012016

Foto: astrablog: Erlkönig neuer Opel Astra (CC BY-NC-ND 2.0), Bildausschnitt

Konzept

Florian Sobetzko und Ursula Hahmann

Die Ecclesiopreneurship Canvas

Die Gründerleinwand für pastorale Innovationen

Unter Mitarbeit von Matthias Sellmann.

Kirchenentwicklung unter dem Vorzeichen von Ungewissheit

Der Bedarf nach dynamischen Organisationslogiken und -strategien im Feld der Kirchenentwicklung entstammt nicht einfach einer Mode, auch wenn die scheinbar immer schnelleren Trendwechsel diesen Verdacht aufkommen lassen können: welche Managementtechnik, welches Projektentwicklungswerkzeug wird heute durchs Dorf getrieben? Vielmehr lässt sich ohne große Verrenkungen auf strategischer wie auf operativer Ebene ein wachsender Bedarf nach Führungsinstrumenten diagnostizieren, die in der scheinbaren Ausweglosigkeit sich gegenseitig verstärkender, kirchlicher Krisen1 die Handlungsfähigkeit wiederherstellen.

Ein wichtiger Hintergrund dieses eben tatsächlichen Bedarfs ist die sich zuspitzende Ungewissheit, mit der kirchliche Akteure sich in marktlichen Kontexten heterogenisierter, religiöser Nutzungsstile konfrontiert sehen, wenn sie nicht nur als Christenmenschen, sondern auch als Institution Zukunft schreiben wollen.

Dabei gilt es, den enormen Unterschied zwischen komplizierten und komplexen Situationen zu beachten. Einen Airbus zu bauen ist beispielsweise eine komplizierte Angelegenheit, das heißt: es gibt klare Relationen von jedem Element zu jedem anderen Element. Jede Schraube, jeder Lötpunkt, jedes kleine oder große Teil hat seinen eindeutigen Platz, der im Bauplan verzeichnet ist. Das geeignete Vorgehen hier heißt: observe – analyse – react, oder kirchlich vertrauter: Sehen, Urteilen, Handeln.

Ein Fußballteam zu coachen ist demgegenüber ein gutes Beispiel für eine komplexe Aufgabe: die einzelnen Variablen und ihre Relationen sind von unbeeinflussbaren anderen Variablen abhängig. Stimmung und Kondition der SpielerInnen, Rasenqualität, Talent und aktuelle Strategie der gegnerischen Mannschaft etc. – die 90 Minuten auf dem Spielfeld lassen sich nicht statisch nach Plan abarbeiten.

Wenn es kaum sich wiederholende Muster gibt und wenig eindeutige Ereignisse, aus denen man zumindest mit gewisser Expertise wie etwa im Flugzeugbau Ursache und Wirkung erschließen kann, wenn Prozesse also nicht laminar2 sondern turbulent verlaufen, so verspricht Sehen, Urteilen, Handeln wenig Erfolg. Hier braucht es Akteure, die sich trauen und denen man zutrauen darf, tragfähige Konzepte experimentell zu erschließen, die also probieren und so neues Handlungswissen quasi im Gehen produzieren. Handeln, Sehen, Urteilen heißt hier das Konzept der Wahl. Doch wie geht das praktisch?

Vordringlich wird diese Frage aktuell bei der Suche nach einschlägigen Kompetenzmodellen in der Qualifikation von Haupt- und Ehrenamtlichen zur Entwicklung und Verwirklichung von sogenannten „neuen Formen des Kircheseins“, pastoralen Innovationen wie etwa neuen Formen von Gemeinde. Die im Folgenden dargelegten Erfahrungen und Vorschläge entstammen diesem Handlungsfeld, konkret: der Entwicklung und Fortschreibung des Aachener Innovations- und Gründertrainings für SeelsorgerInnen, seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung am Zentrum für angewandte Pastoralforschung in Bochum, der Beratung und Begleitung von Innovationsprojekten durch Coaching und Studientage in Diözesen des deutschen Sprachraumes.

