22018

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Konzept

Jan-Christoph Horn

Systemische Beratung kirchlicher Organisationsentwicklung

„Systemische Beratung versteht sich als Co-Evolution von Selbstorganisationsprozessen.“  (Valentin Dessoy)

Mein Berater- und mein Beratungsverständnis ist grundlegend geprägt von meiner Ausbildung bei Valentin Dessoy in den Jahren 2012 bis 2015. Viele der damals erworbenen Erkenntnisse und Anschauungen leiten mich bis heute. Ich erinnere mich noch gut an Valentin Dessoys leise, aber präsente Stimme und seine hochgewachsene Gestalt, die er ganz klein machen konnte, um sich im Einüben von Beratung neben einen zu hocken und zu sagen: „Schau mal, was da gerade passiert“ und „Was kannst du dem System jetzt anbieten?“

Die Gelegenheit ist günstig, drei Jahre nach Abschluss der Ausbildung hinzusehen auf das, was kirchlicher Organisationsberatung anbieten kann. Die Ausführungen dienen der Vergewisserung und Orientierung, aber auch der Vorstellung und Plausibilisierung dieser Weise systemischer Beratung innerhalb von Kirche.1

Schau mal, was gerade passiert.

Man könnte meinen, bei der Organisationsberatung ginge es darum, die Sachen zu verbessern – bessere Abläufe, klarere Zielformulierungen, „richtige“ Entscheidungen. Ja, darum geht es auch. Aber wer hat schon einmal gesehen, wie ein sauber herausgearbeitetes Pastoralkonzept im Hochglanzdruck die lokale Kirche vor Ort belebt hat? Na also. Sind es doch die Anschauungen, die Einstellungen und Motive der Menschen, die die Verlebendigung bewirken. Der Hochglanzdruck ist eine würdigende Repräsentanz dafür.

Und genauso, wie es um die „großen“ und praktischen Dinge des Change-Managements geht – Reflexion der Organisationsgeschichte, soziale Kontexte, Visionen und Begriffe (Pfarrei, Gemeinde …), SMARTe Ziele, Ressourcenplanung, Zeitplanung und Umsetzungskontrolle – geht es auch um die „kleinen“, feinstofflichen Dinge – Beziehungen, Gefühle, Erfahrungen, Energie.

Es geht um systemische Beratung kirchlicher (Organisations-)Entwicklung.

1. Das Reflecting Team – Entdecke den Unterschied, oder: systemisch wahrnehmen, denken, fragen, beraten

Was haben wir uns bemüht, aber ich glaube, wir haben es in der Ausbildung damals nie so richtig verstanden, im morgendlichen Reflecting Team vor der Kursgruppe einen Unterschied in der Wahrnehmung des vergangenen Tages zu machen. Auch mir war klar: Es geht nicht um ein Nacherzählen. Aber es sollte auch nicht um ein Bewerten gehen. Aber worum dann?

Mittels Hypothesenbildung wird nicht nach der richtigen Sicht auf die Dinge gefragt, sondern eine möglichst große Vielzahl von alternativen Sichtweisen auf die Dinge konstruiert.

