022015

Foto: Schub@: take a seat, read a book (CC BY-NC-SA 2.0)

Service & Dialog

Frank Reintgen

Buchrezension: Christian Hennecke: Ist es möglich? Vom Wunder des kirchlichen Aufbruchs

Christian Hennecke: Ist es möglich? Vom Wunder des kirchlichen Aufbruchs, Münster 2013, Aschendorff Verlag

Christian Hennecke ist für mich einer einflussreichsten Beobachter und Analysten der pastoralen Entwicklungen in Deutschland. Seine Bücher lesen sich ebenso mit Genuss wie auch mit Gewinn. Schon in seinen ersten Veröffentlichungen Glänzende Aussichten: Wie Kirche über sich hinaus wächst und Kirche, die über den Jordan geht zeigte er sich als Meister des Reframing. Allgemein als negativ beschriebene Entwicklungen werden von ihm in einen neuen Rahmen gesetzt. Wo andere Abbrüche und Verfall kirchlicher Entwicklungen in Deutschland wahrnehmen, entdeckt und beschreibt er das Aufkeimen einer neuen kirchlichen Wirklichkeit und spricht gar von kirchlichem Wachstum.

Angesichts der (nicht nur im Bistum Hildesheim) sehr geringen Zahl an Priesterseminaristen, die er als ehemaliger Leiter des Hildesheimer Priesterseminars zu begleiten hatte, mag man den Eindruck bekommen, Hennecke verschließe seine Augen vor der Wirklichkeit und rede sich die Zukunft schön. Doch das Gegenteil ist der Fall. Hennecke nimmt radikal ernst, dass die volkskirchlich geprägten Strukturen, das kirchliche Leben nicht mehr tragen und befruchten.

Getragen von seiner theologisch fundierten Hoffnung, dass Gott in dieser Welt immer am Wirken ist und er sein Volk immer wieder neu zu seiner Kirche zusammenruft, begibt er sich seit Jahren auf Spurensuche. Dabei ist Hennecke weltweit in Kontakt mit unterschiedlichsten Akteuren kirchlichen Lebens, verschiedensten innovativen Projekten und neuen Formen kirchlichen Lebens gekommen. Seine Fazit ist einfach: Kirche ist auch heute in einem Werdungs- und Wachstumsprozess.

„Ich verstand immer mehr, dass das ein Beitrag ist, den ich schenken kann: mit anderen darüber nachdenken, wie Gott sein Volk führt. Das begeistert mich sehr und macht mir Freude.“

So schreibt Hennecke selber1. Und Recht hat er. Im deutschsprachigen Raum ist er ein gern und viel gesehener Gast bei Kongressen und Tagungen, die sich mit der Zukunft des kirchlichen Lebens befassen. Als Autor veröffentlicht er fast jährlich ein Buch – und immer findet es eine große Leserschaft. Nicht zuletzt besitzt er mit seinen Ideen und Gedanken, Einfluss auf nicht wenige Bischöfe. Sein Rat wird von den Leitungsgremien vieler Bistümer geschätzt und in Anspruch genommen. Das Pensum Henneckes ist enorm.

Auch in seinem jüngsten Buch „Ist es möglich? Vom Wunder des kirchlichen Aufbruchs“ lässt Hennecke die Leserinnen und Leser teilnehmen an seinen Reflexionsprozessen, die durch seine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema ausgelöst wurden. Für Hennecke war und ist klar: Die Spuren eines kirchlichen Aufbruchs sind unübersehbar. Nicht zuletzt angestoßen durch das Zweite Vatikanische Konzil ist aus seiner Sicht weltweit eine partizipative Kirchengestalt im Werden, die durch lokale Kirchenentwicklungsprozesse angetrieben wird.

Die Spuren eines kirchlichen Aufbruchs sind unübersehbar. Nicht zuletzt angestoßen durch das Zweite Vatikanische Konzil ist aus seiner Sicht weltweit eine partizipative Kirchengestalt im Werden, die durch lokale Kirchenentwicklungsprozesse angetrieben wird.