Von den GründerInnen lernen – Effectuation

In immer mehr Pfarreien und Diözesen trifft man derzeit auf Menschen, die – bildlich gesprochen – mit dem kochen wollen, was gerade im Kühlschrank ist: Effectuation3 heißt das Konzept, das der wissenschaftlichen Entrepreneurshipforschung entstammt, die sich mit ökonomisch oder technologisch, aber auch mit sozial oder ökologisch ausgerichteten Unternehmensgründungen und GründerInnen befasst und dabei nach dem Verhältnis von GründerIn und Gelegenheit fragt, dem sog. Individual-Opportunity-Nexus.

Die Kühlschrankmetapher drückt dabei aus, was die Kognitionspsychologie über das Entscheidungsverhalten erfolgreicher Entrepreneure herausgefunden hat: diese bearbeiten marktliche Ungewissheit anders als andere. Unter „Markt“ sei hier verstanden der Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage. Marktliche Ungewissheit besteht vor allem im Bereich des Neuen: während ein bestehendes Produkt für eine bestehende Nachfrage leicht zu „vermarkten“ scheint, wird es beschwerlicher, wo ein bestehendes Produkt noch keinen Markt oder keinen Markt mehr hat, wo für ein bestehendes Kundenproblem eine neue, bessere Lösung zu finden ist, oder gar: wo weder konkretes Produkt oder konkreter Bedarf noch gar nicht zu bestehen scheinen.

Entrepreneure bewältigen nun diese Ungewissheit, indem sie die dadurch unplanbare Zukunft gestalten, statt sie z.B. durch Marktforschung vorhersagen zu wollen. Sie fragen nicht: „was muss für das perfekte Menü noch auf meinen Einkaufszettel?“, sondern sie blicken ergebnisoffen in den halbvollen Kühlschrank: was könnte man aus dem Vorhandenen kochen? Und dann laden sie Freunde zum Mitkochen ein. Die bringen eigene Zutaten und neue Ideen mit, aus dem Kochabend kann dabei auch mal ein Kochbuch oder ein Kochblog werden, Überraschungen werden nicht per Risikomanagement vermieden, sondern als möglicherweise glückliche Fügung betrachtet – der Plan kann sich unterwegs ändern. Und das Telefonbuch wird nicht nach Sterneköchen gefiltert, sondern nach der Frage: wer ist bereit mitzumachen und etwas einzubringen?

Die Weltsicht von Effectuation ist auf vorhandene Ressourcen gerichtet statt auf „hätte, müsste, sollte“. Ein enormes Angebot für die Kirchenentwicklung.

Dieses im deutschen Sprachraum vor allem mit den Namen Faschingbauer, Grichnik und Mauer4 verbundene Gründergeist-Instrumentarium aus der Unternehmerwelt passt erstaunlich gut zu kirchlichen Innovationen und InnovateurInnen, stehen hier doch die sprichwörtlichen fünf Brote und zwei Fische im Mittelpunkt, die der Kühlschrank zu bieten hat. Die an anderer Stelle5 zu vertiefende Weltsicht von Effectuation ist auf vorhandene Ressourcen gerichtet statt auf „hätte, müsste, sollte“. Ein enormes Angebot für die Kirchenentwicklung.

Und gleichwohl: etwas fehlt noch, damit ein Schuh draus wird. Nicht nur bei Kirche – aber hier mit nachhaltigen Folgen – wird regelmäßig Innovation mit Invention, Idee, Erfindung verwechselt. Eine originelle Idee oder eine schiere Neuheit, auch die Durchführung von Projekten durch „unsere besten, ganz jungen und kreativen MitarbeiterInnen“ macht aber noch keine Innovation aus, zumindest nach dem Verständnis ökonomischer Innovationstheorie. Innovation besteht hier eben deshalb aus den sprichwörtlichen 5% Inspiration und 95% Transpiration, weil es sich genauer betrachtet um einen dreischrittigen Vorgang handelt, der aus a) Invention im Sinne von Erfindung, b) Innovation im (engeren) Sinne der Erstanwendung und c) Innovations-Diffusion im Sinne der erfolgreichen Verbreitung besteht. Der Aachener Innovationsforscher Frank Piller6 erläutert das seinen Studierenden mit einer simplen Aufforderung: geben Sie bei einer Internetsuchmaschine den Begriff „Verrückte Erfindungen“ ein und wählen Sie dazu die Funktion „Bildersuche“ aus. Beim Scrollen durch die Ergebnisse werden Sie nicht lange grübeln müssen um zu verstehen, dass zwischen einer Erfindung und einer Innovation im gemeinten Sinne ein haushoher Unterschied liegen kann: deren erfolgreiche Anwendung und Verbreitung. Wer außenweltkompatibel von einer Innovation sprechen möchte, darf den Nachfrage- bzw. Relevanzaspekt nicht ausblenden: braucht das wirklich jemand?

