012023

Foto: Schub@: take a seat, read a book (CC BY-NC-SA 2.0)

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Frank Reintgen

Rezension: John D. Caputo: Die Torheit Gottes

Als mir vor einigen Wochen ein Kollege das Buch „Die Torheit Gottes“ von John D. Caputo mit einer dringenden Leseempfehlung überreichte, ahnte ich noch nicht, welches starkes Stück Fundamentaltheologie er mir da überreichte. Mich erwartete ein ebenso anregendes wie auch anspruchsvolles Lesevergnügen.

John D. Caputo ist emeritierter Professor am Lehrstuhl für Theologie an der Universität von Syracuse (New York) und am Lehrstuhl für Philosophie an der Universität von Villanova (Pennsylvania). Als amerikanischer Philosoph und Theologe hat er sich intensiv mit dem Verhältnis von Christentum und Postmoderne und dabei insbesondere mit der durch Jacques Derrida begründeten Strömung der Dekonstruktion beschäftigt.

Caputos Ideenwelt einer „schwachen“ bzw. „radikalen“ Theologie, die er in seinem Buch „Die Torheit Gottes“ entwirft, ist bisher im deutschsprachigen Raum eher unbekannt. Das verwundert nicht, ist doch „Die Torheit Gottes“ das erste Buch des Autors, das ins Deutsche übersetzt wurde. Dass die deutsche Ausgabe bereits im ersten Erscheinungsjahr eine zweite Auflage bekam, zeigt die große Beachtung und Relevanz, die die Theologie Caputos aktuell erfährt.

Anliegen Caputos ist es, die Idee eines Gottes zu entmystifizieren, der „uns“ beschützt und für uns interveniert, wenn „wir“ nur hartnäckig genug beten und Opfer bringen. Diesem magischen Glauben stellt er seine radikale Theologie entgegen, deren Kernthese lautet: Gott ist schwach. Unter Rückgriff auf das Gottesverständnis von Paul Tillich und Grundgedanken des Philosophen Jaques Derrida wird diese These von Caputo entwickelt und dargelegt.

Theologie beginnt mit Atheismus

Demnach sei Gott kein “Objekt”, das dem “Subjekt Mensch” zugänglich ist, sondern liege als das „Unbedingte“ vor aller Subjekt-Objektiv-Beziehung. Ein als Wesen gedachter Gott sei am Ende „ein selbstkonstruierter Gott, der auf unsere eigenen Bilder, Begriffe, Vorstellung und Argumente zurechtgestutzt ist.“ 1 Zu sagen „Gott existiert“ drücke aus, „dass Gott ein definiertes Wesen ist, ein höchstes, aber eben definiertes und durch dieses Definieren auch endliches Wesen.“ 2 Ein so verstandener Gott als objekthafte Wesenheit, so Caputo, existiere aber nicht. Gott sei kein „Objekt“ für unser Bewusstsein.

Das Unbedingte, so Caputo, lasse sich nicht in ein wie auch immer geartetes Ordnungssystem bringen. Gott ist für Caputo, ganz im negativ-theologischen Sinne, der ganz andere, der sich all unseren menschlichen Kategorien entzieht. Deswegen liegt für Caputo die Zukunft der Theologie darin, „die Vorstellung von Gott als ‚Höchstem Wesen‘ zu überwinden.“ 3 Theologie beginnt für Caputo mit Atheismus, einem Atheismus, der sich gegen ein Gottesverständnis wendet, das Gott als objektiv greifbare Wesenheit versteht.

In diesem Ruf zeige sich das „Unbedingte ohne Souveränität: Es droht nicht, es belohnt nicht.

Caputo verknüpft Paul Tillichs Gottesbegriff des „Unbedingten“ mit Jaques Derridas Idee des „Ereignisses des Rufs“. Damit sind Situationen gemeint, in denen der Mensch in sich einen Ruf verspürt, z.B. gerecht oder barmherzig zu handeln. Dieser Ruf wird als etwas erfahren, das den Menschen “unbedingt angeht”. In diesem Ruf zeige sich das „Unbedingte ohne Souveränität: Es droht nicht, es belohnt nicht.

Zwar habe das “Unbedingte” bzw. “der Ruf an uns” die Macht, uns zu rufen und zu locken, sich an uns zu wenden und könne sogar Anspruch an uns erheben – aber ohne die Macht, etwas durchzusetzen oder gar zu erzwingen. Allein unsere Antwort auf diesen Ruf, sei „die einzige Art, wie das Insistieren des Rufes in der Welt existiert oder Gestalt annimmt. Für die ganze Welt, für alle anderen in der Welt, tanzen wir zu einer Musik, die sie nicht hören, was uns wie Narren aussehen lässt.“4

Gott existiert nicht, Gott insistiert. Gott existiert nicht, er ruft.

