022020

Foto: Nicole Geri/Unsplash

Statements

Maria Bubenitschek und Stefan Zekorn

Keine aufgeblähte, sondern eine geweitete Kirche

Auf der Suche nach kirchlichen Amtsträger*innen, die uns angesichts unseres Themas für ein Statement zur Verfügung stehen, fiel der Blick auf die Leiterin der Hauptabteilung Seelsorge im Generalvikariat des Bistum Münster, Maria Bubenitschek, und auf Weihbischof Stefan Zekorn, ebenfalls aus dem Bistum Münster. Unsere Hoffnung war: Das sind zwei interessante Charaktere, die etwas dazu zu sagen haben. Aus der zunächst einzeln gedachten Anfrage wurde in einem Moment des „Man könnte auch …“ die Doppelanfrage für ein miteinander geführtes Gespräch. Die Zusage dazu war von beiden binnen weniger Stunden da.

Beginnen wir mit einer persönlichen Frage: Gibt es etwas, wo Sie gerne etwas tun, von dem man denken könnte: „Sowas macht unsere Seelsorgeamtsleiterin!? Sowas macht unser Weihbischof!?“ – Also, tun Sie etwas „outside the box“?

Maria Bubenitschek: Ich liebe es, in Fußballstadien zu gehen! Fußball vor dem Fernseher schaue ich eher nicht. Aber im Stadion bin ich im Kontakt mit Leuten, denen ich sonst nicht begegnen würde. Ich habe dabei schon ganz interessante Menschen kennengelernt. Und es ergibt sich manchmal en passant ein Gespräch über Gott und die Welt. Ich bin beeindruckt von den Zeremonien und Ritualen in Fußballstadien und kann mich nicht davon freisprechen, dass mich das anspricht.

Stefan Zekorn: Welcher Verein, wenn ich fragen darf?

Maria Bubenitschek (grinst):  Ja, das darf man hier in Westfalen vielleicht gar nicht sagen: Bayern München …

Stefan Zekorn (lacht): Oh je! Aber auch ich gehe gerne mal ins Stadion, aber nur alle paar Jahre, wenn meine Patenkinder das initiieren. Was ich regelmäßig mache: Ich gehe gerne in den Bergen klettern. Dieses Gefühl von Freiheit und Erhabenheit – das ist toll. Gesichert am Stahlseil, aber sonst nur die hohe Wand um mich herum … faszinierend! Das ist eine gewisse Form von Grenzenlosigkeit – der nur begrenzten Sicherheit, der weiten Natur um mich herum. Das bringt mich auch mit Gott in Berührung, ohne da bei jedem Schritt drüber nachdenken zu müssen.

Maria Bubenitschek: Ich bin auch ehrenamtlich in der Notfallseelsorge tätig und singe u.a.in einem Chor in der Pfarrei, zu der ich mich zugehörig fühle. Der Chor singt auch Lieder, die von Komponisten und Komponistinnen aus Freikirchen sind. Und die nicht ohne Grund: sie sind einfach anders komponiert, ansprechender, emotionaler, innerlicher.

Was war Ihre letzte berufliche Erfahrung, wo Sie sagen: „Die war ganz schön outside“?

Stefan Zekorn: Da frage ich mich, was ist „outside“ und was ist „inside“? Ich war neulich bei einem Treffen für Wohnungslose. Das ist ganz schön „outside“. Aber wenn mich dann ein Wohnungsloser bittet, seinen Rosenkranz zu segnen, ist das dann doch „inside“, oder? Umgekehrt denke ich an eine Schwesterngemeinschaft, die in einer sehr kontemplativen Weise die Christusbeziehung lebt. Die sind für den kirchlichen Mainstream in unseren Gemeinden eher „outside“.

Maria Bubenitschek: Ich wohne seit dem Sommer in einem Mehrparteienhaus. Wir haben uns neulich mal – coronakonform natürlich – getroffen. Ich dachte, das hat mit Kirche nichts zu tun und doch waren wir ruckzuck beim Thema Kirche und ihrer Relevanz für meine Mitbewohner und Mitbewohnerinnen. Ich war überrascht, wie sehr sie sich mit dem Thema beschäftigen, wer “dazu gehört”, wer aus guten Gründen nicht mehr dazu gehört, woran sie glauben und wofür sie alternativ ihre Kirchensteuer spenden.

