022019

Foto: Nacho Arteaga/Unsplash

Konzept

Thomas Schüller

Macht und Ohnmacht aus kirchenrechtlicher Sicht – ein Beitrag zur aktuellen Diskussion um Macht und Machtmissbrauch in der katholischen Kirche

Die MHG-Studie weist nachdrücklich aus, dass die männerbündisch-klerikalen Machtzirkel der katholischen Kirche ein entscheidender Faktor für sexuellen Missbrauch und dessen systemische Vertuschung in der Kirche sind. Von daher ist es naheliegend, dass eines der vier Foren auf dem synodalen Weg diesen Sachverhalt aufgreift und nach Wegen der Machteinhegung sucht. Welchen Beitrag kann das Kirchenrecht hierzu leisten oder ist es eher ein Bremsklotz bei notwendigen Reformen, die jetzt anstehen?

Das Kirchenrecht folgt der Lehre der beiden letzten Konzilien und sichert rechtlich die absolutistische Wahlmonarchie des Papstes mit uneingeschränkter Macht, die nicht kontrollierbar ist und der Bischöfe, die, wenn es der Papst anordnet, in ihrem amtlichen Verhalten bei Anzeige von Amtsmissbrauch in rudimentär ausgebildeten Verwaltungsverfahren einer Überprüfung unterzogen werden. Hinzu kommt, dass in c. 274 § 1 CIC festgestellt wird, das allein (lat.: „soli“) Kleriker Ämter erhalten können, zu deren Weihegewalt oder kirchliche Leitungsgewalt erforderlich. Damit wird versucht, allein geweihten Männern in der Kirche Ämter zuzusprechen, mit denen Macht im Sinne von Entscheidungsmacht verbunden ist. So wollte es auch das II. Vatikanum mit seiner Rede von der potestas sacra, der Einheit von Weihe- und Jurisdiktionsgewalt in der einen Hand des Klerikers.

Die letzte Entscheidungsgewalt liegt beim Papst und den Bischöfen und von Gewaltenteilung kann keine Rede sein.

Die Kirchenrechtsgeschichte ist bis zu diesem Zeitpunkt voll von Beispielen, dass auch nichtgeweihte Frauen wie Äbtissinnen und Männer wie weltliche Fürsterzbischöfe, die nur die nichtsakramentale Subdiakonatsweihe empfingen, umfassende Jurisdiktionsgewalt, d.h. Macht ausübten. Und dies ist ein erster Wink, was an Machtausübung durchaus auch heute kirchenrechtlich möglich wäre. Beispiele gefällig? Die letzten drei Päpste haben entschieden, dass in einem kirchlichen Dreiergericht entsprechend fachlich ausgebildete Frauen und Männer, die nicht Kleriker/Innen sind, als Richterinnen und Richter judizieren können. Kirchenrechtlich sind sie damit Träger von Jurisdiktionsgewalt, die ihnen mit dem Amt des Richters/der Richterin übertragen, nicht nur delegiert wird. Zum 1.1.2020 wird im Erzbischöflichen Ordinariat in München ein Laie/eine Laiin mit der Leitung der bischöflichen Behörde mit weitreichenden Befugnissen betraut werden. Diese Beispiele aus der Geschichte und der Gegenwart belegen, dass es durchaus möglich ist, nichtgeweihte Gläubigen mit Leitungsvollmacht, d.h. Macht auszustatten.

