022011

Foto: Anette Belkot: Soul Moves - Martin II (CC BY-NC 2.0), Bildausschnitt

Praxis

Thomas Equit

Auf dem Innovationspfad? Zur Wirksamkeit diözesaner Strategieprozesse

Mehr als zwei Drittel der Bistümer im deutschsprachigen Raum haben in den letzten zwei Jahrzehnten synodale Prozesse initiiert, um zeitgemäße Perspektiven für die Seelsorge zu gewinnen. Die einzelnen Vorgänge unterschieden sich in ihrer Zielsetzung, ihren Organi­sa­tionsformen und ihrer Ver­laufsdauer teilweise erheblich voneinander. Gemeinsam war ih­nen aber, dass sie angesichts der Krisenphäno­me­ne wie abnehmender Kirchen­bindung, Gläu­bigen- und Priestermangel und rückläufiger Finanz­ressour­cen eine Standortbestimmung für die jeweilige Ortskirche vornehmen und pastorale Prioritäten für die Zukunft ableiten soll­ten.

Haupt- und Ehrenamtliche wurden (je nach Prozess in verschiedenem Aus­maß) in die pastorale Planung oder ihre Vorphasen (wie Analyse und Leitbildent­wicklung) einbezogen, weswegen zusammenfassend von partizipativen Strategieprozessen gespro­chen werden kann. Eine Rei­he von Publikationen hat sich bereits ausführlich mit Verlauf und Ergebnissen dieser Bistumspro­zes­se beschäftigt.1 Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich vorran­gig auf ihre Auswirkungen in der Seelsorge und verfolgen die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen sie pastorale Innova­tio­nen anstoßen können.2

Zur besseren Übersichtlichkeit sind die Aus­füh­rungen in fünf Abschnitte aufgeteilt, denen jeweils eine zusam­menfassende These vorangestellt wird.

1. Ortskirchlicher Pragmatismus

Seit Ende der 90er Jahre lässt sich eine deutliche Verschiebung in den Inhalten der Bistumsprozesse wahrnehmen: Gesamtkirchliche Fragen werden immer weniger thematisiert, Strukturfragen und die Umsetzung in der eigenen Diözese stehen verstärkt im Mittelpunkt.

Während der Prozesse der 1980er und der frühen 1990er Jahre wurde teilweise sehr enga­giert über gesamtkirchliche „heiße Eisen“ diskutiert, also über Fragen wie die Priesterweihe von viri probati oder über den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Da diese Themen über die Entscheidungs­be­­­­fugnis der einzelnen Ortskirchen hinausgehen, wurden dazu Voten an den Apostolischen Stuhl ver­ab­schiedet, die allesamt unbeantwortet geblieben sind. In der Folge wurden solche gesamtkirch­lichen Konfliktthemen bei Strategieprozessen ab Ende der 1990er Jahre entweder ausdrücklich ausge­klammert oder in einem Themenspei­cher gesammelt, um eventuell später durch den Diözesanbischof weitergeleitet werden zu können.

Dass die Bearbeitung gesamtkirchlicher Fragen zurückgegangen ist, hat einen doppelten Effekt: Einer­seits werden die Bistumsprozesse durch die Beschränkung auf tatsächliche orts­kirchliche Gestal­tungs­mög­lichkeiten entlastet und so unnötige Frustrationen vermieden. An­de­rerseits vertieft sich dadurch aber auch der Graben zwischen den Normen der Kirchen­lei­tung und dem Glaubensleben von Seel­sor­gern und Gläubigen.

Mit dieser inhaltlichen Verschiebung haben sich zugleich Pastoralgespräche und Leitbild- und Organi­sa­tions­prozesse zu den dominierenden Formen diözesaner Beteiligungsprozesse ent­wickelt. Sie zielen primär auf praktische Veränderungen in der jeweiligen Ortskirche, demge­gen­über hat die Diskussion und Verabschiedung von Dokumenten eher eine Dienstfunktion. Um eine tragfähige gemeinsame Basis für eine Neuorientierung der Seelsorge zu erreichen, wird verstärkt in einen (geistlichen) Dialog von Bistumsleitung und kirchlichen Mitarbeiterin­nen und Mitarbeitern investiert (Pastoralgespräche) oder auf Methoden aus der Organisa­tions­entwicklung zurückgegriffen (Leitbild- und Organisations­prozesse). Während in den Diözesansynoden und Diözesanforen der 80er Jahre die Umsetzungsphase eher ungeregelt war, ist sie insbesondere bei Leitbild- und Organisationsprozessen von Anfang an in die Planungen integriert. Außerdem sind Energie und Zeit in Beteiligungsprozessen der letzten Jahre stärker auf die Realisierung konzentriert (z.B. durch Modellprojekte und eine konse­quen­te Evaluation), während in vielen frühen Prozessen die Verwirklichung der Beschlüsse nicht weiter verfolgt und überprüft wurde.

