22018

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Konzept

Martin Lörsch

Die Synode im Bistum Trier als Strategieentwicklungsprozess – Herausforderung für die praktische Theologie

Als Geschenk zum 60. Geburtstag von Valentin Dessoy überreiche ich diesen Beitrag. Valentin Dessoy ist in vielfacher Weise mit dem Bistum Trier verbunden. Auch wir persönlich kennen und schätzen uns seit vielen Jahren. Mit meinem Beitrag knüpfe ich vor allem an die Kapitel „Reformparadigma“1 und „Innovation“ an, um diese auf der praktisch-theologischen Metaebene meiner Fachdisziplin zu reflektieren. Aufgrund persönlicher Einsicht und Einblicke in diese besondere Form eines synodalen Prozesses entfalte ich meine Überlegungen anhand der Synode im Bistum Trier (2013-2016).

Im Frühsommer 2012 hatte Bischof Stephan Ackermann eine Diözesansynode für das Bistum Trier angekündigt. Damit wollte er den in der Deutschen Bischofskonferenz vereinbarten Gesprächs- und Dialogprozess „Im Heute glauben“ (2011-2015) in kirchenrechtlich verbindlicher Form (vgl. can. 460-468 CIC) umsetzen. Seine Entscheidung blieb singulär und die Synode ist in der jüngeren Geschichte der deutschen Kirche ein Alleinstellungsmerkmal des Bistums Trier geworden. „Synode geht“2 – wurde zu einem geflügelten Wort am Ende der Trierer Synode: Am 30. April 2016 wurde das Abschlussdokument „heraus gerufen. Schritte in die Zukunft wagen“3 mit deutlicher Mehrheit beschlossen. Unmittelbar nach der Schlussabstimmung unterzeichnete der Bischof das Papier und setzte es mit seiner Veröffentlichung in Kraft. Mit diesem Akt ist der Umsetzungsprozess mit einer langfristig ausgerichteten strategischen Weichenstellung eröffnet worden.

Eine Synode kann nicht folgenlos an einer Praktischen Theologie vorübergehen, wenn sie in einen solchen Prozess involviert ist.

Eine Synode kann nicht folgenlos an einer Praktischen Theologie vorübergehen, wenn sie in einen solchen Prozess involviert ist. Denn wenn diese sich als kritische Theorie christlich-kirchlicher Praxis versteht, dann fordert die Synode sie heraus, ihr Selbstverständnis als praktisch-theologische Wissenschaft auf den Prüfstand zu stellen. Genau über diese Frage möchte ich in meinem Beitrag nachdenken. Es ist zu vermuten, dass eine Praktische Theologie, die sich als relevant für das Beobachten und Begleiten einer Synode und eines synodalen Umsetzungsprozesses erweisen will, Entdeckungen machen kann, die mit dem Leitmotiv des Abschlussdokuments korrespondieren: „heraus gerufen. Schritte in die Zukunft wagen“.

Drei Thesen will ich diesem Artikel voranstellen und nach ihnen den Beitrag gliedern:

  1. Die Synode hat mit der Verständigung über die prägenden gesellschaftlichen Entwicklungen, der Entscheidung für eine diakonisch-missionarische Kirche sowie die Ausrichtung der Pastoral am Sozialraum der Menschen zu einer Komplexitätssteigerung beigetragen, auf die die Pastoraltheologie nur unzureichend vorbereitet ist.
  2. Der Diskurs mit der Synode und ihrer Umsetzung fordert die Praktische Theologie heraus, ihr Selbstverständnis als kritische Theorie christlich-kirchlicher Praxis, den verwendeten Methodenkanon sowie ihre Positionierung in Bezug zur Kirche zu überdenken und fortzuschreiben. Nur dann ist Praktische Theologie als handlungswissenschaftliche Praxistheorie in der Lage, das Konzept einer missionarisch-diakonischen Kirchenentwicklung mit ihren Implikationen für den Umsetzungsprozess konstruktiv-kritisch zu reflektieren, um so die gewonnenen Erkenntnisse als theologiegenerativ identifizieren und kommunizieren zu können.
  3. Praktische Theologie kann dazu beitragen, den Umsetzungsprozess der Synode als Ausdruck und Form von gelungener und auch gescheiterter Praxis christlich-kirchlichen Handelns mit den beabsichtigten Wirkungen und den unbeabsichtigten Risiken und Nebenwirkungen zu reflektieren. Mit verschiedenen Formaten der Evaluation können diese für die Beobachtung und die synodale Verständigung im Volk Gottes zugänglich gemacht und kommuniziert werden.

