012017

Praxis

Markus Nicolay und Valentin Dessoy

Dahinter können und wollen wir nicht mehr zurück

Die Synode von Trier 2013 bis 2016 ist jetzt seit gut einem Jahr zu Ende. Die Umsetzungsphase hat begonnen. Erste Konturen einer veränderten Sozialgestalt der Kirche von Trier werden sichtbar.1 Aber was bedeuten die Synodenergebnisse für das pastorale Personal? Wir haben Domkapitular Dr. Markus Nicolay, den Priesterreferenten und Leiter ZB 1.2 – Seelsorge und pastorales Personal im Bischöflichen Generalvikariat um einen Rückblick auf die Synode und eine Bewertung der Synodenergebnisse gebeten. Das Interview führte Valentin Dessoy.

Valentin Dessoy: Wie haben Sie persönlich die Trierer Synode erlebt? Was waren kritische Momente und Highlights?

Markus Nicolay: Ich hatte das Glück, oder ich möchte in diesem Fall bewusst lieber sagen: die Gnade, sozusagen an der Wiege der synodalen Idee stehen zu dürfen. So konnte ich das Zugehen auf die Synode von Anfang an mitverfolgen und an der ein oder anderen Stelle auch mitgestalten. Auch der Synode selbst habe ich vom ersten bis zum letzten Tag als Mitglied des Priesterrates und der Leitungskonferenz des Bistums angehört: als Synodaler in den Vollversammlungen, aber auch als Mitglied der Sachkommission „missionarisch sein“, in deren Vorstand ich dann auch noch gewählt wurde.

Die Synode als Ganzes mit ihren sieben Vollversammlungen, den unzähligen Arbeitssitzungen der Sachkommission, den Vor- und Nachbereitungstreffen – all das hat mein Arbeiten in den Jahren 2013 bis 2016 sehr stark geprägt, auch zeitlich. Ich bedauere keine Sekunde. Für mich war die Synode eine ganz unverhoffte Erfahrung, ein starkes und faszinierendes Stück Kirche, ein Fest des Glaubens, das mich in meinem Christ- und Priestersein sehr gestärkt hat.

Natürlich gab es im Verlauf der drei Jahre auch kritische Momente. Anfangs war ich noch unsicher und es wurde mir in den Debatten manchmal mulmig, weil ich nicht immer erkennen konnte, wohin die Reise geht und ob das Ganze nicht auch aus dem Ruder läuft. Ich weiß noch, dass ich einmal einem Freund aus der Vollversammlung gepostet habe: „Tsunami oder Pfingststurm – ich bin mir gerade nicht so sicher.“ Diese Unsicherheit hat sich jedoch schnell gelegt und ich konnte dem synodalen Weg wirklich Vertrauen entgegenbringen, weil er geprägt war durch das gemeinsame Suchen nach dem, was der Herr der Kirche von Trier in dieser Stunde auftragen will. Als Fachtheologe musste ich auch lernen, dass die Ergebnisse einer synodalen Beratung keine nach allen Seiten hin abgesicherten theologischen Abhandlungen sein können, sondern Produkte ganz eigener Art und Würde.

Ich bedauere keine Sekunde. Für mich war die Synode eine ganz unverhoffte Erfahrung, ein starkes und faszinierendes Stück Kirche, ein Fest des Glaubens.

Es gab auch inhaltliche Krisen. Ich denke dabei z. B. an die fünfte Vollversammlung im September 2015 in Saarbrücken, als die Sachkommissionen ihre Ergebnisse erstmals zusammengetragen hatten und der Bischof klar zu verstehen gegeben hat, dass er mit dieser Überfülle an guten Ideen so nicht arbeiten könne. Er hat auch bestimmte theologische Vorbehalte angemeldet. Im Rückblick lässt sich aber sagen, dass dies eine sehr kreative Krise war, was dann auch sehr schnell in dem einmütig gefassten Beschluss zu einer Verlängerung der Synode und einer siebten Vollversammlung zum Ausdruck kam. Als weiteres Dauerkrisenthema habe ich die Suche nach einem Zukunftsbild für das Bistum erlebt. Der Vorschlag einer Arbeitsgruppe, die Kirche als Weggefährtin und Herberge zu beschreiben, stieß in der Vollversammlung nicht auf die notwendige Resonanz, obwohl er mir persönlich sehr gefallen hätte. Letztlich ist uns dann aber mit der Initiative einer einzelnen Synodalen, die den Mut hatte, ein sehr geistliches erstes Kapitel für das Schlussdokument unter dem Titel „Suchet zuerst das Reich Gottes“ vorzuschlagen, die Frucht dieser langen Suche nach einem Zukunftsbild in der letzten Vollversammlung regelrecht in den Schoß gefallen.

