022016

Foto: Gaetano Cessati

Werkzeuge

Barbara Kruse

Exklusion leicht gemacht

Bin ich dabei oder bin ich draußen? In der systemtheoretischen Perspektive ist die Unterschiedsbildung zwischen „innen“ und „außen“ entscheidend – wer ist in der Gruppe, und wer nicht. Diese Differenz zwischen Innen und Außen wird in Beratungskontexten vielfach genutzt: In eher klassischen Unternehmensberatungen, um die Differenz zwischen Kunde und Berater aufrechtzuerhalten – oft als Arroganz der Berater bezeichnet. Systemische Organisationsberater instrumentalisieren diese Differenz zwischen Innen und Außen, wenn sie die Außensicht für den Klienten nutzbar machen und als Anwalt der Ambivalenz auftreten (und bewusst keine Entscheidungen fällen, die das Management fällen sollte). Als Maxime gilt hier, sich nicht vom Kundensystem vereinnahmen zu lassen, weil man sonst die Grundlage des Handlungsvorteils externer Berater verliert. Außerdem endet eines Tages (hoffentlich) der Beratungsauftrag und der Berater verlässt die Organisation. Spätestens dann ist eine vorherige Exklusion hilfreich.

Neu erfunden nach einer Idee von Fritz B. Simon, stelle ich hier eine kleine Anleitung zusammen, wie Exklusion erlebbar werden kann:

Bin ich dabei oder bin ich draußen? In der systemtheoretischen Perspektive ist die Unterschiedsbildung zwischen „innen“ und „außen“ entscheidend – wer ist in der Gruppe, und wer nicht.

Es war einmal eine normale Konferenz ohne besondere Höhepunkte. Der spontane Entschluss, eine inoffizielle Session neben dem offiziellen Programm anzubieten. fand spontan eine gute Handvoll Anhänger; eine „Untergrund-Gruppe“ versprach Abwechslung. Man einigte sich auf den (inoffiziellen) Arbeitstitel „Unterschiedsbildung zwischen innen und außen“. Die Gruppe traf Verabredungen, wie sie die kommenden zwei Tage verbringen wollten: Die Mitglieder verteilen sich in die einzelnen Sessions anderer Kollegen, beteiligen sich, geben Hinweise auf „ihre“ eigene Gruppe, ohne jedoch diesbezügliche Fragen zu beantworten. „Was macht Ihr denn eigentlich?“ die Antwort auf diese Frage sollte ausbleiben oder nur vage beantwortet werden. Wünsche zur Aufnahme in die „U-Gruppe“ sollen strikt abgelehnt werden. Abends trafen sich die Teilnehmer der U-Gruppe, um ihre Erfahrungen des Tages auszutauschen. War es ihnen gelungen, die Gruppe für andere sichtbar zu machen? Wie haben sie reagiert? Eine lustige Runde. Ein Teilnehmer erzählte einen Witz.

Ein Mann bereist Australien und erzählt seinen Freunden anschließend zu Hause von seltsamen Tieren: den Dangeruhs. „Habt Ihr schon mal Dangeruhs gesehen? Die soll es ja überall in Australien geben, aber ich habe kein einziges gesehen. Was hat es mit denen denn eigentlich auf sich? Überall standen Schilder ‚Dangeruhs‘.“ „Hm, was meinst Du denn, was sollen Dangeruhs sein? Wie schriebt man das?“ DANGEROUS.

Das Wort Dangeruhs wurde zum Auslöser wilder Lachanfälle der U-Gruppe.

Am letzten Abend der Konferenz gab es traditionell ein feines Abendessen mit Rückblick auf die Konferenz. Die U-Gruppe setzte sich, diesmal als Gruppe erkennbar, in die Mitte der Tafel. (Vielleicht gab es eine weitere Differenzbildung durch Bestuhlung oder Gedeck?) Auf das Stichwort „Dangeruhs“ fing die Gruppe lauthals an zu lachen. Und wieder „Dangeruhs!“. Schallendes Gelächter. Ratlose Gesichter bei den anderen Konferenzteilnehmern; teilweise greift Verärgerung um sich. „Wer ist denn das? Was machen die denn da?“ Die U-Gruppe gibt keine Erklärungen. Gelächter. Bis Fritz B. Simon am Ende einlenkt und die gesamte Gruppe über das Experiment der „Untergrund-Gruppe“ aufklärt.

Debriefing

Ein Beispiel für gelungene Exklusion, intendierte Exklusion. Die Differenz zwischen Innen und Außen wurde in diesem Versuchsaufbau erlebbar und nutzbar gemacht.

