Issues Management: Das kommunikative Frühwarnsystem
Was ist ein Issue?
„Issues sind Themen öffentlichen Interesses mit hohem Konfliktpotenzial, die durchaus gegensätzliche Standpunkte zulassen.“ (Mast, Unternehmenskommunikation, S. 106)
Was ist Issues Management?
Ursprünglich war Issues Management eine Art Frühwarnsystem, das alle für ein Unternehmen oder eine Organisation kritischen Themen im Sinne einer proaktiven Krisen-Kommunikation identifiziert, bevor diese zum Gegenstand eines öffentlichen Diskurses werden. Durch diesen zeitlichen Vorsprung kann man die Thematisierung aktiv steuern und in den Diskurs eingreifen. „Issues Management ist ein Informationssystem, das Risiken bzw. Konflikte rechtzeitig erkennt, analysiert, bewertet und Handlungsoptionen aufzeigt. Issues werden so zu berechenbaren Faktoren für Unternehmen, die proaktiv und reaktiv gemanaged werden“ (Mast, Unternehmenskommunikation, S. 107) Inzwischen gilt Issues Management auch als Chance, öffentliche Diskurse zur positiven Positionierung der eigenen Organisation zu nutzen. So können Botschaften verstärkt, Profile geschärft werden
Beispiel:
Im Bundestag stehen politische Entscheidungen an, die noch in internen Kreisen und Arbeitsgruppen diskutiert werden. Zum Zeitpunkt einer Aussprache im Bundestag wird das Thema öffentlich und mit großer Wahrscheinlichkeit zum Gegenstand der Berichterstattung und des öffentlichen Diskurses. Wenn die eigene Organisation zu diesem Thema einen Bezug, Kompetenz oder eine Betroffenheit besitzt, kann sie sich frühzeitig auf diesen Zeitpunkt vorbereiten, z.B. indem sie frühzeitig Statements sammelt, publikumswirksame Multiplikatoren identifiziert, zeitnah Pressekonferenzen organisiert oder Pressemeldung als Statements verschickt. Da öffentliche Diskurse nur eine zeitlich beschränkte Medienpräsenz finden, in ihrer Wirkung aber langfristig nachhallen, ist es wichtig, sich frühzeitig mit seinen Positionen dort einzubringen – und damit aktiver und kompetenter Partner im Diskurs zu sein.
Wie identifizieren Profis Issues?
Für das Issues Management gibt es keine einheitliche Handhabung in der Praxis. Dazu sind die Aufgabenstellungen und die Stakeholder-Interessen zu unterschiedlich. Wichtig ist ein gutes Scanning bzw. Monitoring. Die Parameter dafür können sehr unterschiedlich sein und richten sich an dem konkreten Umfeld aus. Am häufigsten werden folgende Methoden genutzt:
Methoden der Beobachtung:
- Medienbeobachtung
- Beobachtung von Websites der Bezugsgruppen, Chats und Blogs
- Beobachtung der Krisen vergleichbarer Organisationen
- Identifizierung von Krisenindikatoren
- Meinungsforschung
- Ergebnisse aktueller Forschungen etc.
Methoden der persönlichen Informationsgewinnung:
- Expertenkontakte
- Kontakte zu Meinungsbildnern
- Besuch relevanter Veranstaltungen
- Kontakt zu Trendscouts etc.
Beispiel:
Eine Organisation erhält über Expertenkontakte Hinweise auf die Relevanz eines Themas bevor dieses Gegenstand des öffentlichen Diskurses wird: Über die Medienbeobachtung sind der Verlauf früherer Krisen/Diskurse zu verfolgen und ggf. Verlaufsmuster zu erkennen, in Chats und Foren kann man überprüfen, in wie weit das Thema den inneren Zirkel bereits erreicht hat, und aktuelle (Meinungs-) Forschung gibt ggf. Hinweise auf die öffentlich Akzeptanz des Themas. Bei einem konsequenten Scanning kommen meist die relevanten Hinweise aus unterschiedlichen Medthodenfeldern gleichzeitig oder zeitnah.
Wie bewertet man Issues und wie geht man mit ihnen um?