Heute weiß ich: Das Reflecting Team war die Lernwerkstatt systemischen Denkens.2 Denn den Systemiker interessiert nicht die wiederkäuende Analyse scheinbar kausaler Zusammenhänge („Weil das so war, folgte dies“). Er schaut nach Kontexten, ist interessiert an Wirkungen, fragt „Wie könnte es auch sein?“ Mittels Hypothesenbildung wird nicht nach der richtigen Sicht auf die Dinge gefragt, sondern eine möglichst große Vielzahl von alternativen Sichtweisen auf die Dinge konstruiert. Denn nur das, was vorstellbar ist, ist auch wahrnehmbar. Des Systemikers Handwerk: Differenzieren, differenzieren, differenzieren – durch zirkuläres Fragen, Musterunterbrechungen, paradoxe Interventionen, die Frage nach mentalen Konstruktionen und Pfadabhängigkeiten („War es schon immer so, dass …“), Refraiming, ganzheitlichen Wahrnehmungen, Assoziationen, die Frage nach der „hidden Agenda“. Dadurch entsteht für einen (manchmal wahrlich greifbaren) Augenblick Abstand des Systems zu sich selbst. Fremdheit, Ungewohntheit, etwas von „Außen“ erzeugt andere Sicht- und neue Möglichkeiten und damit Sichtweisen und Wahlmöglichkeiten, zu denen man sich verhalten kann. Und das macht dann im besten Fall einen Unterschied, führt gleichsam wie ein „Sprung“ in größere Lebendigkeit und ins Wachstum. Entwicklung und Lernen auf persönlicher wie organisationeller Ebene werden angeregt, nicht nur eine Optimierung des Bestehenden. Nach „logischen“ Schlüssen zu fragen ist manchmal präziser, führt aber manchmal nicht weiter und manchmal sogar in die Irre.

Entwicklung und Lernen auf persönlicher wie organisationeller Ebene werden angeregt, nicht nur eine Optimierung des Bestehenden.

Ob das Leitungsgremium einer Pfarrei sich für diesen oder jenen Leitsatz und entsprechende Maßnahmen entscheidet oder Teamkollegen sich für dieses oder ein anderes Verhältnis zueinander entscheiden, ist dann keine Reproduktion des Immergleichen, keine Frage des Pragmatismus, des Machteinflusses oder der besseren Rhetorik, sondern die Erarbeitung einer Unterscheidung: Wohin führt das eine, wohin etwas anderes? Es geht nicht darum, Möglichkeiten nach mühsamen Ringen auszuschließen, sondern sich für die Nützlichere zu Entscheiden (… es kann sogar so bleiben, wie es war, wenn es nützlich war – allerdings ist das eher selten ein Beratungsanlass). Als systemischer Berater bin ich Mäeut solcher Prozesse.

Dieser Beratungsansatz hat etwas Freiheitliches, den Menschen in seiner Selbstkompetenz Würdigendes. Ein solches Tun ist auch christlich anschlussfähig, insbesondere an die „Unterscheidung der Geister“: Hier der lebendige, fruchtbare, tröstende Geist Gottes – dort der alles durcheinander bringende „Aber“-Geist.3

2. Wie berate ich?

„Berater sind dumm, faul und neugierig“ – diesen Spruch hörte ich mal. Natürlich stelle ich mich nicht dumm oder zeige Desinteresse. Aber ich weiß es eben auch nicht – und erst recht nicht besser. Ich habe keine Optionen, keine Aktien im Feuer, die mich (fehl)leiten könnten. Doch ich habe Interesse. Ich glaube an die Lösbarkeit von Problemen, die Kraft von Entscheidungen, den Mut des Ausprobierens und die Klarheit von Absprachen. Diese Haltung und die daraus resultierende Bereitschaft zur Suche biete ich dem Kundensystem für ihre Suche, für ihren Aushandlungsprozess an. Systemische Beratung gleicht einem Tanz, bei dem beide Partner auf Impulse reagieren.

Systemische Beratung gleicht einem Tanz, bei dem beide Partner auf Impulse reagieren.

Für mich, der ich durchaus pedantisch, akribisch und festbeißend sein kann, war dazu der Regelkreis „TOTE“ ein Türöffner. TOTE heißt: Test > Operate > Test > Exit4 und meint ein Ausprobieren von Möglichkeiten, solange, bis das System signalisiert „Jetzt passt es“ oder auch „Jetzt hast du mich durcheinandergebracht“ – je nach Beratungsanlass ist mal das eine, mal das andere nötig.

