022013
Foto: Alexander Stielau: Cosco Yantian discharges on CTT Hamburg (CC BY-NC-SA 2.0), BildausschnittEditorial
Editorial 02-2013
Liebe Leserinnen und Leser,
führen heißt entscheiden. Je komplexer und dynamischer die Umwelten, desto weitreichender sind die Folgen von Entscheidungen (auch wenn sie nicht getroffen werden). Sie erhalten schnell eine strategische Dimension, betreffen das System als Ganzes und seine Zukunft.
Aus evolutionsbiologischer Sicht ist unser Gehirn jedoch hierfür nicht besonders gut geeignet. Es ist weniger darauf ausgerichtet, Erkenntnis zu gewinnen, als vielmehr das Überleben zu sichern. Individuelles Überleben geschieht im überschaubaren Nahraum. Relevanter Kontext ist die Gruppe, die Sippe, der Clan. Hierfür ist unser Gehirn strukturell und funktional optimiert. Die Komplexität von Makrosystemen (Organisationen, Unternehmen, Staaten, Weltgemeinschaft, Ökosystem) erfassen wir daher höchst unvollständig. Die Folgen sind weder überschaubar, noch vorhersagbar. Viel grundsätzlicher noch entscheidet allein unsere Vorerfahrung darüber, was wir überhaupt wahrnehmen können.
Um hoch komplexe Systeme (strategisch) steuern zu können, brauchen wir Hilfsmittel. Früher waren das Seher und Propheten. Heute sollen Informations- und Expertensysteme helfen, die Fülle der Einflussgrößen zu erfassen. Ziel ist es, die Komplexität so weit zu reduzieren, dass sie für den Entscheider überschaubar wird. Die Folgen von Entscheidungen werden in Szenarien dargestellt und mit Wahrscheinlichkeiten versehen, um sie handhabbar zu machen. Dennoch: Die Zukunft bleibt prinzipiell ungewiss. Es kann auch anders kommen. Und genau hier beginnt die Psychologie. Ungewissheit erzeugt Stress. Entscheider habennatürlich auch Angst, für die Folgen verantwortlich gemacht zu werden. Daher neigen Verantwortungsträger häufig dazu, (sich) möglichst lange möglichst viele Optionen offen zu halten – ganz im Sinne postmoderner Logik.
Diese Haltung begegnet insbesondere dort, wo die Folgen von Entscheidungen nicht unmittelbar Effekte generieren und Wirkungen sehr verzögert eintreten, z.B. in den Kirchen. Allerdings werden auch dann strategische Entscheidungen getroffen, wenn nicht entschieden wird. Was auf den ersten Blick als Verlust von Wahlmöglichkeiten erscheint, entpuppt sich beim zweiten Hinsehen häufig als deren Gewinn: Entscheidung generiert neue Optionen. Und umgekehrt: Nicht-Entscheidungreduziertin aller Regelden zukünftigen Handlungsspielraum und gefährdet – bei chronischem Verlauf – das System in seiner Existenz. Kriterium der Unterscheidung könnte der ethische Imperativ sein, den Heinzvon Forerster postuliert hat:„Handle stets so, dass die Zahl deiner Möglichkeiten wächst“.
Die aktuelle Ausgabe von futur2 geht der Logik von Entscheidungen nach. Sie greift damit in einem ersten Zugang das Thema des 3. Kongresses Strategie und Entwicklung in Gesellschaft und Kirche auf, der vom 06. bis 07. Februar 2013 in Bensberg stattfindet. Er steht unter dem Motto: „‘Prüfet alles, das Gute behaltet‘ (1Thess 5, 19-21). Strategisch entscheiden“ und richtet sich insbesondere an Führungskräfte auf den unterschiedlichen Ebenen von Kirche, Caritas und Diakonie sowie an Fachkräfte in den Bereichen pastorale Planung, kirchliche Organisationsentwicklung/ Gemeindeberatung und Personalentwicklung/ Aus- und Weiterbildung. Hauptamtliche sind ebenso angesprochen, wie Ehrenamtliche, die in synodalen Gremien, Projekten oder Initiativen Verantwortung tragen.
Dr. Valentin Dessoy, Mainz
Dr. Gundo Lames, Trier
Frank Reintgen, Köln
Dr. Bernhard Spielberg, Würzburg
Andreas Fritsch, Münster