Die Differenz zwischen Innen und Außen wurde in diesem Versuchsaufbau erlebbar und nutzbar gemacht.

Für die Ausbildung systemischer Berater. Auch in anderen Kontexten könnte ein Exklusionserlebnis zur Lernerfahrung werden, beispielsweise im Rahmen eines Projekts mit Reflexion der Rolle der Ausgeschlossenen zur politischen Bildung oder Gewaltprävention an Schulen oder in Jugendgruppen o.ä. Die oben genannten Faktoren für eine erfolgreiche Exklusion sind innerhalb mehrerer Tage zur Wirkung gekommen; Gruppenprozesse benötigen ausreichend Zeit zur Entfaltung, so dass ein Workshop von einem halben oder einem Tag eher ungünstig wäre; zwei bis drei Tage würde ich mindestens ansetzen. Außerdem hat die oben beschriebene Episode von der Unwissenheit und Überraschung der Ausgeschlossenen profitiert. Zum bewussten Einsatz im Lernkontext empfehle ich aus ethischen Gründen die Vorabinformation der Beteiligten.

Möchten Sie die Erfahrung der Exklusion nutzen und ein eigenes Experiment starten? Die folgenden Faktoren sollten Sie dann für Ihren eigenen Versuchsaufbau nutzen:

Gruppenformation: Eine Gruppe kommt zusammen, bildet sich. In diesem Fall war es eine eher zufällige Formation aufgrund von Langeweile. Es könnte auch andere Bildungsprozesse geben, wie zum Beispiel eine formale Gruppe aufgrund der Organisationsstruktur. Es bedarf nicht unbedingt einer gemeinsamen Motivation, solange das Verhalten aller Mitglieder kongruent ist.
Intransparenz der Zielsetzung: Die Gruppe wird nach außen sichtbar, jedoch nicht greifbar und einschätzbar: Wer ist das? Was machen die eigentlich? Freund oder Feind? Sind es Menschen, von denen eine Gefährdung ausgeht – für die Konferenz oder einzelne Konferenzteilnehmer? Die Zielsetzung bleibt intransparent; Unsicherheit bleibt bestehen.
Herausstellen eigener Normen, Werte und Verhaltensweisen: Eigene Regeln, die für andere nicht aufgedeckt werden. In dem Fall hier wurden die Regeln „wir gehen in die anderen Sessions, crashen sie und schauen wie wir noch mehr Differenz aufzeigen können“, nicht kommuniziert. Das Verhalten der Gruppenmitglieder war auffällig, schien unberechenbar und unterstrich damit ebenfalls die Unsicherheit.

Eigene Sprache: Mit dem Witz der Dangeruhs hat die Gruppe diesem Wort eine eigene Bedeutung zugewiesen. Um diese zu entwickeln ist, braucht die Gruppe die Möglichkeit zur internen Kommunikation und gemeinsame Interaktion. Dies kann eine Gruppenfahrt sein, Meeting oder einfach der alltägliche Umgang. Manchmal werden Abkürzungen mit Sinn belegt oder neue Worte geschaffen, vielleicht aus einem Missverständnis heraus (das sind meist die lustigsten). Für Außenstehende hört sich die Kommunikation dann zwar an wie eine Sprache, die sie kennen, aber die Bedeutung wird nicht verstanden.

Zugang zur Mitgliedschaft verweigern: Dies ist sicherlich die offensichtlichste Form der Ausgrenzung; es gibt eine Gruppe, aber ich habe nicht die Möglichkeit aufgenommen zu werden. Die Aufnahmekriterien sind nicht klar, nicht erreichbar oder willkürlich gewählt („Nasenfaktor“).

Neben der intendierten Exklusion als Lernerfahrung treffen Sie im Alltag womöglich auf unbeabsichtigte Exklusion, zum Beispiel aus Unachtsamkeit. Hier hilft vielleicht schon die Lektüre dieses Artikels, um für ungewollte Exklusion zu sensibilisieren. Allerdings: Die Umkehrung der dargestellten Aspekte heißt nicht automatisch „Inklusion“.

Quellen:

Die Anekdote wurde neu erfunden auf Basis eines Impulses von Fritz B. Simon im Rahmen der Weiterbildung zur systemischen Organisationsberatung bei Simon Weber & Friends im Jahr 2012.

Schein, Edgar H. (2004): Organizational Culture and Leadership; San Francisco: Wiley

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