012016
Foto: Lillehammer 2016 Youth Olympic Games: Curling Mixed Team (CC BY-NC 2.0), BildausschnittPraxis
Facilitation: Die Kunst, Prozesse leichter zu gestalten
Frank Reintgen: Im Bistum Aachen wird aktuell eine Basisausbildung zum Facilitator angeboten. Herr Pott, Sie sind Referent für Pastoralentwicklung im Bischöflichen Generalvikariat Aachen. Was verbinden Sie mit dem Begriff Facititator bzw. Coach?
Martin Pott: Der Begriff bezeichnet die Kunst, Prozesse leichter gestalten zu können. Das ist auch in der Pastoral, wo unter hohem Innovationsdruck Prozesse voran zu bringen sind, von großer Bedeutung. Facilitation steht für eine Führungsphilosophie, die direktives Steuern so weit wie möglich ersetzt durch ein Maximum an Partizipation, durch die Provokation von Selbststeuerung und das Lernen in und mit der Organisation. Die Grundhaltung ist respektvoll und ressourcenorientiert und geht davon aus, dass in einem Arbeitsprozess jede und jeder Beteiligte zu jeder Zeit ihr bzw. sein Bestes gibt. Die Methoden setzen bei vorhandenem Guten an und fragen, wie die Organisation mehr davon bekommen kann. Der Defizitblick wird möglichst vermieden. In der Kirche kann Facilitation die in der Theologie momentan aktuellen „Containerbegriffe“ wie gemeinsamen Priestertum, Taufwürde, Berufung, Charismen u. ä. wie mit einem Treibriemen praktisch werden lassen.
Reintgen: Was war der Anlass im Bistum Aachen, diesen Weg zu gehen?
Pott: Der Anlass war ein Projekt mit dem „Zentrum für angewandte Pastoralforschung“ (ZAP) der Ruhr-Universität Bochum unter dem Label „Verantwortung teilen“. Der tiefere Grund liegt darin, dass das Bistum Aachen schon seit langer Zeit eine „Weggemeinschaft“ praktiziert, die Menschen als Subjekte ernst nimmt und sich über das freut, was sie je persönlich beisteuern können. Das Experiment mit der „Facilitator-Basisausbildung“ ist ein weiterer Schritt Menschen zu befähigen, mit anderen Prozesse und Projekte so zu entwickeln, dass die Leute sich respektiert fühlen, motiviert bleiben und in hohem Maße ihre Kompetenzen zum Tragen kommen.
Reintgen: Welche Personengruppen und wie viele Personen sind bereits nach diesem Konzept qualifiziert worden bzw. sollen qualifiziert werden?
Pott: Speziell nach diesem Konzept werden im Jahr 2016 in einem Basiskurs 24 Teilnehmer/innen geschult. Erst nach dem Kursende wird entschieden, wie weiter mit diesem Schulungskonzept umgegangen wird. Die Kursgruppe setzt sich in etwa je zur Hälfte aus hauptberuflich Tätigen sowie ehrenamtlich oder auf Honorarbasis Engagierten zusammen.
Ein weiteres Auswahlkriterium war, dass vornehmend sogenannte „Tandems“ genommen wurden, d. h. je 2 Personen aus einem gleichen Kontext, die nachher sich auch gemeinsam auf den Weg machen können, um das Gelernte anzuwenden. Solche Tandems sind z. B. eine Gemeindereferentin und die Vorsitzende des Synodalgremiums des pastoralen Raums oder die hauptberufliche geistliche Leiterin eines Jugendverbandes mit einer ehrenamtlichen Diözesanvorsitzenden.Das Experiment mit der „Facilitator-Basisausbildung“ ist ein weiterer Schritt Menschen zu befähigen, mit anderen Prozesse und Projekte so zu entwickeln, dass die Leute sich respektiert fühlen, motiviert bleiben und in hohem Maße ihre Kompetenzen zum Tragen kommen.
Reintgen: Gibt es ein implizites oder explizites strategisch fundiertes Zielfoto, auf das hin qualifiziert wird?
Pott: Ein allgemeines strategisches Zielfoto lautet: gemeinschaftliches Lernen von freiwillig und beruflich Engagierten. Fort- und Weiterbildung findet in der Regel immer noch relativ stark separiert statt. Sobald es um verantwortliche Entwicklung von pastoralen Prozessen geht, treffen beide Gruppen zwangsläufig aufeinander. Gemeinschaftliches Lernen ist Gebot der Stunde! Das Ziel ist Perspektivenvielfalt, wechselseitige Bereicherung in den Stärken und Ergänzung in den Schwächen. Und vor allem: die Erkenntnis, dass gemeinsames Lernen viel mehr Spaß macht.