Unter dem gewachsenen Druck durch Gläubigen-, Finanz- und Personalmangel konzen­trierten sich Strategieprozesse in den letzten zehn Jahren immer mehr auf Strukturfragen. Insgesamt wird die diözesane Leitungsverantwortung offensiver wahrgenommen: Bischöfe geben für Beteiligungsprozesse einen klaren Rahmen vor, treffen nach der Konsultation verbindliche Entscheidungen und kontrollieren ihre Umsetzung. Dabei hat die Finanzkrise des Erzbistums Berlin Ende der 1990er Jahre wie ein „Weckruf“ gewirkt, sie scheint für die stär­ke­re Top-down-Ausrichtung der Prozesse eine legitimato­ri­sche Funktion übernommen zu haben.

Etwas holzschnittartig lassen sich diese Entwicklungen als Tendenz zu verstärktem ortskirch­lichem Prag­matismus beschreiben: Strategische Beteiligungsprozesse deutsch­sprachiger Diö­ze­sen haben in den letzten 20 Jahren ihren Fokus stärker auf Veränderungen gelegt, die un­ter den gegebenen gesamt­­kirchlichen Rahmenbedingungen in der jeweiligen Ortskirche an­ge­stoßen werden können und die angesichts des Mangels an Ressourcen umgesetzt werden müssen.3

2. Haltungsänderung als Partizipationsgewinn

Der Partizipationsansatz bei Strategieprozessen wirkt sich nicht primär auf der inhaltlichen Ebene aus, weckt aber eine höhere Identifikation und Umsetzungsmotivation der Beteiligten

Vergleicht man die pastoralen Leitlinien, die in partizipativen Strategieprozessen erarbeitet wurden, mit Planungsprioritäten, die von Bistumsleitungen „beteiligungs­arm“ vorgegeben wurden, so findet man kaum inhaltliche Unterschiede. Vielmehr sind seit Mitte der 90er Jahre in den Dokumenten aller deutschsprachigen Diözesen vier wiederkehrende Grundorien­tierun­gen für die pastorale Entwicklung zu entdecken, die mit den Schlagworten „missiona­rischer Aufbruch“, „geistliche Erneuerung“, „diakoni­sches Engagement“ und „ökumenische Zusam­men­arbeit“ umschrieben werden können.

Dieser Befund mag auf den ersten Blick erstaunen, bei ausgesprochenen „Beteiligungs­opti­misten“ und Fürsprechern einer synodaleren Kirche wird er sogar ein skeptisches Stirn­runzeln hervorrufen. Aber der Partizipationsgewinn entsteht offenbar nicht primär auf der Ebene der Inhalte, sondern er zeigt sich vor allem in der Haltung der Beteiligten, die sich aufgrund ihrer Identifikation mit dem Prozess und seinen Ergebnissen in der Umsetzung vor Ort engagierter zeigen und einen längeren Atem beweisen als bei Prioritäten, die von der Lei­tung festgesetzt werden. Erwiesenermaßen sind es in vielen Fällen fast identische Aussa­gen zur pastoralen Planung, die bei Nichtbeteiligung der Diözesanen im Entstehungs­prozess gerne als „großkopfert“ und „übergestülpt“ abgelehnt werden, während im Kontext von Partizipationsprozessen die Wahrscheinlichkeit deutlich steigt, dass sie von den Betei­ligten so verinnerlicht werden, dass diese sie in den Gemeinden und Einrichtungen wieder aufgreifen und in die Diskussion vor Ort einbringen.