Im Folgenden möchte ich diese Thesen entfalten und praktisch-theologisch begründen.

„… sie ermutigt, sich grundlegend neu auszurichten und in allen kirchlichen Vollzügen missionarisch-diakonisch in die Welt hinein zu wirken“

These 1: Die Synode hat mit der Verständigung über die prägenden gesellschaftlichen Entwicklungen, der Entscheidung für eine diakonisch-missionarische Kirche sowie die Ausrichtung der Pastoral am Sozialraum der Menschen zu einer Komplexitätssteigerung beigetragen, auf die die Pastoraltheologie nur unzureichend vorbereitet ist.

„Auf dem Boden dieser spirituellen Vergewisserung ermutigt die Synode die Christinnen und Christen im Bistum Trier und auch das Bistum als Organisation, den Aufbruch zu wagen. Sie ermutigt zu einem Prozess diakonischer Kirchenentwicklung – sie ermutigt, sich grundlegend neu auszurichten und in allen kirchlichen Vollzügen missionarisch-diakonisch in die Welt hinein zu wirken.“4 – Diese Aussage enthält bereits wichtige Hinweise für die Selbstvergewisserung der Praktischen Theologie. Um diese Aussage mit der vorangestellten These zu unterfüttern, möchte ich zunächst das Synodendokument in seiner Struktur und mit seinen zentralen Aussagen zu Wort kommen lassen.

Das Abschlussdokument bietet in Kapitel 1 „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ (Mt 6,33) den hermeneutischen Schlüssel zum Grundverständnis des Synodenpapiers. Im 2. Kapitel werden die vier Perspektivwechsel der Synode vorgestellt:

“a) Vom Einzelnen her denken; b) Charismen vor Aufgaben in den Blick nehmen; c) Weite pastorale Räume einrichten und netzwerkartige Kooperationsformen verankern; d) Das synodale Prinzip bistumsweit leben“.

Das 3. Kapitel ist überschrieben mit „Haltungen und Kultur“. In ihm werden die personalen und organisationalen Rahmenbedingungen sowie die Anforderungen an die Bistumskultur als Voraussetzung für das Gelingen der Umsetzung benannt und diese zwei Grunddimensionen aufeinander bezogen. In Kapitel 4 „Neu handeln“ werden die vier Perspektivwechsel in sechs zentralen Handlungsfeldern entfaltet. Vor allem die Aspekte: „Zu den Menschen gehen“ und „Neue Formen der Gemeinschaft schaffen“ benennen Themen und Anforderungen, mit denen die tradierte, eher volkskirchlich geprägte Gemeindepastoral entgrenzt und überschritten wird: „Orientierung am Sozialraum der Menschen“ und Umgestaltung der Pfarrseelsorge im Bistum Trier mit gegenwärtig 887 Pfarrstellen in große pastorale Einheiten. Im 5. Kapitel „Weitergehende Erkenntnisse – Grenzen als geistliche Herausforderung“ sind Probleme aufgelistet, die von den Synodalen aus zeitlichen oder inhaltlichen Gründen nicht geklärt werden konnten (z.B. Verständigung auf ein Leitbild) oder die Zuständigkeit einer Diözesansynode übersteigen. Das Schlusskapitel 6 lautet: „Einen neuen Anfang wagen und Kurs halten“. Darin werden Glaubwürdigkeit, Qualität und Verbindlichkeit als drei Markenzeichen der künftigen Bistumskultur vereinbart.

