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Praxis

Norbert Hermanns und Sebastiaan Gerards

Engagierte Partner: Es gibt viele gute Konzepte, kirchliche Immobilien neu zu nutzen

Ist Deutschland ein Land der Kirchen? Zumindest ist es ein Land der Kirchengebäude – rund 45.000 davon gibt es laut dem Statistischen Bundesamt. Und es sind emotionale Gebäude. Viele Menschen spüren eine Verbindung zu „ihrer“ Kirche, verbinden Erinnerungen mit den Mauern, in denen sie getauft oder getraut wurden oder in denen sie einem anderen besonderen Ereignis beigewohnt haben. Im Selbstverständnis der Gemeinden sind Kirchen wichtige Treffpunkte und offene Orte der Begegnung. Das sollen und können sie auch bleiben – selbst dann, wenn sie längst keine Kirchen mehr sind. Denn immer weniger Menschen gehen in „ihre“ Kirche, die Nutzung nimmt rapide ab.

Allein die katholische Kirche verliert jährlich rund 185.000 Mitglieder. Nach der Wiedervereinigung sind ihr innerhalb von 25 Jahren rund 4 Millionen Gläubige abhanden gekommen, das sind etwa 14 Prozent. Weil mit dieser Entwicklung auch ein Rückgang des Personals und der finanziellen Ressourcen einhergeht – die Einnahmen aus der Kirchensteuer werden in Zukunft deutlich zurückgehen –, stehen die großen Kirchen vor radikalen Umbrüchen. Das gilt auch und gerade beim Umgang mit den Gotteshäusern. Die nämlich werden leerer, man könnte auch sagen: immer weniger gebraucht. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Gottesdienstbesucher fast halbiert, Prognosen sehen für diesen Trend keinerlei Umkehr.

Rund 45.000 Kirchengebäude gibt es in Deutschland. Es sind emotionale Orte.

Kirchliche Verantwortungsträger, das zeigt die Befragung aus 2016/2017, sehen sehr deutlich die gesellschaftlichen Herausforderungen und den enormen Anpassungsdruck, der dadurch auf die Kirche als Organisation ausgelöst wird.

Um künftig viel stärker dialogisch, partizipativ und adressatenorientiert zu sein und kirchliche Angebote durch die Konzentration auf „Kernprodukte“ ausgestalten zu können, wie es in den Antworten der Befragung formuliert wird, müssen sich die Kirchen von Altlasten befreien, Kräfte und Ressourcen bündeln. Dazu gehört auch zwingend, sich von Kirchengebäuden und Pfarrkirchen zu trennen, denn beim prognostizierten Rückgang der Gottesdienstbesucher würden im Jahr 2040 nur noch 400 Kirchen gebraucht – deutschlandweit. Die Unterhaltung der im Übermaß vorhandenen, aber nicht ausreichend genutzten Kirchen, wird zur Belastung, doch eine notwendige Anpassung, also Reduzierung der Gebäudezahl, wird aktuell nicht im notwendigen Maße betrieben. Stattdessen vergrößert sich die Lücke zwischen der notwendigen und der erfolgten Anpassung dramatisch.

Das Bistum Aachen hat vor diesem Hintergrund bereits 2010 ein Kirchliches Immobilienmanagement (KIM) eingeführt, in dessen Rahmen zunächst einmal die rund 3.000 Immobilien im Bistum erfasst und die gesamten Instandhaltungskosten errechnet wurden. Im Schnitt besaß jede der 71 Gemeinschaften der Gemeinden (GdG) im Bistum, die aus Gemeindefusionen entstanden waren, rund 40 Gebäude. Weil schnell klar war, dass ein Erhalt aller Bauwerke im kirchlichen Eigentum nicht mehr finanzierbar war, wurden Optionen erdacht, die von alternativen Finanzierungsmodellen über die Vermietung bis hin zum Verkauf einzelner Gebäude reichten.

Beim prognostizierten Rückgang der Gottesdienstbesucher würden im Jahr 2040 nur noch 400 Kirchen gebraucht – deutschlandweit.

Doch wie kann eine Anschlussnutzung nicht mehr benötigter Kirchengebäude aussehen, die nicht nur den Ansprüchen der Kirche an Sinnstiftung gerecht wird, sondern auch wirtschaftlich tragbar ist? Ein gemeinsames Nachdenken über Lösungen kann hier gute Ergebnisse bringen, deshalb sollten die Verantwortungsträger der Kirchen und Gemeinden diese Herausforderung gemeinsam mit geeigneten Partnern angehen, die sie in der Immobilienwirtschaft finden können. Denn die muss die Nachfrage nach Raum für verschiedene Nutzungsarten erfüllen, hat jedoch nur in begrenztem Maße Flächen zur Verfügung, weil bebaubarer Raum Mangelware ist. Aus diesem Grunde ist die Umnutzung nicht mehr benötigter Kirchen und Klöster auch zum Thema für die Immobilienbranche geworden, die sich in Zukunft verstärkt damit beschäftigen wird.