Dennoch: die letzte Entscheidungsgewalt liegt beim Papst und den Bischöfen und von Gewaltenteilung kann keine Rede sein. Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung liegen in der Hand des Bischofs. Während er die Gesetzgebung persönlich vornehmen muss, vertritt ihn in der Verwaltung der Generalvikar als sein alter Ego und der Gerichtsvikar (Offizial) in der Rechtsprechung. Durch die Ereignisse in Limburg rund um den Bau des Bischofshauses sind die Bischöfe endlich dazu übergegangen, die unabhängigen Kontrollorgane in der Vermögensverwaltung rechtlich einwandfrei einzusetzen, so dass man im Bereich der Vermögensverwaltung – und wo Geld ist, liegt bekanntlich viel Macht – in Ansätzen davon sprechen kann, dass Machtkontrolle und verbindliche Entscheidung durch unabhängige Gläubige inzwischen erfolgt.1 Die allermeisten diözesanen Vermögensverwaltungsräte sind inzwischen mit sachkundigen und unabhängigen Gläubigen besetzt und kein Domkapitular tummelt sich noch wie es früher die Regel war in diesen Gremien rum. Dafür kommen nun die Domkapitel bewusster und kompetenter ihrer Aufgabe als sog. Konsultorenkollegium nach, das aus mehr pastoraler Perspektive wichtige Finanzentscheidungen einer Diözese prüft und freigibt. Doch damit sind erst bescheidene, erste Ansätze von Machtkontrolle und dies nach einem existenzgefährdenden Skandal im Bereich der kirchlichen Vermögenskontrolle umgesetzt worden.

Es gehört zu den interessanten Zahlen aus dem Pontifikat von Franziskus, dass noch nie so viele amtierende Bischöfe ihren Rücktritt einreichten bzw. ihn erteilt bekamen wie in diesem Pontifikat.

Dies gilt inzwischen auch in Ansätzen für Bischöfe, die in Finanz, Seelsorgs- und vor allem Missbrauchsfällen nicht ihren Amtspflichten nachgekommen sind. Papst Franziskus hat in zwei Gesetzen 2 dafür Sorge getragen, dass sie sich vor den entsprechenden römischen Behörden – in der Regel Klerus- und Bischofskongregation im Verbund mit der Glaubenskongregation und bei Missionsbistümern auch die Propaganda fidei – in einem Verwaltungsverfahren verantworten müssen und in der Regel nach Nachweis ihrer amtlichen Versäumnisse ihren bischöflichen Stuhl freiwillig-unfreiwillig räumen müssen. Es gehört zu den interessanten Zahlen aus dem Pontifikat von Franziskus, dass noch nie so viele amtierende Bischöfe ihren Rücktritt einreichten bzw. ihn erteilt bekamen wie in diesem Pontifikat. Natürlich spielt die Aufdeckung des Vertuschens von sexuellem Missbrauch eine entscheidende Rolle, aber auch gravierende finanzielle Unregelmäßigkeiten lässt der Papst den Bischöfen nicht mehr so einfach durchgehen. Insofern hat der ehemalige Limburger Bischof wie ein Katalysator gewirkt. Doch Papst und Römische Kurie bleiben von derlei Unbill verschont, denn päpstliche Entscheidungen oder Entscheidungen der Kurie, die sich der Papst zu eigen gemacht hat, sind nicht anfechtbar und somit objektiv kontrollierbar. Machtmissbrauch in diesem Kontext ist somit weiterhin Tür und Tor geöffnet.

Mit c. 127 CIC ist es einem Diözesanbischof möglich, sich an die qualifizierte Beratung und Entscheidung eines aus Frauen und Männern bestehenden Gremiums zu binden.

