Gemeindeberatung als Beitrag zur strategischen Innovation in der Kirche
Bevor ich mich dem im Titel unterstellten Beitrag der Gemeindeberatung an der strategischen Innovation in der Kirche zuwende, muss zunächst einmal bestimmt werden, was denn unter Innovation und Strategie zu verstehen ist, hierauf folgend ist kritisch zu hinterfragen, ob im so verstandenen Sinne überhaupt eine innovative Strategie in der Kirche erkennbar ist und anschließend ist erst der Beitrag der Gemeindeberatung zu analysieren. Der Artikel plädiert für eine äußerst kritische Bilanz zum strategischen Innovationsmanagement innerhalb der Kirche und unterstellt, dass die Gemeindeberatung ihren Beitrag hierzu bestenfalls noch wird erweisen müssen, ihn womöglich aber gar nicht liefert. Zu guter Letzt werden Bedingungen und Kontexte beschrieben, die es zukünftig wahrscheinlicher machen könnten, von einer tatsächlich stattfindenden innerkirchlichen Innovation zu sprechen.
Was ist Innovation?
Innovation wird nach Wikipedia „ unspezifisch im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Im engeren Sinne resultieren Innovationen erst dann aus Ideen, wenn diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich erfolgreiche Anwendung finden und den Markt durchdringen.“1
Ähnlich definiert Gablers Wirtschaftslexikon den Begriff Innovation: „Gemeinsam sind allen Definitionsversuchen die Merkmale:
(1) Neuheit oder (Er-)Neuerung eines Objekts oder einer sozialen Handlungsweise, mind. für das betrachtete System und
(2) Veränderung bzw. Wechsel durch die Innovation in und durch die Unternehmung, d.h. Innovation muss entdeckt/erfunden, eingeführt, genutzt, angewandt und institutionalisiert werden.2
Innovation lässt sich somit als ein dreischrittiges Geschehen definieren.
- Innovation beginnt mit der Entwicklung neuer Dienstleistungen oder Produkte.
- Es folgt die erfolgreiche Implementierung dieser neuen Angebote, die wiederum auf neuen Verhaltensweisen beruht.3
- Von wirklicher Innovation kann dann gesprochen werden, wenn die Durchdringung des Marktes gelingt, d.h. wenn sich diese neuen Angebote und Dienstleistungen dauerhaft am Markt durchsetzen bzw. diese institutionell abgesichert sind.
Überträgt man diesen Dreischritt auf die katholische Kirche, so kann zu Recht von neuen pastoralen Aufbrüchen gesprochen werden: Jugend- und Hauskirchenmodelle, City-Pastoral, Internetseelsorge etc. sind Beispiele für die innovative Kraft innerhalb der katholischen Kirche. Sie entwickeln Ihren Charme, ihre Strahlkraft und Ihre Vision vorrangig durch federführende hauptberufliche und ehrenamtliche Akteure. Entweder deren Nähe zu jungen Sozialmilieus oder ihre Fähigkeit, in diese hinein anschlussfähig zu sein, eröffnet neue Zugänge zu Menschen, die bisher nicht zum Inner-Circle von Kirche gehören bzw. nur anlass- oder projektbezogen Kontakt zur Kirche suchen.
Das vorherrschende Reaktionsschema der verfassten Kirche auf die aktuelle Glaubens- und Traditionskrise der Kirche folgt einer anderen Logik als diese neuen pastoralen Wege. Sie folgt der Logik und dem Muster einer Lösung erster Ordnung: „Mehr von demselben!“ Angesichts eines weiteren Rückgangs der Priesterzahlen und der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel wird versucht, dass bisherige Prinzip pastoraler Versorgung (flächendeckende territoriale Präsenz) aufrecht zu erhalten. Die einzig denkbare Realisierung scheint in der Vergrößerung der pastoralen Räume/Pfarreien zu liegen.