Den Charismen der getauften Christen kommt in seiner Zukunftsvision eine zentrale Rolle zu. In einer Kirche der Zukunft werden Christinnen und Christen viel stärker als bisher, die Verantwortung übernehmen, die ihnen aus dem gemeinsamen Priestertum zuwächst. In Henneckes Perspektive wird insbesondere die existenzielle Rückbindung an das Wort Gottes, wie es in den vielen Kleinen Christlichen Gemeinschaften und Basisgemeinden gelebt wird, zum Motor und Treiber dieser werdenden Kirchengestalt.

Hennecke entwirft eine in vielen Passagen höchst attraktive Kirchenvision. Dabei bezieht er sich immer wieder auf das Zweite Vatikanische Konzil und greift argumentativ das dort entworfene Volk Gottes Konzept auf. Vor Ort entsteht dort Kirche, wo Menschen ihre Charismen ernst nehmend, sich den Menschen in ihrem Umfeld zuwenden. Die so entstehende lokale Kirchenentwicklung ist in einem hohen Maße selbstorganisiert und von den Christinnen und Christen vor Ort getragen. Kirchenentwicklung geschieht also lokal. Eine solche Kirche orientiert sich immer wieder neu an den konkreten Herausforderungen vor Ort und bleibt somit eine Kirche in Veränderung. Und oft wird eine solche lokale Kirchenentwicklung ganz neue Formen kirchlichen Lebens hervorbringen, die nicht in die klassische Gemeindestruktur passt.

Diese Perspektive ist im deutschsprachigen Raum immer noch ungewohnt und im positiven Sinn anstößig. Die deutsche Kirche verabschiedet sich – oft notgedrungen – von ihrer volkskirchlichen Prägung. Schmerzhaft wird allerorten verarbeitet, dass Kirche an Relevanz verliert, (sowohl bei den eigenen Mitgliedern als auch in der Gesellschaft insgesamt). Angesichts dieser Situation herrscht nicht selten eine depressive Stimmung bei vielen Christinnen und Christen. Hier wirken Henneckes Bücher wie eine Gegenmedizin, denn Hennecke findet Formulierungen und Zukunftbilder, die ins Herz treffen und neuen Perspektiven eröffnen.

Nicht wenige Bistümer stehen aktuell vor der Frage, wie sich, angesichts der Herausforderungen vor denen Kirche all überall steht, nachhaltige Veränderungsprozesse unter Beteiligung der Christinnen und Christen initiieren lassen. Synoden und geistliche Prozesse werden in vielen Bistümern angestoßen. Hier können Leitmotive Henneckes als motivierende Zielbeschriebungen bzw. geistliches Leitbild hilfreich sein (und sind es auch).

Was Hennecke allerdings (nicht nur in diesem Buch) schuldig bleibt, ist die Antwort auf Frage, wie Kirche sich konkret auf diese neue Gestalt hin entwickeln kann. Nicht thematisiert wird von Hennecke die Frage der Macht. So attraktiv Henneckes Kirchenvision auch ist, sie lässt sich nur realisieren, wenn die damit intendierten Grundhaltungen von den Amtsträgern mitgetragen werden. Wer wirklich eine sich vom Volk Gottes selbstorganisierte Kirche möchte, wird Entscheidungsprozesse kaum mehr top-down von oben herab führen können. Wie aber kann es gelingen, dass sich die Amtsträger an eine solche Führungskultur binden?

Wo diese Frage nicht mit thematisiert wird, können Verantwortungsträger viele der von Hennecke stark gemachten Begriffe aufgreifen und doch in einem klassischen Sinne ein altes Kirchenbild leben.

Wer Hennecke einmal selber erlebt hat, nimmt ihm ab, dass es ihm persönlich sehr ernst ist mit der von ihm beschriebenen partizipativen Kirchengestalt. Ob das aber bei den meisten seiner Mitbrüder im priesterlichen Dienst oder gar den Bischöfen ähnlich ist, darf bezweifelt werden. Es wird spannend sein, zu beobachten, welche institutionelle Maßnahmen Hennecke in seiner neuen Funktion als Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim anstoßen wird, um den von ihm beschrieben Wandel weiter voranzutreiben.

  1. http://fokolarpriester.net/ges_christian_hennecke.html

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