Ein Rollenwechsel ist mehr als ein Wechsel der Rolle – Veränderung von Führung und Leitung in stürmischen Zeiten
Frank Reintgen: Wieso beschäftigt sich das Bistum Münster mit einem veränderten Verständnis von Führung und Leitung?
Andreas Fritsch: Das Bistum Münster hat sich, wie andere deutsche Diözesen auch, mit dem Pastoralplan für das Bistum Münster eine verbindliche inhaltliche Orientierung für die kommenden Jahre gegeben. Diese basiert auf einem Kirchenbild, das die Aspekte der Sozialraumorientierung, der Charismenorientierung sowie der Partizipation stark macht. Dies führt unmittelbar zu der Frage, wie dann die Rolle der Hauptberuflichen bzw. die der leitenden Pfarrer zukünftig zu gestalten ist. Hier werden dann Fragestellungen sehr schnell konkret.
Neu ist der Aspekt einer gemeinsamen Lerngemeinschaft zusammen mit Ehrenamtlichen, um miteinander zu entdecken, wie wir die Sendung der Kirche heute leben und bezeugen können.
Wie gelingt unter veränderten Vorzeichen eine geteilte Leitung in der gemeinsamen Verantwortung von Hauptberuflichen und Freiwilligen? Von welchem Rollenverständnis muss ich mich dann auch verabschieden? Wie verändert sich Steuerung und Leitung in größeren, komplexeren Pfarreien? Auf der Basis des Netzwerkgedankens wird auch Steuerung dezentraler und verändert somit die Einflussmöglichkeiten durch Leitungsverantwortliche. Wie gelingt die Teamkoordination und Teamleitung in größeren pastoralen Teams und welches Know-how wird hierfür benötigt? Diese und weitere Fragen kommen uns im Bistum Münster aus der Praxis entgegen.
Reintgen: Gibt es bereits Konzepte, um diese und weitere Fragen in den Blick zu nehmen und das veränderte Rollenverständnis zu thematisieren und zu reflektieren?
Fritsch: Im Bistum Münster hat bereits zweimal eine längerfristige Fortbildung zum Thema „Führen und Leiten“ stattgefunden, die sich an die leitenden Pfarrer richtet und die genannten sowie weitere Fragen z. B. zur Team- und Pfarreientwicklung beinhaltet hat.
Eine zentrale Auseinandersetzung ist, wie bereits erwähnt, aus unserer Erfahrung die Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden Kirchenbild. Hierzu haben wir eine Bilderserie zu unterschiedlichen Kirchenbildern entwickelt, die in unseren Pfarreien und auch den Pastoralteams oftmals zeitgleich und parallel wirksam sind. Sie regen an, auch über die jeweilige Rolle und das Selbstverständnis der Leitung nachzudenken.
Reintgen: Welche neuen Rollendefinitionen zeichnen sich ab?
Fritsch: Anlässlich eines Austausches mit Seelsorgern zum Thema lokale Kirchenentwicklung sind Begriffe benutzt worden, die einen Hinweis geben auf das neue Rollenverständnis: Lokale Kirchenentwicklung ernst zu nehmen bedeutet, sich selbst stärker in der Rolle des Ermöglichers, des subsidiären Unterstützers und Begleiters zu sehen und die Dienstfunktion von Weiheamt und Hauptamtlichkeit zu betonen. Neu ist der Aspekt einer gemeinsamen Lerngemeinschaft zusammen mit Ehrenamtlichen, um miteinander zu entdecken, wie wir die Sendung der Kirche heute leben und bezeugen können.
Reintgen: Welche Haltungen braucht seitens des Pastoralen Personals, um die notwendige Rollenklärung voranzutreiben?
Fritsch: Basierend auf einer Vorlage der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat das Bistum Münster ein Kartenset zum Thema Teamentwicklung erarbeitet. Hierin werden unterschiedliche Aspekte von Teamentwicklung dargestellt und jeweils in Beziehung gesetzt zu einer geistlichen Grundhaltung. Diese sind: Demut und Vertrauen, Nichts bleibt, wie es ist, Sich an Jesus Christus, den Herrn orientieren, Du bist wichtig – nimm dich nicht zu wichtig, die Aussage des Anderen retten, ein Ja sei ein Ja und ein Nein sei ein Nein, Lebenslanges Lernen, Keinem gabst du alles, keinem nichts, Wir fördern Beziehung, Gott als die Mitte anerkennen.
Begrifflichkeiten wie Coach oder Facilitator können dienlich sein. Man kann es aber auch Professionalität und Dienst nennen.
Diese Haltungen kann man geradezu als Agenda für eine Rollenklärung des pastoralen Personals verstehen: Bin ich wirklich bereit, als Leitungsverantwortlicher Vielfalt in Einheit zu fördern, die Charismen anderer entdecken zu helfen und zur Entfaltung zu bringen sowie die Beteiligung möglichst vieler zu ermöglichen? Wenn es hilft, hierfür neue Begriffe zu verwenden, um so die Erweiterung und/oder Neuentdeckung der Rollenvielfalt der Leitung deutlich zu machen, dann können Begrifflichkeiten wie Coach oder Facilitator dienlich sein. Man kann es aber auch Professionalität und Dienst nennen.
Reintgen: Was hat die Frage nach einem erneuerten Führungsverständnis mit dem Thema dynamische Organisation zu tun?
Fritsch: Wenn die Beobachtung stimmt, dass sich Kirche in einem grundlegenden Transformationsprozess befindet, was wohl ernsthaft niemand bestreiten wird, dann müssen neue Rollenkonzepte und Führungsmodelle genau hierauf vorbereiten: mit Komplexität und Divergenz umgehen zu können, die ständige Veränderungsbereitschaft nicht nur rhetorisch, sondern pastoralpraktisch zu leben und gleichzeitig die immer wieder neu zu leistende Selbstvergewisserung der eigenen Rolle in einer sich verändernden Umwelt vorzunehmen. Am Ende braucht es also schlicht Flexibilität und Reflexionsfähigkeit sowie eine gehörige Portion Gelassenheit und Selbstrelativierung. Eine Einordnung und Erweiterung bietet hier die Haltung des Gottvertrauens.
Hinweise auf die hier genannten Prozesse und Materialien:
Die Unterlagen zum Pastoralplan für das Bistum Münster sowie die Serie der Kirchenbilder finden Sie unter www.pastoralplan-bistum-muenster.de.