Was also tun? Wie wird denn reproduzierbar aus einer möglicherweise guten Idee eine echte Innovation? Oder wenn das Zeug zum Erfolg fehlt, wie findet man es rechtzeitig heraus?

Die Ecclesiopreneurship Canvas: von der Idee zur Innovation

Praxiserfahrungen und Forschungsbetrieb rund um unternehmerische Gründerlehre oder „Enrtepreneurship Education“ fördern nicht weniger zutage als ein hilfreiches Instrumentarium für solche Innovationsprozesse. Daraus entstanden und noch in der Entwicklung ist erstens eine für die pastorale Praxis adaptierte und hier als Prototyp vorgelegte Ecclesiopreneurship Canvas auf Basis der unter Gründern und Startup-Experten weltweit etablierten „Business Model Canvas“ nach Pigneur und Osterwalder7, zweitens ein auf dem sog. „Lean Launchpad“8 des Entrepreneurship-Experten Steve Blank aufsetzendes Konzept der Pastoralentwicklung mit Attrappen und Prototypen.

Anders als der in Gründerseminaren früher unterrichtete, eher statische Geschäftsplan handelt es sich bei der Gründerleinwand um ein sehr dynamisches Werkzeug in ständiger Veränderung.

Bei der „Ecclesiopreneurship Canvas“ oder auch „Gründerleinwand für Kirchenentwicklung und pastorale Innovation“ handelt es sich um ein ursprünglich in der Entwicklung von StartUp-Unternehmen verbreitetes Instrument, das als großes Plakat zum Einsatz kommt und der Entwicklung von (pastoralen) Geschäftsmodellen dient. Anders als der in Gründerseminaren früher unterrichtete, eher statische Geschäftsplan oder Gründungsplan handelt es sich dabei um ein sehr dynamisches Werkzeug in ständiger Veränderung, denn jede JungunternehmerIn lernt: kein Businessplan überlebt den ersten Kundenkontakt. In neun Feldern wird dabei, meist ausgehend von ausgewählten Kundensegmenten bzw. Zielgruppen und einem für sie generierten Nutzenversprechen modelliert, wie aus einer Idee ein funktionierende Geschäftsmodell wird.

Ein pastorales Startup ist keine „kleine Version“ von Kirche

Zwei Grundgedanken sind innerhalb derartiger Startup-Prozesse maßgeblich: ein Startup ist keine kleine Version einer großen Firma, sondern eine temporäre Organisation zur Entwicklung eines Geschäftsmodells – analog kirchlich: ein pastorales Startup ist ebenfalls nicht einfach eine kleine oder nur noch in Betrieb zu nehmende große Ausdrucksform von Kirche oder Gemeinde, sondern es ist ebenfalls eine temporäre Organisations- oder Arbeitsweise zur Entwicklung neuer pastoraler Handlungsformen.

Eine Gründungsidee funktioniert nur und wirklich nur, wenn sie den relevanten Kunden- oder Zielgruppen ein geeignetes Nutzenversprechen liefert.

