012017

Foto: Alternate Skate

Werkzeuge

Tim Allgaier

Wie verbindlich geht flexibel? Kann die agile Organisationsform “Scrum” für ehrenamtliches Engagement angewandt werden?

Unter Programmierenden und “Techies” ist sie gerade die beliebteste Projektmanagement-Methode: Scrum. Das agile Planen rund um Sprints und Backlogs macht jedoch auch mehr und mehr in anderen Bereichen von sich reden.
Ein Ingenieur war es auch, der mir im vergangenen Jahr diese Methode zur Organisation von Ehrenamtlichen vorstellte. Meine ganz praktischen Erfahrungen, was Kirche davon lernen kann und was ich persönlich davon weiterführen möchte (als Theologe sowie Agenturinhaber) – darum soll es in den folgenden Zeilen gehen.

Was ist Scrum?

Scrum bezeichnet eine Organisationsform, die zuerst in der Software-Entwicklung verwendet wurde und hergeleitet ist vom Begriff des Gedränges beim Rugby. Dort verkeilen sich mehrere Spieler ineinander und versuchen an den Ball zu kommen, der unter das Gedränge geschmissen wird. Dabei regulieren sie sich selber und kriegen von außen bloß grobe Richtungsanweisungen. Genau darum geht es bei Scrum: eine Selbstorganisation der Projekt-Beteiligten. Und das transparent, nachvollziehbar und agil.

Wie funktioniert ein scrum-Prozess?

Für einen Scrum-Prozess werden größere Projekte in kleine Untereinheiten gebrochen, die in Einheiten (“Sprints” genannt) umgesetzt werden. Kurz gesagt ermöglicht Scrum so, dass jeder Mitarbeiter ungestört und selbstständig seine selbstgewählten Ziele umsetzen kann. Am Ende des festgelegten Zeitintervalls (“Sprint”) werden Wünsche und Anregungen von außen in einer Reflektionsrunde evaluiert – und es beginnt der nächste Zyklus. Und durch Software ist alles übersichtlich, d.h. jeder weiß, woran der andere arbeitet.

Ein Scrum-Prozess ermöglicht es, Aufgaben flexibel und dezentral zu erledigen.

In der Software-Entwicklung ist dieser Prozess natürlich wesentlich komplexer, soll doch zumeist für einen sogenannten Software Owner eine Software mit gewünschten, spezifischen Funktionen erstellt werden. Für eine umfassende Betrachtung sei deshalb an dieser Stelle der ausführliche Wikipedia-Artikel empfohlen.

Wie hat man sich also ein Projekt unter vereinfachten Scrum Bedingungen vorzustellen? Da man dies wohl am Besten an der Durchführung erklären kann, hier einmal ein fiktives Anwendungsbeispiel:

Ein Projekt-Team möchte im Sommer ein Gemeindefest ausrichten. Dafür zerlegt es das Gesamtziel “Startklares Gemeindefest” in verschiedene Meilensteine und Unterprozesse. Diese werden zudem zeitlich eingeschätzt und terminiert – nach der “reinen Lehre” sollten diese jedoch den gleichen Zeitabstand haben (bspw. 2 Wochen). Es könnte also einen Unterpunkt “Grob-Organisation” geben, zudem die Punkte “Raumfindung” sowie “Terminfestlegung” als auch “Zielvorstellung”. Die Unterpunkte “mögliche Termine finden”, “potentielle Termin-Konflikte klären”, “Doodle Liste anlegen” und “Doodle ausfüllen” würden den Unterpunkt “Terminfestlegung” ausmachen, der innerhalb einer vorgegebenen Anzahl Sprints erledigt sein sollte.

Ein Sprint kann dabei je nach Belieben dauern, sollte vielleicht nur sinnvoll gewählt werden (in unserem Beispiel zwei Wochen). Die Teilnehmer können nun Aufgaben exklusiv oder gesammelt übernehmen – was durchaus Sinn macht, denn z.B. muss ja nur einer die Doodle-Liste anlegen, während am besten alle sie ausfüllen sollten. Nach zwei Wochen sollten alle für den Sprint vorgenommenen Aufgaben erledigt worden sein.