Von solch wunderbaren Erlebnissen und Erfahrungen könnte ich noch stundenlang berichten. Das absolute Highlight war natürlich, als bei der Schlussabstimmung das überwältigende Ergebnis von fast 92 % Zustimmung bekannt gegeben wurde und die ganze Versammlung spontan das Te Deum angestimmt hat. Einen solchen Moment kann man nicht beschreiben, man muss dabei gewesen sein. Ich darf sagen, dass er zu den ganz kostbaren Augenblicken meines Glaubenslebens gehört.

Valentin Dessoy: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse und wo ist die Synode hinter Ihren Erwartungen zurückgeblieben?

Markus Nicolay: Ich möchte noch einmal anknüpfen an das, was ich gerade schon gesagt habe. Das wichtigste Ergebnis ist für mich das Ereignis der Synode als solches. Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir schon als Studenten über die Möglichkeit einer Synode diskutiert haben. Damals war das Ergebnis der Überlegungen jedoch meist negativ. Zum einen schienen die andernorts damit gemachten Erfahrungen wenig ermutigend. Zum anderen hieß es immer, das Kirchenrecht schreibe eine derartige Dominanz der Kleriker in einer Synode vor, dass dies für die Situation der deutschen Kirche mit ihren pastoralen Berufen und den vielen Ehrenamtlichen unpassend sei. Der Verlauf der Trierer Synode hat diese Befürchtungen m.E. vollständig entkräftet. Allerdings sehe ich sehr klar die Voraussetzungen, die für ein Gelingen einer Synode wesentlich sind. Für unsere Synode gab es meines Erachtens einen dreifachen Kairos. An erster und wohl entscheidender Stelle ist hier die Person unseres Bischofs, Dr. Stephan Ackermann zu nennen. Rechtlich ist eine Diözesansynode ein Beratungsorgan des Diözesanbischofs. Er ist es, der die Beschlüsse der Synode in geltendes Recht überführen muss. Und insofern stand und fiel der Erfolg der Synode – und nun ja auch die Schlagkraft der Umsetzung – mit der Position, die der Bischof zu diesem Projekt eingenommen hat und einnimmt. Ich glaube, es war wichtig, dass von Anfang an klar war, dass Bischof Stephan diese Synode will und dass er der synodalen Beratung vertraut. Dies kam für mich u.a. auch durch eine mitunter bewundernswerte Gelassenheit des Bischofs, auch an möglichen Klippen des synodalen Prozesses zum Ausdruck. Im Gegenzug konnte auch die Synode dem Bischof vertrauen. Hätten auswärtige Beobachter anfangs vielleicht noch bestimmte Flügelkämpfe feststellen können, so wuchs von Vollversammlung zu Vollversammlung mehr das Bewusstsein einer gemeinsamen Verantwortung. Auch die eben schon erwähnten Vorbehalte des Bischofs bei der fünften Vollversammlung konnten die Synodalen in dieser Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens gut einordnen und schließlich auch konstruktiv verarbeiten. Der zweite Kairos ist die Person von Papst Franziskus. Die Entscheidung, eine Diözesansynode in Trier abhalten zu wollen, war ja noch vor seiner Wahl getroffen worden. Und trotzdem hat er die kirchliche Großwetterlage für die Durchführung unserer Diözesansynode günstig beeinflusst. Am deutlichsten wurde dies vielleicht in seinem ersten apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“, das ja genau eine Woche vor Eröffnung unserer Synode erschienen ist. Ich erinnere mich noch, wie der Bischof und seine Begleiter, zu denen ich auch gehört habe, dieses Schreiben auf dem Rückflug von einem Pastoralbesuch in Indien auf unseren Smartphones zum ersten Mal gelesen haben und wir miteinander der Meinung waren, dass der Heilige Vater hier den Grundakkord unserer synodalen Beratungen bereits angeschlagen habe. Es folgten die beiden Bischofssynoden zu Ehe und Familie mit ihren weltweiten Befragungen, die ja auch in die Zeit unserer Diözesansynode fielen. Drei Wochen vor unserer letzten Vollversammlung erschien dann das nachsynodale Schreiben „Amoris laetitia“. Auch diese weltkirchliche Bewegung hat unsere diözesanen Beratungen mit beeinflusst und positiv beflügelt. Als drittes Moment möchte ich den Unterstützungskurs nennen, den wir in den Jahren 2013 bis 2016 für alle Priester, die in der Pfarrseelsorge tätig sind, durchgeführt haben. Der Impuls, der durch ein solch umfangreiches Weiterbildungsprogramm im Presbyterium ausgelöst wurde, hat den synodalen Prozess vorbereitet und mit beeinflusst, vielleicht manche Entscheidungen auch erst in dieser Weise möglich gemacht.