Nicht die Inhalte selbst ändern sich, wohl aber die Identifikation mit ihnen – und damit die Chance, dass Kernaussagen bistumsweit popularisiert und zumindest in Teilen veränderungs­relevant weiterge­tragen werden können.

3. Nachhaltigkeit durch dezentrale Umsetzung

Für die Wirksamkeit von Strategieprozessen spielt die Bearbeitung vor Ort die entscheidende Rolle. Haupt- und Ehrenamtliche in Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen der Diözese bilden die „strategische Eng­stelle“ für die Umsetzung.

In der letzten Formulierung („zumindest in Teilen weitergetragen“) klingt Skepsis durch, ob pastorale Grundsatzentscheidungen und gemeinsame Prioritäten überhaupt bistumsweit umgesetzt werden können. Die Diözesen im deutschsprachigen Raum sind in Bezug auf Gläubigenzahl und Fläche so groß und in ihrer Struktur so vielschichtig, dass Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten zwischen einzelnen Pfarreien, Gemeinschaften und Einrichtungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Neben historischen Wachstums­prozessen, die nicht systematisch gesteuert waren, muss als ein ausschlag­gebender Grund dafür die kirchliche Organisationskultur genannt werden, die den lokalen Sub­systemen eines Bistums häufig einen ausgeprägten Autonomiestatus einräumt. Die Kirche pro­fi­tiert von dieser besonderen Form der Unverbindlichkeit, weil sie bei stabilen Zielen der Gesamtor­ga­ni­sa­­­­­­tion eine flexible lokale Präsenz und eine anpassungsfähige Konzentration auf die dortigen Ziel­grup­pen ermöglicht. Andererseits ist die Umsetzung strategischer Maßnahmen damit aber in hohem Maße von der Akzeptanz an der Basis abhängig.

Der charakteristische lokale Freiheitsraum relativiert das gängige öffentliche Image der katho­li­schen Kirche als Hort bischöflich-hierarchi­scher Durchgriffs- und Sanktionsmacht. Er hängt eng damit zusammen, dass Kirche zugleich professionelle Bürokratie und Freiwilligen­organisation ist, so dass Bistumsleitungen zur Einflussnahme auf die Seelsorge vor Ort vor allem auf Überzeugungsarbeit gegen­über den Haupt- und Ehrenamtlichen setzen müssen. Dafür und ebenso für wechselseitige Aus­hand­lungs­vorgänge zwischen Gläubigen und Seel­sor­gern kann ein Synodalprozess ein ange­messener Ort sein, wo Dialogforen für unter­schiedliche pastorale Fragen organisiert und ihre dezentrale Bearbei­tung in Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen anregt werden.

Diese Bearbeitung vor Ort kann nicht von oben verordnet, sie darf aber auch nicht dem Zufall über­lassen werden. Um eine nachhaltige Verankerung und fortschreibende Rezeption zu erreichen, haben einige Diözesen Strategie- und Strukturentwicklung verknüpft, indem die neu gebildeten pastoralen Einheiten dazu verpflichtet wurden, die Ergebnisse des Strategieprozesses aufzugreifen und daraus in einer beteiligungsorientierten Form ihr Seelsorgekonzept zu entwickeln.4

Diözesane Beteiligungsvorgänge brauchen im Vergleich zu Organisationen, in denen Strategien stärker von der Führung geplant und wirksam durchgesetzt werden können, deutlich mehr Zeit und komplexe­re Prozessdesigns, in denen einzelne Verhandlungsverläufe und Lernzyklen ineinander greifen und sich wechselseitig befruchten können. Synodale Strategieentwicklung setzt also auf Seiten der Verantwortlichen systemische Kompetenz und auf Seiten aller Beteiligten Geduld und Frustra­tions­toleranz voraus. Für eine nachhaltige Umsetzung in den lokalen Subsystemen gibt es zu diesen lang­wie­rigen und komplizierten Verläufen aber keine Alternative.5 Will eine Diözese bei der Realisie­rung pa­sto­raler Innovationen „kurzen Prozess machen“, programmiert sie Widerstände und riskiert, dass die Impulse an der Basis weitgehend ignoriert werden.