Alternativ legt man einen Sprint-Rhythmus fest, bricht die Oberpunkte in sinnvolle kleine Aufgaben herunter und speichert diese in einem “Backlog” – sozusagen das Reservoir an Aufgaben, die erledigt sein müssen bis zum fertigen Ergebnis. Diese würden dann scheibchenweise und sinnvoll in den aktuellen Scrum-Prozess eingefügt und in Sprints abgearbeitet werden (bspw. kann ja jemand schon Tischdecken besorgen, bevor das Programm genau ausgestaltet ist).

Zudem hat es sich durchgesetzt, Aufgaben nach “To do”, “Doing” und “Done” zu kategorisieren, sowie transparent zuzuordnen. (Zum Punkt Software kommen wir später).

Ein Scrum Master übernimmt dabei die Moderatoren-Rolle, bereitet evtl. eine Absprache-Runde vor und setzt grobe Zeitrahmen. Der Theorie nach ist der Scrum Master dabei lediglich so etwas wie ein Prozess-Coach – kein Akteur!

Das Denken in “Zielen” ist meiner Erfahrung nach der kirchlichen Welt fremd – ein solches Umdenken könnte ein interessanter Ansatz sein, um manchmal doch etwas zähe und unproduktive Gremien(sitzungen) produktiver zu gestalten.

Auch wenn der Transfer auf die kirchliche Wirklichkeit hier theologisch spannende Implikationen mit sich bringt (Stichwort Beteiligungskirche), dürfte dies einen ersten Bruch zwischen Scrum-Theorie und kirchlichem Einsatzfeld bedeuten. Denn naturgemäß bieten sich Hauptamtliche aufgrund ihres Stundenbudgets viel eher dafür an, Prozesse zu leiten und Mitarbeiter zu begleiten. Zudem besitzen sie einfach mehr Zugang zu Informationen, Ressourcen und Richtlinien der kirchlichen Strukturen. Und kleine, handliche Aufgaben passen viel eher in die Lebenswelt von Ehrenamtlichen, die der Tätigkeit am Rande von Arbeits- und Familienleben nachkommen.

Der Scrum Master ist es dann auch, der am Ende eines Sprints zur Evaluation ruft und die gewonnenen Erkenntnisse festhält. So schließt sich Sprint an Sprint, bis schlussendlich alle großen Blöcke durch kleinere Sprints als erledigt gelten können.

In der komplexen Variante verteilen die Teilnehmer sowohl Schwierigkeitsgrade als auch Zeitwerte – da es hier aber um Ehrenamtliche gehen soll, ist dies erstmal ohne Belang. Wichtig ist jedoch eine “Definition of done” – eine Definition, was erfüllt sein muss, damit eine Tätigkeit als erledigt betrachtet werden kann. Ziele, die nach dem bewährten SMART-Prinzipch festgelegt wurden, bringen das zumeist jedoch schon mit sich. Das Denken in “Zielen” ist meiner Erfahrung nach der kirchlichen Welt fremd – ein solches Umdenken könnte ein interessanter Ansatz sein, um manchmal doch etwas zähe und unproduktive Gremien(sitzungen) produktiver zu gestalten.

