22018

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Statements

P. Manfred Kollig SSCC

Kirchenentwicklung – Auf die Beziehung kommt es an

7 Thesen, formuliert unter deutschen Bedingungen

Die Situation der Katholischen Kirche in Deutschland ist vielfältig. Zugleich gibt es Gemeinsamkeiten, auf deren Grundlage ich 7 Thesen formuliere. An dieser Stelle beschränke ich mich auf solche Gemeinsamkeiten, die sich meines Erachtens nachdrücklich negativ auf die Kirche in Deutschland auswirken. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch positive Phänomene gibt. Aber die Thesen sind eher mit den „Schattenseiten“ heutiger Situation korreliert. Ermutigt fühle ich mich dazu durch Valentin  Dessoy, dem es in seinem Wirken ein Anliegen ist, die Wirklichkeit der Kirche in Deutschland sachlich darzustellen und auf der Basis von Fakten Prognosen zu wagen.

In der Kirche wird weder ausreichend noch alltagstauglich erfahrbar, dass sich die Menschen in ihr mehr erhoffen bzw. überhaupt wesentlich andere Perspektiven einnehmen als die Gesamtgesellschaft.

Zu den eher negativen Phänomenen, welche die Situation der Katholischen Kirche in Deutschland kennzeichnen, gehören meines Erachtens: 

  • Die kirchlichen Strukturen wurden stark an die Strukturen der Zivilgesellschaft (Landesbehörden und Diözesane Behörden, Kreise und Dekanate etc.) angepasst; und dies nach der Wiedervereinigung sogar im Osten, als man diese Strukturen schon längst kritisch hinterfragt hat; allerdings ohne wesentliche Konsequenzen in den Führungsetagen. 
  • In der Kirche wird weder ausreichend noch alltagstauglich erfahrbar, dass sich die Menschen in ihr mehr erhoffen bzw. überhaupt wesentlich andere Perspektiven einnehmen als die Gesamtgesellschaft. 
  • Neues, was vorgeschlagen wird, muss zu oft sowohl in den hierarchischen wie synodalen Gremien höheren Ansprüchen standhalten als Altes, dessen Bestand weniger kritisch in Frage gestellt wird. Der Hang zu einer vermeintlichen Perfektion, die fehlende Risikobereitschaft und unterentwickelte Fehlerfreundlichkeit verzögern und verhindern wichtige Entscheidungen. 
  • Die hierarchisch verfasste Kirche ist nur auf den ersten Blick durch klare Leitung und geregelte Zuständigkeiten geprägt. De facto gibt es in vielen Bereichen eher zu wenig Leitung, Klarheit, Verbindlichkeit und Verantwortungsübernahme.
  • Sogenannte Professionalisierung führte meist nicht zu einer höheren Professionalität der in der Kirche hauptamtlich Tätigen im Hinblick auf die wechselseitige Verbindung und Inspiration von Evangelium und Existenz, sondern eher zu Abgrenzung und Distanzierung von der Lebenswirklichkeit. 
  • Aufgaben werden unter Beibehaltung bestehender Aufgaben verteilt, weil die Verantwortlichen keine Prioritäten setzen wollen oder können. 
  • Leitungsentscheidungen werden zu sehr rechtlich begründet und weniger aus dem Geist Jesu Christi getroffen. Dies führt nicht selten dazu, dass Entscheidungen, die ausgeführt werden, sichern, dass alles richtig sein mag, aber nicht ermöglichen, das Richtige zu tun.  

Die hierarchisch verfasste Kirche ist nur auf den ersten Blick durch klare Leitung und geregelte Zuständigkeiten geprägt.

Die folgenden Thesen werden aus dem Aspekt der Beziehung entwickelt. Wie die Zahl „7“ vermuten lässt, geht es dabei sowohl um die Beziehung zu Gott als auch um die Beziehung zu den Menschen, um die Berücksichtigung der irdischen wie der himmlischen Dimension.

Eine Kirche, die bei aller vielfältigen Entfaltung der Gottesbilder ihrer Mitglieder den Dreieinigen Gott als gemeinsamen Glaubenskern bekennt, rückt die Bedeutung der Beziehung in den Mittelpunkt. Zu dem christlichen Gottesbild gehört wesentlich, dass Gott nur vollkommen ist, weil er ein Gott in Beziehung ist. Die Gemeinschaft zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist folgt dabei nicht dem Modell eines geschlossenen Clubs, sondern ist offen für weitere „Mitglieder“. Gott bietet den Menschen an, sich in Freiheit in diese Gemeinschaft aufnehmen zu lassen. Kirche kann nur insofern den Anspruch erheben, „Sakrament dieses Gottes“ zu sein, als sie selbst auch beziehungsstark ist. Das heißt u.a., dass sie stets ihre Sendung aus der lebendigen Beziehung mit Gott und den Menschen zu erkennen sucht und ihre Ressourcen (Personal, Finanzen, Immobilien etc.) bestmöglich zur Ermöglichung dieser Sendung einsetzt. 