Was TOTE bringt? Kreativität, Neugier, Freiheit, Spiel, Bewegung. Ich bzw. das beratungsnehmende System muss nicht den Fall-der-Fälle absichern, sondern es werden verabredet (!) Dinge einfach mal angesprochen und/oder ausprobiert und dann schaut man, was passiert. Ob das eine Hypothese von mir ist (z.B. im Teamcoaching: „Kommt Ihnen das, was Sie hier gerade erleben, bekannt vor? Wollen Sie es mal anders machen?“) oder in einem Pastoralkonzept zwei Projekte für die Zielgruppe junge Familien für ein Jahr ausprobiert werden. Es kann sein, dass Wirkungen eintreten – die erhofften oder andere, nützlichere. Dann weiter. Oder dass noch einmal neu „getestet“ werden muss. Kirchenentwicklung ist für mich als systemischer Berater keine Kontrolle von Kennzahlen und nicht die Absicherung des Status-Quo, sondern die Erhöhung der Selbstwirksamkeit des Systems, hier: der Organisation Kirche in der Erfüllung ihres Sendungsauftrags. Dem dient dann durchaus die Feststellung der Qualität der Wirkungen durch Planen, Umsetzen, Messen und Prüfen. Fertig ist man damit nicht, wenn die Zeit um ist, sondern wenn die Zeit erfüllt ist.

Es ist beeindruckend, wenn Personen merken, dass sie Einfluss im System haben, weil das System nicht etwas ist, was außerhalb von ihnen liegt, sondern um sie herum konstruiert ist.

Bei alldem spielt eine Rolle, was ein „System“ ist: Kommunikationen.5 Nachdrücklich in Erinnerung ist mir dazu eine kleine Übung aus der Ausbildung: das systemische Dreieck. Jede Person merkt sich den rechten Schuh von zwei anderen Personen und behält den Abstand dazu bei. Wenn man dann an einer beliebigen Stelle eine Person auch nur minimal in seiner Position verändert, kommt unter den Menschen, die auf einmal ein System bilden, eine Bewegung und Dynamik in Gang, die weder gestoppt, gesteuert, noch in allen Facetten erklärt werden kann. In der Beobachtung dessen bietet der systemische Berater seine Wahrnehmungen an – immer im Wissen darum, dass er gar nicht alles zu sehen bekommt – und animiert einzelne Systempartner zu veränderten Kommunikationen/Bewegungen. Frei nach dem Motto: „Mal schauen, was dann mit ihrem Anliegen / ihrem Problem / ihrer Umgebung passiert.“ Und man glaubt nicht, was im System passiert, wenn – um es an einem simplen Beispiel zu verdeutlichen, bei dem es um die höhere Leistungsbereitschaft von Sekretärinnen im Pfarrbüro ging – ein Pfarrer montags früh eine Tasse Kaffee mit seinen Sekretärinnen trinkt. Oder sie fortan nicht mehr trinkt. Es ist beeindruckend, wenn Personen merken, dass sie Einfluss im System haben, weil das System nicht etwas ist, was außerhalb von ihnen liegt, sondern um sie herum konstruiert ist – mit ihnen als Konstrukteur und Kommunikator. Ich denke an einen Pfarreiratsvorstand, der im Clinch mit den Hauptamtlichen lag, bis er erkannte, dass es vor allem sein Bild von Hauptamtlichen ist, dass ihn dazu verleitet. Als er ein anderes Bild verinnerlichen konnte … ist klar. Es ist stark, wenn Personen und Gruppen/Gremien erkennen, wie sehr sich andere von ihrem Verhalten abhängig machen und wie sehr manches von ihrem Verhalten abhängig ist. Wie der Pastoralreferent, der nicht gerne delegiert und sich wundert, warum keine neuen Ideen in seiner Pfarrei entstehen oder er sie zumindest nicht sieht. Und es ist beachtlich, wenn Menschen wahrnehmen, wie Dinge zusammenhängen, weil man bisher nicht sah, dass da noch jemand – um im Bild der genannten Übung zu bleiben – seinen Schuh dazwischen hat. So wie die Kita-Leitung, die genervt auf ihre Kolleginnen reagierte, wobei es eigentlich das Genervt-sein des Kirchenvorstands gewesen ist.