Erfahrungen mit Scrum als Management-Tool für Ehrenamtliche

Eins vorweg: meine Erfahrungen sind zweierlei Natur: einmal als ehrenamtlicher Helfer, einmal als Projektleiter einer Agentur. Da wir uns mit unserer Agentur Kunden aus dem kirchlichen und sozialen Feld widmen, ist es für uns natürlich wichtig, die Strukturen schlank und den Preis somit für gemeinnützige Einrichtungen bezahlbar zu halten. Gleichzeitig möchten wir keine Einbußen bei der Qualität eingehen und sogar höhere Qualität liefern als die meisten unserer Wettbewerber – weswegen wir auf gute Mitarbeiter zurückgreifen müssen, deren Festanstellung jedoch wieder den Preis in die Höhe treiben würde. Deshalb koordinieren wir vor allem begabte, freie Mitarbeiter und berechnen so für ein Projekt lediglich die Stunden, die auch tatsächlich angefallen sind. Dies setzt eine gute Organisation voraus, mit der wir die Freien -über die naturgemäß keine Weisungsbefugnis besitzen- so organisieren, dass unsere Projekte trotzdem zur vollen Zufriedenheit des Auftraggebers umsetzen. Dabei kommen durchaus Scrum-Elemente zum Einsatz, weil es nicht zu leugnende Vorteile besitzt. Was aber noch nichts über ein nicht-professionelles Verhältnis sagt. Denn unsere Freien möchten ja gerne mit ihrer guten Leistung abrechenbare Stunden produzieren. Ehrenamtliche besitzen jedoch nicht diesen “extrinsischen Druck” sondern lediglich intrinsische Motivation. Und das ist einer der Knackpunkte bei den Umsetzungschancen von Scrum-Prozessen mit Ehrenamtlichen.

Was daran funktioniert gut? Was schlecht?

Ein Scrum-Prozess ermöglicht es, Aufgaben flexibel und dezentral zu erledigen. Bei meinem ehrenamtlichen Engagement haben wir so beispielsweise einmal die Woche eine Video-Konferenz abgehalten, sind dabei den Stand der einzelnen Aufgaben durchgegangen und haben neue Aufgaben entwickelt.

Diese wurden erstmal in einen separaten Pool gefügt, wo sie neben generellen Ideen und anstehenden Aufgaben lagen, und in absehbarer Zeit in den Sprint-Topf wandern würden. Wenn also in einer Videokonferenz eine Tätigkeit oder sogar ein ganzer Aufgabenblock als anstehend betrachtet wurde, wanderte diese in das Aufgaben-Reservoir für den kommenden Sprint. Dort holte man sich nach persönlichem Gusto seine Aufgaben aus dem To-Do- “Pool” an offenen Aufgaben und trug sich als zuständiger Bearbeiter ein. Das Ganze wurde dann unter Doing abgelegt.

Motivation, etwas zu gestalten, ist nur einer von drei Motivationsgründen.

Ein Sprint war also für uns eine Woche lang, bzw. die Zeit zwischen zwei Video-Konferenzen. Für alles verwandten wir die Software trello. Die Aufgaben erfüllte man nach dem eigenen Belieben – egal, ob es das Wann oder Wie betraf. In meiner Erfahrung kommt dies dem Dasein als Ehrenamtlicher entgegen, hatte ich doch keine langwierigen Sitzungen mehr an Terminen, an denen ich vielleicht eh nicht konnte. Und wenn ich eine Video-Konferenz verpasste, konnte ich mich einfach am angelegten To-do-Pool bedienen und dies nach meinem eigenen Zeitplan bearbeiten. Wenig Koordination, viel Produktion. In der Theorie.

Dies ist zugleich eine Schattenseite. Denn wenn ich nicht durch das Gelingen oder “fertige Produkt” motiviert bin, fehlt manchmal nach einem langen Tag auch der Antrieb, die übernommene Aufgabe doch zu erledigen. Und da es nicht nur mir so ging, bekam unser Team aus Freiwilligen schnell nur noch wenig umgesetzt, was zudem noch einmal Verdruss über das schleppende Vorankommen bescherte.

Ein Scrum-ähnliches Verfahren versuchen wir gerade auch in unserer Agentur einzuführen, um so einerseits projektbezogen Aufgaben verwalten zu können, als auch auf verschiedenen Hierarchie-Ebenen (Geschäftsführung) sowie auch Themenintern (Akquise, Öffentlichkeitsarbeit) eine Übersicht zu haben. Jedoch setzen wir statt trello eher auf dessen Klon Planner von Microsoft – welches es leider noch nicht als geräteübergreifende App gibt. Hier funktioniert die Einteilung auch gut – vor allem aus oben erwähnten Gründen. Für Ehrenamtliche – und somit freiwilliges Engagement habe ich jedoch wie gesagt zwiespältige Erfahrungen gemacht.