In der pastoralen Entwicklung gibt es keine Abkürzungen!6

4. Gesteuerte Partizipation

Um die Gefahr von Überforderung und Frustration auf Seiten der Dialogpartner zu reduzie­ren, sind klare Leitungsvorgaben und effektive Beteiligungsformen hilfreich. Relevante Zielgruppen werden nach ihrer Bedeutung für das Prozessziel ausgewählt, ihre Konsultations­foren müssen spezifisch gestaltet sein.

Die beschriebenen aufwendigen Konsultationszyklen können für Seelsorger und für Gläubige, die sich in erster Linie ihrer Gemeinde oder Einrichtung verpflichtet fühlen, zu einem echten Problem werden, insbesondere dann, wenn sich Diskussionen wiederholen und aus ihrer Sicht ohne Ertrag für die eigene Arbeit bleiben. In einigen Strategie­prozessen konnte beobachtet werden, dass die Bereitschaft zur weiteren Mitarbeit dann deutlich sank, wenn dieselben Fragen mehrfach behandelt wurden. Außerdem muss sich auch der zeitliche Auf­wand für Haupt- und Ehrenamtliche in einem klar begrenzten Rahmen halten, um nicht zu Überlastung, Enttäuschung und Ärger zu führen.

Im mehreren Prozessen hat es sich als wenig hilfreich oder sogar als kontra­produktiv erwiesen, wenn von den Verantwortlichen in unspezifischer Weise (d.h. ohne erkennbaren Bezug zur Zielsetzung des Synodalvorganges und ohne Zuspitzung auf bestimmte Erfahrungsträger) allgemeine Fragen zur aktuellen Situation der Kirche oder zu pastoralen Herausforderungen gestellt wurden.7 Um die Betei­lig­ten eines Synodalprozess vor Überforderung und vor unfruchtbaren Diskussionen zu schützen, ist seine Leitung gefordert, ein effektives Gesamtdesign vorzulegen, das von Beginn an festsetzt, welche Personen, Gruppen und Einrichtungen für die zu behandelnden Fragen in besonderer Weise von Belang sind und wie diese angemessen in die Meinungsbildung einbezogen werden sollen. Vorent­scheidung, Vorauswahl und Vorstrukturierung sind unverzichtbar, damit einzelne Konsultations­schritte auf Erfahrungen und Expertise der jeweiligen Dialogpartner eingehen und diese für den Gesamt­pro­zess fruchtbar gemacht werden können.

Hier wird deutlich, dass Strategieprozesse nicht naiv nach dem Motto „So viel Beteiligung wie möglich!“ vorgehen können, sondern dass effektive Partizipation Leitungswahrnehmung und Steue­rung voraussetzt. Gerade weil die Verhandlungen in der Kirche oft langwierig verlaufen (siehe oben Abschnitt 3), müssen die Verantwortlichen entscheiden, welche diözesanen Einheiten für bestimmte Fragen zu berücksichtigen sind – und wer ungestraft weggelassen werden kann. Dies ist notwendig, um Komplexität zu reduzieren und Ressourcen zu schonen. Letztlich ist diese Vorgehensweise aber auch im Blick auf die Beteiligten alternativlos: Es ist zwar möglich, alle Diözesanen undifferenziert und ohne Vorauswahl um ihre Meinung zu bitten, dies kann aber schnell als Alibiveranstaltung und vorgetäuschte Beteiligung missverstanden werden, wenn nicht zeitnah klar wird, welchem Zweck ihre Mitarbeit dient.

5. Zielfokussierung gegen Erwartungsdiffusion

Synodalvorgänge sind sinnvolle Instrumente für die gemeinsame Konzentration auf eine unausweichliche bistumsweite Herausforderung. Damit sie anschlussfähige Impulse für pastorale Innovationen liefern, braucht es Prioritätensetzungen im Prozessverlauf und Enthaltsamkeit gegenüber thematischen Nebengleisen.

Dass selbst die Beteiligten eines Synodalvorganges nicht immer wissen, wozu er initiiert wurde und was sie von ihm erwarten dürfen, ist kein hypothetisches Gedankenspiel, sondern wurde schon 2005 in einer vergleichenden Studie als folgenschweres Hauptproblem vieler Synodalprozesse ausgemacht.8 Entweder seien ihr Charakter und ihre Ziele nicht gemeinsam definiert oder diese Klärung sei nicht in entsprechende Verfahren umgesetzt worden, so dass Enttäuschungen und Folgenlosigkeit geradezu vorprogrammiert worden seien. Transparente Prozessgestaltung ist also eine wesentliche Vorausset­zung dafür, dass Synodalvorgänge in der Seelsorge anschlussfähig sind, da ansonsten nicht alle diözesa­nen Ressourcen wirksam eingebracht werden können.