Der zweite essentielle Grundgedanke aus der Unternehmensgründung lautet: eine Gründungsidee funktioniert nur und wirklich nur, wenn sie den relevanten Kunden- oder Zielgruppen ein geeignetes Nutzenversprechen liefert. Zwei Belange kommen dafür in Frage: entweder bedient man ein Bedürfnis erstmals oder besser, oder man löst ein nutzerseitiges Problem erstmals oder besser als bisher möglich. Was sich in diesen beiden Kategorien nicht beschreiben lässt, hat in der Regel nicht das Zeug zur unternehmerischen Innovation, sprich: zur erfolgreichen Gründung.

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Abb. 1: Die Ecclesiopreneurship Canvas

Der temporäre Charakter des Startups bildet sich schon in der Arbeit mit der Gründerleinwand deutlich ab: das Plakat wird mit verschiedenfarbigen Haftnotizen beklebt, die stichwortartig Annahmen zur Funktionsweise eines Geschäftsmodells markieren. In der Reihenfolge der Feldnummerierung beginnt man mit dem Feld „Nutzersegmente“ und benennt dort das oder die wichtigsten Nutzersegmente jeweils mit einer eigenen Zettelfarbe. Der farblichen Codierung folgend wird nun im Feld „Nutzenversprechen“ für die einzelnen Nutzersegmente das zugehörige Nutzenversprechen eingetragen. Die Canvas liefert dazu – wie in allen Feldern – die nötigen Fragen frei Haus.

Das Verfahren setzt sich fort in Feldern zu der aus Nutzersicht gewünschten Beziehungsart und den ebenfalls aus Nutzersicht präferierten Kommunikations– und Distributionskanälen. Die Fragen der Leinwand leiten dabei pointiert in Richtung Nutzerperspektive: wie will die Zielgruppe bevorzugt erreicht werden und wie lässt sich das möglichst effizient annähern?

Wem nützt was auf welche Weise?

In der praktischen Anwendung tun sich schon hier kleine Offenbarungen auf, denn spricht man beispielsweise mit kirchlich Engagierten über ihr Angebot, so werden sie als spezifisches Wert- bzw. Nutzenangebot regelmäßig „Gemeinschaft“ herausstellen, als Beziehungsqualität „persönliche Nähe“ und „Authentizität“: hier darf jeder so sein, wie er ist. Gerade missionale Gründungsvorhaben richten sich aber an ein Publikum, das oft gar kein so unmittelbares Interesse hat, in irgendeiner Gemeinschaft Mitglied zu werden und die Fassade fallen zu lassen. Oder wie es beispielsweise die GründerInnen der katholischen Zeitfenster-Gemeinde in Aachen beschreiben: der Gottesdienst muss so konfiguriert sein, dass man unbemerkt rausgehen könnte, wenn man es wollte.

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Ein weiteres Beispiel: welche Kommunikationskanäle und Zugangswege empfehlen sich etwa für ein innovatives Projekt von Kirche für junge Erwachsene? Gewiss kommen hier soziale Medien in den Blick. Die Gründerleinwand bildet bei geübter Nutzung  zugleich ab, dass an solch einem Projekt auch andere relevante AnspruchseignerInnen beteiligt sind: für Bischöfe und Generalvikariate, aber auch für möglicherweise gastgebende Pfarreien gilt dabei weiterhin vielerorts: was nicht in der Kirchenzeitung steht, hat nicht stattgefunden. Wenn Gastfreundschaft, Projektmittel und Personalkosten also längerfristig vorausgesetzt werden, muss sich dies strategisch in den Kommunikationskanälen abbilden.

Klinkenputzen als Kernkompetenz?

Womit der Blick sich auf die weiteren Felder der pastoralen Gründerleinwand richtet: hier geht es um Schlüsselaktivitäten, und zu denen gehört dann eben nicht nur das Vorhalten von pastoralen Angeboten für die unmittelbare Zielgruppe, sondern auch das systematische Berichterstatten. Bei spendenfinanzierten Projekten wie etwa dem Kindertrauerprojekt diesseits in Aachen ergibt sich folglich als Schlüsselaktivität nicht nur die Durchführung von Gruppenstunden für Kinder und die Qualifikation von jungen Erwachsenen (Achtung: auch ein Nutzersegment!) als ehrenamtliche TrauerbegleiterInnen, sondern das Klinkenputzen bei SponsorInnen gehört ebenfalls zum Tagewerk. Und ins Feld Schlüsselressourcen gehört bei solchen Vorhaben neben dem Trauerkoffer eben auch der sprichwörtliche gute Anzug oder bei Priestern das Collarhemd für die Präsentation beim Sponsorendinner.