Die Synode hat mit ihrer Vergewisserung der prägenden gesellschaftlichen Entwicklungen, der Option für eine diakonisch-missionarische Kirche sowie ihrer Ausrichtung auf die sozialraumorientierte Sozialgestalt in mehrfacher Hinsicht zu einer Komplexitätssteigerung beigetragen, die auch die Praktische Theologie vor neue Herausforderungen stellt. In Form von Anfragen möchte ich die Aussage der ersten These ansichtig machen.

  • Kapitel 1 mündet ein in die Aussage: „Sie ermutigt zu einem Prozess diakonischer Kirchenentwicklung – sie ermutigt, sich grundlegend neu auszurichten und in allen kirchlichen Vollzügen missionarisch-diakonisch in die Welt hinein zu wirken.“5 Mit dieser Ansage ist die Praktische Theologie vor die Frage gestellt, auf welcher wissenschaftlichen Basis sowie mit welchen Kriterien, Methoden und Instrumenten sie in der Lage ist, handlungswissenschaftlich begründet einen Prozess diakonischer und missionarischer Kirchenentwicklung zu beobachten, fachlich zu begleiten und zu bewerten.

In der Spiegelung mit zentralen Aussagen der Synode stößt die Praktische Theologie in Bezug auf Selbstverständnis und Leistungsprofil an ihre Grenzen.

Diese grundlegende Anfrage konkretisiert und erweitert sich, wenn man die vier Perspektivwechsel im zweiten Kapitel in den Blick nimmt:
  • „Vom Einzelnen her denken“ – Während in Kap. 1 Aussagen über die Kirche getroffen werden, richtet sich nun der Blick auf die Adressaten von Pastoral im Allgemeinen und Seelsorge im Besonderen. Weil die Synode den gesellschaftlichen Wandel zum Ausgangspunkt macht und Phänomene wie Individualisierung und Pluralisierung ernst nimmt, zielt sich auf eine konsequent subjektorientierte Pastoral. Damit ist die Praktische Theologie auf Erkenntnisse und Methoden der Sozial- und Pastoralpsychologie (vgl. V. Pirker: „fluide und fragile Identitäten“) verwiesen.
  • „Charismen vor Aufgaben in den Blick nehmen.“ In der Bearbeitung dieses Perspektivwechsels muss sich die Praktische Theologie mit den unterschiedlichen Seelsorgetheorien (vgl. M. Klessmann, C. Morgenthaler, D. Nauer, …) auseinandersetzen. Zugleich müssen sich diese, die zunächst aus dem Kontext der „Sorgekultur“ erwachsen sind, in Bezug auf eine konsequent ressourcen- und charismenorientierte Konzeption hin kritisch anfragen lassen.
  • „Weite pastorale Räume einrichten und netzwerkartige Kooperationsformen verankern.“ Beim dritten Perspektivwechsel werden die praktisch-theologische Ekklesiologie und die Gemeindepastoral auf den Prüfstand gestellt. Angesichts eines derartigen Anforderungsprofils der „Pfarrei der Zukunft“ stoßen die vertrauten Kirchenbilder und Pastoralkonzepte an ihre Grenzen: Kompetenzen in Organisations- und Netzwerktheorien mit einer dem aktuellen Diskussionsstand entsprechenden und theologisch fundierten Praxistheorie gehören bisher nicht zum Know-how der Gemeindepastoral.
  • „Das synodale Prinzip bistumsweit leben“. Der vierte Perspektivwechsel verschränkt sich mit „Haltungen und Kultur“ (Kap. 3). Beim Begriff „Haltungen“ ist die Lernpsychologie gefragt, denn hier geht es um mühsame Lernwege bei den Mitgliedern des Volkes Gottes: Suchende (oft in Halbdistanz zur verfassten Kirche), Gläubige in der Gemeinde, Mitglied in einem Orden, einem kirchlichen Verband, einer geistlichen Gemeinschaft, als Rollenträger innerhalb der Kirche. Bei Fragen zur „Kultur“ kommt die Organisationskultur auf dem Prüfstand. Wenn es um die Kirche als „lernende Organisation“ geht, ist vor allem die Organisationspsychologie gefragt.
  • Am die vier Perspektivwechseln und der geforderten Veränderungen in Haltungen und Kultur schließt sich das 4. Kapitel „Neu handeln“ an. Bereits im ersten Abschnitt „Zu den Menschen gehen“ wird eine Neuausrichtung der Pastoral formuliert: „Die Orientierung am Sozialraum der Menschen wird grundlegend sein für die zukünftige pastorale und caritative Arbeit des Bistums Trier. Die Sozialraumorientierung wird der Seelsorge, der Katechese sowie der sozial-caritativen Arbeit als Handlungsprinzip verbindlich zu Grunde gelegt.“6 Mit dieser Forderung wird ein weiteres Theorie-Element eingetragen. Denn der Begriff „Sozialraumorientierung“ stammt aus der Sozialen Arbeit und der offenen Jugendarbeit. Im kirchlichen Kontext findet er sich zunächst in Grundlagendokumenten und in Konzepten des Caritasverbands. Der Impuls zu einer konsequent sozialraumorientierten Pastoral ist von der Synode positiv aufgenommen, so hat die Sozialraumorientierung Aufnahme in das Synodendokument gefunden. Für die Praktische Theologie stellt dieses Konzept jedoch eine weitere Anfrage dar, denn die zugrundeliegenden Theorien werden in der Caritaswissenschaft und in der katholischen Soziallehre, von der Pastoraltheologie bisher jedoch kaum rezipiert.

