022024

Foto: Josh Withers/Unsplash

Konzept

Andree Burke

Kirche als Plattform des Evangeliums

Gedanken zu einer neuen Sozialgestalt der Kirche

Ein Nachmittag in Hamburg-Wilhelmsburg. Kristina und Dirk führen eine Gruppe durchs Quartier.1 In Wilhelmsburg leben überdurchschnittlich viele Kinder. Der Anteil der unter 18jährigen mit Migrationshintergrund beträgt dabei 77,9%.2 31,8% der unter 15jährigen befinden sich in Mindestsicherung.

Die Leute auf der Straße zeigen sich interessiert an uns und begegnen uns freundlich. Wir halten an einem Spielplatz an. Kristina erzählt von ihrem Spieletreff dort, immer mittwochs. Die beiden sind mit einem Bollerwagen verlässlich da, bringen Spielzeug mit. Sie erzählt von Spieleangeboten, die Kinder und ihre Eltern miteinander in Kontakt bringen, von Gelegenheitsbegegnungen und seelsorglichen Kontakten. Später geht’s ins Stadtteilbüro. Hier haben die beiden einen Ort gefunden, an dem sie sowohl sich selbst als auch Angebote für den Stadtteil organisieren können. So etwa den Kidsklub, der zweiwöchig ein Nachmittagsprogramm für Kinder unterbreitet. Wer kommt, der kommt und kann mitmachen. So auch die 15jährige Mahila. Sie habe ihre zwei kleinen Schwestern in den Kidsklub begleitet, bis sie sich dazu entschlossen habe, einen eigenen Teensclub für Mädchen zu gründen, der jetzt regelmäßig am Vorbild des Kidsklubs stattfindet.

Und nein, keine der Geschichten endet damit, dass Menschen in Gottesdienste kommen. Oder Mitglieder der Kirche werden. Oder dass sich die Kirche verändert.

Am Ende des Quartiersrundgangs dann die Frage, ob und inwiefern das jetzt Kirche sei. Und Dirk und Kristina erzählen, was man auch online von ihnen lesen kann: „Wir können noch viele weitere Geschichten erzählen. Und nein, keine der Geschichten endet damit, dass Menschen in Gottesdienste kommen. Oder Mitglieder der Kirche werden. Oder dass sich die Kirche verändert. (…) Aber wir können beschreiben, dass Menschen sich verändern. Sie (…) erleben sich als Teil einer Gemeinschaft, entdecken Ressourcen und erweitern ihre Handlungsoptionen. Wo Menschen sich verbinden, wird eine Kraft freigesetzt, die neue Möglichkeiten schafft.“3 Diese „Kraft“ erklären und deuten sie als Heiligen Geist, dessen Begegnung sie erwarten und auf die sie sich vorbereiten zum Beispiel durch regelmäßige gemeinsame Schriftbetrachtung. Als Motivation ihres Handelns bezeichnen sie: Gott finden, der schon vor ihnen da ist. Und das verlangt ihnen zuallererst einen liebevollen Blick ab auf die Menschen im Quartier.

Wovon Dirk und Kristina erzählen, ist nicht die „nächste Kirche“. Die Kirche ist nicht Gegenstand ihrer Erzählungen, zumindest nicht explizit. Kirche taucht in ihren Erzählungen höchstens da auf, wo es um die Effekte ihrer Bemühungen geht; oder da, wo sie die Ereignisse miteinander feiern, die im Zusammenhang ihrer Bemühungen als erbetenes und erhofftes Wirken Gottes geglaubt werden. Und zwar in etwa so, wie es im Matthäusevangelium verheißen wird: „Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten (griech.: „symphoneo“), werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten.“ (Mt 18,19). Geradezu „symphonisch“ zu erbitten, was (in diesem Fall) das Quartier braucht, ist die zumindest dem Anschein nach recht niedrigschwellige Voraussetzung dafür, dass das Wirken Gottes seine Kraft freisetzt.

Das eigene Kirchesein erweist sich nicht am Vorhandensein von Strukturen, von Gremien oder von Personal, sondern an der Qualität der Ereignisse, die gemeinsam gefeiert werden können.