Dies erhöht zwangsläufig den Druck auf neue pastorale Modelle, da diese die flächendeckende Versorgung und Finanzierung zusätzlich gefährden. Seitens der Kirchenleitungen wird der Sinn und Nutzen dieser Projekte somit regelmäßig infrage gestellt; ihre Finanzierung steht immer wieder zur Disposition. Im Rahmen knapper werdender personeller und finanzieller Ressourcen werden sie leichtfertig auch aufgrund kirchenpolitischer Erwägungen, ob man sich denn angesichts aller drängenden Fragen solch einen Luxus noch leisten kann, immer wieder kritisch hinterfragt.
Die Tatsache, diese Neuaufbrüche als Luxusproblem einer verunsicherten Kirche anzusehen, ist Ausdruck eines fundamentalen Missverständnisses von Innovationsnotwendigkeit der katholischen Kirche und Beleg für die mangelnde institutionelle Absicherung neuer pastoraler Ansätze. Es sei die Anmerkung erlaubt, ob denn eigentlich mit vergleichbarer Intensität und Grundsätzlichkeit eine kritische Analyse der eher traditionellen kirchlichen Angebote und Dienstleistungen stattfindet. Auch hier ließe sich aufgrund derselben Kriterien manch Kosten-Nutzen-Analyse erstellen, die zum sofortigen Abbruch einiger Angebote führen müsste.
Kritisch angefragt werden muss allerdings auch, ob es denn tatsächlich im Sinne der Definition zu einer Marktdurchdringung in einzelnen pastoralen Feldern gekommen ist, die eine dauerhafte innovative Pastoral gewährleisten kann. Definiert man Marktdurchdringung als ein jederzeit und an jedem Ort verfügbares Angebot, so kann bei vereinzelten Jugendkirchen oder citypastoralen Angeboten hiervon wohl nicht die Rede sein. Angesichts der beschriebenen kritischen Bestandsaufnahme dieser neuen pastoralen Modelle ist es zumindest offen, ob sich diese dauerhaft etablieren werden.
Was ist Strategie?
„Strategie wird definiert als die grundsätzliche, langfristige Verhaltensweise (Maßnahmenkombination) der Unternehmung und relevanter Teilbereiche gegenüber ihrer Umwelt zur Verwirklichung der langfristigen Ziele.“4
Wesensmerkmale einer Strategie sind folglich:
- Langfristigkeit
- Grundsätzlichkeit
- Umweltrelevanz
- Verwirklichung langfristiger Ziele
Der kritisch hinterfragten Planbarkeit von Entwicklungen wird in der Theorie strategischer Planung heute dahingehend begegnet, dass nicht mehr von einer komplexen langfristigen Maßnahmenplanung innerhalb der strategischen Entwicklung eines Unternehmens oder einer sozialen Organisation ausgegangen wird. Der kanadische Prof. für Betriebswirtschaftslehre und Management, Henry Mintzberg beschreibt Strategie wiederholt als „ein Muster in einem Strom von Entscheidungen.“ Zumindest dieses Muster muss erkennbar bleiben, da es Auskunft über die Prämissen, die grundsätzlichen Entscheidungen und langfristigen Ziele einer Organisation gibt.
Wie verhält es sich auf dem Hintergrund dieser Definition mit der strategischen Ausrichtung diözesaner Veränderungsprozesse?
In der Tat lässt sich konstatieren, dass in deutschen Diözesen verstärkt strategisch gedacht und gehandelt wird. Umstrukturierungen und Pastoralkonzepte orientieren sich zusehends an zu erwartenden Entwicklungen bezogen auf das Jahr 2020. Hierbei gelten vor allem die Entwicklungen der Finanzen, des hauptberuflichen Personals wie auch die prognostizierte Entwicklung der Gläubigenbindung als wesentliche Indikatoren.