Als Fazit kann man festhalten: In der Spiegelung mit zentralen Aussagen der Synode stößt die Praktische Theologie in Bezug auf Selbstverständnis und Leistungsprofil an ihre Grenzen. Mit meiner Analyse spreche ich mich daher für eine Fortschreibung der Praktischen Theologie aus, damit sie den Anforderungen und dem Komplexitätsniveau künftiger Pastoral eher entsprechen kann. Im zweiten Schritt möchte ich dazu ein praktisch-theologisches Modell vorstellen und zur Diskussion stellen.

Ein praktisch-theologisches Modell mit fünf ineinander verschränkten Dimensionen

These 2: Der Diskurs mit der Synode und ihrer Umsetzung fordert die Praktische Theologie heraus, ihr Selbstverständnis als kritische Theorie christlich-kirchlicher Praxis, den verwendeten Methodenkanon sowie ihre Positionierung in Bezug zur Kirche zu überdenken und fortzuschreiben. Nur dann ist Praktische Theologie als handlungswissenschaftliche Praxistheorie in der Lage, das Konzept einer missionarisch-diakonischen Kirchenentwicklung mit ihren Implikationen für den Umsetzungsprozess konstruktiv-kritisch zu reflektieren, um so die gewonnenen Erkenntnisse als theologiegenerativ identifizieren und kommunizieren zu können.

Das praktisch-theologische Theorie-Modell, das ich im Folgenden vorstellen werde, ist zu verstehen als Einheit mit fünf verschränkten und aufeinander verwiesenen Dimensionen. Dieses Modell dient dazu, die zuvor analysierten Schwächen Praktischer Theologie und die Anfragen heutiger wie künftiger pastorale Praxis angemessener bearbeiten zu können.

Fundamentalpastorale-wissenschaftstheoretische Dimension

Wie muss eine Seelsorgetheorie konzipiert sein, in der die Alltags-Seelsorge im Leben und Handeln der getauften und gefirmten Christen, das Verhältnis von Seelsorge durch Ehren- und Hauptamtliche, die Relation zwischen der Seelsorge als Grunddienst und der spezialisiert-professionellen Seelsorge in Institutionen abgebildet sind?