Partner oder Kunde? Oder beides?

Zu den interessantesten Feldern gehört die Abteilung Schlüsselpartner. Wie bei den anderen Schlüssel-Feldern gilt auch hier: eingetragen werden nur die Personen, Ressourcen und Aktivitäten, die wirklich zur Einlösung des Nutzenversprechens erforderlich sind. Besonders interessant wird das Feld, weil gerade in kirchlichen Kontexten hier regelmäßig Haftnotizen landen, auf denen Generalvikariat, Bischof, Personalabteilung und Seelsorgeamt verzeichnet sind. So wie es zutreffend erscheint, diese als PartnerInnen zu benennen, es empfiehlt sich sehr – siehe die Sache mit der Kirchenzeitung – sie nötigenfalls auch als NutzerInnen, Anspruchsgruppen oder „interne Kunden“ im ersten Feld der Leinwand zu benennen und dann durchzubuchstabieren.

Selbiges gilt regelmäßig auch für ehrenamtlich Engagierte, mit denen zusammen ein pastorales Vorhaben entwickelt wird. Wer sind sie und was motiviert sie? Welchen Nutzen ziehen sie aus ihrem Engagement, welche Art von Beziehung setzen sie voraus, wie kommuniziert man mit ihnen? Welche Schlüsselaktivitäten ergeben sich für das Funktionieren des Gesamtmodells daraus und welche Ressourcen sind erforderlich, wenn beispielsweise die o.g. ehrenamtlichen TrauerbegleiterInnen trotz voller Kalender eine supervisorische Begleitung und viele gemeinsame Treffen benötigen?

Die unternehmerische Sichtweise bezeichnet solche Konzepte als zweiseitige Geschäftsmodelle – die Versteigerungsplattform eBay® ist ein typisches Beispiel: sie funktioniert nur, wenn sowohl versteigerungswillige VerkäuferInnen als auch kaufwillige BieterInnen zusammengeführt werden. Beide müssen angemessen adressiert werden.

Wenngleich die Arbeitsweise mit der Gründerleinwand bis hier nur anskizziert werden kann, so wird dennoch deutlich: das in der Sphäre unternehmerischen Gründens erprobte Werkzeug verspricht in der pastoralen Adaption signifikantes Potenzial zur Strukturierung von Innovationsvorhaben.

Die Gründerleinwand leistet dabei insbesondere die radikale Nutzerorientierung innerhalb des Entwicklungsprozesses: jedem Nutzersegment bzw. präziser: jeder Stakeholdergruppe muss, wenn sie für das Funktionieren relevant ist, ein geeignetes Nutzenversprechen zugeordnet sein. Und es muss geklärt sein, wie dieses Nutzenversprechen kundenorientiert gehalten werden kann: Welche Eigenschaften muss das Angebot aufweisen, damit sich der angepeilte Nutzen einstellt –  und sei es der erhoffte Gotteslohn?

Offen bleibt aber bis hier die weiter oben hervorgehobene Kernfrage: wie wird nun in Zeit und Raum aus dem so skizzierten Innovationsvorschlag ein erfolgreiches Projekt? Oder wie lässt sich frühzeitig erkennen, wenn es doch nicht funktioniert?

Pastorales Prototyping

Auf der Gründerleinwand befinden sich Hypothesen über ein vielleicht denkbares Geschäftsmodell oder pastorales Handlungskonzept. Diese Annahmen müssen getestet werden.