Die Grenzen sind also fließend. Wann dürfte Ihrer Meinung nach etwas nicht mehr „kirchlich“ heißen?

Die Kirche hat eine große Weite und Bandbreite. Aus der fällt man nicht so schnell heraus.

Maria Bubenitschek: Wenn da Amtskirche stände, wäre es einfacher, das zu definieren.

Stefan Zekorn: Und das ist gut so, dass es nicht einfach zu definieren ist. Die Kirche hat eine große Weite und Bandbreite. Aus der fällt man nicht so schnell heraus. Aber klar, wenn etwas dem weltweit überwiegend geteilten Glauben widerspricht, wird man es nicht “kirchlich” nennen.

Gibt es denn einen Punkt, an dem Sie über das, was „Kirche“ sein darf, unterschiedlicher Meinung sind? 

Maria Bubenitschek (schaut den Weihbischof offen an): Vielleicht im liturgischen Bereich?

Stefan Zekorn: Wobei es auf einer gemeinsamen Grundlage immer um die Kommunikation geht. Auch mal über Ansichten zu streiten – das gehört dazu. Das haben wir beide ja auch schon mal gemacht, Frau Bubenitschek. Aber es ging uns um die Sache. Und deswegen haben wir auch einen Punkt gefunden, an dem wir uns dann getroffen haben.

Maria Bubenitschek: Stimmt. Ich erlebe die Zusammenarbeit als konstruktiv. Es ist gut, dass wir auch mal an unseren Punkten festhalten und dem bzw. der Anderen die Möglichkeit geben, mehr davon zu verstehen, was gemeint ist.

Meinen Sie, dass sich christliche Religiosität in ihrem Verständnis und ihren Vollzügen eher in oder eher außerhalb der verfassten Kirche weiterentwickelt? Warum fallen uns die Worship-Lieder, von denen Sie sprachen, Frau Bubenitschek, nicht selber ein? 

Eine Bewegung wie Maria 2.0 definiert sich selber als „innen“, aber manche würden sagen: . . . die sind „draußen“.

Maria Bubenitschek: So einfach ist es nicht. Denn auch ich frage mich, ob das Sprachspiel „innen“ und „außen“ überhaupt passt. Eine Bewegung wie Maria 2.0 definiert sich selber als „innen“, aber manche würden sagen: Was die Frauen da einklagen, geht nicht mit der katholischen Lehre überein – die sind „draußen“.

Stefan Zekorn: Ich tue mich überhaupt schon schwer mit dem Begriff der „verfassten Kirche“. Auch theologisch. Es gibt nicht eine verfasste und eine nicht-verfasste Kirche. Es gibt nur die eine Kirche. Und die ist bunt. Da denken wir mir manchmal zu wenig über die Verwaltungsstrukturen hinaus. Ich sehe innovative Pfarreien, Vereine, Verbände, Orden, geistliche Gemeinschaften und vieles mehr. Und auch wenn ich mir manchmal mehr Innovationskraft wünschen würde, dürfen wir uns nicht unterschätzen. Und andere nicht überschätzen.

Maria Bubenitschek: Wenn Sie das sagen, nicke ich innerlich mit. Dem stimme ich zu.

Stefan Zekorn: Und ich sehe nicht, dass sich christliche Religiosität in Deutschland stark außerhalb von kirchlichen Gemeinschaften entwickelt. Christlicher Glaube ohne kirchliche Gemeinschaft wäre auch ein Widerspruch in sich.

Ist eine Partnerschaft mit allen möglich? 

Stefan Zekorn: Auf dem Boden des Apostolischen Glaubensbekenntnisses schon. Dieses inhaltliche Kriterium braucht es. Als Pfarrer in Kevelaer hatte ich guten Kontakt zur freikirchlichen Gemeinde am Ort. Als Jugendlicher, fest verortet in der katholischen Pfarrei, habe ich freikirchliche Treffen in der Essener Grugahalle erlebt, die mich angesprochen haben. Das sind doch alles Bereicherungen. Und es ergeben sich dabei intensive Gespräche, auch über die Unterschiede. Ein genauer Blick darauf schreckt doch nicht. Ich empfinde das als Anregung der eigenen Spiritualität.