Die erste Dimension im Theoriemodell bezeichne ich als fundamentalpastorale und wissenschaftstheoretische Dimension. Sie liefert Begründungen für die Konsistenz des Modells und ihre Entfaltung in vier Dimensionen Praktischer Theologie (vgl. Grafik). Im Einzelnen geht es um Theorie und Praxis Praktischer Theologie, ihre Verortung im Fächerkanon der theologischen Disziplinen, um das Verhältnis von Empirie und Theologie, um ihre Einschätzung zur Relation von Seelsorge, Pastoral und Kirche, das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz in kirchlichen Organisationen, um Seelsorgetheorie und Caritaswissenschaften …

Systemische-ressourcenorientierte Seelsorgetheorie

In dieser Dimension wird vor allem auf die Perspektivwechsel eins und zwei Bezug zur Synode im Bistum Trier genommen. Wie muss eine Seelsorgetheorie konzipiert sein, in der die Alltags-Seelsorge im Leben und Handeln der getauften und gefirmten Christen, das Verhältnis von Seelsorge durch Ehren- und Hauptamtliche, die Relation zwischen der Seelsorge als Grunddienst und der spezialisiert-professionellen Seelsorge in Institutionen (Jugendzentrum und Schulpastoral, Krankenhaus und Seniorenzentrum, Gefängnis, Polizei- und Militärseelsorge…) abgebildet sind? In diesem Feld ist auch das Verhältnis zwischen therapeutischer Seelsorge, geistlicher Begleitung und charismenorientierter Seelsorge zu reflektieren. Zu diesem Theoriesegment zählen ebenso die Berufungspastoral (im weiten und im engeren Sinne) und ihre praktisch-theologische Verortung im Rahmen der Personalgewinnung, Personalentwicklung und Personalentwicklungsplanung. Nicht zuletzt markiert sie ein Forschungsfeld, um auf Zukunft hin die Relation zwischen einer „institutionsfreien“ und der kirchlich-beauftragten Seelsorge in der postsäkularen Gesellschaft zu bearbeiten.

Praktisch-theologische Sozial- & Caritas-Wissenschaft

Eine praktisch-theologische Sozial- & Caritas-Wissenschaft erweist sich angesichts der Forderung nach einer konsequent diakonischen, missionarischen und sozialraumorientierten Pastoral als Desiderat. Mit dieser bisher nur in Versatzstücken vorgelegten praktisch-theologischen Theorie könnten sich die Erkenntnisse der Sozial- & Caritaswissenschaften noch mehr als eine Bereicherung für die Praktische Theologie erweisen. In dieser Dimension wäre auch konsequent Bezug zu nehmen auf die jüngsten Entwicklungen in der christlichen Soziallehre, etwa durch den Beitrag von Enzyklika „Laudato si“ (2015), mit ihren Implikationen für Strategie- und Leitbildentwicklung, Organisationskultur und Organisationsethik.

Organisationstheorie als praktisch-theologische Ekklesiologie und Ekklesiogenese

Dieses Theorieelement kommt in den Blick, wenn es um eine organisationstheoretische Reflexion eines theologisch konsistenten und zeitgemäßen Leitungsverständnisses des Diözesanbischofs geht.

In der vierten Dimension des Modells steht die Organisationstheorie im Sinne einer praktisch-theologischen Ekklesiologie und Ekklesiogenese im Fokus. Dieses Theorieelement kommt in den Blick, wenn es um eine organisationstheoretische Reflexion eines theologisch konsistenten und zeitgemäßen Leitungsverständnisses und -handelns des Diözesanbischofs (mit den ihm zugeordneten Leitungsstrukturen und Beratungsgremien) geht. Sie erweist sich als notwendig, wenn man den Perspektivwechsel Drei „Weite pastorale Räume einrichten und netzwerkartige Kooperationsformen verankern“ für die praktisch-theologische Bearbeitung aufblendet. In diesem Segment sind die für Veränderungsprozesse unverzichtbaren Theorien wie kirchliche Strategieentwicklung, Steuerungs- und Interventionstheorie usw. zu verorten und auf die unterschiedlichen Organisationsebenen von Kirche-sein hin zu operationalisieren. Nicht zuletzt sind ist darin auch die systemische Evaluation (siehe These 3) angesiedelt.