Und hier wird Caputos Theologie radikal: „Gott existiert nicht, Gott insistiert. Gott existiert nicht, er ruft. Gottes Torheit besteht darin, dass Existenz nicht etwas ist, an das er sich klammert, vielmehr entleert er sich in die Welt hinein.“5 So verstanden ist Gott in einem radikalen Sinne schwach.

Im letzten Teil des Buches wird sichtbar, welches (Kirchen-)kritische, aber auch befreiende Potenzial im Ansatz einer schwachen, radikalen Theologie steckt. Caputo reflektiert hier über das Reich Gottes, das Caputo als biblische Umschreibung für die „Torheit Gottes“ versteht: „Das Reich Gottes beschreibt, wie die Welt aussähe, wenn das Ereignis, das uns im und unter dem Namen Gottes in Anspruch nimmt, die Herrschaft übernähme. Das Reich ist die Welt, die sich dem Ereignis, dem Ruf des Ereignisses, dem Ereignis des Rufes, der Torheit dessen, wozu aufgerufen wird, aussetzt“6

Das Reich Gottes beschreibt, wie die Welt aussähe, wenn das Ereignis, das uns im und unter dem Namen Gottes in Anspruch nimmt, die Herrschaft übernähme.

Eine der biblischen Schlüsselstellen, auf die sich Caputo bei seinen Ausführungen immer wieder bezieht, ist die folgende Stelle aus dem 1. Korintherbrief:

„Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen.“ (1 Kor 1,23-25)

Für Caputo belegt gerade auch dieser Text, dass im christlichen Verständnis „die Macht, die in der ‚Gottesherrschaft‘ oder dem Reich Gottes regiert, vielmehr die ohnmächtige Macht dessen (ist), was uns unbedingt anruft, ohne Gewalt, in Umkehrung unserer Erwartungen an das, was wir Gott nennen.“7.

In Caputos Verständnis ist der (Heilige) Geist ein weiteres Sprachspiel, für das, was er mit Tillich bzw. Derrida “das Unbedingte”, “das Ereignis, das ruft” bzw “der Ruf des Ereignisses”, nennt:

„Ubi spititus – Wo immer der Geist weht, wo immer das Unbedingte in Bewegung ist, wo immer das Ereignis uns ruft, und das kann wirklich überall, an jedem beliebigen Ort sein, denn der Geist ist das, worin wir leben, und bewegen und sind – ibi ecclesia, da ist die Kirche am Werk, da wirkt das Unbedingte, mit oder ohne Religion.“8

Caputo weist mit seinem Buch „Die Torheit Gottes“ darauf hin, dass es einer Korrektur des Gottesbildes und in der Folge einer Korrektur der üblichen, herrschenden Dogmatik der klerikalen Herrscher bedarf. Seine Theologie stellt für eine kirchliche Organisation, die in ihrer Theologie und ihren Dogmen Gott als höchstes Wesen versteht und diesen Glauben als allgemein verbindlich erklärt, eine massive Anfrage dar. Andererseits wird seine  „schwache“ bzw. „radikale“ Theologie es vielen Menschen ermöglichen, befreit vom Ballast naiver Gottesbilder, einen für heutige Menschen intellektuell redlichen Zugang zu Gott zu bekommen. Seine Gedankenwelt ist auch unter den Vorzeichen der Postmoderne plausibel.

Das ist unsere Verantwortung. Wir müssen Teil der Geschichte Gottes werden

Caputo lädt ein, auf die „Möglichkeit des Unmöglichen“ zu hoffen und zu vertrauen, denn “‘Gott’ ist nicht der Name von ‘Jemandem’, es ist der Name eines Rufs, der uns aufruft zu antworten und uns für die Schwachen und Unterdrückten einzusetzen, einzustehen für Gerechtigkeit. Das ist unsere Verantwortung. Wir müssen Teil der Geschichte Gottes werden, die menschliche Geschichte ist unsere Antwort auf diesen Ruf.“9

In diesem Sinne wünsche ich dem Buch viele Leser:innen, die sich einladen lassen, diesem Ruf zu antworten und Teil der Geschichte mit Gott zu werden.

 

John D. Caputo: Die Torheit Gottes. Eine radikale Theologie des Unbedingen. Mit einer aktuellen Einleitung des Autors und einem Nachwort von Helena Rimmele, Herbert Rochlitz und Michael Schüßler. Aus dem Englischen von Helena Rimmele, Herbert Rochlitz,  Matthias Grünewald-Verlag, Ostfildern 2022.

  1. CAPUTO 2022,33
  2. CAPUTO 2022, 34
  3. CAPUTO 2022, 30
  4. CAPUTO 2022, 115
  5. CAPUTO 2023, 105
  6. CAPUTO 2022, 131
  7. CAPUTO 2022,16
  8. CAPUTO 2022, 19
  9. CAPUTO: Ein schwacher Gott – im Gespräch mit John D. Caputo

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