Neu beginnen, ganz neu
Veränderung: Wann und wie können wir neu beginnen?
Natürlich kann ich „einfach machen“, etwas Neues anfangen, die Idee ist da und ich lege los. Doch anscheinend ist es nicht so einfach, zumindest lässt eine umfassende Ratgeberliteratur im deutschen Buchhandel dies vermuten. In diesem Beitrag möchte ich kurz einige Hilfestellungen aus der Praxis darstellen.
Ich unterscheide zwischen zwei Ebenen: Neues beginnen für mich selbst (Mikro-Ebene) und Neues beginnen, das über meinen persönlichen Bereich hinausgeht, eine Veränderung, die nicht nur mich selbst betrifft (Meso- und Makro-Ebene). In beiden Fällen liegt der Beginn auf der Mikro-Ebene.
Mikro-Ebene – bei mir selbst anfangen
Wie kann ich denn nun neu beginnen? Der Entschluss, der Wille, etwas neu zu machen, hilft, in Bewegung zu kommen. Es wirklich wollen. „Wer etwas will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe“ (Albert Camus). Angenommen, die ausreichende Motivation hätte ich und wüsste auch, warum das Vorhaben – für mich – wichtig ist1. Reicht das? Das Ziel nach der SMART-Regel formulieren? Manchmal kann ich das Ziel vielleicht nicht so beschreiben, dass es automatisch erreicht wird.
Der Entschluss, der Wille, etwas neu zu machen, hilft, in Bewegung zu kommen.
Das Zürcher Ressourcen Modell2, entwickelt von Maja Storch und Frank Krause, integriert die eigenen Gefühle und Affekte in den persönlichen Veränderungsprozess: Im Laufe des Prozesses wird mittels somatischer Marker die neue Situation wirklich anziehend. In der Methode wird das sogenannte „Vorbewusste“ genutzt, um das eigene Ziel sichtbar zu machen und mit Unterstützung anderer – eines Coaches oder einer Gruppe – eine Formulierung zu finden, die stimmig ist und sich im wahrsten Sinne des Wortes „gut anfühlt“. Am Ende der Methode stehe ich mit einer Vielzahl von Ressourcen und mentaler Vorbereitung auf dem Weg an mein Ziel, das wirklich anziehend wirkt3. Hier wird also die Erkenntnis genutzt, dass allein das Bewusstsein zur Veränderung nicht ausreicht, sondern dass ein Verlangen danach entstehen muss, welches mit dem Wissen und Können bezüglich des Wegs dorthin übereinkommen muss4. Für weitere Informationen zum Thema Können verweise ich an dieser Stelle auf fachliche Trainings bis hin zum Coaching für das Selbstvertrauen.
Wie kann ich es mir außerdem leicht machen, um vom innigen Wunsch zur Handlung überzugehen?
Vom richtigen Zeitpunkt
Kürzlich ist dazu ein meines Erachtens sehr lesenswertes Buch von Dan Pink erschienen: “When. Vom richtigen Zeitpunkt”5. Pink untersucht den Einfluss des Zeitpunkts auf den Erfolg eines Vorhabens, für den Beginn, die zeitliche Mitte des Vorhabens und den Abschluss. Die eigene Entschlusskraft und die Qualität von Entscheidungen hängt demnach unter anderem von der Phase des eigenen Bio-Rhythmus ab: Schlechte Entscheidungen werden tendenziell in der Abschwungphase getroffen – bei Frühaufstehern beispielsweise am frühen Nachmittag. Bessere Entscheidungen fällt man in der ersten Hochphase – bei Frühaufstehern und „Mischtypen“ am frühen Morgen. Außerdem helfen seiner Forschung nach sogenannte zeitliche Wegmarken („temporal landmarks“) beim Neubeginn: Tage mit besonderer Aufmerksamkeit im Jahr – Dan Pink kommt auf 68 Gelegenheiten! Hier eine Auswahl:
- Erster Tag des Monats
- Alle Montage
- Erster Tag der Jahreszeit (Frühjahr, Sommer, Herbst, Winter)
- Nationalfeiertag
- Tag eines wichtigen religiösen Fests oder Zeit (Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Passa, Laubhüttenfest, Zuckerfest, Beginn des Ramadans, Beginn der Fastenzeit, …)
- Meinen Geburtstag
- Geburtstag eines Nahestehenden
- Erster Schultag, neues Semester
- Erster Tag im neuen Job
- Der Tag nach einer Abschlussprüfung
- Erster Tag nach der Rückkehr aus dem Urlaub
- Jahrestag der Hochzeit, Kennenlernen, …
- Jahrestag Beginn neuer Job
- und ich ergänze: wenn ich diese Ausgabe futur2 gelesen habe
… und wenn der Start nicht gut war? Es einen Fehlstart gab? Pink empfiehlt, einfach die nächste Gelegenheit für einen Neustart zu nutzen, d.h. eine andere zeitliche Wegmarke, zu wählen, vielleicht verbunden mit einem Ritual. Und im besten Fall könnte der nächste Fehlstart mit einem sogenannten „Premortem“ vermieden werden. Es geht darum, sich zu Beginn eines Vorhabens oder einer neuen Phase, vorzustellen, wie es ist, wenn ich das Ziel erreicht habe. Pink bringt ein Anwendungsbeispiel aus einem Krankenhaus, in dem vor jeder Operation mit dem gesamten Operationsteam ein „Premortem“ durchgeführt wird. Hier wird vor dem ersten Schnitt gemeinsam vorgedacht, was während der Operation alles passieren könnte und wie darauf gut reagiert oder es verhindert werden kann. Laut diesem Beispiel gab es in der Folge erheblich weniger Fehlstarts.Allein das Bewusstsein zur Veränderung reicht nicht aus, sondern ein Verlangen danach muss entstehen.