Das Ereignis der Synode ist für mich zugleich ihr wichtigstes Ergebnis. Dass dies nicht nur ein subjektiver Eindruck von mir ist, kommt nicht zuletzt auch dadurch zum Ausdruck, dass der vierte Perspektivwechsel, den die Synode beschlossen hat, ja lautet: „Das synodale Prinzip bistumsweit leben.“

Nochmal: Das Ereignis der Synode ist für mich zugleich ihr wichtigstes Ergebnis. Dass dies nicht nur ein subjektiver Eindruck von mir ist, kommt nicht zuletzt auch dadurch zum Ausdruck, dass der vierte Perspektivwechsel, den die Synode beschlossen hat, ja lautet: „Das synodale Prinzip bistumsweit leben.“ Die Erfahrung synodaler Beratung soll in Zukunft das Miteinander der unterschiedlichen Dienste, Ämter und Charismen im Bistum Trier prägen. Dahinter können und wollen wir nicht mehr zurück. Das erste Kapitel, das klar macht, warum es uns als Kirche auch im 21. Jahrhundert braucht, dass wir als Kirche nicht um unserer selbst willen da sind, gehört für mich ebenfalls zum Kostbarsten, was auf der Synode gewachsen ist. Und dann natürlich die übrigen drei Perspektivwechsel: Vom einzelnen her denken – Charismen vor Aufgabenorientierung – Weite Pastorale Räume und netzwerkartige Kooperationsformen. Dies durchzubuchstabieren würde den Rahmen eines Interviews sicher sprengen. Und wir stehen mit der Umsetzung ja auch noch ziemlich am Anfang. Trotzdem spüre ich je länger, je mehr, dass die Synode hier tatsächlich Wesentliches ausgesagt hat, vielleicht sogar mehr, als es uns selbst am Abend der Schlussabstimmung bewusst war.

Bei aller Freude über das Erreichte und den kleinen Stolz, dazu ein wenig beigetragen zu haben, sehe ich aber auch Grenzen. So hat es die Synode nicht geschafft, sich einzugestehen, dass die Kirche von Trier längst nicht mehr zur „Mitte“ der Gesellschaft gehört, sondern unter vielerlei Gesichtspunkten inzwischen selbst „am Rand“ steht. Es ist m.E. nicht gelungen, sich einzugestehen, dass wir schon heute eine geistlich und personell vielfach arme Kirche sind und dass wir diesen Weg in die unfreiwillige Armut – bald auch finanziell – noch fortsetzen werden. Stattdessen setzen viele Beschlüsse eigentlich eine reiche Kirche voraus. Manche Überlegungen unterhalb der Ebene der Perspektivwechsel müssen sich die Frage gefallen lassen, ob es ihnen nicht doch darum geht, das Bestehende besser und vielleicht Neues ergänzend zu tun, um wieder „erfolgreich“ in der bekannten Gestalt von Kirche zu sein. Unser ehemaliger Generalvikar Georg Bätzing hatte auf einer Vollversammlung diesbezüglich einmal die Sorge vorgetragen, dass die Synode nicht wirklich tief genug schauen könnte und dass die Rede von den „Abschieden“ einstweilen sehr an der Oberfläche verbleibt. Und es zeigt sich in der Phase der Umsetzung jetzt schon, dass die auf der Synode nicht geleistete Arbeit nun mitunter schmerzhaft nachgeholt werden muss.