Hat man Issues identifiziert, die einen Bezug zur eigenen Organisation haben könnten, werden diese als potenzielle Krisenindikatoren bewertet. Kriterien können sein:
- Plausibilität der Vorwürfe
- Attraktivität für Rezipienten (Klischees)
- Attraktivität für Medien (Rezipientenerwartungen)
- Anschlussfähigkeit
- Dominanz und Einfluss der Protestgruppe
- Isolation der eigenen Organisation
- Verlauf der Entwicklung
- Zurechenbare, einfache Lösungsmöglichkeiten
(vgl. Schulz in Röttger, Issues Management, S 224)
Beispiel:
Die Medien widmen sich einem vermeintlichen Skandal-Thema, von dem die eigene Organisation nicht direkt betroffen ist. Branchenzugehörigkeit, Produktnähe, gleiche Zielgruppen können aber dazu führen, dass die eigene Organisation im weiteren Verlauf in eine solche Krise involviert wird. Dabei ist es wichtig, zu wissen, wie Medien funktionieren. Bei einer verkürzten, vereinfachten Darstellung geht es nicht um die Richtigkeit und den Wahrheitsgehalt von Vorwürfen, sondern um deren Plausibilität (z.B. Verbindung zu früheren Krisen), wie weit werden Klischees bedient oder Medienerwartungen bedient (Exklusivität, Skandalgehalt, Lesererwartungen etc.). Dies, wie die anderen Kriterien, kann man anhand einer Bewertungsskala gewichten.
Erst dann erfolgt eine Entscheidung, wie mit diesem Issue umzugehen ist: Gilt es, im Sinne einer proaktiven Krisen-Kommunikation Position zu beziehen? Kann man das Umfeld nutzen, um sich positiv zu profilieren? Bereitet man sich vor (z.B. durch die Anfertigung von Stellungsnahmen, der Identifikation von Interviewpartnern), bleibt aber zunächst noch defensiv? Hierfür gibt es kein Regelwerk, die Beobachtung des Umfeldes, der Argumentationen und das Verhalten der Akteure entscheiden über die konkreten Maßnahmen.
Was hat Issues Management mit kirchlicher Arbeit zu tun?
Die Kirche als gesellschaftlich relevante Organisation könnte sich durch ein konsequentes Issues Management stärker als bisher frühzeitig in kontroversen Diskursen (positiv) positionieren. In großen, öffentlichen Debatten geschieht dies bereits (durch ein Issues Management?). Durch ein kontinuierliches Scanning könnte mit Sicherheit ein feineres Netz von Themenfeldern abgebildet werden. Dabei würde es darum gehen, die positive Substanz besser zu kommunizieren und auf kritische Themenfelder gut vorbereitet zu sein, um auf diese strategisch reagieren zu können.
Issues Management kann aber auch auf der Ebene der praktischen Gemeindearbeit relevant sein. Z.B. genaue Beobachtung der lokalen Medien, Analyse der Pfarrgemeinderatsprotokolle, Hintergrundgespräche mit ausgesuchten Interessenvertretern können Aufschluss darüber geben, welche Themen an Relevanz gewinnen könnten. Auf der Micro- wie der Macroebene ist Issues Management kein Instrument, um Gegner mundtot zu machen, vielmehr zielt es darauf ab, sich mit den eigenen Positionen Gehör zu verschaffen und kommunikativ nicht in eine Defensive zu geraten, in der ehre Rechtfertigung als Information angesagt ist.
Die wichtigste Rolle nimmt Issues Management inzwischen aber durch die zunehmende Kommunikation in sozialen Netzwerken ein. Sie haben zu einem Paradigmenwechsel in der Kommunikation geführt, indem Informationsempfänger nun selbst zu Informationsgebern werden. Dies kann durchaus zu positiven, basisdemokratischen Veränderungen in der Kommunikation führen, die jetzt tendenziell schneller, breiter und authentischer wird. Gleichzeitig entfällt hier aber der kritische Filter des professionellen Journalismus. Spielregeln und Berufsethik des Qualitätsjournalismus gibt es im Web 2.0 nicht. Das heißt: Falsche Meldungen und unkorrekte Faktenverknüpfungen bis hin zu Polemiken und negativen Kampagnen finden ungefiltert ihre Öffentlichkeit. Sind sie einmal im Netz, ist es unmöglich, diese wieder zu entfernen (juristische Mittel wie Gegendarstellungen oder Unterlassungsklagen) führen nicht zum Verschwinden der Nachrichten – im Gegenteil, sie befördern diese. Beträchtlicher Imageschaden, wirtschaftliche Einbußen oder die Demontage einzelner Organisationsvertreter können die Folge sein. Issues Management ist die einzige Möglichkeit, sich hier proaktiv zu schützen.