Systemische Beratung bedeutet: Das Verhältnis zu sich selbst und anderen wahrnehmen, mit einem präsentisch beschreib-, fühl- und energetisierbaren Ziel in Verbindung setzen, Selbstveränderung initiieren und die eintretenden Wirkungen mit dem Ziel abgleichen.

In einer zu simplen, aber grob orientierenden Unterscheidung kann man sagen: Geht es bei der Beratung um organisationale Zusammenhänge, um Strukturen, Prozesse, Programme und Profile von Teams, Gremien, Gruppen und Führungskräften handelt es sich um „Organisationsberatung“. Geht es bei der Beratung um die Person(en), die Rolle, biografische Trigger und innerpsychische Prozesse der Beratungsnehmenden im Kontext von Organisationen handelt es sich um „Supervision“. Geht es um die Interdependenzen des einen und des anderen handelt es sich um „Coaching“. Organisationsberatung ist stärker strukturverändernd (je stärker, desto mehr ist sie Organisationsentwicklung). Supervision ist stärker aufklärerisch-emanzipatorisch reflektierend. Coaching ist stärker anleitend.

3. Warum gibt es so viel Beratung?

Meine Kolleg*innen und ich erhalten mit unserem internen Beratungsangebot für die pastoralen Körperschaften, Institutionen und Einrichtungen im Bistum eine Vielzahl von Beratungsanfragen. Ist viel Beratung gut? Ist zu viel Beratungsbedarf ein schlechtes Zeichen?6

Die Perspektive der Beratung ist, nicht Probleme zu beseitigen, sondern Entwicklung zu ermöglichen. Das ist ein Unterschied!

Einerseits ist es gut, wenn viel Beratung in Anspruch genommen wird. Solange die Abgrenzung zu einer pastoralen Fachberatung gewährleistet ist („Herr Horn, sagen Sie doch mal, wie es geht“) und man nicht mit übergeordneten Interessen z.B. denen der Bistumsleitung, identifiziert wird („Was will denn der Bischof von uns?“). Und solange die Perspektive der Beratung ist, nicht Probleme zu beseitigen, sondern Entwicklung zu ermöglichen. Das ist ein Unterschied! Wer Probleme beseitigen möchte, muss etwas beenden, was – systemisch gesprochen – unter anderen Kontexten einmal eine Lösung für irgendetwas war und deswegen immanent eine Wertigkeit besitzt. Systeme bilden nämlich nie etwas Unnützes heraus. Aber sie müssen manchmal das unter veränderten oder in anderen Kontexten und Bedingungen Nicht-nützliche verlernen und neue Normalitäten herstellen. Wer die Beratung unter einer solchen Entwicklungsperspektive angeht, der fragt nicht rückwärtsgewandt nach dem Woher? und Warum? sondern nach dem Wozu? und Wie? Systemische Beratung ist kolossal lösungsorientiert: Statt auf ein kognitives Verstehen zu warten, genügt es, sich eine andere Wirklichkeit vorstellen zu können und Folgerungen daraus abzuleiten. „Angenommen, die Kirche hätte bei den gleichen Zahlen an Geistlichen Berufungen keinen Priestermangel …“. Solche Interventionen helfen Organisationen im Lernen – und deswegen sollte es sie nicht zu selten geben.

Systemische Beratung ist kolossal lösungsorientiert: Statt auf ein kognitives Verstehen zu warten, genügt es, sich eine andere Wirklichkeit vorstellen zu können und Folgerungen daraus abzuleiten.

Andererseits birgt viel Beratung, vor allem ständig wiederholte Beratung in der gleichen Organisationseinheit, auch eine Gefahr. Ein Kollege von mir sprach neulich mit Recht davon, dass viel Beratung dazu führt, dass man den Leuten die Selbstständigkeit und -verantwortung nimmt. Das wirkt sich auf den Selbstwert aus („Ohne Sie, Herr Horn, bekommen wir das nicht hin“). Und wenn dann sogar so ein Satz fällt wie „Herr Horn ist unser Haus-und-Hof-Berater“, dann muss man sich schleunigst aus und vom selbigen begeben. Denn dann berate ich nur noch Haus und Hof – oder vielmehr das, was ich dafür halte.