Diese zunehmende strategische Kompetenz ist allerdings äußerst schmerzhaften und im Nachhinein teilweise als unnötig erscheinenden Lernerfahrungen geschuldet (soweit man bei Lernerfahrungen überhaupt von unnütz sprechen darf). In den pastoralen Entwicklungsprozessen deutscher Diözesen kann das erste Jahrzehnt des dritten Jahrtausends als verlorene Dekade bezeichnet werden. In diesen zehn Jahren ist es vielerorts versäumt worden, sich grundsätzlichen Fragen nach der Zukunft der Kirche und der ihres hauptberuflichen, vor allem priesterlichen Personals zu stellen. Stattdessen wurden oftmals halbherzige und nur äußerst kurzfristig wirkende Maßnahmen ergriffen, deren vorrangige Funktion darin bestand, die größten Löcher zu stopfen und zeitnah Handlungsspielräume zu schaffen. Dies führt mancherorts dazu, dass Kirchengemeinden in den vergangenen zehn Jahren mehrfach von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen waren, die teilweise zwischenzeitlich wieder zurückgenommen, durch Neue ersetzt und erneut zeitnah grundsätzlich in Frage gestellt worden sind.
Das in den Diözesanstrategien erkennbare Muster ist bereits benannt worden: Die weiterhin flächendeckende Versorgung bei Aufrechterhaltung des pfarrlichen Territorialprinzips unter gleichzeitiger Beibehaltung einer bestimmten Sozialgestalt von Kirche als Gemeinschaft von Gemeinden. Deutlich kritischer lässt sich die Frage nach der Umweltrelevanz und den zugrunde liegenden Zielen bezogen auf aktuelle diözesane Entwicklungen beantworten. Im Kontext Umweltrelevanz liegt meiner Ansicht nach ein fundamentales Missverständnis vor. Die Reaktion diözesaner Verantwortlicher auf den Priesterrückgang, den zumindest perspektivischen Rückgang der Finanzen und die zurückgehende Bindungskraft der Gläubigen wird bereits als Umweltrelevanz interpretiert. Es gilt klar hervorzuheben, dass es sich hierbei zunächst einmal ausschließlich um eine binnenkirchliche Perspektive handelt.
Um Umweltrelevanz herzustellen wäre es notwendig, auch das „Warum“ zu verstehen. Dies hieße, die Welt so zu sehen, wie sie ist, sich von ihr inspirieren zu lassen, ihre Themen, Anliegen, Ideen, Freiheitsmomente und Freiheitsbedrohungen wahrzunehmen und erst einmal nur zu schauen. Hier wären keine vorschnellen Erklärungen, Deutungen und Handlungsschritte gefragt, sondern der Mut, nüchtern und mit Realitätssinn auf die Welt da draußen zu schauen, zu schauen, zu schauen und sie zu lieben als Gottes gute Schöpfung!
Hier ist jeglicher Kulturpessimismus fehl am Platze. Auch heute sorgen sich Menschen um ein gerechtes, gesundes Leben, sie fragen nach dem Sinn all dessen, was ihnen widerfährt und sie haben eine Ahnung des Göttlichen in Hoch- und Tiefpunkten ihre Lebens ebenso wie sie uns glaubhaft versichern, dass sie auch ohne Glauben und Kirche glückliche und zufriedene Menschen sind. Dies gilt es kennen zu lernen und zu verstehen. Umweltrelevanz muss immer wieder neu hergestellt werden: Zeitgenosse wird man nicht durch Geburt, sondern durch Erfahrung!
Diözesanen Entwicklungsprozessen zugrunde liegende Ziele sind bestenfalls implizit vorhanden. Diözesanplanungen sollen dazu dienen, Kirche auf Dauer zukunftsfähig zu halten, sowohl strukturell und, wie ihre Akteure sicherlich hinzufügen werden, auch konzeptionell-inhaltlich. Misst man die Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung von Zielen an den Grundsätzen moderner Zielerarbeitung (Ziele müssen spezifisch, messbar, attraktiv, realisierbar und terminiert sein) so lassen sich in diesem Sinne wohl nur äußerst selten strategische Ziele in Diözesanplanungen erkennen. Strategische Ziele würden eine Perspektive von ca. fünf Jahren einzunehmen versuchen und im genannten Sinne sehr konkret sein.
