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Foto: Kyle Glenn/unsplash

Statements

Gesine Schwan

Wie haben die Kirchen in Deutschland eine Zukunft?

Die Frage nach der Zukunft ihrer Mission bewegt die Evangelische wie die Katholische Kirche in Deutschland angesichts von Untersuchungen, die ihnen in den nächsten 30 Jahren einen drastischen Rückgang an aktiven Mitgliedern, finanziellen Einnahmen und gesellschaftlicher Bedeutung vorhersagen. Was müssen sie tun, wie müssen sie sich organisieren und verhalten, um ihre Mission doch weiter erfüllen zu können?

Innerweltlich betrachtet geht es den Kirchen gegenwärtig wie anderen Großorganisationen, z.B. Parteien oder Gewerkschaften: Sie alle müssen um Mitglieder und um ihre Stellung im gesellschaftlichen Leben wie im politischen Willensbildungsprozess kämpfen. Erklärungen gibt es dafür viele: die Individualisierung und soziale Ausdifferenzierung der Gesellschaft, der Verlust der sozialen Bindekräfte und des Glaubens an die Wirkung kollektiver Aktionen, eine fortschreitende Entsolidarisierung der Menschen im Zuge der rasanten Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Teilbereiche und einer damit einhergehenden dominanten Wettbewerbskultur, die viele Verlierer schafft, vielfältige Ängste hervorbringt und den Glauben an eine gemeinsame Zukunft untergräbt; der Verlust des Öffentlichen zugunsten von Privatisierung und Vereinzelung.

Hat angesichts dessen die Mission der Kirchen eine Chance? Brauchen wir sie? Liegt deren Zukunft überhaupt in unserer Hand? Und, vor allem anderen:

Was ist die Mission der Kirchen?

Die Mission der Kirche steht nicht zu unserer Disposition, sondern ist den Gläubigen aufgetragen.

„Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur!“ So lautet deren Kern nach Markus 16, Vers 15 in der Fassung der Lutherbibel. Jesus fordert dazu seine Jünger auf, nachdem er ihren Unglauben gescholten hat und ihre „Herzenshärtigkeit, dass sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten auferstanden“ (Markus 16, Vers 14). Das Evangelium ist die „frohe Botschaft“, ist keine Verdammung oder Resignation. Und der Theologe Johannes fügt Kapitel 15 Vers 16 hinzu: „Ihr habt mich nicht erwählt; sondern ich habe euch erwählt und gesetzt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe, auf dass, so ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch gebe.“

Den Glauben an einen gütigen rettenden Gott, die Hoffnung auf seine Schöpfung und den Auftrag zu deren Verkündigung – das ist die Mission der Kirchen. Sie steht nicht zu unserer Disposition, sondern ist den Gläubigen aufgetragen. Kann innerweltliche Professionalität, organisationssoziologische Erfahrung und interdisziplinäre Wissenschaft der Glaubensmission  unter die Arme greifen?

Können „fachliche Perspektive“ und „prägnante Expertise“ dabei helfen?

Die Befragung kirchlicher Führungskräfte belegt einen überraschenden Befund: Neben den übergreifenden Ratschlägen für mehr  Partizipation, Dialog, Vernetzung – die auch für politische Parteien und alle anderen möglichen Organisationen verbreitet sind – gibt es in der hierarchisch vermuteten Katholischen Kirche den Hinweis darauf, dass Kirche „inspirierend“ sein soll, „charismatisch-visionär, fehlerfreundlich und lernbereit oder unternehmerisch, innovativ und experimentierfreudig“. Die letzten vier Ratschläge würde man auch bei McKinsey finden, aber „inspirierend“? „Charismatisch-visionär“? Die Verfasser der Studie übersetzen diese Worte sofort in die Beratersprache: „horizontale Führung i.S. von Begleitung und Entwicklung“ – womit das Besondere der kirchlichen Mission gleich wieder verloren geht. „Komm Heiliger Geist, erfülle die Herzen Deiner Gläubigen und entzünde in Ihnen das Feuer Deiner Liebe! Sende aus Deinen Geist und alles wird neu erschaffen werden und Du wirst das Angesicht der Erde erneuern” – dieses Pfingstgebet kommt ihnen beim Wort „innovativ“ offensichtlich nicht in den Sinn.