Pastoraltheologie reloaded

Um die Pastoraltheologie im eher klassischen Sinne mit den zentralen Handlungsfeldern geht es in der fünften Dimension des Modells. Ihre Verschränkung mit den anderen vier Dimensionen erfordert und ermöglicht zugleich eine Vertiefung der bisherigen Konzeption, gleichsam eine Neuorientierung im Sinne von „Pastoraltheologie reloaded“. Anhand des Handlungsfeldes „Gemeindepastoral“ ist die Horizonterweiterung, die durch die Synode gefordert wird (u.a. im Perspektivwechsel Drei) und die das hier vorgestellte praktisch-theologische Modell eröffnet, unmittelbar einsichtig. Ohne Schwierigkeiten wird sich seine inspirierende Wirkung auch für die Pastoraltheologie der Lebenswenden, der Kranken- und Trauerpastoral und die Seelsorge in Kooperation mit Institutionen und in Organisationen (z.B. Schule, Krankenhaus, Seniorenzentrum, Stationäres Hospiz, Gefängnis, Militär, Polizei…) plausibilisieren lassen.

Am Ende der Vorstellung meines Theorie-Modells muss ich einschränkend folgende Hinweise geben: In meinem Beitrag konnte ich dieses nur in einigen Hauptlinien skizzieren. Wichtige Aspekte sind dabei nur angedeutet oder stichwortartig genannt worden. Auf weitere Themen müsste detaillierter eingegangen werden, z.B.: Woran kann man erkennen, dass in diesem Modells das Ganze mehr ist als die Summe seiner fünf Teile? Wie gelingt es, die einzelnen Dimensionen konsequent aufeinander zu beziehen und den Achsen zwischen den Polen eine gebührende Aufmerksamkeit zu schenken? Wie kann das Verhältnis von Komplexitätssteigerung (in der Entfaltung der fünf Dimensionen mit der wechselseitigen Verwiesenheit) zur Komplexitätsreduzierung (mit der Integration der fünf Dimensionen zu einem Ganzen) angemessen dargestellt werden? Diese und weitere Fragen bleiben in meinem Beitrag unbearbeitet, sollen aber zumindest als Desiderate benannt werden.

Von der Evaluation her die strategische Neuausrichtung des Bistums Trier konzipieren

These 3: Praktische Theologie kann dazu beitragen, den Umsetzungsprozess der Synode als Ausdruck und Form von gelungener und auch gescheiterter Praxis christlich-kirchlichen Handelns mit den beabsichtigten Wirkungen und den unbeabsichtigten Risiken und Nebenwirkungen zu reflektieren. Mit verschiedenen Formaten der Evaluation können diese für die Beobachtung und die synodale Verständigung im Volk Gottes zugänglich gemacht und kommuniziert werden.

Zu Beginn meiner Ausführungen habe ich die Synode als Strategieentwicklungsprozess7 etikettiert. Doch trifft dieses Label darauf zu? Vier Leitunterscheidungen müssen in einem strategischen Prozess zum Tragen kommen:

  1. Dieser ist langfristig ausgerichtet und folgenreich in Bezug auf zu erwartende Konsequenzen, die man nur unter hohem Aufwand korrigieren kann.
  2. Er ist funktionsübergreifend angelegt, d.h. nicht auf ein Segment, eine Abteilung oder Hierarchieebene begrenzt.
  3. Zudem geht es um Bewältigung von Komplexität, die sich einer linear-kausalen Logik entzieht.
  4. Schließlich wurzelt Strategieentwicklung in einem kreativen unternehmerischen Kern, sie kann auf vorhandenes schöpferisches Potential zurückgreifen.