Strategische Innovation in der Kirche – eine erste Bilanz
Um eine erste Bilanz ziehen zu können muss die Frage beantwortet werden, ob es einen mit strategischen Zielen versehenen Plan gibt, Innovation innerhalb der katholischen Kirche systematisch zu fördern, für deren Implementierung zu sorgen und sie institutionell abzusichern.
All dies findet erkennbar derzeit nicht statt; im Gegenteil. Der beschriebene Druck, die vorhandenen Ressourcen möglichst flächendeckend zu verteilen führt dazu, dass Innovation weiter erschwert wird, finanziell und personell ausblutet bzw. als Spielwiese für einige Exoten geduldet wird. (Wer sind hier eigentlich die Exoten? Diejenigen, die mutig neue Schritte gehen oder diejenigen, die sich immer mehr vom Alltagsleben der Menschen und ihren Themen entfernen?) Gleichzeitig bremst die vorherrschende Strategie, eine zu kleine Bettdecke für zu viele Personen nutzen zu wollen, auch die letzten Innovationspotentiale aus.
Wenn Decken knapp werden, werden Deckenbeauftragte ernannt, Verteilzentren eingerichtet, Deckenregistrierungen eingeführt und der freie Handel mit Decken verboten. Zusatzdecken sind vielleicht vorhanden, werden aber für vermeintlich schlechtere Zeiten an geheimen Orten aufbewahrt.
Was bleibt ist neu stricken zu lernen! Selbstgemachte Decken haben ihren eigenen Charme und machen unabhängig vom Verteilzentrum.
Gemeindeberatung und ihr Beitrag zur strategischen Innovation
Ihrem Selbstverständnis nach versteht sich Gemeindeberatung als kirchliche Organisationsberatung, d.h. es geht ihr nicht um vordergründige Lösungen, die allein der Beruhigung und Aufrechterhaltung der alten Ordnung dienen, sondern Ziel ist es, tatsächlich unter veränderten Rahmenbedingungen neu lernen zu lernen und somit auch neu Kirche zu sein. Sie sieht ihre Aufgabe darin, Menschen und Organisationseinheiten (Pfarreien, Seelsorgeteams, kirchliche Gruppen und Einrichtungen) zu befähigen, für sich bewusste und verantwortbare Entscheidungen treffen zu können. Dies gelingt auf der Basis einer nüchternen und ehrlichen Analyse der Ausgangssituation, der Vergewisserung eigener Stärken und Schwächen, der Entwicklung einer neuen tragfähigen Vision, deren Realisierung sich an der Gegenwartsanalyse orientieren muss und der Definition konkreter Ziele und Maßnahmen, die kontinuierlich zu überprüfen sind.
Gemäß den Erkenntnissen der Systemtheorie vertraut sie darauf, dass die Lösung des Problems und die Fähigkeiten, sich den Herausforderungen zu stellen bereits im System selbst vorhanden sind. Ihr Beitrag liegt dann darin, Menschen genau hierzu zu führen: dies sehen und nutzen zu können. Sie verfügt über systemisches, theologisches und methodisches Wissen, damit ihr Gegenüber (in der Gemeindeberatung ist der Begriff des/der Kunden nicht so fremd wie an vielen anderen Orten in der Kirche) aus sich selbst heraus das Beste entdecken und für die Gemeinschaft nutzen kann. Dies beinhaltet ausdrücklich auch den Glauben und das Vertrauen, dass Gott im Sinne der paulinischen Charismentheologie seine Gaben großzügig zum Nutzen aller ausschüttet. Soweit zum Selbstverständnis der Gemeindeberatung.
