022012

Foto: Schub@: take a seat, read a book (CC BY-NC-SA 2.0)

Service & Dialog

Martin Lätzel

Buchrezension: Haselbach, Dieter ; Klein, Armin ; Knüsel, Pius ; Opitz, Stephan: Der Kulturinfarkt

Haselbach, Dieter ; Klein, Armin ; Knüsel, Pius ; Opitz, Stephan: Der Kulturinfarkt. Von Allem zu viel und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention.

Durch die öffentliche Kulturszene geht ein Aufschrei. Da wird als Provokation gewertet, was als polemische Anfrage gedacht war. Die Rede ist von dem Buch „Der Kulturinfarkt“ der Kulturwissenschaftler Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz. Die Autoren sind Fachleute, beschäftigen sie sich doch beruflich wie privat mit der Materie Kultur und sind ausgewiesene Experten. Die Bombe ließen sie im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL platzen. Die Hälfte, so sagten sie, reiche aus, um die Kultur zu finanzieren. Vieles, das überflüssig und etabliert, erstarrt und bürokratisiert sei, könne wegfallen, neue Schwerpunkten hätten dann die Chance zu einem neuen Aufbruch.

Was wollten die Vier erreichen? Sie wollten, so sagen sie, durch eine Polemik aufrütteln, verkrustete Strukturen in Bewegung bringen und mehr Wettbewerb erreichen. Sie wollen die Kunst zurück in den Fokus öffentlicher Förderung bringen, nicht die (selbsternannte?) Lobby. Die Autoren kritisieren die nach ihrer Sicht weit verbreitete Überzeugung, man wolle eine Kultur für alle schaffen. Diese orientiere sich „noch immer an der Hoffnung, dass das Produkt seinen Konsumenten erzeuge, wenn es bloß auf dem Markt erscheint. Den kulturelle Expansion wurde stets vom Angebot, nicht von der Nachfrage her gedacht.“ (22) Die öffentliche Förderung sei der Adelstitel für die Kunst. Eine Demokratisierung der Kunst sei durch sie nicht erfolgt, vielmehr gebe es eine Art selbstreferentielle Kulturaristokratie, die die Beherrschung der Szene unter sich ausmachten. Sie sprechen von einer Art kulturellem Elfenbeinturm in unserer Gesellschaft, die konsequent amerikanische Kultur, Folklore, Unterhaltung freie Kultur und Migrantenkunst ausblende.

Es gebe, so zitieren Haselbach und Co den ehemaligen Direktor eines Hamburger Museum, „weitgehend veraltete Strukturen, es gebe zu viel Verwaltung, zu viel Mitsprache von Politik und Administration, ein zu starres Haushaltssystem, zu wenig aktive Öffnung zum Publikum und zu wenig Selbstständigkeit, zu wenig Leistungskontrolle und zu wenig Selbstbewusstsein im Umgang mit Mäzenen, Sponsoren und Privatsammlern.“ (63) Es gibt also, verkürzt gelesen, zu wenig Wettbewerb. Die Krise ist nicht nur eine der Ressourcen, sondern auch der Substanz. Der Markt ist nach Adorno als Steuerungsinstrument der Kultur verdammt, aber wir bräuchten, so die Thesen, mehr Markt. Allein die Subventionierung schaffe noch keine Nachfrage. Was die Künstler selber angeht, so habe die Theorie Joseph Beuys, dass ein jeder ein Künstler sei, zu einer Idealisierung geführt, der die Realität nicht standhalte. Der Staat könne eine expansive Boheme nicht feilhalten.

Die Autoren selber schlagen fünf Schwerpunkte vor, die der besonderen Förderung verdienen: Angemessenere Förderung von Einrichtungen, verbunden mit Vorgaben des sozialen Engagements, Unterstützung der Laienkultur, Förderung der Kulturindustrie und Kulturwirtschaft sowie von Hochschulen der kulturellen Bildung mit dem Auftrag, praxisbezogen zu arbeiten. Nicht zuletzt schlagen sie vor, die kulturelle Bildung zu verstärken mit einem Schwerpunkt auf interkulturelle Bildung. Man kann der Meinung sein, dass die Analyse stimmen mag, die aber Schwerpunkte falsch gesetzt sind. Aber man kann und muss sie als Vorschlag diskutieren, besonders gegenwärtig, da eine politische Diskussion über Schwerpunkte nicht vorhanden ist.