Maria Bubenitschek: Ja, wichtig ist der Austausch. Und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben. Es braucht die Andersartigkeit sogar. Mir geht es da nicht um eine organisierte Wirklichkeit, sondern um die persönliche Ebene. „Innen“ und „Außen“ ist halt eine Frage der Perspektive!

In den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils findet man einerseits Aussagen, dass sich die Offenbarung Gottes jedem Menschen zeigt, dass aber andererseits nur die gestiftete (katholische) Kirche und in ihr nur das Lehramt die Deutung dessen vornehmen kann. – Wie erklären Sie das einem Menschen im Jahr 2020? 

Das Lehramt sorgt dafür, dass ich als Einzelne und Einzelner ein Gegenüber habe, damit ich nicht nur bei mir selber bleibe.

Maria Bubenitschek: Ich schätze das Konzil sehr. Und die erste gerade genannte Aussage – „Die Kirche ist bunt“ – war zeitgeschichtlich damals eine enorme Leistung. Der Synodale Weg ist heute ein Versuch, die Buntheit in eine Ausrichtung der Kirche zu bringen.

Stefan Zekorn: Ich selbst habe in mir die Fragen unserer Zeit, also auch die nach dem Verhältnis von autonomer Vernunft und Offenbarung. Die Philosophie zeigt, dass sichere Erkenntnis außerhalb von Empirie und Logik nicht möglich ist. Mit einer rein autonomen Vernunfterkenntnis kommt man also in den wesentlichen Fragen des Lebens nicht weit. Damit komme ich in den Bereich des Religiösen. Im Christentum zeigt die Offenbarung Gottes in Jesus Christus den Weg des Lebens. Aber wer sichert, dass sie wahrhaftig durch die Zeiten vermittelt wird? Mich spricht an, wie diese Kontinuität in der katholischen Kirche gesichert wird: Nicht Historiker oder Juristen entscheiden. Schon früh in der Kirche hat sich vielmehr entwickelt: Wenn die Bischöfe weltweit in Einheit mit dem Papst auf Grundlage der Schrift und des durch die Zeiten geteilten Glaubens in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche etwas als Glauben erkennen (oder auch nicht), ist dies vom Geist Gottes gewirkt. Das ist, ich weiß, kein einfaches Konzept. Aber wenn es um die Wahrheit geht, kann es auch nicht anders sein.

Maria Bubenitschek (zum Weihbischof): Wie spielt bei dem, was Sie sagen, die persönliche Gottesbeziehung eine Rolle, die persönliche Berufung, die dem Lehramt auch mal widersprechen kann?

Stefan Zekorn: Zu vielem der Alltagspraxis sollte das Lehramt sich gar nicht äußern. Es geht um ein Gespräch zwischen meiner persönlichen Wahrnehmung und dem Lehramt, das dann auch Korrektiv sein kann. Das Lehramt sorgt dafür, dass ich als Einzelne und Einzelner ein Gegenüber habe, damit ich nicht nur bei mir selber bleibe.

Maria Bubenitschek: Mir ist das zu unpersönlich. Ich habe – für mich, biographisch – die starke Erfahrung des von Gott Getragen-Seins gemacht, ohne damals als 8-jähriges Mädchen schon an die Kirche zu denken. Der Zugang zum Glauben war für mich eine Erfahrungsgeschichte, keine Deutungsgeschichte.

Wenn das Lehramt Teil eines Gesprächs ist, ist dann die persönliche Gottesbeziehung nicht auch ein Korrektiv für das Lehramt? 

Stefan Zekorn: Ja. Das zeigt doch die Dogmengeschichte, in der bestimmte Themen, manchmal über einen langen Zeitraum, miteinander bewegt und dann auch weiterentwickelt wurden. Aber ich sage schon auch: Ein echtes Gespräch findet heute zu wenig statt, das gegenseitige aufeinander Hören, das auch mal offene Sprechen, ohne bloß plakativ Positionen zu markieren. Das ist schade.

Maria Bubenitschek: Hier im Bistum erlebe ich das in der Diskussion um die bei uns so genannten „vielfältigen Leitungsformate in der Pastoral“. Da erlebe ich gegenseitiges Weiterentwickeln, eine hohe Bereitschaft an Kommunikation, nicht direkt in Modellen zu denken, sondern einer Bewegtheit Raum zu geben, auch die persönlichen Hintergründe voreinander auszusprechen.