Die Synode hat sich explizit nicht mit Dienst und Leben der Priester befasst. Das war auch nicht ihr Auftrag. Allerdings haben die Beschlüsse der Synode massive Auswirkungen auf den priesterlichen Dienst. Insofern ist das Thema implizit doch enthalten. Die Folgen für die gegenwärtigen Amtsträger und die Strahlkraft für diesen Beruf auf junge Männer sind allerdings nicht diskutiert worden, was ich schon als einen echten Mangel bezeichnen würde. Vieles, was bislang zum unvertretbaren Proprium des priesterlichen Dienstes gehört hat, wird künftig auch von anderen Akteuren übernommen: Leitung, Verkündigung im Gottesdienst, Feier von (Sonntags-)Gottesdiensten, Beerdigungsdienst usw. So sehr diese Überlegungen aus der Gesamtperspektive Sinn machen und unter den gegebenen Rahmenbedingungen nach meinem Eindruck auch alternativlos sind, so sehr hinterlassen sie bei manchen Priestern ein Sinnvakuum, über dessen Füllung nun nachsynodal gesprochen werden muss. Was ist der unvertretbare Dienst des Priesters, der den Einsatz der ganzen Existenz (wie bislang erwartet) rechtfertigt? Diese Fragen stellen sich verschärft für die Mehrheit der Priester, die in der neuen Struktur nicht mehr das Leitungsamt eines Pfarrers bekleiden werden. Gerade das war aber die Rolle, die sie in der großen Mehrheit seit Eintritt ins Priesterseminar angestrebt haben, auf die hin sie qualifiziert wurden und die sie – ausweislich der Seelsorgsstudie von 2015 – bislang mit zumeist hoher Zufriedenheit gelebt haben. Ich nehme derzeit, gerade unter jüngeren Priestern, Verunsicherungen und auch Ängste wahr. Der Bischof sucht zu diesen Fragen im Nachgang der Synode mit dem Presbyterium das Gespräch. So gab es Ende vergangenen Jahres drei Foren, bei denen er mit allen Priestern im aktiven Dienst zusammengetroffen ist. Dieser Gesprächsfaden muss nun weitergeknüpft werden. Für Januar 2018 sind wieder ähnliche Gesprächsrunden geplant.

Vieles, was bislang zum unvertretbaren Proprium des priesterlichen Dienstes gehört hat, wird künftig auch von anderen Akteuren übernommen: Leitung, Verkündigung im Gottesdienst, Feier von (Sonntags-)Gottesdiensten, Beerdigungsdienst usw.

Im Spannungsfeld von Synode und Unterstützungskurs hat sich die sog. „Plattform P“ als eine Interessenvertretung der Priester gefunden. Auch dort werden die anstehenden Fragen intensiv, auch mit Vertretern der Bistumsleitung, diskutiert. Im Zugehen auf die Umsetzung der Synode Anfang 2020 wird es zudem nochmals individuelle Personalentwicklungsgespräche mit jedem geben.

Valentin Dessoy: Welche grundlegenden Erkenntnisse bzw. Richtungsentscheidungen hat die Trierer Synode für Ihren Arbeitsbereich der Planung des Einsatzes, der Förderung und der Entwicklung des pastoralen Personals gebracht?

