022020

Foto: Norbert Bauer

Statements

Norbert Bauer

Wir können auch anders

Bischöfe und Pastoraltheologen fragen sich, warum samstags die Stadien voll und sonntags die Kirchen leer sind. Dabei wird gerne übersehen, dass auch die Bundesliga in der Krise steckt. Das hat auch die Corona-Pandemie gezeigt. Aber gerade deswegen lohnt der Blick auf das Phänomen Fußball.

Am 26. September war ich zum ersten Mal seit Monaten wieder im Fußballstadion. Als Dauerkartenbesitzer hatte ich Losglück und zählte zu den 6021 Zuschauern, die in der BayArena in Leverkusen das Spiel gegen RB Leipzig sehen konnte. Phasenweise war es vor allem ein von der Werkself hervorragend geführtes Spiel. Obwohl sie Leipzig minutenlang am eigenen Strafraum einschnürten, endete das Spiel nur 1:1.

Das erste Spiel vor Zuschauern seit dem Lockdown … war ein Fußballspiel, es fühlte sich aber nicht so an.

Das erste Spiel vor Zuschauern seit dem Lockdown war für mich ein merkwürdiges Ereignis. Es war ein Fußballspiel, es fühlte sich aber nicht so an. Zu viel fehlte: natürlich Kai Havertz, der nun bei Chelsea spielt, aber vor allem die anderen Fans, nicht zuletzt die aus Leipzig, die zum Auswärtsspiel nicht zugelassen waren.

Während des ersten Lockdowns waren sowohl öffentliche Gottesdienste als auch Fußballspiele vor Publikum untersagt: sowohl die Osternacht als auch das Pokalendspiel fanden vor leeren Bänken statt. Als die Corona-bedingten Maßnahmen gelockert wurden, hatten die Kirchen die Nase vorn. Christen konnten ihren Gottesdienst wieder in der Kirchenbank mitfeiern – Fußballfans mussten nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs weiterhin im Fernsehsessel sitzen bleiben. Die Jahreskartenbesitzer erhielten anteilweise ihr Geld wieder zurück, während für Gottesdienste im Erzbistum Köln kostenfrei Tickets ausgegeben wurden. Die Satire-Website “Der Postillion” reagierte mit gewohnter Ironie darauf: »Weil Gottesdienste wieder erlaubt sind: DFB meldet neue Religion ‚Fußball‘ an und erklärt Stadien zu Kirchen«. Für manche Fans wird diese Schlagzeile nicht wirklich überraschend sein, denn für sie sind die Fußballstadien längst die modernen Kathedralen, der Spieltag der Sonntag und die Vereinshymne das gesungene Credo.

Weil Gottesdienste wieder erlaubt sind: DFB meldet neue Religion ‚Fußball‘ an und erklärt Stadien zu Kirchen

Eine Pointe an der Schlagzeile überrascht dennoch, denn ansonsten blicken meist Kirchenvertreter neidisch auf den offenbar weiterhin populären Fußball. Bischöfe und Pastoraltheologen fragen sich, warum samstags die Stadien voll und sonntags die Kirchen leer sind. Manch bischöflicher Pressesprecher reagiert auf die jährlich sinkenden Kirchenbesucherzahlen mit dem trotzigen Hinweis, dass weiterhin mehr Menschen am Wochenende in die Kirche als zum Fußball gehen. Trotzdem kann diese Momentaufnahme nicht darüber hinwegtäuschen, dass der DFB eine attraktivere Marke als die DBK oder das ZdK ist. Nicht umsonst kam Panini bisher nicht auf die Idee, ein Sammelalbum mit Bischöfen herauszugeben – auch wenn das Bischofsquartett des Domradios auf Katholikentagen durchaus Absatz findet. Und der Live-Stream vom Synodalen Weg hat nicht so viele Zugriffe wie das Relegationsspiel zur 2. Liga.

Nicht umsonst kam Panini bisher nicht auf die Idee, ein Sammelalbum mit Bischöfen herauszugeben.

Dieser Befund sollte aber nicht dazu verführen, den Deutschen Fußballbund als Erfolgsmodell für Kirchenreformen vor Augen zu haben. Denn nicht nur die Kirchen, sondern auch die Bundesliga verliert an Attraktivität. „Der Zuschauerschnitt sinkt seit drei Jahren kontinuierlich, und die Anzahl der ausverkauften Spiele nimmt rapide ab.“1 Ein Grund für das sinkende Interesse der Fans an den Spielen in den Bundesligastadien ist die weiter vorangetriebene Vermarktung des Fußballs. Genau wie die Bischöfe sehen sich die Fußballfunktionäre der Kritik der Basis ausgesetzt.

Genau wie die Bischöfe sehen sich die Fußballfunktionäre der Kritik der Basis ausgesetzt.

Wird an der Kirche die Klerikalisierung kritisiert, ist es beim Fußball die Kommerzialisierung. Die Schere zwischen Basis und Leitung geht immer weiter auseinander. Im Februar eskalierten die Proteste von Fangruppen gegen Dietmar Hopp, der mit seinen Gewinnen aus SAP Hoffenheim finanziert. Die Art und Weise, in der organisierte Fans ihren Protest äußerten, wurde zu Recht von vielen Seiten kritisiert. Die Proteste gegen Hopp stehen aber stellvertretend für die Kritik an der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs. Der Widerstand der Fans hat bei anderen Streitfragen schon Wirkung gezeigt: Auf Protestaktionen mit einem bundesweiten Stimmungsboykott reagierte die DFL mit Beendigung der Montagspiele.