Was denken und fühlen Sie, wenn Sie sehen: Mitgliedschaft sowie Engagement in und Relevanz der verfassten Kirchen gehen zurück, freikirchliche Bewegungen haben Zulauf? 

Wir bieten gerade für die Sinnsuchenden – und von denen gibt es viele – zu wenig an.

Stefan Zekorn: Wir können da vor allem etwas lernen. Wir treffen zum Beispiel in den Freikirchen auf Menschen, die sagen: Hier finden wir etwas, was für uns Relevanz hat. Wir als katholische Kirche, vielleicht ähnlich in den evangelischen Kirchen, sind an vielen Stellen gut, aber in der Vermittlung der Relevanz des Glaubens für das Leben, da haben wir ein Desiderat. Lebendige Martyria, also Leben aus und Sprechen vom Glauben, sowie persönlich gelebte Leiturgia in persönlichem Gebet und gefeierter Gottesbeziehung im Gottesdienst – da geben andere Gruppen eine Antwort, die wir nicht finden.

Maria Bubenitschek: Ich kann mich dem fast wortwörtlich anschließen. Meine Gefühle dabei sind aber gemischt. Denn wir haben da etwas nicht mehr oder zurzeit nicht, was Menschen berührt. Wir sind nicht adäquat, besonders im Bereich der Liturgie. Das, was da landauf-landab gefeiert wird, enthält oft zu wenig Authentizität. Ich weiß, das klingt hart. Ich meine damit niemanden persönlich, sondern spreche von einer persönlichen Wahrnehmung. Gleichzeitig ist es damit eine Frage oder vielleicht auch Warnung für  jeden und jede Einzelne an uns.

Stefan Zekorn: Ich treffe immer wieder auf Menschen, die mir erzählen, wie sie z. B. durch fernöstliche Meditation, freie Fastengruppen oder in freikirchlichen Bibelgruppen ihre inneren Bedürfnisse stillen. Und ich denke mir: „Das könnten wir doch auch anbieten! Da geht es doch  um Grundelemente katholischer Spiritualität.“

Maria Bubenitschek: Ich kenne auch solche Menschen und habe sie im eigenen Freundeskreis. Wir bieten gerade für die Sinnsuchenden – und von denen gibt es viele – zu wenig an. Offene Angebote, bei denen ich mich über meinen Glauben unterhalten kann – mit allen Fragen – gibt es wenige. Eine Familienbildungsstätte plant allerdings ein solches Format. Ich bin gespannt, was es davon zu berichten gibt.

Die Kirche hat also mehr Offenheit, als man gemeinhin denkt? 

Es ist doch eine Frage der Haltung, wie einladend sich Kirche zeigt . . .

Stefan Zekorn: Absolut. Ich denke zum Beispiel an spirituelle Praktiken, die von anderen angeboten werden, die es aber auch genuin christlich gibt. Das zeigt doch: In den letzten Jahrzehnten haben wir uns mit unserem eigenen Fundus zu wenig beschäftigt. Und zu wenig ausprobiert.

Maria Bubenitschek: Und uns viel zu viel mit Strukturen beschäftigt! Das ist die Falle, in die wir jederzeit wieder tappen könnten. Es ist doch eine Frage der Haltung, wie einladend sich Kirche zeigt, nicht der besten Struktur, um die man dann lange diskutieren kann. Die Haltung ist entscheidend. Und das Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen, lautet: Wo müssen wir da sein, im Leben der Menschen?

Stefan Zekorn: Diejenigen, die suchen, melden sich nicht von sich aus – die sind ja Suchende. Und die wollen sich auch nicht über Strukturen einbinden lassen.

Maria Bubenitschek: Zudem investieren wir nicht in diese Menschen. Wenn ich mitbekomme, wie wenig Zeit wir in diejenigen investieren, die am Anfang stehen oder ein Sinndeutungsangebot anfragen – bei der Taufe, bei der Hochzeit. Das darf doch nicht wahr sein! Stattdessen haben wir vielerorts eine aufgeblähte Erstkommunionvorbereitung, bei der wir auf viele Konventionen achten und schlimmstenfalls meinen, es könnten andere Bedürfnisse einzig und allein damit kompensiert werden.

Stefan Zekorn: Es ist aber, Frau Bubenitschek, nicht nur eine Haltungsfrage, sondern schon auch eine strukturelle Frage. Uns fehlt die Phantasie, aber uns fehlt auch die Kraft, die Dinge so anders zu denken, wie es eigentlich nötig wäre.