4. Beraten wir eigentlich die Richtigen?

Teil der Beraterausbildung war ein fundiertes Methodenset für Projektmanagement, Großgruppenmoderation und Konzeptentwicklung. Ich habe mich mit allem pastoralen Verve darauf geschmissen und mir die Dinge angeeignet. Dabei war schnell zu überhören, was Valentin Dessoy uns dazu sinngemäß sagte: Es geht nicht um schöne Settings für Methoden, sondern um passende Methoden für Settings. Nicht die Methode macht das Setting relevant, sondern das Setting die Methode. Denn nicht die Methoden verändern etwas, sondern die Wirkungen, die sie im Setting anzuregen imstande sind.

Es geht nicht um schöne Settings für Methoden sondern um passende Methoden für Settings.

Beispiel: Man kann die wunderbare Entwicklungs- und Planungsmethode „What & How“7 mit unterschiedlichen Pfarreiräten auf gleiche Weise durchführen und stellt fest: Mal klappt es gut, mal so lala, mal gar nicht. Das liegt nicht an der Methode und nur eingeschränkt an der Tagesform der Beteiligten, sondern daran, dass die Pfarreiräte unterschiedlich sind. Manche sind in der Lage, z.B. konzeptionell zu arbeiten, andere nicht.

Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, dass die Beratungsnehmenden sich ihrem Beratungsprozess zuwenden und dem Vorgehen systemischer Beratung folgen können und wollen, ist nicht trivial. Mit den Jahren verstetigt sich mein Reflex, genauer nach Beratungssettings zu schauen, sie eindeutig zu klären, Beratung unter bestimmten Umständen gar nicht erst aufzunehmen oder sogar abzubrechen. Wir sind ja nicht zum Bespaßen von Leuten da oder ein Programmpunkt, der höflich, aber desinteressiert abgesessen wird. Was soll aus Sicht der Beratungsnehmenden unrelevante Beratung bringen? Die Lebens- und Arbeitszeit der Beratungsnehmenden (und auch von uns Beratern) ist viel zu kostbar für sowas. Und wenn es in der systemischen Organisationsberatung v.a. um die Schaffung von neuen Anschauungen und das Einüben organisatorischer Abläufe damit geht, geht es weniger um lange Aufenthalte vor Ort, also um langandauernde Prozesse, sondern eher um kleine Interventionen, kurze Sprints, gezielte Settings. Eine (Entwicklungs-)Kurve besteht ja nicht aus einer langen Geraden, sondern aus vielen kleinen Punkten. Nachhaltigkeit entsteht nicht durch Präsenz der Beratung im System.

Ich muss das System lieben, mit dem ich arbeite.

Es ist gar nicht schwer, mit dem anfragenden System zu schauen, wer eigentlich für was auf welche Weise beraterisch begleitet wird. Es geht dabei üblicherweise um Themen hinter den Themen und um Personen hinter den Personen. Ich habe Pfarreiräte erlebt, die gesagt haben: „Dann sprechen Sie zunächst mal mit unserem Pfarrer“ – und der auch mit sich sprechen ließ. Und ich habe das betretende Schweigen im Raum erlebt, als wir einmal verkündeten, dass wir für die-und-die Moderation nicht zur Verfügung stehen, weil wir eher die-und-die Notwendigkeit an Beratungssetting sehen würden. Ich verrate nicht, wie es weiterging.