Mit Steve Blank gesagt: „Die Informationen, die Sie benötigen, befinden sich außerhalb dieses Gebäudes“. Auf der Gründerleinwand befinden sich bis hierher nur Hypothesen über ein vielleicht denkbares Geschäftsmodell oder pastorales Handlungskonzept. Diese Annahmen müssen getestet werden, und zwar in Testzyklen. Die gesamte Kreativität des Gründerteams muss nun auf die Frage gerichtet sein, wie die Hypothesen auf der Ecclesiopreneurship Canvas effizient getestet werden können. Möglicherweise geht das ganz einfach in Gesprächen mit typischen Vertretern der Nutzersegmente. Existieren diese überhaupt am geplanten Ort des Angebotes? Wie reagieren sie auf den Vorschlag der GründerInnen?

Ein Pfarrfest-Dummy: würden Sie Ihre Freunde mitbringen?

Als besonders hilfreich erweist sich dabei die Verwendung von Dummies oder Attrappen. Bevor eine Veranstaltung oder eine neue Gemeindeform oder ein besonderes Angebot ausgerollt wird, erstellt das Startup-Team – nötigenfalls mit professioneller Hilfe – einen Dummy: ein Werbeplakat, einen Flyer, eine Internetseite, oder gerne auch gleich drei verschiedene davon – ohne tatsächliches Angebot dahinter. Ein einfaches Beispiel: wiederum über eine Bildersuche im Internet finden sich zum Thema Firmung oder Firmkurs eine große Zahl durchaus unterschiedlicher Ideen für die Werbung zur Firmvorbereitung. Statt einfach loszulegen, testet man in einer kleinen Befragung einige dieser Vorschläge an infrage kommenden jungen Erwachsenen und lernt etwas darüber, was diese sich erhoffen oder eher meiden werden. Oder: statt ein neues Gottesdienstformat für kirchenerfahrene, aber distanzierte Erwachsene aus modernen Milieus gleich auszuentwickeln, testet man mit unterschiedlichen Werbemedien die Resonanz bei der Zielgruppe: „Wo würden Sie hinkommen? Wo würden Sie ihre Freunde mit hinbringen? Was erschiene Ihnen eher riskant bis befremdlich?“

Auf diese und ähnliche Weisen erarbeitet sich ein Startup-Team optimalerweise fundiertes Wissen darüber, ob ihre Vermutungen auf der Leinwand zutreffend sind.

Minimalprodukte: das Wesentliche ganz klein

Ein anderes und fortgeschritteneres Verfahren ist die Arbeit mit Prototypen oder Minimalprodukten. Hierbei handelt es sich nicht um abgespeckte Versionen, sondern um kleinere Testexemplare. Statt also einen Gottesdienst für postmoderne Erwachsene gleich als Großveranstaltung für 100-250 BesucherInnen in einer Innenstadtkirche zu organisieren, findet das ganze in klein statt, womöglich noch nicht mal im Pfarrsaal, sondern im Wohnzimmer eines Teammitgliedes. Denn wenn das angenommene Nutzenversprechen wesentlich auf Musik- und Bandauswahl, Predigtstil, Beleuchtung und etwa Getränkeangebot basiert, kann auch so eine kleine Form des Testbetriebs wichtige Ergebnisse liefern. Vielleicht ist es in der nächsten Testrunde dann schon Zeit für einen sog. Erlkönig, einen fast serienreifen Prototypen?

Aus dem – möglichst systematisch erfassten – Feedback der Prototypphase gilt es, Konsequenzen für die finale Entwicklung des Produkts zu ziehen.

Aus dem – möglichst systematisch erfassten – Feedback der Prototypphase gilt es dann, Konsequenzen für die finale Entwicklung des Produkts zu ziehen: Die Musik muss mitsingbarer werden, das Licht darf nicht einen so starken Bühneneffekt schaffen, die Idee mit dem Segensbalken hat keiner kapiert? Das Feedback zwingt das Startup-Team, nutzerorientiert zu bleiben und nicht etwa an eigenen, liebegewonnenen Vorstellungen des Projektes hängenzubleiben.