Zu fragen ist, wie dieser klerikalen Machtkonzentration in der katholischen Kirche sinnvoll Planken an die Seite gestellt werden können, die die Gläubigen rechtlich ermächtigen, stärker das amtliche Gebaren klerikaler Entscheidungsträger zu beeinflussen und im Idealfall zu kontrollieren. Verhängnisvoll – das hat die MHG-Studie eindrucksvoll gezeigt – ist dabei die Tatsache, dass sich die geistliche Macht im Kontext von Seelsorge und Verwaltung der Sakramente subtil mit realer Amtsgewalt verbindet und es daher eine hohe, durch Integrität basierte Fähigkeit der Kleriker erfordert, zum Beispiel klar zwischen den beiden Foren (externum und internum) zu unterscheiden. Dabei sollte sich die Kirche von ihrer neurotischen Fixierung auf die Herzen und Betten ihrer Gläubigen endgültig verabschieden. Eine solche Neugier darf keine Rolle mehr im kirchlichen Arbeitsrecht und bei Frauen und Männern spielen, die mit Missio oder Mandat im Namen der der Kirche eine verantwortliche Aufgabe übernehmen. Es stünde den amtierenden Bischöfen gut zu Gesicht, sich für die permanenten Übergriffe in diesen Feldern in den letzten Jahrzehnten in aller Form bei den Betroffenen zu entschuldigen. Dies wäre ein erster Schritt zu Abbau von geistlichem Machtmissbrauch. Und das Kirchenrecht? Gibt es Möglichkeiten, die bisher noch nicht ausgeschöpft wurden? Ja, die gibt es und eine davon ist der c. 127 CIC. Er legt fest, dass ein Oberer zur Vornahme von Amtshandlungen sich entweder an den Rat, aber auch die Zustimmung eines Kollegiums binden kann. Holt er diesen Rat oder sogar die Zustimmung nicht ein, ist seine Entscheidung rechtsunwirksam. Im Bistum Limburg, in dem ich sechszehn Jahre arbeiten durfte, wurde in der Synodalordnung, deren erste Fassung direkt nach dem Konzil 1969 in Kraft trat, der Versuch unternommen, diesen Ansatz partikularrechtlich verbindlich umzusetzen. Die Synodalordnung sieht vor, dass in der Regel einmal im Monat der Bischof mit dem Diözesansynodalrat alle wichtigen, das Bistum betreffenden Angelegenheiten berät. Dieser Rat gibt in Form einer Abstimmung dem Bischof eine Empfehlung. Folgt der Bischof diesem Rat nicht, so ist er verpflichtet, bei der nächsten Sitzung die Gründe zu benennen, aus denen er der Empfehlung nicht gefolgt ist. Der amtierende Bischof Georg Bätzing hat anlässlich der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Synodalordnung angekündigt, zukünftig sich an die Empfehlungen des Rates zu binden – mit Ausnahme von Entscheidungen, wo die Lehre der Kirche oder grundlegende Aspekte der Disziplin gefährdet wären. Eine Hintertür hält er sich also offen. Und dennoch: mit c. 127 CIC ist es einem Diözesanbischof möglich, sich an die qualifizierte Beratung und Entscheidung eines aus Frauen und Männern bestehenden Gremiums zu binden.

Alle Gläubigen sind durch die Taufe in der Kraft des Heiligen Geistes ermächtigt, guten Rat und gute Zustimmung zu geben. Der zuständige Bischof ist Teil der Gläubigen seiner Diözese und hat keinen anderen Zugang zur Wahrheit wie seine Gläubigen.

Alle Gläubigen sind durch die Taufe in der Kraft des Heiligen Geistes ermächtigt, guten Rat und gute Zustimmung zu geben. Der zuständige Bischof ist Teil der Gläubigen seiner Diözese und hat keinen anderen Zugang zur Wahrheit wie seine Gläubigen. Er sorgt dafür, dass der im Rat und in der Zustimmung konkretisierte Glaubenssinn verbindlich wird und verantwortet dessen Einhaltung und Übereinstimmung mit den anderen Teilkirchen und der Gesamtkirche als direkter Nachfolger der Apostel. Diese basalen urkirchlich bis heute überlieferten theologischen Zusammenhänge entmystifizieren die oft zu hörende Rede vom Bischof als alleinigem Entscheider seiner Diözese. Ohne die Korrektur durch die Gläubigen wären wir wahrscheinlich zum Beispiel heute noch Arianer. Damit wird deutlich, dass nur eine synodale Kirche noch eine Zukunft hat. Synodal als Synonym für kirchenrechtlich verbriefte, d.h. rechtlich abgesicherte Beratung und Mitentscheidung in demokratisch konzipierten Prozessen in Form von Abstimmungen, die bindend sind und vom Bischof in Kraft gesetzt werden. Dazu gehört auch die Forderung der in vielen Jahrhunderte der Kirchengeschichte nachweisbaren Form der Wahl der Bischöfe und Pfarrer durch das Volk Gottes. Und man wird fordern dürfen, das zur Wahl auch die Möglichkeit der Abwahl kommen muss und die Wahl auf Zeit, wie es Ende der 60er-Jahre im letzten Jahrhundert Theologen wie Joseph Ratzinger, Hans Küng, Walter Kasper und Karl Rahner gemeinsam für das Bischofsamt gefordert haben. So führt aktuell der amtierende Stadtdekan von Frankfurt Johannes zu Eltz zutreffend aus: „Vor allem Bischofsämter und Pfarrämter. Die Gläubigen müssen sich in einer vernünftigen und repräsentativ geordneten Weise an Wahlen beteiligen können. Das wird das Selbstverständnis der Gewählten beeinflussen. Sie werden dann nicht allein vom Papst ernannt und vielleicht noch von Domkapiteln auf eine etwas murkelige Weise mitbestimmt. Sie werden nicht nur ihrem Gott Rechenschaft schulden, sondern auch den Gläubigen, denen sie dienen wollen.“3