Sehr wichtig ist mir dabei, gewissermaßen als Kontrapunkt, dieser Satz geworden (… von wem ich den wohl habe?): „Ich muss das System lieben, mit dem ich arbeite.“ Meint: Ich kann mich nicht dazu aufplustern, neunmalklug und herrisch zu urteilen, wie es zu laufen hat, was alles geht und was alles nicht geht. Ohne eine gehörige Portion Indifferenz erteile ich Ratschläge, leiste keine Beratung. Es gehört zur beraterischen Professionalität und zum dienstlichen Auftrag, mit Beratungsnehmern zu arbeiten, die mir persönlich nicht passen, die ich doof und plump finde. Es ist wie es ist. Sich die Welt so zu machen, wie sie einem gefällt – das kann nur Pippi Langstrumpf. Auch hier ein Beispiel: Einmal hatte ich ein Vorgespräch mit einem Kunden. Schon als er die Türe reinkam wußte ich: „Den mag ich nicht.“ Von den 90 Minuten Gespräch habe ich (vielleicht unbemerkt vom Gegenüber) 45 Minuten gebraucht, bis ich in der Lage war, mich den Sorgen und Nöten zu öffnen, so dass ich beraterische Hilfestellung geben konnte. Ich habe diesen Menschen innerlich so sehr mit Liebe zugeworfen, bis es ging.

5. Kontrakt – wer hat eigentlich mit wem was zu klären?

Aus dem bisher Geschriebenen geht die Notwendigkeit hervor, die Dinge in der Beratung gut miteinander zu klären. Man sagt so schnell „Beratung“, aber was damit gemeint ist, wird unbesprochen zu einer Stolperfalle oder führt den Prozess durch unebenes Gelände und am Ende in die Sackgasse oder in eine Endlosschleife. Deswegen ist ein Kontrakt wichtig, in dem nicht nur die „Geschäftsbedingungen“ der Beratung (Kosten, Vertraulichkeit, Qualitätssicherung etc.) vereinbart, sondern das Anliegen und die Rollen geklärt und auch eine Weise der Reflexion des Beratungsprozesses (… welche ein Teil des Entwicklungsweges ist) benannt sind. Die Klärung des Anliegens ist manchmal sogar schon die halbe Beratung.

Gerade bei einem internen Beratungsangebot ist es auch unerlässlich, dass alle Parteien, die ein Anliegen haben, bei der Kontraktierung, an vereinbarten Punkten im Prozess und beim Abschluss der Beratung (zur Ergebnissicherung, zur Stabilisierung, bei Vereinbarungen) unmittelbar vertreten sind („Dreieckskontrakt“). Zum Beispiel ist die Personalabteilung eines Ordinariates eben nicht durch die interne Beratung des Bistums mit am Tisch oder kann den Beratern im Vorfeld 2-3 Dinge „zustecken“.

6. Wem gehört die Beratung?

Eine Frage hat die interne, d.h. die in den Diözesen organisatorisch festgemachte kirchliche Organisationsberatung (Gemeindeberatung, Pastoralberatung …), seit Anfang an begleitet8: Wem gehört die Beratung? Gehört die Beratung den Beratungsnehmern, der Bistumsleitung oder gar dem Berater selber? In ihrer Geschichte war sie schon alles: Unterstützung für die Basis gegenüber der Bistumsleitung genauso wie linientreue Erfüllungsgehilfe bischöflicher Entscheidungen. Das Grundrauschen all dessen klingt bis heute kakophonisch mit.

Interne Beratung steht – wie jede Beratung – im Bezug zum System, ist nicht außenstehender Beobachter, sondern immer Mitspieler im System.