Maria Bubenitschek: Wir schauen dafür vielleicht zu viel auf die Hauptberuflichen. Lasst doch die Gemeinden viel mehr selber die Dinge tun. Da gehört es hin.

Was tun Sie in Ihrem Verantwortungsbereich, damit sich die „box“ frisch hält, mit der Kirche Formate, Riten, Rollen und Sprache bereithält? Damit das, was Sie beide in der Kirche an Möglichkeiten sehen, nach draußen dringt? 

. . . Kirche nicht länger als Hauptamtlichenkirche denken.

Stefan Zekorn: Wir beschäftigen von Bistumsseite die Pfarreien zu sehr mit verschiedenen Verordnungen und lassen sie dabei auch selber von Null anfangen. Die Verordnungen sind zum Teil wichtig, aber wir müssen mehr Unterstützung anbieten. Bei der Erstellung von Präventionsschutzkonzepten habe ich zum Beispiel von unseren Fachleuten gelernt, wie lebendige Begleitung gelingen kann, ohne umgekehrt vor Ort alles vorzugeben. Ich habe gesehen, wie unterstützende und entlastende Begleitung möglich ist.

Maria Bubenitschek: Mit Blick auf die Frage möchte ich Kirche nicht länger als Hauptamtlichenkirche denken.

Stefan Zekorn: Das kann ich nur dreimal unterstreichen. Die Gemeinden haben doch noch vor einer Generation anders gelebt. Meine Mutter hat mir immer wieder erzählt, dass sie in den 50er- und 60er-Jahren in der pfarrlichen Verbandsarbeit mehr Gestaltungsfreiheit hatte als in den 70er- und 80er-Jahren. Den geistlichen Impuls hatte z. B. dann immer der Präses.

Maria Bubenitschek: Als Leiterin der Hauptabteilung Seelsorge gehe ich zurzeit mit den Kollegen und Kolleginnen in der Hauptabteilung bewusst in einen Prozess: Alle können und sollen in ihrem eigenen Bereich Verantwortung übernehmen. Und dadurch wird Erfahrung, Expertise und Wissen freigesetzt, um auf die Herausforderungen der Seelsorge und Pastoral angemessen im Sinne der notwendigen Offenheit für Veränderungen zu reagieren.

Stefan Zekorn: Meine Hauptaufgabe ist das Unterwegs-Sein in den Pfarreien, Einrichtungen etc. Da erlebe ich häufig ein Suchen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Das ist schön zu sehen. Gleichzeitig erlebe ich auch, dass es viele verfestigte Strukturen gibt. Manche empfinden die als hinderlich, andere als Notwendigkeit. Ich versuche in den Gesprächen, die ich führe, diese unterschiedlichen Wahrnehmungen ins Gespräch zu bringen oder rege an, darüber ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, nur dann kann sich etwas Lebendiges entwickeln. Beim bloßen Verharren in den je eigenen Ideen kommt es nicht in den Sinn, den Blick zu weiten oder mal mit Menschen zu sprechen, mit denen man in der eigenen Blase nicht in Kontakt kommt. Das sind einfache, vorsichtige Ansätze. Ich selber bin dabei nicht derjenige, der weiß, wie es geht.

Maria Bubenitschek: In dieser Haltung erkennbar sein, darauf kommt es an. Ich denke an die Wiedereinführung des Mittagsgebets in unserem Haus, nachdem wir alle aus dem Corona-Shutdown wiedergekommen waren. Für einige wurde das ein wichtiger Ort. Oder ich denke an den Advent, der in diesem Jahr anders sein wird. Wie werden wir als Dienstgemeinschaft mit unseren Sinnfragen im Kontakt miteinander sein?

Stefan Zekorn: Frische ist da, wo etwas lebendig ist. Darauf ein Auge zu haben, ist wichtig.

Und was passiert mit dem, was nicht mehr lebendig ist? Anders gefragt: Was ist der „leistbare Verlust“ für Veränderungen? 