Was ist nur wenig geeignet für Kirchengemeinden? Was motiviert überhaupt Ehrenamtliche?

In der Forschung für meine Master-Thesis habe ich mich vor wenigen Jahren ausgiebig mit der Motivation von Ehrenamtlichen in der Kirche beschäftigt. Vor allem in Hinblick auf die Partizipation.

Die erste Erkenntnis: die Motivation, etwas zu gestalten, ist nur einer von drei Motivationsgründen. Ebenso gibt es noch den Antrieb nach Geselligkeit, der Menschen dazu bringt, sich in einer Kirchengemeinde zu engagieren. Auch Pflichtbewusstsein bzw. das Wahrnehmen von Aufgaben, die sonst keiner erledigen würde, ist ein Antriebsgrund für Ehrenamtliche.

Die genaue Verteilung wurde dabei nicht untersucht, es ist aufgrund der protestantischen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung jedoch davon auszugehen, dass Gemeinschafts-orientierte Ehrenamtliche die Mehrzahl stellen dürften. D.h. für sie ist das agile Arbeiten in Eigenregie nicht so ansprechend, wie für Menschen, die vor allem Gestalten wollen. Vielmehr sind für sie die Planungssitzungen und das Gemeinschaftsgefühl wichtiger.

Ein weiterer möglicher Stolperstein ist der Komplexitäts-Grad durch Software, die Verwendung finden muss. Komplizierte Verästelungen der To-Do-Karten, verbunden mit allerlei anderen Plattformen, auf denen wir damals aktiv sein sollten (Austausch via Slack, Notizen via Evernote, Ablage via Google Drive), gestalteten den Prozess für uns sehr unübersichtlich – und bescherten beim Projektleiter Frust, weil seine Prozesse nicht so funktionierten wie gedacht. Daraus habe ich gelernt: möglichst auf All-in-One-Lösungen setzen und es für alle Beteiligte einfach zu halten. Deshalb proben wir als Agentur Microsofts Office 365 aus, das Äquivalente zu allen erwähnten Tools integriert bereithält.

Welche Möglichkeiten gibt es, das unkompliziert in den Kirchenalltag einzubauen?

Sollten Kirchengemeinden ebenfalls einen Scrum-Prozess implementieren wollen, böte sich es aus meiner Sicht ebenso an, eine All-in-One-Lösung zu wählen, als auf diverse kleine Plattformen zu vertrauen.

Scrum stellt in meinen Augen eine faszinierende Möglichkeit dar, Projekte dezentral und Helfer-freundlich zu bearbeiten.

Diese mögen zwar vielleicht kostenlos sein, verlangen jedoch von den Ehrenamtlichen viel Zeitaufwand – und sind somit gewissermaßen eine Soll-Bruch-Stelle. Eine gute Alternative dürfte die Software ChurchDesk sein, die ebenfalls über Aufgabenverwaltung verfügt, jedoch nicht so fein gegliedert, wie es ein Scrum-Prozess verlangt. Da sich die Software aber in einem konstanten Weiterentwicklungs-Prozess befindet, kann dies ja noch nachgerüstet werden. Der Umfang des Konkurrenten ChurchTools ist hier bedeutend geringer und eher auf die Bedürfnisse von evangelikalen Freikirchen ausgerichtet. (Zudem macht es eine Software für mich nicht vertrauenswürdiger, wenn der Geschäftsführer auf der Startseite selbst als Kundenstimme seiner Gemeinde auftritt…).

Abschließendes Fazit

Scrum stellt in meinen Augen eine faszinierende Möglichkeit dar, Projekte dezentral und Helfer-freundlich zu bearbeiten. Jedoch besitzt es auch seine Tücke durch einen möglichen hohen Komplexitätsgrad und geringe Motivation – und somit evtl. niedrigeres Commitment.

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