Priester feierten Gottesdienste ohne Volk und Fußballprofis spielten ohne Zuschauer die Saison zu Ende.

Die Kluft zwischen oben und unten offenbarte sich dann zu Beginn der Corona-Pandemie eindrücklich. Priester feierten Gottesdienste ohne Volk und Fußballprofis spielten ohne Zuschauer die Saison zu Ende. Beteuerten die Profis ansonsten nach jedem Spiel, wie entscheidend die Fans als zwölfter Mann für den Sieg waren und Priester, dass Hl. Messe nur in Gemeinschaft schön ist, so galt dies plötzlich nicht mehr. Auch das von den Fußballfunktionären oft gesungene Loblied auf den Amateurfußball hatte keine Bedeutung mehr. Während die Profis spielten, konnten Amateure und Jugendliche den Rasen nicht betreten. Die Konsequenzen spüren beide Institutionen jetzt vor Ort. „Während sich der Profifußball vor den Augen der Öffentlichkeit selbst rettete – weil er es konnte und weil er es wollte – ist der Jugend- und Amateurfußball in dieser Zeit sang- und klanglos untergegangen.“2 Die Kinder und Jugendlichen kommen einfach nicht mehr. Parallelen dazu finden sich ebenso bei der Kirche. Die Kinder und Jugendlichen waren als Messdiener*innen nicht mehr gefragt und standen und stehen zum Teil weiterhin vor verschlossenen Jugendzentren.

Als im Sommer die Corona-Pandemie eine kurze Pause einlegte und sich für einige Wochen wieder die alte Normalität zeigte, war die Wirkung zu erkennen. Zu manchen Fußballspielen kamen noch nicht einmal die zugelassenen 20% der Zuschauer und in vielen Kirchen blieben mehr Plätze frei als notwendig.

Beide Institutionen leiden unter einem Verlust an Glaubwürdigkeit gerade bei den treuesten und engagiertesten Mitgliedern.

In der Zwischenzeit scheint klar, dass Corona das beschleunigt hat, was nicht nur Statistiken schon seit Jahren zeigen. Sowohl die Welt des Fußballs als auch die der Religion verändern sich, wenn auch in einem unterschiedlichen Tempo. Beide Institutionen leiden unter einem Verlust an Glaubwürdigkeit gerade bei den treuesten und engagiertesten Mitgliedern. Geschlossene Kirchen und hinter verschlossenen Türen gehaltene Solo-Gottesdienste provozierten viele Gottesdienstbesucher dazu, eine Spiritualität jenseits des Kirchgangs zu entwickeln. „Wir brauchen das nicht, wofür uns die Kleriker nicht brauchen.“3 Viele machten die überraschende Erfahrung, dass Glauben auch anders geht.

Viele machten die überraschende Erfahrung, dass Glauben auch anders geht.

Sie machten somit eine ähnliche Erfahrung, die viele Freund*innen des Fußballs schon seit einigen Jahren machen: sie zelebrieren ihre Freude am Fußball jenseits des organsierten Sports. So werden in Köln auf der „Jahnwiese“, im „Rheinpark“ oder auf den „Poller Wiesen“ und zahlreichen anderen Sport- und Bolzplätzen unabhängig von DFB-Statuten Tore geschossen und Doppelpässe gespielt. Allein in der Bunten Liga Köln, die 1990 mit sechs Mannschaften gegründet wurde, kicken heute 48 Mannschaften – wobei der Begriff Mannschaft nicht so eng gefasst ist: aufgrund fehlender Spielerpässe kann es vorkommen, „daß in einer Mannschaft Spieler agieren, die man von anderen Teams kennt, daß ‚man’ plötzlich von einer Frau abgegrätscht wird, daß einem ein Kind oder ein vermeintlicher Greis den Ball wegspitzelt.“4 Aber auch jenseits dieser alternativen Liga zeigen viele Initiativen, dass der DFB nicht das Monopol auf den Fußball besitzt.

Insofern können Kirchenmitglieder und Kirchenverantwortliche sehr wohl vom Fußball lernen.

Wir können auch anders.

Sie können sehen, dass weiterhin Fußball gespielt wird, auch wenn die Spielergebnisse nicht in den Statistiken des DFBs auftauchen. Und so wurden dieses Jahr auch an vielen Orten Ostern und Tod und Auferstehung neu und anders gefeiert: „bisweilen anarchisch und chaotisch, aber doch auch kreativ und innovativ, oft schmerzhaft oder über Schmerzen angeregt.“ 5

Die während der weiterhin anhaltenden Corona-Pandemie gemachten Erfahrungen jenseits der gewohnten kirchlichen Rituale und Liturgien sind eine Momentaufnahme. Sie bezeugen aber eine unerwartete Produktivität. Und eine Botschaft, die für manche erschreckend, für andere ermutigend sein kann: Wir können auch anders.

 

  1. https://www.deutschlandfunk.de/fussball-bundesliga-der-selbstbetrug-bei-den-zuschauerzahlen.1346.de.html?dram:article_id=438805
  2. Michael Horeni, Die Vergessenen, FAZ Montag, 6. Juli 2020, 29
  3. Hans- Joachim Höhn, Immun oder angesteckt. https://www.karl-rahner-akademie.de/neuigkeiten/detailansicht/angesteckt-oder-immun/
  4. http://www.bunteligakoeln.de/index.php?seite=geschichte&nav=bl
  5. Stefan Kiechle, Religion oder Spiritualität. Stimmen der Zeit. https://www.herder.de/stz/hefte/archiv/145-2020/11-2020/religion-oder-spiritualitaet/

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