Ob der Kulturbetrieb bei stärkerer Marktorientierung flexibler wird, mag ich nicht zu beurteilen. Seit einigen Jahren schon geht man davon aus, dass Wirtschaftsbetriebe effektiver sind als öffentliche Einrichtungen. Die zurzeit laufende Re-Kommunalisierung beweist das Gegenteil. Manche Kosten werden durch Outsourcing einfach verschoben. Viele Kunsthochschulen arbeiten schon mit Entrepreneurship-Förderung, die Kulturwirtschaftsansätze gibt es, sie müssten sicher stärker unterstützt werden. Wenn es eine stärkere Förderung der Laienkultur geben soll, dann brauchen wir eine stärkere Unterstützung der kulturellen Bildung als bisher, gleiches gilt für den interkulturellen Dialog.

Uneingeschränkte Zustimmung spendet der Rezensent der Kritik an Titelei und Behördenehrgeiz in der öffentlichen Kulturszene, die Autoren bringen anachronistisch anmutende Beispiele von „Leitenden Volkshochschuldirektoren“ oder „Professorentiteln“, die an Gehaltsstufen, aber nicht an Universitäten gebunden sind, sowie Einrichtungen, die Laufbahnen, aber keine Spurwechsel ermöglichen. Ebenso nachvollziehbar ist die Kritik, dass in vielen Kunstinstitutionen Verwalter mehr verdienen als die Künstler, dass Kulturstiftungen durch Politik und Verwaltung dominiert sind. Mit der Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht der Rezensent ebenfalls d‘accord, wenn auch mit einer Einschränkung, solange es noch das Deutschlandradio gibt.

Der Pauschalität und kategorischen Äußerungen, mit denen die Autoren öfters agieren, muss allerdings widersprochen werden. Es gibt im Blick auf den Kulturbetrieb durchaus differenziertere Darstellungen, oft auch generationell bedingt. Nicht überall will man nur das „Mehr“ und oft gibt es sinnvolle und innovative Überlegungen, mit weniger Struktur mehr Qualität und Zuspruch zu erreichen. Nicht zuletzt ist die Kundenorientierung bei vielen Einrichtungen heutzutage selbstverständlich und ja, das will gesagt sein, es gibt sie wieder – innovative Ideen, die sich nicht auf der Sonnenbank öffentlicher Förderung räkeln. Die kritischen Impulse kommen eben nicht nur von außen, wie die Autoren behaupten.

Zwar verfügt das Buch über einige Fußnoten. Manche Behauptungen, die besonders schneidig daher kommen, hätte man jedoch gerne belegt gesehen, um sie zu akzeptieren, oder vernünftig widerlegen zu können. Dazu gehört der Hinweis auf ein Crowdfundingprojekt, dass zurzeit in der Tat reüssiert, allerdings heißt es nicht nextstart.de, wie es Buch steht, sondern startnext.de (238).

Die Systemtheorie kennt Störungen, gewohnte Abläufe werden in Frage gestellt, durcheinandergebracht, dem Diskurs unterworfen. Das Ergebnis ist nicht mehr dasselbe, wie der Ausgangspunkt. Gleichfalls ist aber auch kaum ein System derart gestört, dass es nicht in veränderter Form weiter existieren kann. Das Buch „Der Kulturinfarkt“ wird, positiv verstanden, zu einer heilsamen Störung führen, aus der entweder das, was die Autoren kritisieren, gestärkt hervorgeht oder aber in sich zusammenfällt. Dann war es aber auch nicht wirklich überlebensfähig. Innovation tut not, wer verhätschelt ist, wird sich dem verschließen. Kultur ist nicht nur für die Rezipienten da, oder für die Künstler, oder für Politiker und Verwalter, Kultur ist eine Perspektive menschlicher Existenz, wie Hugo Ball sagte, als „Eintreten für die Ärmsten und Geringsten als solle aus ihnen das Höchste und aller Himmel sich gebären“. Das widerspricht den Autoren nicht, sondern gibt zu denken, welche Funktion Kultur in der Gesellschaft spielen sollte.

Den Abgesang der Kultur in unserem Land – auch das Ende der öffentlich geförderten Kultur – werden wir nicht singen, eher den Phönix sehen, der, in gewohnter oder veränderter Form, aus der Asche hervorgeht. Alfred Delp schrieb am 6.1.1945, den „Rebellen kann man noch zum Menschen machen, den Spießer und das Genießerchen nicht mehr“. Zum Schaden für die Kultur muss das Rebellische also nicht sein. Was es dafür aber braucht, ist eine kritische Relecture, keine bloße Abwehr und auch kein oberflächliche Übernahme. Hoffen wir, dass es in der deutschen Kunst- und Kulturszene, Künstler, Verantwortliche und Rezipienten gibt, die mehr Rebellen sind als Spießer und Genießerchen. Dann ist Aufbruch möglich. Die Thesen des Kulturinfarkts sind dafür der passende Aufschlag.

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