Natürlich ist die Initiierung eines Bistumsprozesses nicht für alle anstehenden pastoralen Fragen ratsam und nicht zur Bearbeitung jeder Problemsituation angezeigt. Vielmehr muss sinnvollerweise eine außergewöhnliche Krise vorliegen, die die gesamte Ortskirche betrifft und die mittel- und langfristige Festlegungen erfordert, also nicht durch kurzfristige Entscheidungen entschärft werden kann, denn für schnelle Maßnahmen sind synodale Vorgänge zu schwerfällig. Nur wenn der Prozess sich auf eine Herausforderung von erheblicher strategischer Tragweite bezieht, hat er realistische Chancen, dass er genug Energie und Bereitschaft zu anhaltendem Engagement mobilisiert. Pfarreien, Einrichtungen und andere diözesane Subsysteme werden angesichts einer solchen Herausforderung, die sie selbst angeht und die unausweichlich auf sie zukommt, schon aus purem Eigennutz bereit sein, praktische Lösungsideen mit zu entwickeln, sie auf ihre Konsequenzen hin zu bedenken und ihre Umsetzbarkeit im eigenen Arbeitsfeld zu erproben.

Hat eine Bistumsleitung beschlossen, dass eine bestimmte Herausforderung den Aufwand für eine synodale Konsultation rechtfertigt, und wurde klar kommuniziert, welches Ziel mit welchem Prozessde­sign (Organe, Beteiligungsformen, Zeitrahmen) erreicht werden soll, müssen die Verantwortlichen im weiteren Verlauf als Anwälte dieses Zieles agieren und in der Vielstimmigkeit der divergierenden Einschätzungen und Vorschläge den Prozess „in der Spur halten“. Dazu ist einerseits eine Distanzie­rungs­fähigkeit gegenüber allzu großen Erwar­tungen nötig, andererseits kluge Zurück­hal­tung gegen­über thematischen Nebengleisen wie auch gegenüber Inhalten, die mit dem Prozessziel verwandt sind. Bistümer sind derart unüber­sichtliche Gefüge, sie versammeln derart unterschiedliche Interessen unter einem or­ga­ni­satorischen Dach, dass im Verlauf eines Strategieprozesses immer viele berechtigte The­men verfolgt werden wollen, zusätzliche Arbeitsgruppen zu bilden wären, ergänzende Kon­sul­tatio­nen unverzichtbar scheinen. Ehrliche Zwischenreflexionen und externe Begleitung haben sich als Mittel be­währt, um als Steuerungsgremium in dieser Situation Prioritäten und Posterioritäten zu unterschei­den. Um den Synodalprozess immer wieder auf das vereinbarte Ziel hin zu fokussieren, sind entschlos­se­ne Leitungsvorgaben notwendig. Diese können so­wohl inhaltliche Festlegungen umfassen als auch prozessuale Nachjustierungen und Weichen­stellungen.9 Nur wenn dies geschieht und nur wenn sich eine konkrete Spur mit Lösungsperspektiven zu der aktuellen Herausfor­de­rung durch den Gesamt­pro­zess zieht, kann ein Synodalvorgang bistumsweit „landen“ und in den unter­schied­lichen diözesanen Subsystemen anschlussfähig werden.

Es gibt angesichts der dargestellten (teilweise nicht leicht sicherzustellenden) Voraussetzungen für die innovative Nachhaltigkeit von Synodalprozessen durchaus gute Gründe, andere Formen der Beteili­gung und der pastoralen (Neu-)Orientierung zu favorisieren. So können die Verantwortlichen etwa auf ein koordiniertes Beratungsprojekt in den diözesanen Gremien setzen oder in ausgewählten Regionen Pilotprojekte initiieren und darauf bauen, dass best practice-Modelle in die ganze Diözese hinein Kreise ziehen. Darüber hinaus kann ein Diözesanbischof bewusst auf Beteiligungs­formen verzichten, weil die ortskirchlich drängenden Fragen für einen Gesprächsprozess inhaltlich wenig geeignet oder nicht ohne erhebliche Belastungen für die kirchliche Einheit und Frustrationen für alle Beteiligten zu beantworten sind.