Nicht nur die Anbieter haben es mit Unsicherheit zu tun

Ressourcen stehen zur Verfügung, das Produkt ist (vorläufig) final entwickelt, dann verdient es auch, dass möglichst viele davon erfahren. Daher ist ein hoher Werbedruck Pflicht, um zunächst mal Bekanntheit zu schaffen. Oft weniger an den typischen kirchlichen Stellen in Schaukästen oder Pfarrbürofenstern, sondern dort, wo die jeweilige Zielgruppe zu finden ist: In Kneipen, bei Facebook, am Sportplatz, in der Bibliothek, im Kino, beim Nachbarschaftsfest. In der Marken- und Werbeentwicklung gilt es noch einige Pferdefüße zu beachten: So sind Innovationen, zumal wenn sie – wie ein Gottesdienst – immateriell sind und ihre Qualität nicht im Vorfeld, sondern erst beim “Konsum” eingeschätzt werden kann, mit enormer Unsicherheit verbunden. Das subjektive Risiko, einen Fehler zu begehen, wird als hoch eingeschätzt. Im unsicheren Umfeld gilt es daher möglichst viele Vertrauenssignale zu setzen, die dieses Risiko reduzieren9. Wenn sich das Angebot an Kirchenferne richtet, also Menschen, die aus subjektiven Gründen nicht mehr zu Gottesdiensten kommen, dann muss zudem die Kommunikation glaubwürdig und nachfühlbar das Anderssein vermitteln.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Es liegt auf der Hand, dass sich nicht alles auf einen Dummy oder einen eher simplen Prototypen reduzieren lässt, doch darf konstatiert werden: mit etwas Kreativität ist hier viel Luft nach oben – und viel Potenzial für die Vermeidung von Frust und Verschwendung der kostbarsten aller Ressourcen: Engagement und Motivation.

Wer die eigene Kreativität in die Gestaltung solcher Lernprozesse steckt und den richtigen Mix aus pastoraler Feldforschung und wissensproduktivem Experiment entwickelt, der und die darf damit rechnen, dass Gründungsprojekte und Innovationsprozesse wieder Spaß machen, weil sie keine hochriskanten Wagnisse mehr darstellen, für die man „mal ein Jahr frei haben müsste“, sondern Alltag werden könnten in einer Kirche, zu deren Wesensmerkmalen es gehört, sich unter der Leitung des Heiligen Geistes fortwährend zu läutern (Exnovation) und zu erneuern (Innovation)10

 


Extra: Erklärungsvideo zur Gründerleinwand

  1. Vgl. EBERTZ, M. N. Vor der Aufgabe der Neugründung. Die Kirche in sich wechselseitig verstärkenden Krisen. Herder Korrespondenz–Spezial. Pastoraler Umbau: Neue Form kirchlichen Lebens. Freiburg: Herder,  2011, 2-6.
  2. stromlinienförmig
  3. vgl. SARASVATHY, S. D. Causation and effectuation: Toward a theoretical shift from economic inevitability to entrepreneurial contingency. Academy of Management Review,  2001, 26(2), 243-263.
  4. FASCHINGBAUER, M. AND D. GRICHNIK Effectuation. Das Unternehmerische im Unternehmen wecken. Zeitschrift Führung und Organisation,  2011, 80(5), 337. FASCHINGBAUER, M. Effectuation: Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln. Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft Steuern Recht, 2013. ISBN 3799266895.
  5. Vgl. etwa REINTGEN, F. Entscheidungsprozesse in Situationen der Unsicherheit: Effectuation –  https://www.futur2.org/article/entscheidungsprozesse-in-situationen-der-unsicherheit-effectuation/
  6. http://www.time.rwth-aachen.de/cms/TIME/Die-Research-Area/Team/TIM-Team/Lehrstuhlinhaber/~eebc/Piller-Frank-T/
  7. http://www.businessmodelgeneration.com/canvas/bmc
  8. https://www.udacity.com/course/how-to-build-a-startup–ep245
  9. Vgl. HAHMANN, U. Bitte weitersagen: Fürchtet euch nicht – https://www.futur2.org/article/bitte-weitersagen-fuerchtet-euch-nicht/
  10. Vgl. GS 21

Mehr Informationen zur Ecclesiopreneurship Canvas, die Möglichkeit zum Download und zu ihrem Erwerb als A0-Plakat: www.sobetzko.de

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