Markus Nicolay: Der sog. Orientierungsrahmen für das pastorale Personal, der derzeit das Steuerungsinstrument für den Personaleinsatz im Bistum Trier ist, hat eine Laufzeit bis 2020. D.h. wir hätten in diesem Jahr auch ohne Synode mit grundlegenden Überlegungen zum künftigen Einsatz des pastoralen Personals beginnen müssen. Die Ergebnisse der Synode helfen uns einerseits ungemein, andererseits wird die Aufgabe um einiges komplexer. Mit den vier Perspektivwechseln hat sich das Bistum eine inhaltliche Neuausrichtung gegeben, die mit einer einfachen Verlängerung des Bestehenden, auch im Bereich des Personaleinsatzes, nicht zu erreichen ist.

Die erste nachsynodale Entscheidung war es, vor allen anderen Projekten den künftigen Zuschnitt der Pfarreien anzugehen. Der Entwurf für 35 Pfarreien der Zukunft wurde Ende März den diözesanen Räten vorgelegt und befindet sich derzeit in der sog. Resonanzphase, d.h. die Gläubigen im Bistum sind eingeladen, Rückmeldungen auf diesen Entwurf zu geben. Ende des Jahres wissen wir dann, wie die Einheiten aussehen, in denen das pastorale Personal ab 2020 eingesetzt wird. Klar ist, dass wir uns stärker als bisher an den vor Ort vorhandenen Bedarfen ausrichten werden. Diese Bedarfe werden sich natürlich, möglicherweise in kürzeren Zeitintervallen, immer wieder auch ändern. Wie flexibel wir darauf mit dem Personaleinsatz reagieren können, muss in den nächsten Umsetzungsschritten noch besprochen werden. Ebenso, was die von der Synode geforderte Charismenorientierung auf das hauptamtliche Personal übersetzt bedeutet. Ist das geklärt, steht aus meiner Sicht als nächstes die Frage von passgenauen Weiterbildungsformaten auf der Agenda. Auch hier sehe ich viel Bedarf und eine entsprechende berechtigte Erwartung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und schließlich werden wir uns mit dem relativ neuen Thema einer verbindlichen Qualitätssicherung in der Seelsorge befassen, denn mit den Perspektivwechseln verpflichtet sich das Bistum ja auch auf verlässliche Standards.

Mit den vier Perspektivwechseln hat sich das Bistum eine inhaltliche Neuausrichtung gegeben, die mit einer einfachen Verlängerung des Bestehenden, auch im Bereich des Personaleinsatzes, nicht zu erreichen ist.

Valentin Dessoy: Die Pfarrei der Zukunft soll den organisatorischen Rahmen sicherstellen, um Kirche an vielen Orten, in großer Vielfalt und in Eigenverantwortung der Getauften möglich und lebendig werden zu lassen. Was muss sich an den Rollen und der gesamten „Rollenarchitektur“ der pastoral Tätigen verändern, damit das Realität werden kann?

Markus Nicolay: Wir machen auch in unserem Bistum seit vielen Jahrzehnten beste Erfahrungen mit einer differenzierten Landschaft von pastoralen Berufen. Das ist ein stabiles Fundament, auf dem wir aufbauen können. Allerdings werden durch die Neuausrichtung der Synode die klassischen Rollenprofile der vier pastoralen Berufsgruppen ganz grundsätzlich auf den Prüfstand gerufen. Für den priesterlichen Dienst habe ich das ja eben schon angedeutet. Ähnliche Fragen tun sich aber auch für die übrigen Berufsgruppen auf, und zwar zunächst bezogen auf die jeweilige Berufsgruppe, dann aber auch in der Verhältnisbestimmung der Berufsgruppen zueinander und zu den ehrenamtlich Engagierten. All das muss in nächster Zeit auf möglichst breiter Basis mit den Beteiligten beraten und dann bald entschieden werden. Entsprechende Initiativen sind bereits angestoßen. Das Entscheidende wird sich in den Köpfen der Beteiligten abspielen, das lässt sich von Seiten des Bistums natürlich nicht beeinflussen. Wir haben die Verantwortung für die Rahmensetzungen und dafür, Anreize zu schaffen, die das Neue fördern und die ermutigen, sich von alten, nicht mehr passenden Rollenmustern zu verabschieden.