  1. Eine beziehungsstarke Kirche geht von der Präsenz Gottes in allen Menschen aus. Sie bezieht diese treue Gegenwart und das Für-Sein Gottes ein, wenn sie die Realität wahrnimmt, sie deutet und sie mitgestaltet. Sie bewährt und bewahrheitet sich letztendlich in der Hoffnung auf Leben über den Tod hinaus. Sie feiert dies in der Eucharistie und entfaltet die Eucharistie durch die eigene reale Präsenz und Proexistenz unter den jeweiligen Bedingungen vor Ort.
  2. In diesem Sinne ist eine beziehungsstarke Kirche zunächst eine kontemplative Kirche, die die Realität immer als eine von Gott angenommene betrachtet, in der er gegenwärtig bleibt. Dies gilt auch, wenn eine Wirklichkeit von ihm nach kirchlichem Ermessen nicht gutgeheißen wird.
  3. Eine beziehungsstarke Kirche ist eine vertrauensstarke Kirche. Sie kann auch die Schattenseiten menschlichen Lebens und die dunklen Seiten der Kirche sowie jede Form von Gefährdung, Risiko und Misserfolg als Zeichen der Zeit deuten. Sie hält die Möglichkeiten Gottes für stärker als die eigenen und feiert aus diesem Geist die Sakramente.
  4. Eine beziehungsstarke Kirche fürchtet nicht den Diskurs mit der „säkularen und/oder pluralistischen Gesellschaft“. Sie sucht, ermöglicht und fördert ihn, um gesellschaftlich relevante Entwicklungen ebenso wie die Lebenswirklichkeit einzelner Menschen besser zu verstehen und entsprechend die Botschaft Gottes in Wort und Tat zu verkünden.
  5. Eine beziehungsstarke Kirche ist eine sprachfähige Kirche. In ihrem Reden von Gott und in ihrer Selbstdarstellung drückt sie sich durch Wort, Bild und Geste in einer Weise aus, die möglichst viele Menschen erreichen kann. Sie vermeidet „Containerthemen“, pflegt keine Worthülsen, sondern verknüpft die Lebenssituation der Menschen mit relevanten Themen.
  6. Eine beziehungsstarke Kirche ist eine Kirche, die im Vertrauen auf Gott und die Menschen veränderungsfähig wird. Nicht ihre Gestalt bleibt, wohl aber Gott, der in ihr eine immer wieder neue und zeitgemäße Gestalt annimmt. Christus bleibt Weg, Wahrheit und Leben. Er ist jederzeit und unter allen Umständen „die Liebe“. Aber die Gestalt der Liebe verändert sich, weil sich beispielsweise auch die Nöte der Menschen verändern. Eine beziehungsstarke Kirche ist experimentierfreudig und fehlerfreundlich. Sie geht verantwortungsbewusst mit Risiken um und bleibt solidarisch im Gelingen und im Scheitern. Sie denkt nicht über ihre Zukunft nach, ohne den „Advent“ im Blick zu behalten.
  7. Eine beziehungsstarke Kirche sorgt für eine geschwisterliche Beratungs- und Entscheidungskultur. Sie sichert diese auch durch die Bildung und Förderung von Kompetenzen und Haltungen, die Partizipation ermöglichen. Diese Partizipation steht nicht in Konkurrenz zur hierarchischen Struktur der Kirche, sondern überwindet Polarisierung und fördert das Wir-Bewusstsein im Sinne der „Communio“. Diese ist nicht Freundeskreis, sondern Gemeinschaft von gleichermaßen als und zu Schwestern und Brüdern Christi berufene Menschen, die unterschiedliche Gaben und Aufgaben haben. Eine beziehungsstarke Kirche ist daran zu erkennen, dass ihre Vielfalt nicht destruktiv, sondern konstruktiv wirkt. 

Eine beziehungsstarke Kirche ist eine vertrauensstarke Kirche.

Bei alledem: Eine beziehungsstarke Kirche sieht ihre Aufgabe darin, vor allem und in allem Gott darzustellen und nicht sich selbst. Einzig und allein vor diesem Hintergrund und auf dieses Ziel hin hinterfragt sie ihre bisherige Sozialgestalt, ihre Strukturen und Kommunikationsformen und -wege. Sie strebt danach, dies immer wieder neu einzulösen und für andere wirksam erfahrbar werden zu lassen. Sie lädt zu einer permanenten Selbstreflexion ein und prüft, ob die Gottesbeziehung und das damit einhergehende Gottvertrauen ihrer Mitglieder – Kleriker wie Laien – so stark sind, dass die mangelhafte Beziehung  nicht durch Statusdenken ersetzt wird; und die Beziehung zu den anderen so belastbar, dass sie nicht durch Selbst- und Ich-Bezogenheit konterkariert wird. Sie setzt alles daran, Gott als den „Allmächtigen“ darzustellen, dessen Macht dort nicht zur Entfaltung kommen kann, wo Menschen ihre Freiheit nutzen, um sich selbst zu bemächtigen. Eine aus der Beziehung mit Gott abgeleitete Macht heilt und verletzt nicht, respektiert und handelt nicht respektlos, führt zusammen statt zu spalten, liebt und hasst nicht, ermöglicht und verstärkt Beziehung statt sie zu stören oder gar zu zerstören. Kirchenentwicklung wird nur dort gelingen, wo Kirche, die an den beziehungsstarken Gott glaubt, aus seinem Geist selbst beziehungsstark lebt und wirkt.

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