Dabei steht „die Kirche“ im Hintergrund und diese freisetzenden Ereignisse, die das Evangelium verheißt, stehen im Vordergrund. Das eigene Kirchesein erweist sich nicht am Vorhandensein von Strukturen, von Gremien oder von Personal, sondern an der Qualität der Ereignisse, die gemeinsam gefeiert werden können.

Wer auf diese Weise von Kirche spricht, muss annehmen, dass sie sich an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen Situationen und zu unterschiedlichen Zeiten je verschieden zeigt. Jedenfalls ist so verstanden Kirche kein Konzept und kein System, das in repetitiver Weise „zur Anwendung gebracht“ werden könnte; ihre Sozialformen sind eben keine „Monokulturen“, sondern korrelieren mit den konkreten und flüchtigen Ereignissen, in denen sie sich als sie selbst erweist.4

Eben deshalb braucht es eine Einordnung, wenn, wie in der vorliegenden Ausgabe dieses Magazins, ausgerechnet nach Modellen bzw. Handlungsmodellen gefragt wird, um das Wirken der „nächsten“ Kirche zu begreifen. Denn man könnte fragen: Könnte es nicht gerade zurück in „Monokulturen“ führen, wenn man von „Modellen“ spricht? Sind Modelle nicht darauf hin angelegt, immer wieder in standardisierter Form zur Neu-Anwendung zu kommen? Und damit wäre zunächst einmal abzugrenzen, worauf sich ein Modell überhaupt erstreckt.5

Könnte es nicht gerade zurück in „Monokulturen“ führen, wenn man von „Modellen“ spricht?

Ich möchte deshalb zuerst erklären, was ich im Folgenden mit der Metapher von der Kirche als Plattform meine, um damit eine mögliche Wirklichkeit der „nächsten“ kirchlichen Sozialgestalten zumindest zu umreißen. Modellhaft kann daraufhin verdeutlicht werden, welches organisationale Engagement für diese Sozialgestalten insbesondere mit Blick auf den Einsatz hauptamtlichen Personals notwendig wird. Mir steht dabei eine sehr konkrete Situation in Norddeutschland vor Augen, in die ich selbst als handelnder Akteur hineingestellt bin.6 Ich skizziere im Folgenden essayistisch, was mit der Metapher von der Kirche als Plattform des Evangeliums gemeint ist, wie diese sich vor allem auf die Arbeit hauptamtlichen Personals auswirkt und wozu diese Kirche gesellschaftlich einen Beitrag leistet.

Was mit der Metapher von der Kirche als Plattform des Evangeliums gemeint ist

Gerade hieß es, dass in der Erzählung von Dirk und Kristina Kirche eher da zur Sprache kommt, wo es um Ereignisse geht. Sie wird nicht zuerst als Institution oder organisationale Größe fokussiert. Dieser Ansatz des Verständnisses von Kirche will sich nicht (wie vor allem in den Fresh-X-Ansätzen7 immer wieder betont wird) in Konkurrenz zu den Sozialformen einer Kirche in eher stabilen und vielleicht klassischen Strukturen setzen. Eher hilft er, um neue Ausdrucksformen des Kircheseins überhaupt entdecken zu können, insbesondere da, wo klassische kirchliche Strukturen vielleicht eher befremdlich wirken, weil sie auf heterogene Kulturen und soziale Umfelder treffen, die nicht unbedingt mit kulturell vorgeformten homogenen Konzepten harmonieren – wie etwa in Wilhelmsburg – und vielleicht gerade deshalb überraschende Sympathien gegenüber kirchlichen Anliegen aufzeigen. Zumindest öffnen sich mit diesem Verständnis neue und andere Ansätze zur ekklesiologischen Selbstdeutung.8 Gleichzeitig ist dieses Verständnis von Kirche nicht ganz voraussetzungslos.