Damit wird deutlich, dass nur eine synodale Kirche noch eine Zukunft hat. Synodal als Synonym für kirchenrechtlich verbriefte, d.h. rechtlich abgesicherte Beratung und Mitentscheidung in demokratisch konzipierten Prozessen in Form von Abstimmungen, die bindend sind und vom Bischof in Kraft gesetzt werden.

Dies als Anbiederung an den Zeitgeist zu geißeln oder gar, was zum Beispiel die Forderung nach Zulassung von Frauen zu Weiheämtern angeht, als eine Form des Missbrauchs wie die Theologin Schlosser zu verunglimpfen 4, grenzt an inakzeptabler Unkenntnis der eigenen Wurzeln in der Lehr- und Kirchengeschichte und ihrer ekklesiologischen Verfasstheit. Kirchenrechtlich ist mehr möglich und war vor allem schon Realität, als die im 19. Jahrhundert als Gegenreaktion auf die sich emanzipierenden Nationalstaaten erfolgte ultramontane Konzeption eines absolutistisch-monarchischen Papstamtes auf dem I. Vatikanum und einer möglicherweise zu stark monepiskopalen Fehldeutung des Amtes des Diözesanbischofs auf dem II. Vatikanum, das nur im Verbund mit dem Gesamtepiskopat und vor allem dem ihm anvertrauten Volk Gottes seine tiefe Sinnerfüllung findet. Ergo: bevor die guten Erfahrungen mit bewährten kirchenrechtlichen Instrumenten wie Synoden und Wahlen wieder Wirklichkeit werden können, braucht es eine lehrrechtliche Abrüstung von scheinbar in Stein gegossenen Dogmen, die ein Bild von Papst und Bischöfen entwerfen und absichern, das sehr jung und sehr zeitbedingt ist. Diesen Mut müssen allerdings genau die am Ende aufbringen, die es betrifft und die damit real Macht abgeben müssten: Papst und Bischöfe.

  1. Vgl. die gerade erschienene, bei mir geschriebene Doktorarbeit von Rainer Autsch, Diözesane Vermögensverwaltung unter Transparenzdruck. Eine kirchenrechtliche Analyse (= BzMK 76), Essen 2019.
  2. Vgl. Franziskus, MP Come una madre amorevole, in: AAS108 (2016) 715-717; ders., MP Vos estis lux mundi, in: Communicationes 51 (2019) 23-33.
  3. Vgl. https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurts-stadtdekan-im-gespraech-ueber-krise-der-kirche-16399989-p2.html; eingesehen am 24.09.2019.
  4. Vgl. https://www.die-tagespost.de/kirche-aktuell/aktuell/Umsetzung-des-Papstbriefs-Wiener-Theologin-skeptisch;art4874,200753; eingesehen am 24.09.2019.

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