Ihr tatsächlicher Auftrag, so sie denn auch weiterhin ein freiwilliges, vom Kunden angefragtes Unterstützungsangebot ist, besteht darin, schwerpunktmäßig Kirchengemeinden darin zu begleiten, sich in Zeiten großer Veränderungen (Strukturreformen auf der einen, inhaltliche Neupositionierung auf der anderen Seite) auf diese veränderten Rahmenbedingungen einzustellen und hieraufhin sowohl ihre Strukturen wie auch ihre Inhalte anzupassen. Partner sind hierbei üblicherweise die Seelsorgeteams und die gewählten Gremien einer Pfarrei (vorrangig der Pfarrgemeinderat).
Gemeindeberatung versucht stets, die langfristigen und eher grundsätzlichen Fragestellungen und Herausforderungen in den Fokus zu stellen und hierfür zu sensibilisieren. Pfarreien haben häufig den Wunsch, nach erfolgter Zusammenführung oder dem Erarbeiten eines Pastoralplans möglichst schnell zum Status Quo zurückzukehren, sozusagen wieder in den sicheren Hafen zu segeln. Am Ende eines Gemeindeberatungsprozesses und mit einem gewissen zeitlichen Abstand danach wird dieser in der Regel evaluiert. Bezogen auf die Frage nach dem Beitrag der Gemeindeberatung wird nicht selten vom Kunden zurückgemeldet, dass ohne die Gemeindeberatung z.B. ein Konflikt nicht bearbeitet worden wäre, die Grundsatzfrage nicht im Blick behalten worden wäre, das methodische Handwerkszeug nicht zur Verfügung gestanden hätte etc.. Gerade der Vorteil einer Begleitung von außen, die Handlungsroutinen infrage stellen kann und Musterunterbrechungen ermöglicht, wird als Gewinn kommuniziert.
Darf man diese positiven Effekte als Indizien für einen eigenständigen Beitrag der Gemeindeberatung an einer strategischen Innovation deuten?
Tatsächliche Innovation, d.h. aus der Zusammenarbeit zwischen Gemeindeberatung und Kundensystem entstehen neue Strukturen und neue Inhalte, die sonst nicht entstanden wären, gelingt nur äußerst selten. Das hat sicher vielfältige Gründe. Die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Gremienvertretern und Hauptberuflichen SeelsorgerInnen bedeutet in der Regel, dass es sich um Personengruppen handelt, die sich eher schwer mit Veränderungen und dem ständigen Anpassungsdruck tun. Gerade diese Protagonisten wünschen sich oftmals den Erhalt der guten, alten Zeiten, die wärmende Nähe der Pfarrfamilie und die Aufrechterhaltung dessen, was ihnen selbst wichtig ist.
Es gibt wenige Visionsträger, deren Vision und eigene Autorität so groß ist, dass diese Vision auch in schwierigen Zeiten glaubwürdig und tragfähig erscheint. Gemeindeberater sind nicht per se größere Hoffnungsträger, bessere Visionäre und innovativere Pastoraltheologen. Sie sind ebenfalls gefangen in ihren Mustern, in ihren Bildern der Zukunft der Pfarrei und in ihren Zukunftsängsten. Kritisch bleibt anzufragen, ob nicht Gemeindeberatung im Wesentlichen systemstabilisierende Effekte zeitigt und insofern nicht sogar Innovation verhindert, führt sie doch häufig zu einer Re-Vitalisierung von Gemeinde, ohne die Grundsatzfrage zu beantworten, wie denn eine tragfähige neue Sozialgestalt von Kirche aussehen könnte. Wenn der tatsächliche Effekt der Zusammenarbeit mit der Gemeindeberatung darin besteht, dass bis auf wenige Veränderungen im Wesentlichen alles so weitergeht wie bisher und selbst hierin der spezifische Beitrag der Gemeindeberatung nicht konkret definierbar ist, so ist der Vorwurf der Systemstabilisierung zumindest nicht vorschnell von der Hand zu weisen.