Es ist also an der Zeit für neue Partnerschaften. Zeit für die kirchlichen Führungskräfte, sich seriöse Projektentwickler und Investoren zu suchen, die bereit sind, das historische und kulturelle Erbe von Kirchengebäuden zu schützen und diese in eine neue, angemessene Nutzung zu überführen.

St. Elisabeth, Aachen

Doch was also ist eine solch angemessene Nachnutzung? Als Projektentwickler haben wir uns bereits mehrfach mit dieser Frage beschäftigt und Lösungen entwickelt. So wie bei St. Elisabeth in Aachen. Als die Pfarrei Christus unser Bruder für ihre über 100 Jahre alte Kirche einen Käufer suchte, der mit dem historischen und sakralen Erbe des denkmalgeschützten Baus behutsam umgeht, hat die Landmarken AG als Projektentwicklerin die Kirche schließlich im Auftrag eines privaten Investors zum Digitalisierungszentrum der Region Aachen mit Co-Working-Space entwickelt, das zugleich als kultureller  Veranstaltungsort nutzbar ist. Ein Nachnutzungskonzept, das im Einklang mit den Wünschen der abgebenden Gemeinde und im Dialog mit vielen Akteuren aus dem Quartier rund um St. Elisabeth erarbeitet wurde.

Diese waren durch einen gut vorbereiteten  Workshop im World-Café-Format intensiv in den Prozess der Konzeptfindung eingebunden worden. Die dort entwickelten Ideen, mehrere Nutzungen zu ermöglichen und den Bau zum Impulsgeber einer Gesamtentwicklung für das ganze Quartier zu machen, sind in das später umgesetzte Konzept eingeflossen. Denn das Quartier Aachen-Nord, in dem sich St. Elisabeth befindet, ist ein Stadtteil mit Erneuerungsbedarf, für den die DIGITAL CHURCH ein Impulsgeber für weitere Entwicklungen sein kann.

So ist Deutschlands erster Co-Working-Space in einem Kirchenschiff zugleich Ankerpunkt einer sozialen Quartiersentwicklung: Mitten in diesem Stadtteil mit Erneuerungsbedarf setzt die DIGITAL CHURCH als Leuchtturm der Digitalisierung den Startschuss für neue Entwicklungschancen und kann zum Nukleus eines lebendigen, digitalen Quartiers werden, in dem weitere Unternehmensansiedlungen den Strukturwandel in diesem vormals industriell geprägten Stadtteil voran bringen. Hauptnutzer und Betreiber ist der Verein digitalHUB Aachen, der junge Start-ups fördert und mit Industrieunternehmen und dem Mittelstand vernetzt. Dafür wurden 2017 beste Bedingungen für die digitale Szene mit 100 Arbeitsplätzen geschaffen: High Speed Internet, neueste Kommunikations- und Präsentationstechniken, ein ausgeklügeltes Lichtkonzept, effiziente Heizung und modernes Design.

Coworking (links) und Event (rechts) in der Digital Church

Zudem wurde die ehemalige Kirche als „Shared Space“ entwickelt, der das historische Erbe ins Nutzungskonzept integriert und den Bau als Raum für Begegnung offen hält, so wie die Kirche früher auch einmal ein Raum der Begegnung war. Dazu sind die Flächen so gestaltet, dass das Gebäude, in dem tagsüber gearbeitet wird, abends und am Wochenende offen und nutzbar für Kulturveranstaltungen, Konferenzen und Events ist.

Positiv begleitet wurde das Projekt auch von den Denkmalbehörden und der Stadt Aachen: Erstens war man froh, dass sich jemand findet, der sich um das wertvolle Gebäude kümmert und dafür sorgt, dass ein charakteristischer, denkmalgeschützter Kirchenbau in seiner gotischen Optik vollständig im Stadtbild erhalten bleibt. Zweitens wird durch das Digitalisierungszentrum der Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Aachen gestärkt und drittens hat die Kongressstadt Aachen einen dringend benötigten, zusätzlichen Veranstaltungsort mit besonderer Atmosphäre erhalten.