Von Ereignissen lohnt es sich erst dann zu sprechen, wenn damit gerade Abweichungen von Ordnungen beschrieben werden

Denn will man auf diese Weise Kirche sein, wird man bereits die Annahme verhindern müssen, dass schon von vorneherein ganz klar ist, wie diese Kirche genau aussehen wird oder welche Ausdrucksformen sie hervorbringen wird. Es ginge nicht wirklich um Ereignisse, wenn „die Kirche“ lediglich Erwartbares hervorbrächte; in gewisser Weise ist sie abhängig von einem kontrollierten Kontrollverlust. Denn von Ereignissen lohnt es sich erst dann zu sprechen, wenn damit gerade Abweichungen von Ordnungen9 beschrieben werden, Unterbrechungen des Ablaufs erwartbarer Vorgänge. Wobei das nicht heißt, dass es nicht eine Vorahnung, ein Warten, Hoffen und Vertrauen auf das Ereignis geben kann. In jedem Fall braucht das aber den freien Zugang aller prinzipiell gleichberechtigen Akteure sowie die Berücksichtigung ihrer Erwartungen und Ängste. Und genau dieser lässt sich durch ein Selbstverständnis als Kirche, verstanden als Plattform des Evangeliums, anbahnen.

Kirche findet da statt, wo der Mensch und das Menschliche thematisiert werden

Entscheidend ist dabei, dass Menschen mit ihren Erwartungen und Ängsten nicht als der Kontext einer anderen Eigentlichkeit (wie etwa eines korrekten Ablaufs oder einer bekannten Form) verstanden werden. Das wäre eine gefährliche Form des Fundamentalismus. Der Mensch und das Menschliche sind der Dreh- und Angelpunkt des Anspruchs der Kirche an sich selbst (vgl. GS 3). Heißt: Kirche findet da statt, wo der Mensch und das Menschliche thematisiert werden. Wer daran teilhaben will, braucht die Bereitschaft aufzumerken. Die Aufmerksamkeit für Menschliches ist in diesem Sinne eine Voraussetzung für ein Verständnis von Kirche als Plattform des Evangeliums. Wo Menschliches wahrgenommen wird, kann sich, wie oben beschrieben, unverdient und geschenkt eine (Geist-)Kraft entfalten, die (vielleicht überraschende) Veränderungen möglich macht.

Die Aufmerksamkeit für Menschliches ist in diesem Sinne eine Voraussetzung für ein Verständnis von Kirche als Plattform des Evangeliums.

Die Kirche, verstanden als Plattform des Evangeliums, ist also unter anderem bedingt durch den freien Zugang prinzipiell gleichberechtigter Akteure und ihrer Bereitschaft aufzumerken. Ganz ähnlich funktionieren Online-Plattformen zur Organisation Sozialer Netzwerke oder auch kollaborative Projekte wie die Wikipedia. Die Online-Plattform wäre jedenfalls die Metapher, von der ich ausgehen möchte, um von zukunftsfähigen Handlungsmodellen von Kirche für unsere Zeit sprechen zu können: Mit dem Plattformbegriff10 lässt sich näherungsweise beschreiben, welche modellhaften Züge eine kirchliche Organisation in Zukunft tragen kann.

Eine Plattform im gerade beschriebenen Sinne legt in erster Linie Kommunikationsregeln fest: Auf welche Weise Zustimmung und Ablehnung mitgeteilt werden kann, wer an einem Kommunikationsvorgang beteiligt wird, wie ein Text formatiert oder wie kurz oder lang er sein darf usw. Wer von der Kirche als Plattform spricht, mag damit insofern zum Ausdruck bringen, dass durch das Sprechen von Kirche neue Voraussetzungen und andere Regeln der Kommunikation im Spiel einer Situation ansichtig werden. Dann ist etwa die Arbeit im Kids Club nicht einfach irgendein Angebot, sondern ein Vorgang, in dem das, was sich für die Beteiligten ereignet (sich als Teil einer Gemeinschaft erleben, Ressourcen entdecken, Handlungsoptionen erweitern können), durch die (nachträgliche) Bewusstmachung seiner Qualitäten als Wirkweisen Gottes erkennbar wird.