Diese Leitunterscheidungen korrespondieren in hohem Maß mit dem Konzept der Trierer Synode. Denn der Bischof hat mit ihrer Einberufung einen Beratungsprozess eröffnet, um mit den Synodalen aufgrund des gesellschaftlichen und kirchlichen Wandels langfristig ausgerichtete Entscheidungen mit verbindlichen Handlungskonsequenzen zu beraten und zu vereinbaren.

Es fehlen Aussagen über Laufzeit und Überprüfbarkeit des Umsetzungsprozesses sowie verbindliche Formate des Austauschs über Zielerreichung während und am Ende des vereinbarten Weges.

Im Abschlussdokument entdecke ich jedoch eine Leerstelle: die Beachtung eines in der systemischen Strategieentwicklung zentralen Prinzips. Demnach sollten Veränderungsprozesse vom angezielten Ende her konzipiert, beobachtbar gemacht und reflektiert werden. Im sechsten Kapitel des Abschlussdokuments „Einen neuen Anfang wagen“ werden zwar Glaubwürdigkeit, Qualität und Verbindlichkeit als drei handlungsleitende Prinzipien einer „visionären Kirchenentwicklung“8 genannt. Hier fehlen jedoch Aussagen über Laufzeit und Überprüfbarkeit (Zielfoto) des Umsetzungsprozesses sowie verbindliche Formate des synodalen Austauschs über Zielerreichung während und am Ende des vereinbarten Weges (als „syn-hodos“). Darin müssten auch Angaben über die von der Synode erwarteten Wirkungen und die zu vermeidenden Risiken eingetragen sein. Als Methode der Wahl bietet sich die systemische Evaluation an, als formative Evaluation während des Umsetzungsprozesses bzw. als summative Evaluation an ihrem Ende. Mit diesem Impuls und einer Konzeptvorlage zur Durchführung dieser speziellen Art der Prozessreflexion könnte die Praktische Theologie ihren Beitrag leisten, eine Leerstelle im Abschlussdokument zu füllen und das noch nicht geschriebene siebte Kapitel zu entwerfen.
  1. Stellvertretend sei hier genannt: Dessoy, V./ Lames, G./ Lätzel, M./ Hennecke, C. (Hg.): Kirchenentwicklung. Ansätze – Konzepte – Praxis – Perspektiven. Trier 2015. 
  2. Vgl. Heckmann, C./ Mohr-Braun, D. (Hg.): Synode geht. Ansprachen. Predigten und Briefe von Bischof Stephan Ackermann zur Synode im Bistum Trier. Freiburg/Br. 2017.
  3. Bistum Trier (Hg.): Abschlussdokument der Synode für das Bistum Trier „heraus gerufen. Schritte in die Zukunft wagen, Trier, 2016, 13. In Kraft gesetzt in: Kirchliches Amtsblatt für das Bistum Trier Nr. 119 und 120 (15.05.2016), 154-182.
  4. Aao.
  5. Bistum Trier (Hg.): Abschlussdokument, a.a.O., 13. 
  6. AaO., 26. Ausdrücklich soll in diesem Zusammenhang auf Anmerkung 16 (auf Seite 27) hingewiesen werden, der den Begriff „Sozialraumorientierung“ mit Bezug auf den Caritasverband definiert. Den Sozialraum kann man beschreiben als eine Schnittmenge zwischen den individuellen (meist verinselten) Lebensräumen der Menschen und ihren topographisch-beschreibbaren sowie biographisch-relevanten Nahräumen. Als individuelle Sozialräume überlappen sich beide Dimensionen und wirken aufeinander ein.
  7. Vgl. Lörsch, M.: Zukunft der Seelsorge für eine künftige Sozialgestalt der Kirche. Systemische Strategieentwicklung am Beispiel der Synode im Bistum Trier (2013-2016), in: Garhammer, E./ Hobelsberger, H. Blasberg-Kuhnke, M. /Pock, J. (Hg.): Seelsorge: Die Kunst der Künste. Zur Theologie und Praxis von Seelsorge, Würzburg 2017, 81-90.
  8. Bistum Trier (Hg.): Abschlussdokument, a.a.O., 38f.

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