Die Herausforderung bestand darin, in dem über 100 Jahre alten Gebäude unter den Voraussetzungen des Denkmalschutzes beste Bedingungen für Start-ups und Events zu schaffen. Dies ist mit intelligenter Heiztechnik und Elektrik sowie einer nicht sichtbaren, aber leistungsstarken WLAN-Infrastruktur gelungen. Weil sämtliche Baumaßnahmen reversibel sind, bleibt das gotische Kirchengebäude in seiner ursprünglichen Form erhalten. Auf diese Weise konnte die Spiritualität dieses besonderen Raumes erhalten bleiben und einer neuen Community angeboten werden, die gerade die besondere Atmosphäre schätzt, in der nun die Zukunft erfunden wird.

So wie das Kirchliches Immobilienmanagement im Bistum Aachen alle Immobilien erfasst und nach Nutzungsoptionen sucht, macht es Sinn, sich strategisch mit dem vorhandenen Portfolio und den Standorten zu beschäftigen.

Das Konzept eines Co-Working-Space, in dem an der digitalen Zukunft gearbeitet wird, ist so erstmalig überhaupt in einer Kirche umgesetzt worden. Das gilt auch für die Nutzung als „Shared Space“, wo der gemeinsame Arbeitsraum zum Veranstaltungszentrum wird und das historische Erbe der Kirche als offener Ort der Begegnung fortführt. Es gibt natürlich auch andere, klassischere und doch zukunftsweisende Wege, alte Sakralbauten mit veränderten Nutzungen in eine neue Zeit zu führen und so würdig zu erhalten.

Mit der Stadt Ahrweiler diskutieren wir gerade ein Nutzungskonzept für das Kloster Calvarienberg, das vom Konvent der Ursulinen nach fast 180 Jahren aufgegeben werden musste. Den Ursulinenschwestern war es wichtig, die dortige Klosteranlage, die ihnen so sehr am Herzen liegt, in gute Hände zu geben. Wie die alten Mauern, so soll auch die Seele des Klosters Calvarienberg erhalten bleiben, das immer ein Ort der Einkehr und der Begegnung war. Auch in Zukunft soll der Calvarienberg ein Ort für die Menschen sein, die neues Leben in die Klostermauern bringen.

Mehrgenerationenwohnen, stilles Gewerbe und eine für alle Besucher offene Gastronomie sind die Eckpfeiler des Konzeptes, das auch die Vorschläge vieler Akteure aus Ahrweiler und Umgebung aufgenommen hat, die bereits frühzeitig in einem Planungsworkshop eingebunden wurden. Um menschliche Begegnung zu fördern und die Bewohner miteinander zu vernetzen, wird unter anderem eine Kloster-App entwickelt, die den Kontakt alle Bewohner untereinander fördert und dabei hilft, sich kennenzulernen, zu verabreden und gegenseitig zu unterstützen.

Natürlich eignet sich nicht jedes kirchliche Gebäude baulich für eine Nachnutzung. Doch selbst wenn ein Abriss unumgänglich ist, können auch die Standorte langfristig als Ort der Begegnung erhalten bleiben, mit denen sich die Kirche identifizieren kann – unabhängig ob das Gebäude bleibt oder nicht. Zum Beispiel durch die Errichtung eines Kindergartens, eines Wohnquartiers oder einer Mixed-Use-Immobilie, die durch ihre unterschiedlichen Nutzungen den Menschen Angebote macht und zum Treffpunkt werden.

So wie das Kirchliches Immobilienmanagement im Bistum Aachen alle Immobilien erfasst und nach Nutzungsoptionen sucht, macht es Sinn, sich strategisch mit dem vorhandenen Portfolio und den Standorten zu beschäftigen. Diese zu clustern, dürfte nicht nur aus Kirchensicht, sondern auch für Projektentwickler sinnvoll sein. Bestehen mehrere Standorte bzw. verfügt eine Gemeinde über verschiedene Flächen, können auch Grundstückstäusche Erfolge bringen. Zum Beispiel, wenn dadurch Flächen zusammengelegt und für neue Bebauungen erschlossen werden Projektentwickler könnten diese Grundstücke erwerben, um dort Wohnquartiere zu errichten oder im Auftrag der Kirchen selbige auf kirchlichem Grund realisieren.

Es gibt also verschiedene Wege, mit kirchlichen Immobilien und Flächen umzugehen. Deutschland bleibt ein Land der Kirchengebäude, aber es verändert sich. Die Kirchen können diese Veränderung aktiv mitgestalten. Als Bauherren, als Vermieter, als Verkäufer. Auf jeden Fall aber als engagierte Partner.

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