Mich überzeugt die Position von Valentin Dessoy, dass interne kirchliche Organisationsberatung sich different zu jedweder Vereinnahmung verhalten muss. Die Beratung gehört dem System. Natürlich, als interne Organisationseinheit einer Diözese muss sie strukturell eingeordnet werden, als Instanz braucht sie aber Abstand. Zwischen Leitung und von ihr für die Organisation eingesetzte Beratung besteht ein Binnenverhältnis, aber keine Symbiose. Beratung stellt die tertiäre Ebene pastoralen Handelns dar. Nur dann kann sie Instrument zur Begleitung von Aushandlungsprozessen und zur Erhöhung der Selbstwirksamkeit sein. Anders gesagt: Nur dann kann sie als systemische Beratung ihren Beitrag dazu leisten, dass die Organisation als Ganzes lernt. Das hängt damit zusammen, dass eine Diözese eine Organisation ist, sie als Organisation aber nicht nur Systeme hat, sondern auch selber ein System ist. Interne Beratung steht – wie jede Beratung – im Bezug zum System, ist nicht außenstehender Beobachter, sondern immer Mitspieler im System. Aber sie muss zur Entfaltung ihrer Wirksamkeit die verabredete Rolle des Beobachters spielen dürfen, was gleichzeitig bedeutet, an anderen Rollen (Stakeholder, Akteur, Leitung) nicht teilhaben zu können. Die Herausforderung interner Beratung sind deshalb die Internen; sind die, die über ihre Beraterrolle versuchen z.B. politischen Einfluss zu nehmen.

Es ist also so: Die Bistumsleitung bedient sich der internen (wie einer extern beauftragten) kirchlichen Organisationsberatung, bildet qualifizierte Berater*innen aus, informiert sie über Entwicklungslinien. Kirchliche Organisationsberatung hat aus Sicht der Leitung eine „pädagogische“ Funktion bei der Umsetzung getroffener Entscheidung im Gesamtsystem (Fusion von Pfarreien, Erstellung von Pastoralkonzeptionen) und einen stabilisierenden Auftrag in der Organisation (Zusammenarbeit in Teams, Integration bestimmter Perspektiven in das Selbstverständnis von Mitarbeiter*innen, Bearbeitung von „Störungen im Betriebsablauf“ wie es die Deutsche Bahn ausdrücken würde). Dabei bedient sich Leitung der Beratung aber in selbstreflexiver Weise, weil Organisation in der heutigen VUCA-Welt grundsätzlich lernende Organisation in der Kontingenz der Außenbeziehungen und in der Kulturprägung der Innenwelt sein muss. Gut, wenn man da beobachtende, systemisch intervenierende Beratung hat.9

Die dabei nötige doppelte Achtsamkeit sei sehr deutlich benannt: 1. Die Funktion von Beratung darf die Beratung nicht funktionalisieren. Um es mit der biblischen Überlieferung zu formulieren: Jesus ist nicht zu den Leuten gegangen und hat gesagt „Ich weiß genau, was bei dir los ist und deswegen das Beste für dich ist“, sondern er hat gefragt: „Was soll ich dir tun?“ Und die Antwort eines Pfarreirats, eines Pastoralteams etc. muss das Referenzsystem „Bistum“ irritieren dürfen, Arbeit machen. Wo Bedarf für Beratung von Organisations- und Entwicklungsprozessen besteht, legt nicht allein der Bischof fest. 2. Eine beauftragte Beratung (z.B. bei Konflikten zwischen einem Pfarrer und Gemeindemitgliedern oder in der Begleitung bei der Aufstellung eines Immobilienkonzepts) braucht die Offenlegung eigener Interessenslagen des Auftraggebers (siehe oben, Stichwort: Kontrakt).

Wo Bedarf für Beratung von Organisations- und Entwicklungsprozessen besteht, legt nicht allein der Bischof fest.

Nur so kann Beratung als systemische Beratung „funktionieren“ und in der Erfüllung ihrer Aufgabe ihre seismografische, kundschafterische und energiefreisetzende Qualität zutage treten, die nicht in Beiläufigkeit aufgeht, sondern – zumindest in einer lernenden Organisation – Führungsimpulse für die gesamte Organisation beinhaltet. Beratung ist dann nicht Teil des Problems („Machen Sie das mal weg.“), sondern Teil der Lösung. Vielleicht wird sie der Leitung also auch mal „ungewohnte“ Lösungen vorschlagen. Für alles andere wäre die Vorhaltung von Beratung für Organisationsentwicklung viel zu teuer.