Valentin Dessoy: Wie muss Führung und Leitung gestaltet sein, wenn Kirche als Organisation auf allen Ebenen zukünftig wesentlich beweglicher, agiler bzw. fluide werden muss?

Markus Nicolay: Am deutlichsten sehe ich dies im Moment an der Pfarrerrolle. So wenig die Pfarrei der Zukunft die Vergrößerung der bisherigen Pfarrgemeinde sein wird, so wenig wird der „Pfarrer der Zukunft“ dem gewohnten Typus des bisherigen Pfarrers entsprechen. Bislang war der Pfarrer, der Pastor, wie man in unserem Bistum sagt, eher der Generalist, man könnte auch sagen: das Mädchen für alles. Vom Taufgespräch über das Halten von Schulstunden bis zum Seniorenkaffee, von der Endredaktion des Pfarrbriefes über die Festlegung der Gottesdienstordnung bis zur Leitung der Verwaltungsratssitzung, vom Ortstermin mit dem Handwerker über das Dienstgespräch mit pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis zur Gestaltung eines feierlichen Kirmeshochamtes. Für alles sollte er irgendwie Fachmann sein, Zeit und möglichst auch Lust haben. Mit der Vergrößerung der Pfarreiengemeinschaften wurde dieser bunte Blumenstrauß meist nur multipliziert. Zur Rollenerwartung an den Pfarrer in der bisherigen Ausprägung gehörte es auch, dass er den anvertrauten Raum irgendwie auch „beherrscht“. D.h. der Pastor hatte den Überblick zu behalten, möglichst über alles und jedes Bescheid zu wissen, hatte die Letztverantwortung für die allermeisten Fragestellungen, mitunter bis in kleine operative Details. Diese komplexe und zugleich gestaltungsmächtige Aufgabenstellung macht bis zur Stunde für viele Priester den Reiz dieser Rolle, aber eben auch die Last aus. Zukunftsfähig ist das bei immer größer werdenden Einheiten jedenfalls nicht.

So wenig die Pfarrei der Zukunft die Vergrößerung der bisherigen Pfarrgemeinde sein wird, so wenig wird der „Pfarrer der Zukunft“ dem gewohnten Typus des bisherigen Pfarrers entsprechen.

Der künftige Pfarrer in der Pfarrei der Zukunft wird so nicht mehr arbeiten. Er leitet nicht mehr allein, sondern steht einem Team von Leitungskräften mit fest zugeschriebenen Aufgabengebieten vor. Er wird schon allein aufgrund der schieren Größe seiner Pfarrei – mit im Schnitt mehr als 60 Kirchen und Kapellen, 30-60 hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger – gar nicht in die Versuchung geraten, sich um den Blumenschmuck hier und den Zustand des Daches dort kümmern zu wollen. Sein Leitungsamt wird soziologisch eher darin bestehen, zu koordinieren, zu moderieren, zu schlichten, zu vermitteln und ansonsten die Zuständigkeiten der übrigen Verantwortlichen zu respektieren. Theologisch wird es horizontal darum gehen, die verschiedenen Charismen so zu fördern, dass sie wirklich dem Aufbau der Gemeinde dienen. Und vertikal trägt er die Verantwortung dafür, dass die ihm anvertraute Pfarrei in der lebendigen Gemeinschaft mit der Diözese und der Weltkirche bleibt. Weniger den soziologischen, als vielmehr den theologischen Knotenpunkt all dieser Aufgaben sehe ich dabei in der Feier der Eucharistie, der der Pfarrer vorsteht und in der er auch den Dienst der Verkündigung wahrnimmt. Daneben wird er allenfalls noch einen überschaubaren Auftrag in der operativen Seelsorge wahrnehmen können. Sein Dienst wird also gerade nicht mehr der eines Generalisten sein, sondern vielmehr der eines Spezialisten, mit einem ganz eindeutigen Schwerpunkt im Amt der Leitung. Analoges wird sich auch für die übrigen Mitglieder im Leitungsteam der Pfarrei der Zukunft sagen lassen, ohne dass ich hier schon ganz klar die spezifischen Konturen sehe. Mit diesen komplexen Fragen wird sich in den nächsten Monaten eine eigene Teilprozessgruppe befassen, die ihre Ergebnisse dann wiederum den diözesanen Räten zur Beratung vorlegen wird. Von meiner Seite würde ich mir wünschen, dass in der Konturierung der neuen Rollen alles vermieden wird, was in Richtung einer Zentralisierung, auch personell, geht und alles gefördert wird, was den Netzwerkcharakter der Pfarrei der Zukunft, d.h. lokales Engagement und lokale Verantwortung stärkt. Dies sind anspruchsvolle Erwartungen an die künftigen Führungskräfte, dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Insbesondere auch deshalb, weil so vieles eben ganz anders funktionieren muss, wie es bisher funktioniert hat. Gleichzeitig bestehen aber die alten Rollenbilder und Rollenerwartungen bei den Hauptamtlichen selbst und bei den Gläubigen fort. Deshalb wird es in den nächsten Jahren wichtig sein, dass wir uns auf allen Ebenen immer wieder eingestehen, dass wir miteinander Lernende sind und dass es dazu Zeit und gegenseitiges Vertrauen braucht. Und natürlich geeignete Qualifizierungsmaßnahmen und professionelle Begleitung.