Dabei liegt gerade hier der Schlüssel für die Zukunft der Kirche: im Spirituellen, in der Inspiration – hier geht es um „Geist“, nicht um kognitive Cleverness. Das „Angesicht der Erde erneuern“  heißt nicht, den Business-Plan für eine technische Innovation ausarbeiten.

Das „Angesicht der Erde erneuern“  heißt nicht, den Business-Plan für eine technische Innovation ausarbeiten.

Auf evangelischer Seite setzt man offenbar eher auf Professionalität: auf „Steuerung oder Management“, auf „Fach-/Methodenkompetenz, kooperative teamorientierte Haltung, Klarheit, Durchsetzungsfähigkeit oder strategisches und zielorientiertes Denken“. All das ist auch wichtig außerhalb der Kirchen. Sollte sie, um ihre Mission besser zu erfüllen, von ihrer besonderen Mission gerade absehen zugunsten innerweltlicher Professionalität?

Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Aber kann Kirche sich einfach prophetisch verhalten? Kann sie ohne „Marketing“, ohne Adressatenorientierung wieder Menschen erreichen, die ihr den Rücken gekehrt haben oder sie gar nicht mehr kennen?

Woran müssen wir anschließen?

Jesus hat mit seinen Geschichten in Form von Gleichnissen seine Zeitgenossen erreicht, er hat vorbildlich auf die „Anschlussfähigkeit“ seiner Botschaft geachtet. Das müssen wir heute auch. Welche Rolle spielt hier über den Glauben und die Botschaft hinaus die „Professionalität“?

Ich meine, eine Hauptchance der Kirche liegt darin, in ihrer Bildungstätigkeit professionelle Kenntnisse und Einsichten im Licht des Glaubens  zu verstehen und zu vermitteln, nicht bigott oder „aufgesetzt“, sondern wirklich vermittelt. Das verlangt die Fähigkeit, in unterschiedlichen Welten oder Sprachen zu denken und schöpferisch zu sein, in der Sprache des professionellen und in der des Glaubens, sei es für die Praxis der Altenpflege oder für eine wirtschaftspolitische Analyse der Europäischen Währungsunion. Ob ich Menschen, die durch ihre individuelle Lebensweise nicht mehr zum Bruttosozialprodukt beitragen, als Ebenbild Gottes wahrnehme und ihnen so begegne oder als lästige anstrengende Zeitgenossen, das macht einen Unterschied! Ob ich in der Europäischen Währungsunion „hartherzig“ Staatsinsolvenzen anstrebe oder die Menschen als Geschöpfe Gottes ehre, für die ich einen ökonomischen und zugleich der Würde der Menschen entsprechenden Weg finden will; ob ich die Ökonomisierung des Gesundheitswesens vorantreibe und vor allem auf die Rentabilität der angeschafften Maschinen (auch im kirchlichen Krankenhaus) achte oder ob ich Rentabilität als berstes Prinzip abweise und das Recht auf Gesundheit allen Menschen auf dieser Erde zuerkenne  – das macht einen Unterschied.

In den letzten Jahrzehnten haben sich Kirchen vielfach als modern empfunden, wenn sie von ihrer besonderen Mission abgesehen haben.

In den letzten Jahrzehnten haben sich Kirchen vielfach als modern empfunden, wenn sie von ihrer besonderen Mission abgesehen haben. Das Licht des Glaubens, in das die Welt für Christen getaucht ist, sollte unsichtbar bleiben. Warum sollten dann die Menschen noch ein Interesse an den Kirchen  haben?

Wenn sie dagegen die wachsenden Ängste in unserer Gegenwart ernst nehmen und gute „ professionelle“  Antworten auf unsere drängenden Fragen – aber im Lichte des christlichen Glaubens, der Hoffnung und der Liebe geben – dann werde sie wieder Zulauf finden. Denn nichts brauchen Menschen heute mehr als Glaube, Liebe und Hoffnung, die mit Fachwissen und Kompetenz in die Welt übersetzt werden.

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