Eine Plattform im gerade beschriebenen Sinne legt in erster Linie Kommunikationsregeln fest

Ein Charakteristikum von Plattformen ist ihre Zentrierung auf das kommunikative Handeln von Individuen, das in heterogen-gemeinsamen Räumen kuratiert wird und zu verschiedenen Formen der Kooperation führen kann. Andreas Reckwitz beobachtet in diesem Zusammenhang das Entstehen von Neogemeinschaften, die „sich als Kollektive singularisieren. Es formieren sich Interpretationsgemeinschaften als einzigartige, die mit hoher Wertzuschreibung und intensiver Affektivität verbunden sind und die nebeneinander existieren.“11 Das ist natürlich auch kritisch zu reflektieren, weil diese Interpretationsgemeinschaften auch gefährliche Potenziale aufweisen (so nur bspw. die Verbreitung von Fake-News). Aber es weist doch eine gewisse Nähe zur Schilderung vom Anfang dieses Beitrags auf, in der Dirk und Kristina eine solche Interpretationsgemeinschaft bilden.

Als Plattform trägt Kirche dazu bei, dass sich durch den Glauben motiviertes christliches Handeln realisiert – wo das passiert, ist Kirche

Simon Linder hat es in diesem Sinne auf den Punkt gebracht: „Als Plattform trägt Kirche dazu bei, dass sich durch den Glauben motiviertes christliches Handeln realisiert – wo das passiert, ist Kirche; ob in der Eucharistiefeier, bei der Caritas oder im Jugendtreff.“12 Die Plattform kuratiert diese Situationen als „Kirche“ und ermöglicht es, dass verschiedene „Interpretationsgemeinschaften“ für ein Leben im christlichen Glauben nebeneinander existieren. Linder verbindet dabei den Plattform-Gedanken mit dem Open-Source-Konzept zu einem Ansatz für ein Kirchenbild: „Wer das Open-Source-Evangelium weiterträgt, tut dies auf der gemeinsamen Plattform ‚Kirche‘, die den einzelnen Personen ihre Freiheit lässt, kreativ aktiv zu werden.“13 Damit werden zentrale Ressourcen der Kirche zur Nutzung freigestellt, sodass (neue) Gemeinschaften entstehen können. Bedingung dafür ist allerdings, dass als Kirche nicht ein Versorgungsverhältnis gedacht und verstanden wird, das primär dazu besteht, dass eine Gruppe sich um eine andere kümmert (etwa: die Priester um die Laien oder die Hauptamtlichen um die „Mitglieder“ o. Ä.). Die Metapher von der Kirche als Plattform fußt vielmehr auf den zwei Grundannahmen: „Das Evangelium ist für alle da“ und: „Das Evangelium ist in allen da“.14

Wie sich die Metapher auswirken könnte: ein „3-S-Handlungsmodell“

Die Metapher von der Kirche als Plattform bringt Verantwortlichkeiten neu und anders ins Bewusstsein. Plattformen werden in der Regel moderiert. Unmoderierte Plattformen können sogar gefährlich werden, wie oben schon angedeutet wurde. Im Kern ließen sich für Moderator*innen von Plattformen drei Aufgaben benennen: sichern, supporten und sichtbar machen.

Zu sichern ist, dass Regeln eingehalten werden. Das betrifft persönliche Nähe- und Distanzverhältnisse (und insofern die Prävention etwa sexualisierter Gewalt oder geistlichen Missbrauchs) oder auch die Erfordernisse fairer Kommunikation. Geschützt wird damit der Umstand des freien und prinzipiell gleichberechtigten Zugangs zur Plattform und ihren Ressourcen. Die Exklusion, Diskriminierung oder Infantilisierung von Personen muss verhindert werden, genauso auch die Verbreitung extremistischer oder fundamentalistischer Positionen.

Zu supporten (unterstützen) sind diejenigen, für die es (punktuell) herausfordernd ist, sich auf einer Plattform zu orientieren.

Zu supporten (unterstützen) sind diejenigen, für die es (punktuell) herausfordernd ist, sich auf einer Plattform zu orientieren. Moderator*innen zeigen sich im Support insofern ansprechbar, lösungsorientiert und flexibel gegenüber verschiedenen Formen von Unsicherheiten und Dysfunktionen. Sie helfen im Problemfall bei der Vernetzung mit potenziellen Lösungsangeboten.

Sichtbar zu machen sind vor allem diejenigen, die etwas zu sagen haben, denen aber zu wenig oder keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Auf der Plattform Kirche wäre zunächst einmal jedem zu unterstellen, dass seine oder ihre Stimme relevant ist. Insofern liegt hier der Auftrag „sichtbar machen“ nah an dem, was Kerngedanken einer synodalen Kirche sein könnten.