Der künftige Pfarrer in der Pfarrei der Zukunft wird so nicht mehr arbeiten. Er leitet nicht mehr allein, sondern steht einem Team von Leitungskräften mit fest zugeschriebenen Aufgabengebieten vor. … Theologisch wird es horizontal darum gehen, die verschiedenen Charismen so zu fördern, dass sie wirklich dem Aufbau der Gemeinde dienen. Und vertikal trägt er die Verantwortung dafür, dass die ihm anvertraute Pfarrei in der lebendigen Gemeinschaft mit der Diözese und der Weltkirche bleibt.

Valentin Dessoy: Inwieweit sind diese Veränderungen den Mitarbeitenden im Bistum Trier bewusst und wie werden sie darauf vorbereitet?

Markus Nicolay: Ich habe den Eindruck, dass die bevorstehenden Veränderungen den meisten sehr präsent sind. Es gibt ein Wissen oder mindestens eine Ahnung darüber, dass es keine konstruktive Alternative gibt, will man nicht in die Haltungen „Der Letzte macht das Licht aus“ oder „Für mich wird es gerade noch reichen“ verfallen. Insofern sind die erlebte Realität und der in ihr erfahrene Leidensdruck die beste Vorbereitung auf die notwendigen Veränderungen. Dazu muss, noch mehr als bisher, das geduldige Gespräch kommen, besonders mit denen, die sich mit dem Gedanken an die bevorstehenden Veränderungen schwer tun.

Spätestens seit der Vorstellung des Entwurfs zur Raumgliederung ist jedem bewusst, dass es der Bischof mit der Umsetzung der Synodenergebnisse wirklich ernst meint. Es gibt eine gespannte Erwartung auf das, was kommt, natürlich auch verbunden mit Ängsten und Unsicherheiten. Mitunter begegnet mir auch eine gewisse Skepsis, ob es mehr als wieder nur eine Strukturreform sein wird. Dahinter verbirgt sich nach meinem Eindruck manchmal auch der geheime Wunsch, dass diese „nur eine Strukturreform“ das Feld, in dem man selbst tätig ist, vielleicht gar nicht tangiert und man insofern in Ruhe in den alten Routinen weitermachen kann. Eine menschlich sehr verständliche Haltung. Ich hoffe allerdings, dass weder die Skepsis noch die geheimen Wünsche Recht behalten werden.

Valentin Dessoy: Wie wichtig ist nach Ihrer Einschätzung die „Stellschraube Personal“ im Blick auf den qualitativen Sprung, den das Bistum Trier im Auge hat?