Was es braucht – Innovation konsequent fördern
1) Innovationskeimlinge pflanzen reicht nicht
Eine gute Idee zu entwickeln und umzusetzen gelingt relativ leicht und wird vielerorts umgesetzt (eine neue Firmvorbereitung, attraktive Jugendgottesdienste, neue Wallfahrtsformen, neue Angebote der Glaubensvermittlung für Erwachsene etc.). Innovation verstanden als erfolgreiche Implementierung am Markt bedeutet sehr viel mehr:
- die konsequente Umsetzung auch gegen Widerstände
- die Bereitstellung von finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen und deren Reduzierung oder Aufgabe an anderer Stelle
- die Bereitschaft, sich gegen den innerkirchlichen Mainstream zu stellen und um der Sache willen für die neue Idee einzutreten
- die regelmäßige Verteidigung des Neuen, auch wenn nicht immer alles auf Anhieb gelingt
- den langen Atem
- eine neue fehlerfreundliche Kultur innerhalb der Kirche
- die Bereitschaft, sich auf Trial and Error einstellen zu können
2) Innovation institutionell verankern
Ohne eine konsequente, dauerhafte und personell sowie strukturell abgesicherte Innovationskultur werden neue Aufbrüche immer in Erklärungsnot und unter Rechtfertigungsdruck geraten. Es braucht in allen pastoralen Handlungsfeldern (z.B. Jugend- und Schulseelsorge, Katechese) Finanzmittel für innovative Projekte sowie personelle Ressourcen zu deren Unterstützung. Da diese Ressourcen immer in Konkurrenz zu anderen Angeboten und Veranstaltungen stehen werden, müssen diese Mittel konsequent durch Leitungsverantwortliche eingefordert und gegen Widerstände verteidigt werden.
3) Innovation braucht Vernetzung
Um die innovativen Kräfte innerhalb eines pastoralen Feldes oder eines Bistums zu stärken braucht es regelmäßige Vernetzungen der unterschiedlichen Akteure. Dies wird eine der zentralen Aufgaben diözesaner Mitarbeiter sein. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass innovative Projekte über gemeinsam nutzbare Ressourcen (Material, virtuelle wie auch reale Austauschforen) vernetzt werden und deren Verantwortliche regelmäßig zu Fortbildungs- und Innovations-Thinktanks eingeladen werden.
4) Innovation braucht innovative Leitungsstrukturen
Damit die institutionelle Verankerung von Innovation gelingt braucht es eine quer zur Hierarchie und zur bestehenden Organisationsstruktur liegende Innovationszentrale. Diese kann am ehesten als Stabstelle eines Generalvikars angesiedelt sein. Diese Position sichert ihr den verbindlichen Status innerhalb eines Bistums und demonstriert zugleich den großen Stellenwert, den ein Bistum einer innovativen Pastoral einräumt.
5) Innovation wird nur als strategische Innovation überleben
Eine gute Idee ist zunächst einmal nur eine gute Idee. Gute Ideen müssen argumentativ, aber auch reell grundsätzliche Fragestellungen und längerfristige Ziele verfolgen, um dauerhaft tragfähig zu sein. Dies gelingt nur, wenn für das jeweilige pastorale Feld diese strategische Ausrichtung definiert und mit klaren Zieldefinitionen versehen ist.
6) Gemeindeberatung wird zur Innovations-Begleitung
Gemeindeberatung kann ein wichtiges Instrument werden, Innovation zu fördern, zu begleiten und zu unterstützen. Hierzu bedarf es einer konsequenten Ausrichtung auf den Veränderungswillen und die Veränderungsbereitschaft des Kunden. Es muss seitens des Kunden glaubhaft nachgewiesen werden,
- dass es bereits eine innovative pastorale Idee gibt
- dass diese systematisch und strukturiert bearbeitet werden soll
- dass es den erklärten Willen gibt, diese gute Idee dauerhaft zu etablieren (auch wenn dies bedeuten kann, sie im Laufe des Prozesses weiter zu entwickeln, neu zu konzipieren etc.)