Maria Bubenitschek: Aus meiner Zeit im Bistum Aachen weiß ich, wie schwer es für die Menschen war, im Gebiet des Tagebergbaus ihre Kirche vor Ort aufzugeben. Wir haben dann geschaut: Was ist der Kern dessen, um den es geht? Und das war dann z. B. ein bestimmtes Kreuz, materiell gar nicht wertvoll, aber symbolisch aufgeladen dadurch, dass es schon in der Vorgängerkirche hing und damit gleichzeitig sowohl Zeichen für Kontinuität als auch für Veränderung war. Das war wesentlich. Als die Menschen das erkannt hatten, konnten sie loslassen. Das war immer noch schmerzhaft und traurig – und doch gleichzeitig auch hoffnungsvoll und chancenreich. Der leistbare Verlust zeigt sich also darin, auf all das verzichten zu können, was nicht den Kern dessen trifft, was wichtig ist.

Stefan Zekorn: “Wichtig” ist aber oft vieles. Ich würde eher von „Wesentlich“ sprechen. Was ist für uns wesentlich? Also weniger tun, nur um etwas zu tun. Und weniger Zeit in bloße Strukturen investieren.

Maria Bubenitschek: Das machen wir – wie gesagt – gerade in der Hauptabteilung Seelsorge. Und ich mache die Erfahrung: Eigentlich ist jede und jeder dankbar dafür.

Was würden Sie einer bzw. einem pastoralen Hauptamtlichen sagen, wenn diese/dieser ihren/seinen Dienst bei Ihnen beendet, um sich als Gemeindegründer*in selbstständig zu machen?

Und wenn jemand mit einer Idee kommt, dann sollten wir das ernst nehmen.

Maria Bubenitschek: Ich würde erstmal gar nichts sagen, sondern fragen. Ich würde ins Gespräch gehen und lernen wollen. Und wenn deutlich wird: Da haben wir bei uns ein Defizit, dann müssen wir das aus dem Weg räumen. Und wenn wir das nicht schaffen, dann freue ich mich, dass jemand ihren bzw. seinen Weg in dieser Welt gefunden hat.

Stefan Zekorn: Wo ist das Problem? Die Kirche lebt doch davon, dass Menschen solche Räume sehen und angehen. Wir hätten sonst, rückwärts betrachtet, keine Orden, keine Verbände, keine geistlichen Gemeinschaften, keine Initiativen wie die Eine-Welt-Arbeit usw. Die wurden zu Beginn auch erstmal komisch angeschaut, aber heute sind wir dankbar dafür, oder? Für uns als Bistumsleitung ist es die Aufgabe, den „Laden“ zusammenzuhalten und den Prozess zu einer Lösung zu führen. Dafür ist es wichtig, im Gespräch zu sein. Und wenn jemand mit einer Idee kommt, dann sollten wir das ernst nehmen. Papst Franziskus ist einer, der schon als Erzbischof von Buenos Aires immer sehr früh gespürt hat, wo es solche Momente des „nach draußen“ gibt und der dann dafür stand, das zu ermöglichen. Wichtig ist für neue Initiativen, im Gespräch mit der Kirche als Ganzer zu bleiben. Das unterscheidet übrigens den heiligen Franziskus von ähnlichen Gestalten seiner Zeit, die heute niemand mehr kennt.

Zuletzt: Welche Erfahrung sollte jemand, die/der mit ihrer/seiner christlichen Spiritualität „outside“ von Kirche steht, „inside“ der Kirche mal machen? Und was können Sie dafür tun, dass das passiert?

. . . ihn oder sie in Gottesdienste mitnehmen, in denen Leben und Glauben gefeiert wird . . .

Stefan Zekorn: Hier möchte ich drei verschiedene Möglichkeiten nennen, denn jeder muss schauen, was zu ihm passt. Erstens: Eine Wallfahrt, am besten zu Fuß. Zweitens: Eine Zeit lang mitleben in irgendeiner Form von lebendiger geistlicher Gemeinschaft, ob ein Orden, eine Familie, eine geistliche Bewegung. Drittens: Lesen der Heiligen Schrift oder eines Glaubensbuches. Zu allen drei Möglichkeiten habe ich konkrete Menschen vor Augen, für die das eine Bedeutung hatte.

Maria Bubenitschek: Einem solchen Menschen wünsche ich die Erfahrung, als Mensch zutiefst angenommen zu sein. Ich würde ihn oder sie in Gottesdienste mitnehmen, in denen Leben und Glauben gefeiert wird, und ihm oder ihr caritative Aufgaben von Kirche zeigen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Jan-Christoph Horn.

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