Markus Nicolay: Das pastorale Personal ist die knappste und damit die kostbarste Ressource, über die das Bistum verfügt. Insofern ist die Wichtigkeit nicht hoch genug einzuschätzen. Gleichzeitig gilt aber auch, dass es nicht die Erwartung geben darf, dass alles von den Hauptamtlichen abhängt. Im Gegenteil: Die Synode hat im Anschluss an das II. Vatikanische Konzil noch einmal sehr klar die ursprüngliche Verantwortung aller Getauften und Gefirmten für das Leben der Kirche betont. In den letzten Jahren war es ja trotz der Konzilsaussagen häufig so, dass da, wo (volks-)kirchliches Leben aus sich heraus zum Erliegen gekommen ist, die Erwartung an die Hauptamtlichen gerichtet wurde, dem, was nicht mehr ist, neues Leben einzuhauchen oder das, was sterben will, wenigstens noch eine Weile am Leben zu erhalten. „Die werden ja schließlich dafür bezahlt“, so die populäre Fassung dieser Mentalität. Und weil sie tatsächlich dafür bezahlt werden und es auch keine andere Vision davon gab, wie Kirche stattdessen „funktionieren“ könnte, haben sich die meisten Hauptamtlichen auch dieser Erwartung gefügt bzw. sie in ihr eigenes Rollenverständnis integriert. Mit der Synode sehen wir klarer, jetzt haben wir die „Vision“, möchte ich mit aller Vorsicht sagen. Somit können und müssen wir die bisherige Praxis so undifferenziert nicht fortsetzen. Künftig soll vielmehr gelten: (Nur) da wo Christinnen und Christen ihren Glauben in bisher vertrauten oder in neuen Formen leben, wird es auch hauptamtliche Unterstützung und Begleitung geben. Parallel dazu sollen die neu zu gründenden missionarischen Teams den unscheinbaren Fährten des Heiligen Geistes an scheinbar verkarsteten Orten folgen und dabei das ein oder andere Pflänzchen neu entdecken, vielleicht weit ab der üblichen Milieus und in ganz anderen als den bisher bekannten Formen.

Von meiner Seite würde ich mir wünschen, dass in der Konturierung der neuen Rollen alles vermieden wird, was in Richtung einer Zentralisierung, auch personell, geht und alles gefördert wird, was den Netzwerkcharakter der Pfarrei der Zukunft, d.h. lokales Engagement und lokale Verantwortung stärkt.

Wenn ich Ihre Frage noch einmal von einer anderen Seite beleuchte, dann komme ich natürlich wieder zu dem Ergebnis, dass dem hauptamtlichen pastoralen Personal und darunter noch einmal den jetzigen Pfarrern eine sehr entscheidende Bedeutung zukommt. Ohne sie oder gar gegen sie wird nicht viel gelingen und viele Menschen in den Gemeinden werden in heillose Graben- und Stellungskämpfe gezwungen. Leider ist auch dies eine der schmerzhaften Erfahrungen der letzten Strukturreform „2020“. Insofern kann das Motto nur lauten und hier wiederhole ich mich: miteinander reden, besonders mit denen, die sich mit der Umsetzung schwertun.

Valentin Dessoy: Wie lange wird das Bistum brauchen, um die durch die Synode in Gang gesetzten Veränderungen spürbar und nachhaltig umzusetzen?

Markus Nicolay: Insgesamt rechne ich damit, dass es hier einen langen Atem, man könnte auch sagen: Geduld braucht. Wenn in 10 Jahren die Mehrheit der haupt- und ehrenamtlich Engagierten versuchen, die synodalen Ideen in ihrem Verantwortungsbereich zur Umsetzung zu bringen, dann würde ich das als Erfolg ansehen.

 


Informationen zur Synode

„heraus gerufen – Schritte in die Zukunft wagen“ 

Abschlussdokument der Synode im Bistum Trier

Bischof Ackermann zum Abschluss der Synode

Zur Umsetzung der Synode

Zeitplan, Arbeitsgruppen, Foren, Ergebnisse

 

  1. Vgl. Ergebnisse der Teilprozessgruppe “Raumgliederung”

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