Gemeindeberatung erweckt den Eindruck, als habe sie bereits das geeignete Instrumentarium, um innovativ zu arbeiten bzw. Innovation konsequent fördern zu können. Dem ist nicht so! Was es seitens der Gemeindeberatung braucht ist
- eine stärkere Selbstreflektion ihres eigenen Handelns
- die Aneignung neuer fachlicher konzeptioneller und methodischer Erkenntnisse zu Innovation und Innovationsmanagement
7) Gemeindeberatung wird zur Bestenförderung
Es braucht innerhalb der Gemeindeberatung ein klares Bekenntnis zu Qualität und Bestenförderung. Dies bedeutet eine deutlichere Unterscheidung der eingehenden Beratungsanfragen nach ihrem innovativen Potential vorzunehmen und solche vorrangig zu bedienen, die ein tatsächliches Veränderungspotential erkennen lassen. Hierzu ist entsprechendes Material zur Selbstevaluation von Kirchengemeinden, Gruppierungen und Seelsorgeteams auszuarbeiten. Fragebögen der Gemeindeberatung zum Veränderungspotential des Kunden sind zu entwickeln.
Diese Grundentscheidung zur Bestenförderung setzt ein grundsätzliches Einverständnis der Bistumsleitung mit diesem Vorgehen zwingend voraus.
8) Den Innovationsbeitrag der Gemeindeberatung evaluieren
Es braucht eine wissenschaftlich fundierte, systematische Beantwortung der Frage, worin der tatsächliche Veränderungsimpuls der Gemeindeberatung in ihrer Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden besteht. Hierzu müssen unabhängige Experten der QM-Wissenschaft und/oder der Religionssoziologen zurate gezogen werden. Quantitative sowie qualitative Interviews mit Gemeindeberatern, den unmittelbaren Kooperationspartnern der Gemeindeberatung sowie Betroffenen vor Ort wären ein erster wichtiger Schritt.
9) Innovation pastoraltheologisch deuten
Innovation in Kirche ist nicht Selbstzweck. Ziel ist es immer, Kirche auf Zukunft hin handlungsfähig zu halten und ihren Missionsauftrag immer wieder neu zu vergegenwärtigen. Hierbei gilt es, das Motiv der Kirche als „ecclesia semper reformanda“ pastoraltheologisch auszudeuten und gleichzeitig darauf zu vertrauen, dass der Herr selbst innovativ in unserer Zeit wirkt: „Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“(Jes 43,19). Die Pastoraltheologie muss zu Beidem: Innovation und Veränderungsbedürftigkeit und –fähigkeit der Kirche sowie pastoraler Qualität ihren Beitrag erst noch leisten.
10) Pastorale Innovation deutschlandweit fördern
Notwendig zur Stärkung innovativer pastoraler Entwicklungen ist die Schaffung eines deutschlandweit tätigen pastoralen Instituts. Dieses erhält den Auftrag, pastorale Innovation und Qualität pastoraltheologisch wie auch konkret zu fördern, zu unterstützen und selbst innovativ tätig zu werden.
Jährliche Innovations-Conventions, die Verleihung eines jährlichen Innovationspreises, thematisch ausgerichtete Thinktanks sowie wissenschaftliche Arbeiten zu Innovation und Qualität in der Pastoral wären Erfolg versprechende Ansätze.
Fazit
Die Beschreibung der genannten Optionen macht eines deutlich: Es braucht ein klares Bekenntnis seitens der verfassten Kirche zu Innovation, Strategie und Qualität. Bleibt dies aus, und derzeit ist leider nicht absehbar, dass es entsprechende Impulse gibt, so werden sich innovative Impulse und Ideen einzelner leider nicht adäquat durchsetzen.
“Think Big” wäre die angemessene Devise; stattdessen regiert eine gewisse Konzeptionslosigkeit. Was bleibt den pastoralen und pädagogischen Akteuren vor Ort: “Just do it!” Sich vernetzen! Und darauf vertrauen, dass sich Qualität durchsetzt!