintensive Arbeiten an den Texten „für die Katz“, wenn es nicht den Schritt in die Praxis gibt. Neue, verbindliche Rahmenbedingungen setzen, die manches unzeitgemäße Verhalten unmöglich machen; experimentieren und aus den gemachten Erfahrungen seine Schlüsse ziehen und die Ziele und Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen, sind zwei unaufhebbare Elemente erfolgreicher Kirchenentwicklung. Dabei kommt man in die von Dessoy so treffend dargestellte Spannung der zwei Regeln, die kirchliches Handeln sehr stark beeinflussen:

1. Regel: Persönliche Beziehungen sind entscheidend. Regeln können sich jederzeit ändern – jenseits formaler Regularien und unabhängig vom eigenen Zutun. Durchgriff und Bestrafung an formalen hierarchischen Ebenen vorbei sind möglich etc.

2. Regel komplementär: Regeln und Vereinbarungen müssen nicht eingehalten werden, solange keine ernsthaften (öffentlichen) Störungen auftreten oder Machtinteressen anderer berührt sind. Die Folge ist ein ritualisiertes Muster „geplanter Folgenlosigkeit“: Man trifft sich, bespricht sich, vereinbart sich – und hält sich nicht daran.1

Mit dem Vorwurf, dass zu viel „OE-Fachchineschisch“ verwendet wird, entzieht man sich der Notwendigkeit, sich wenigsten manche Grundbegriffe der Organisationsentwicklung anzueignen und übersieht auf der anderen Seite, dass das „Theologenfachchinesisch“ auch für viele Kirchenmitglieder unverständlich und nichtssagend ist.

Oder wie es ein steirischer, mit hoher kirchlicher Verantwortung betrauter Laie einmal treffend zugespitzt hat: „Die Hierarchie in der Kirche wird durch die Anarchie gemildert.“

Für mich ergeben sich daraus folgende Schlussfolgerungen:

Kirchenentwicklung wird dort erfolgreich verlaufen, wo es ein attraktives Ziel gibt, wo aber der Fokus auf das Tun gelegt und wo Experimente konsequent gefördert werden. Das Neue muss sich in der Praxis als besser als das Bisherige erweisen. Stellt es sich als Irrtum heraus – dieses Ergebnis ist mit Experimenten nun mal unweigerlich verbunden – dann wird eben nach einer Reflexions- und Planungsschleife ein neues Experiment gewagt.

Reflexion sowie konsequente Begleitung und Weiterbildung haben sich auch beim Pilotpfarrenprojekt der Diözese Graz-Seckau als erfolgsrelevant erwiesen.2 In diesem Projekt, das ein großes Laboratorium über 4 Jahre ist, haben 13 Pfarren die 8 Qualitätskriterien der „Natürlichen Gemeindeentwicklung“ (https://nge-deutschland.de/) konsequent gelernt und eingeübt. Dabei war spannend zu beobachten, wie lange Veränderungen von Haltungen und Sichtweisen in einem mit dem Alltagsgeschäft beschäftigten System brauchen, bis sie handlungsleitend werden.

Das Neue muss sich in der Praxis als besser als das Bisherige erweisen.

Erfolgsrelevant wird ebenfalls sein, dass Handlungsweisen, die die Grundintentionen der Veränderung oder der Zielsetzungen unterlaufen, auch klar angesprochen werden. Dazu fehlt leider viel zu oft der Mut. Es ist schön, idealistisch Verbindlichkeit über Überzeugung herstellen zu wollen, aber in der Praxis funktioniert das nur teilweise. Dessoy beschreibt das absolut richtig, wenn er sagt: „Ziele, Vorgehensweisen und Regeln der Zusammenarbeit sind transparent zu machen, operational zu beschreiben, verbindlich zu vereinbaren und konsequent zu überprüfen.“ Ich würde hinzufügen: und bei Nichteinhaltung nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Dabei stelle ich mir kein Strafregister vor, sondern intensive Reflexionsgespräche, aber auch, als ultima ratio, Sanktionen.

Trotzdem bleibt die drängende Frage, wie es gelingen kann, Erfahrungen zu initiieren, die die Menschen zum Umdenken und zu Haltungsänderungen bewegen.

Ich versuche ein Beispiel: Kapitel 1 vom Zukunftsbild der Katholische Kirche in der Steiermark: “Wir gehen vom Leben der Menschen aus.” – Der Großteil der Verantwortlichen würde sagen: „Das ist doch klar, das tun wir sowieso!“ Die Nachfrage muss dann lauten: Von welchen Menschen konkret geht ihr aus: Von den Kirchgehern? Von jenen, die selten kommen? Von allen Katholiken in der Pfarre? Von den Armen? Von den Zugewanderten? Von den Menschen ohne Glaubensbekenntnis oder Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft? …

Bei Nichteinhaltung nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Der nächste Schritt ist dann: Ich muss mich mit der angesprochenen Zielgruppe auseinandersetzen: Wie lebt sie? Was bewegt sie? Welche Fragen haben sie und wie antworten sie darauf? Das bedeutet also, bevor ich da etwas planen kann, muss ich Möglichkeiten der Begegnung schaffen, um einander besser und tiefer kennenzulernen. Dieses tiefere Kennenlernen führt unweigerlich dazu, dass sich mein Bild und im Normalfall auch meine Haltung ändert. Papst Franziskus spricht das immer wieder an und ich meine, das ist die wichtigste spirituelle Haltung, ohne die jede Kirchenentwicklung und Kirchenreform zum Scheitern verurteilt ist:

Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.3

Einander offen begegnen, sich voneinander berühren lassen und ausloten, ob man ein Stück Weg miteinander gehen kann und das dann auch konsequent tun. So wird sich Kirche verändern, weil sich die Menschen in ihr verändern. Auf diesem Weg bleibt jenseits aller notwendigen Planungen und Festschreibungen auch genug Raum, dass Gott auf krummen Zeilen gerade schreiben kann.

Der Herr der Kirche braucht beides, unser Tun und den Raum für seinen Geist, dann wird sein Wille geschehen, Kirche wird sich permanent ändern und so wirksames Zeichen und Werkzeug sein.

  1. Dessoy, V.: Kirche könnte gehen …, in: C. Hennecke, T. Tewes, G. Viecens (Hrsg.), Kirche geht … Die Dynamik lokaler Kirchenentwicklung, Würzburg 2013, 23-42.
  2. https://www.katholische-kirche-steiermark.at/weg2018/projekte/pilotpfarren?d=pilotpfarren#.W7tVcWgzaUk
  3. Evangelii Gaudium 7.

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