Neben einer Moderation brauchen Plattformen so etwas wie ein „Backoffice“ mit Ermöglichungsanspruch: Welchen Support brauchen Moderator*innen? Wie werden Moderations-Leitlinien entwickelt? Welche Verwaltungs- und Dokumentationsprozesse müssen zentral gesteuert werden? Wie werden gemeinsame Mittel akquiriert und verteilt?

Wozu das Ganze?

Missverstanden würde die Metapher von der Kirche als Plattform, wenn der Eindruck entstünde, dass beliebig würde, was sich auf dieser abspielt. Es geht darum, dass Ereignisse des Evangeliums kuratiert werden. Solche spielen sich dort ab, wo Menschen zu einem Leben in Fülle kommen.

Damit ist zum ersten klar, dass Kirche insoweit politisch ist, als sie sich für den Menschen und seine unveräußerliche, weil gottgegebene Würde positioniert. Sie leistet einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der Bundesrepublik Deutschland.

Wer sich an der Verwirklichung der Würde des Menschen beteiligen will und dies aus dem Glauben heraus tut, findet auf der Plattform Kirche Kooperationspartner, Unterstützung und Sichtbarkeit für sein Anliegen.

Zum zweiten zeigt sie sich aber auch als Ermöglichungsstruktur nicht nur für kirchlich-christlich sozialisierte Personen, sondern allgemeiner für diejenigen, die den Glauben daran teilen, dass die unveräußerliche Würde des Menschen ein Geschenk des lebensbejahenden Gottes ist. Ermöglicht wird insofern auf der Plattform Kirche nicht einfach die Eingliederung in eine bestimmte Sozialform, sondern die Beteiligung an einem „doing dignity“, als das sich Seelsorge in dieser Kirchengestalt formiert.

Aus Organisationssicht ist Letzteres in gewisser Weise ein konkretes „Nutzenversprechen“: Wer sich an der Verwirklichung der Würde des Menschen beteiligen will und dies aus dem Glauben heraus tut, findet auf der Plattform Kirche Kooperationspartner, Unterstützung und Sichtbarkeit für sein Anliegen.

Zugegeben: Es ist schwierig, globale Auskünfte zur Finanzierbarkeit solcher Ansätze kurzerhand aufzuzeigen bzw. Einschätzungen dazu abzugeben, welche Kosten im Einzelnen entstehen und welche Ressourcen benötigt werden, wenn man eine Ermöglichungsstruktur vorhalten möchte. Aber es ist möglich, Tools zu entwickeln, die die Ressourcenverteilung steuern.

Im Erzbistum Hamburg werden etwa aktuell gute erste Erfahrungen mit einem Innovationsfonds gemacht. Dieser hat ein jährliches Volumen von insgesamt 500.000 Euro, die auf Antrag für innovative pastorale Projekte ausgezahlt werden können. Jede Katholikin und jeder Katholik aus der Diözese ist antragsberechtigt. Entscheidungskriterium für eine demokratisch legitimierte Auswahlkommission sind sieben Marker für Innovation, von denen zwei erfüllt sein müssen, damit ein Projekt einmalig gefördert werden kann. Die sieben Marker folgen einer Grundformel unseres Verständnisses von Innovation im Erzbistum Hamburg: Innovation ist eine bejahte, produktive Unterbrechung unserer Routinen, in der wir Heiligen Geist vermuten. Die mit dem Innovationsfonds beantragbaren Finanzmittel können auch genutzt werden zur Anschubfinanzierung längerfristiger Vorhaben, die sich dann allerdings weitere Finanzierungsquellen suchen müssen. Die guten Erfahrungen zeigen, dass dabei lebendige und lebensfördernde Projekt entstehen können.15