Dass Synodalvorgänge maßgeblich zu nachhaltigen Veränderungen in der Seelsorge beitragen, erscheint nach allen genannten Bedingungen zwar möglich, ist aber mit einem kaum zu unterschät­zen­den Aufwand und einigen Risiken verbunden. Synodalprozesse stellen exemplarische Lernorte dar, an denen angesichts einer besonderen Herausforderung christliche Identität und gesellschaftliche Rele­vanz der Ortskirchen neu ausbalanciert und in innovative pastorale Projekte übersetzt werden kön­nen. Es ist aber davor zu warnen, sie in ihren Möglichkeiten zu überschätzen und quasi als „Königsweg“ zu einer zeitgemäßen Seelsorge zu verstehen.

 

  1. Als wichtigste Publikationen der letzten Jahre sind zu nennen: HEINZ, HANSPETER / PÖPPERL, CHRISTIAN: Gut beraten? Synodale Prozesse in deutschen Diözesen. In: Herder Korrespondenz, Jg. 58, Nr. 6, 2004. 302-306. DEMEL, SABINE / HEINZ, HANSPETER / PÖPPERL, CHRISTIAN: „Löscht den Geist nicht aus“. Synodale Prozesse in deutschen Diözesen. Freiburg im Breisgau: Herder, 2005. BURKARD, DOMINIK: Diözesansynoden und syno­den­­ähnliche Foren sowie Kirchenvolksbegehren in den deutschsprachigen Ländern. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Jg. 101, 2006. 113-140. POCK, JOHANN: Gemeinden zwi­schen Idealisierung und Planungszwang. Biblische Gemeindetheologie in ihrer Bedeutung für gegenwärtige Ge­mein­deentwicklungen. Eine kritische Analyse von Pastoralplänen und Leitlinien der Diözesen Deutschlands und Österreichs. Wien: Lit-Verlag, 2006. SPIELBERG, BERNHARD: Kann Kirche noch Gemeinde sein? Praxis, Probleme und Perspektiven der Kirche vor Ort. Würzburg: Echter, 2008. JOHANN E. HAFFNER: Selbsterregung. Organisierte Interaktion der diözesanen Reformprozesse in Deutschland seit der Würzburger Synode (1971-74). In: KARLE, ISOLDE (Hg.): Kirchenreform. Interdisziplinäre Perspektiven. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2009. 97-120.
  2. Der vorliegende Aufsatz fasst unter dem Aspekt der innovativen Wirkung einige Ergebnisse meiner Dissertation prägnant zusammen. In der Buchversion werden die Beobachtungen anhand einzelner Prozesse ausführlich belegt sowie theologisch und organisationswissenschaftlich reflektiert. Vgl. EQUIT, THOMAS: Seelsorge erneuern durch Vision und Partizipation. Strategieprozesse deutschsprachiger Diözesen. Würzburg: Echter, 2011.
  3. Exemplarisch für die frühen Ausprägung von Synodalprozessen (breites Diskussionsspektrum, wenig Aufmerksamkeit für die Umsetzung) seinen genannt: Das Freiburger Diözesanforum 1991-1992, bei dem 46 Voten ohne Planun­gen für ihre Umsetzung verabschiedet wurden. Auch das Pastoralgespräch im Erzbistum Köln 1993-1996 lieferte über 200 Voten, sah aber kein Instrumentarium für deren Implementierung vor. Vom Diözesanforum Regensburg wurden 1994-1995 sogar 235 Beschlüsse gefasst – ohne Priorisierungen. Vgl. dazu DEMEL/HEINZ/PÖPPERL: “Löscht den Geist nicht aus”, 57-63.70-82. – Auf der anderen Seite können als Beispiele für die neue Art von ortskirchliche fokussierten Prozessen gelten: Der Prozess 2010 in der Diözese Graz-Seckau 1998-2008, die Diözesanreform im Erzbistum Salzburg 1998-2001, die Entwicklung pastoraler Prioritäten in der Diözese Rottenburg-Stuttgart 2000-2004, das Pastoralgespräch „Das Salz im Norden“ im Erzbistum Hamburg 2004-2006 und der Pastorale Entwicklungsplan im Bistum Basel 2004-2006. Vgl. EQUIT: Seelsorge erneuern, 211-224.