Reintgen: Seit wann gehen Sie diesen Weg und was sind Ihre Erfahrungen damit?
Pott: Der spezielle Weg mit der „Facilitator-Basisausbildung“ hat gerade erst begonnen. Die ersten Erfahrungen und Rückmeldungen sind sehr positiv. Das Bistum Aachen trainiert aber auch die Vorstände der Synodalgremien auf Ebene des pastoralen Raums. In diesen Vorständen sitzen in der Regel der leitende Pfarrer, eine Pastoralreferentin / ein Pastoralreferent sowie 4 gewählte bzw. berufene freiwillig Tätige. Mit diesen Teams wird seit 2014 intensiv gearbeitet. Die Erfahrungen der Evaluation zeigen, dass dieses neue Format in hohem Maße wertgeschätzt wird. Hier wird nicht nur von Partizipation geredet, sondern im Vollzug Partizipation gelebt!
Reintgen: Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach das Rollenbild der pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verändern?
Pott: Seit Jahren wird in der Debatte davon gesprochen, dass sich die Rollenbilder insgesamt in Richtung Empowerment, Begleitung, Talent-Entdeckung usw. weiterentwickeln, in der Spur der klassischen Rede vom „Dienst an den Diensten“. Gleichzeitig sehen wir, dass z. B. angesichts der steigenden Zahlen von muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auch das Expertinnenwissen der pastoralen Dienste hinsichtlich der christlichen Tradition in weit höherem Maße gefragt sein wird. Die Balance zwischen Bejahung der Expertenrolle einerseits und dem Vermeiden der Professionalisierungsfalle anderseits wird eine zentrale Herausforderung werden. Dabei stellen sich die Situationen natürlich für z. B. Priester und Gemeindereferent/innen unterschiedlich dar. Auch die Leitungsfrage wird in Bewegung kommen.
Gemeinschaftliches Lernen ist Gebot der Stunde! Das Ziel ist Perspektivenvielfalt, wechselseitige Bereicherung in den Stärken und Ergänzung in den Schwächen
Reintgen: Entstehen evtl. auch neue Berufsbilder? Welche?
Pott: Ich will das am Beispiel der Leitungsfrage veranschaulichen. In den großen pastoralen Räumen gibt es in der Regel drei zentrale Gremien: das vom Bischof entsandte Team der Seelsorgerinnen und Seelsorger; der aus gewählten, berufenen und amtlichen Mitgliedern zusammengesetzte Synodalrat; der Verwaltungsrat oder Kirchenvorstand. Leitung im Sinne eines „geschäftsführenden Vorstands“ könnte sich künftig aus VertreterInnen dieser drei Gremien formieren. Die Leitungsrollen wären sauber nach theologischen Kriterien zu bestimmen.Dann wird dem leitenden Pfarrer natürlich die „ekklesiale Leitung“ zukommen, d. h. er garantiert im Auftrag des Bischofs das Verbundenbleiben der Pastoral im Raum mit dem Ursprung Jesus Christus und er hat den Einheitsdienst inne. Der Pfarrer wird aber nicht alle Leitungsfunktionen ausüben müssen. Er wird an seiner Seite eine Pastoralreferentin haben, die die „pastoralentwicklerische Leitung“ als Aufgabenfokus hat. Die „verwaltungstechnische Leitung“ wird vom Verwaltungsleiter im geschäftsführenden Vorstand vertreten und die mitarbeitenden freiwillig Engagierten werden so etwas wie eine Sozialraumkompetenz als Leitungsdimension einbringen. Und nicht zuletzt: gemeinsam kann die Gruppe die „geistliche Leitung“ für den pastoralen Raum ausüben. Wenn sich Leitung in eine solche oder ähnliche Richtung entwickelt, dann haben sich alle Berufsbilder und auch die Rolle der freiwillig Tätigen verändert.
Reintgen: Gibt es im Internet bereits Informationen Ihres Bistums, auf die Sie verweisen können?
Ein komprimierter Projektbericht von Elisa Kröger (ZAP) findet sich bei εύangel 1/2015. Das Kursprogramm „Verantwortung teilen“ findet sich unter www.verantwortungteilen.de. Weitere Infos beim Zentrum für angewandte Pastoralforschung.
- Einen knappen Überblick hierzu bietet das Workingpaper von Dr. Benedikt Jürgens und Tabea Diek: http://www.zap-bochum.de/content/ZAP_Workingpaper_4_Juergens_Diek.pdf