7. Wohin gehört die Beratung?

Als die Kirche in der Realisierung ihrer Sendung (vulgo: Unternehmensziel) beratende Beratung gehört sie in die pastorale Führungskräfteunterstützung, die vom Pfarrer, über das Pastoralteam, die Gremien der Mitverantwortung bis zu Kirchenangestellten im Jugendtreff, Caritas und Kita reicht und auch die Verbände mit einschließt. Gut positioniert ist sie also zwischen Pastoral- und Personalentwicklung – die Praxis zeigt, dass beide Perspektiven eine Rolle spielen.10

Kirchliche Organisationsberatung arbeitet dabei nur indirekt, „über Bande“ an der Kirchenentwicklung mit. Die inhaltlichen, pastoraltheologischen Impulse kommen von anderer Stelle – nicht zuletzt von der Bistumsleitung. Aber durch systemische Interventionen in der Organisation entwickelt sich zwangsläufig auch Kirche.

Kirchliche Organisationsberatung arbeitet nur indirekt, „über Bande“ an der Kirchenentwicklung mit.

Manchmal arbeiten wir internen Berater*innen uns daran ab, als behördliche Arbeitsstelle für Projektbegleitung und Klausurtagsmoderation gesehen zu werden – aber andererseits sind auch diese Anfragen günstige Umstände für Organisationslernen, weil das System in diesen Momenten einen Moment der Offenheit und Variabilität zeigt, den es nutzen kann.

Das macht für mich den Gewinn systemischer Beratung aus: Wenn die innersystemischen Turbulenzen bearbeitet und die Kontingenzen der Umwelt aktualisiert werden. Auch ein einmal gesprochenes Ja zum Partner ist nicht vor Störungen gefeit und sucht nach Gewissheit und Bestätigung. Jedes Ehepaar braucht die Fähigkeit zur Kommunikation, Klärung, Korrektur und Fortschreibung der systemrelevanten Codes (Wie zeigen wir uns unsere Liebe? Wie gehen wir mit Störungen um? Etc.) und stellt fest, dass man dabei einen Weg miteinander geht. Das braucht – ganz normal – auch die Organisation von Kirche. Systemische Beratung kirchlicher Organisation hilft, dass sie daran arbeiten kann.

  1. Verwiesen sei auf eine frühere Reflexion dessen, siehe https://kirchenentwicklung.de/welche-rolle-habe-ich-eigentlich.
  2. Eine gelungene Einführung in systemisches Denken und Beraten ist Torsten Groth: 66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung. Carl-Auer, Heidelberg 2017.
  3. Vgl. zuletzt Papst Franziskus: Apostolisches Schreiben „Gaudete ex exsultate“, Nummern 166-175.
  4. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/TOTE-Modell.
  5. Gerne sei verwiesen auf den lesenswerten Interviewband von Bernhard Pörksen: Die Gewissheit der Ungewissheit. Carl-Auer, Heidelberg 2015. Besonders die Gespräche mit Heinz von Foerster und Paul Watzlawik.
  6. Vgl. Stefan Kühl: Das Regenmacher-Phänomen. Wiedersprüche im Konzept der lernenden Organisation. Campus, Frankfurt 2015.
  7. Siehe www.pastoralplan-bistum-muenster.de/fileadmin/user_upload/pastoralplan/downloads/lpp-tools/E2_What_and_How.pdf.
  8. Siehe https://www.futur2.org/article/die-entwicklung-der-beratungsdienste-im-erzbistum-paderborn-markierungen.
  9. Grundsätzlich siehe Falko von Ameln: Interne Beratung – Gegenwart und Zukunft Ein Plädoyer für interne Beratung als Schlüsselelement der Wandlungsfähigkeit von Organisationen. In: Zeitschrift „Gruppendynamik und Organisationsberatung“, 2015. Onlineressource https://doi.org/10.1007/s11612-015-0275-5.
  10. Siehe dazu https://kirchenentwicklung.de/kein-pastoralplan-ohne-personalplan.

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