  4. Z.B. fordert das Bistum Magdeburg für die neuen Gemeindeverbünde Pastoralvereinbarungen, die die Prozess­be­schlüsse auf die Anforderungen vor Ort hin konkretisieren. Für die Errichtung der Pastoralräume im Bistum Basel sind Pastoralraumkonzepte verbindlich, in die die inhaltlichen Schwerpunkte des Pastoralen Entwicklungs­planes einfließen müssen. Vgl. dazu EQUIT: Seelsorge erneuern, 274-275.313.
  5. Für die Identifikation der Diözesanen mit dem Prozess und für die Breite, in der seine Ergebnisse an der Basis verankert und umgesetzt werden können, spielen außerdem die Beteiligung der Leitungs­gremien und der Basis in der Prozesssteuerung eine zentrale Rolle, weil auf diese Weise schon in der Prozessarchitektur symbolisiert wird, dass die prägenden Themen nicht top-down vor­ge­­setzt, son­dern aus einem Dialog mit den einzelnen Subsyste­men (Pfarreien, Orden, Beratungsstellen, Ver­bän­den usw.) und ihren Anliegen entwickelt werden. Zur Bedeutung einer partizipativen Prozess­steuerung für die Nachhaltigkeit der Ergebnisumsetzung vgl. EQUIT: Seelsorge erneuern, 133-140.363-364.
  6. Zumindest gilt dies für Bereiche, die nicht ausschließlich der Entscheidung der Bistumsverwaltung unterliegen (z.B. bei Haushalts- und Finanzfragen), sondern die in der Umsetzung auf die Motivation und die Identifikation der theologischen Hauptamtlichen und der freiwillig engagierten Gläubigen angewiesen sind, also etwa für typische Fragen nach der zukünftigen Seelsorge.
  7. Zwei Beispiele: Im Bistum Basel forderte Bischof Dr. Kurt Koch die Gläubigen zur Eröffnung des Pastoralen Entwicklungsplans auf, ihm als Ausgangspunkt und zur Wegweisung für den Prozess „erfreuliche Erfahrungen von Kirche“ zu berichten. Die Ergebnisse dieser Umfrage wurden anschließend transparent gemacht, sie hatten aber für den weiteren Fortgang des Beteiligungsvorganges keine erkennbare Bedeutung. – Im Pastoralen Zukunftsgespräch im Bistum Magdeburg wurden Einzelpersonen und kirchliche Gruppen zur Themensammlung eingeladen, ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen in der Seelsorge aufzuschreiben. Anhand der dabei eingegangenen Vorschläge (mehr als 700) wurden für eine Dialogphase selbstorganisierte AGs gebildet. Unklar­heit der Beteiligten über die Zielrichtung des Prozesses, Koordinationsprobleme zwischen den AGs und Dopplungen zwischen Themenfindungs- und Dialogphase lösten an der Bistumsbasis Irritation und Frustration aus. Die Dialogphase des PZG wurde in der Folge als „dunkelster Punkt des Prozesses“ erlebt, so dass Nachsteuerungsmaßnahmen (nachträgliche Orientierungshilfen und prozessualen Vorgaben) erforderlich wurden. – Zu Details vgl. EQUIT: Seelsorge erneuern, 255-265.300-302.
  8. Vgl. DEMEL/HEINZ/PÖPPERL: Löscht den Geist nicht aus, 113-114.239.249. – Die Studie nennt es einen durchgängig zu beobachtenden „Geburtsfehler“ der untersuchten Prozesse, dass es zwischen Synodalen und Bistumsleitung unvereinbare Vorstellungen darüber gegeben habe, ob es sich um eine unverbindliche Konsultation handele oder um die Beteiligung an einem Entscheidungsprozess.
  9. Zu erfolgreichen Beispielen, wie durch Entscheidungen der Leitung im Verlauf von Strategieprozessen die konzentrierte Weiterverfolgung des Zieles ermöglicht wurde, vgl. EQUIT: Seelsorge erneuern, 388-389.

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