  1. Der im folgenden beschriebene Quartiersrundgang war eine Aktion der „Pastoralkonferenz“ im Erzbistum Hamburg, die regelmäßig inhaltliche Schwerpunktthemen zwischen den pastoral arbeitenden Abteilungen des Erzbischöflichen Generalvikariats, Vertretungen aus Pfarreien und Caritas gemeinsam mit der Bistumsleitung (Erzbischof, Weihbischof, Generalvikar) bearbeitet. Der Quartiersrundgang durch Wilhelmsburg fand Mitte 2024 statt.
  2. Statistische Daten hier und im Folgenden abgerufen auf https://region.statistik-nord.de/. Die Daten beziehen sich jeweils auf den Stichtag 31.12.2022.
  3. https://ueber-setzen.jimdofree.com/2024/01/29/was-bringt-s/.
  4. Zum Bild der kirchlichen Biodiversität in Abgrenzung zu Monokulturen vgl. Müller, Sabrina: Kirchliche Biodiversität online unter https://www.feinschwarz.net/kirchliche-biodiversitaet/.
  5. Im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit pastoralen Erneuerungsprozessen des Bistums Poitiers in den 2000er Jahren wird der Modellbegriff aus ähnlichen Gründen bereits kritisch reflektiert und eingeordnet, vgl. Feiter, Reinhard: Die örtlichen Gemeinden von Poitiers – Reflexionen zu ihrer Reflexion, in: ders.; Müller, Hadwig (Hgg.): Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, Ostfildern 62014, S. 149-168.
  6. Gemeinsam mit Sabine Gautier und Pater Sascha-Philipp Geißler SAC sind wir im Erzbistum Hamburg für die Entwicklung „pastoraler Strategien“ zuständig. Für hilfreiche Hinweise in der Erstellung dieses Artikels danke ich den beiden.
  7. Zum Netzwerk siehe https://freshexpressions.de/, zum Ansatz vgl. etwa Moynagh, Michael: Fresh Expressions of Church. Eine Einführung in Theorie und Praxis, Gießen 2016 [im englischen Original: Moynagh, Michael; Harrold, Philip: Church for every context. An introduction to Theology and Practice, London 2012].
  8. Vgl. etwa Schüßler, Michael: Liquid church als Ereignis-Ekklesiologie. Über Verflüssigungsprozesse in Leben, Lehre und Kirche, in: ZPTh 34 (2 / 2014), S. 25-43. In Folge einer Gegenwartsanalyse konstatiert Schüßler: „Kirche geht nicht mehr ausschließlich als kompakte Gemeinde mit zentralem Sonntagsgottesdienst als Maßstab aller anderen Orte von Kirche. Kirchenbindung läuft nicht mehr primär über die Sichtbarkeit in Gottesdienst und Gemeindeleben. Das Motto kann nicht mehr lauten ‚One size fits all‘, weshalb es viele andere pastorale Sozial- und Ereignisformen geben wird und nicht nur ein vereinskirchliches Christentum. Was nicht mehr geht, das ist die Menschen mit welchen Mitteln auch immer einfach bei der kirchlichen Stange zu halten.“, S. 23. (online unter: https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zpth/article/view/1381/1300)
  9. Vgl. hierzu Feiter, Reinhard: Von anderswoher sprechen und handeln. Überlegungen zum Praxisbegriff Praktischer Theologie, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 21 (1 / 2017), S. 177-185.
  10. Der Plattformbegriff wird im theologischen Diskurs bereits aufgegriffen und reflektiert, vgl. grundsätzlich Linder, Simon Eine streitende Kirche in digitaler Gegenwart. Warum eine Theologie der Digitalität nach Synodalität und Streitkultur verlangt, Onlinepublikation Tübingen 2023 (http://dx.doi.org/10.15496/publikation-82287) insbes. S. 329-331. Aber im Konkreten auch etwa Dessoy, Valentin: Kita – Plattform und Leitstelle für soziale und pastorale Prozesse in einer veränderten Gestalt von Kirche, in: Helmchen-Menne, Heike; Leinhäupl, Andreas (Hgg.): Kita als pastoraler Ort, Ostfildern 2016, S. 215-220.
  11. Reckwitz, Andreas: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 32020, S. 261.
  12. Linder: Eine streitende Kirche in digitaler Gegenwart, S. 330.
  13. Ebd., S. 331.
  14. Vgl. Feiter, Reinhard: Das Evangelium ist für alle da, in: ThG 60 (3 / 2017), S. 162-172.
  15. Vgl. https://erzbistum-hamburg.de/Neues-in-unserer-Kirche-ausprobieren-204.

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