Meso-Ebene – den Kreis größer ziehen
Und wenn es bei unserem Vorhaben um etwas Größeres geht, Neues, das ich gemeinsam mit anderen in die Welt bringen möchte? Dann reicht es natürlich nicht aus, dass ich bei mir selbst anfange – ich brauche Unterstützung, ein Kernteam, das mit mir – zumindest einen Teil des Wegs – geht. Und schließlich soll das Vorhaben vielleicht zu einer Bewegung werden, über das Kernteam hinaus. Wir wollen den Kreis größer ziehen!
“Purpose is the invisible leader” – Mary Follett Parker
Auch hier wird das dringende Bedürfnis als Auslöser genutzt. Damit dieses Kernteam gemeinsam in die gleiche Richtung geht, schärft dieses Team bei (mehreren) ersten Treffen den Bedarf („Need“) und klärt den Sinn und Zweck („Purpose“). Empfehlen möchte ich hier die zahlreichen Werkzeuge aus dem Art of Hosting, die partizipative Führung und Kokreation effektiv unterstützen und sogar hervorbringen können6. Mit Hilfe des Frameworks der Chaordic Stepping Stones7 werden neben Bedarf („Need“) und Sinn & Zweck („Purpose“) auch Prinzipien der Zusammenarbeit geklärt. Grundlegend ist dann die gemeinsame Einladung an einen größeren Kreis, um die nächsten Schritte dort schon gemeinsam zu gehen.
Voran!
Und wenn es dann an die ersten oder nächsten Schritte geht, bietet sich bei komplexen Vorhaben8 emergentes und iteratives Arbeiten an. Damit verbundene Konzepte wurden zum Teil schon in früheren Ausgaben futur2 unter dem Stichwort Effectuation behandelt. Außerdem verweise ich auf agile Methoden und dem PDCA-Zyklus9, das heißt iterieren, neu justieren … und vor allen Dingen sich selbst in Schwung halten.
In Schwung bleiben – das Ende im Blick
Sich das Ende (bei Dan Pink: des Vorhabens) vor Augen zu führen, unterstützt das Gefühl der Dringlichkeit und anscheinend auch den Schwung zu erhalten: Erst wenn ich mir das Ende vor Augen führe, komme ich wieder in Schwung. Dies funktioniert natürlich nur bei Vorhaben, bei denen wir tatsächlich ein Ende vor Augen haben. Bei Bedarf unterstützt zumindest ein Meilenstein oder ein Etappenziel10. Haben Sie sich schon ein Zieldatum gesetzt?Haben Sie sich schon ein Zieldatum gesetzt?
Den Überblick behalten
Jetzt bin ich motiviert, habe die ersten Schritte getan und mein Kernteam gefunden. Angenommen, ich habe nicht nur ein einziges Vorhaben, sondern im Zusammenspiel mit den Anforderungen des Alltags eine (große) Zahl an Vorhaben. Wie kann ich da den Überblick behalten? Die Buchsuche liefert mehr als 4000 Ergebnisse zum Thema Selbstmanagement. Hier der Hinweis auf einen immer noch guten Klassiker: Getting things done von Dave Allen11. Seine Methode lohnt sich auszuprobieren, wenn der Überblick im Alltag fehlt und der Weg zwischen Chaos und Ordnung mehr Kontrolle braucht12.
Verändern wir die Welt …? Los!
Der Titel des Beitrags ist Inspiriert von der Musikgruppe Ruhama (1992, 2003) „Da berühren sich Himmel und Erde“
- Simon Sinek: Start with why. https://startwithwhy.com/ Deutschsprachige Buchausgabe unter dem Titel: Frag immer erst: warum.
- Storch, Maja & Krause, Frank (2014): Selbstmanagement — ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM). Bern: Verlag Hans Huber.
- Die Wirksamkeit der Zürcher Ressourcen Modells (ZRM) ist vielfach wissenschaftlich belegt, vgl. Storch, Maja & Krause, Frank (2014).
- Appelo, Jurgen (2012): How to change the world. http://jurgenappelo.com/how-to-change-the-world/, abgerufen am 01.05.2018, Seite 24, das ADKAR-Modell. https://www.prosci.com/adkar, abgerufen am 03.06.2018, sowie Kruse, Barbara (2011): Strategic Discourse. Actors – Issues – Arenas. Berlin: Logos.
- Pink, Daniel H. (2018): When. The scientific secrets of perfect timing. Edinburgh: Canongate bzw. When. Der richtige Zeitpunkt. Wals: Ecowin. Seitenzahlen beziehen sich auf die englischsprachige Ausgabe.
- Die Methoden des Art of Hosting sind Allgemeingut. Eine Einführung: http://www.artofhosting.org/de/.
- Eine Darstellung der Chaordic Stepping Stones aus dem Art of Hosting zum Beispiel bei Chris Corrigan: http://www.chriscorrigan.com/parkinglot/facilitation-resources/, abgerufen am 31.05.2018.
- Cynefin: https://de.wikipedia.org/wiki/Cynefin-Framework, abgerufen am 31.05.2018.
- Plan, do , check, act: https://de.wikipedia.org/wiki/Demingkreis, abgerufen am 03.06.2018.
- Lesenswertes zum Thema Projektdesign bietet das Open Source Projekt Over the fence, http://overthefence.com.de/project-management-book/, abgerufen am 03.06.2018.
- Allen, Dave (2015): Wie ich die Dinge geregelt kriege: Selbstmanagement für den Alltag. München: Piper. Und: https://gettingthingsdone.com/, abgerufen am 01.05.2018.
- Vgl. chaordischer Pfad https://de.wikipedia.org/wiki/Chaordisch, abgerufen am 31.05.2018.