022020

Foto: Edi Libedinsky/Unsplash

Statements

Gerhard Dittscheidt

Wenn das Salz im Glas droht, schal zu werden

Reaktion eines hauptamtlichen Laien auf die Instruktion der Kleruskongregation vom 29.06.2020 über die Leitung von Pfarrgemeinden

Ekklesiale Engführung

Die Instruktion über die Leitung von Pfarrgemeinden sorgt derzeit für viel Bewegung. Es ist eine sichernde Spurensuche, klerikale bzw. pfarrliche Identität, aber auch christlich-kirchliche Identität auf der Grundlage von Rechtsfiguren zu beschreiben. Dass dies ein Thema im Wandel der Gegenwart ist, wird man mit Fug nicht bestreiten können.
Nun steckt allerdings in der Wahl und im Gewichten der Aspekte die Gefahr einer ekklesialen Engführung, die sich der Evangelisierung und letztlich der Erfahrung Gottes in dieser Welt entgegen stellt. Prosaisch ausgedrückt werden Räume und Erfahrungen von Christen – zumal Laien – am ‚Rande‘ der verfassten Kirche und der pfarrlich-gemeindlichen Strukturen nicht als befruchtend und als Orte der Offenbarung Gottes gesehen. Irritierend ist, dass dies auch nicht am Rande oder als wesentliches Komplement erwähnt wird.

Unter der Nummer 23 des Dokuments zitieren die Verfasser Papst Franziskus, der daran erinnert hat, „…dass es notwendig ist, ‚die Aufmerksamkeit auf zwei Verfälschungen der Heiligkeit (G.D.) zu lenken, die uns vom Weg abbringen könnten: der Gnostizismus und der Pelagianismus. Es handelt sich um zwei Häresien, die in den ersten christlichen Jahrhunderten entstanden, weiterhin aber besorgniserregend aktuell sind.’ 1. Im Falle des Gnostizismus geht es um einen abstrakten Glauben, der nur intellektuell ist und aus einem Wissen besteht, das das Leben wenig betrifft. Der Pelagianismus hingegen bringt den Menschen dazu, lediglich auf die eigene Kraft zu bauen und das Wirken des Heiligen Geistes zu ignorieren.“ 2.
Ohne Zweifel werden die beiden Gefahren immer wieder zu beachten sein, und die Instruktion mag die Absicht haben, die spirituelle Innenseite eines wichtigen Teiles der kirchlichen Struktur zu heben und Unklarheiten und Fehlentwicklungen zu verhindern. Doch kritisiert Johann Pock3, dass die Überdehnung des Klerikerideals im Sinne einer umfassenden Seelsorge und einer sich wohl abzeichnenden Auszehrung Einzelner keine ernsthaft nachhaltige Perspektive sein kann. Und Paul Zulehner4 schält in der Instruktion ungewollt innovative Aspekte des beharrlichen Kryptoklerikalismus heraus, wenn er als einzig mögliche Lösung der personal-pastoralen Dilemmata die Entkoppelung von Leitung und Vorsitz sakramentaler Feiern von der Ordination oder die Wahl von geeigneten Personen aus den Pfarrgemeinden heraus beschreibt. Sind das ‚nur‘ pragmatische, oder nicht vielmehr im Kern theologische Herausforderungen an die Kirche?

Es ist keine nachgereichte oder gar marginale Option, die Erfahrungen aller Christ*innen in einer pluralen Grundsituation zu sehen, zu klären und daraus zu handeln.

Der Preis für eine engführende ‚Bestandsfixierung‘ ist jedoch so hoch, dass ein Einspruch über die genannten weiter zugespitzt und erhoben wird. Die Ausgrenzung des Modells der Instruktion transportiert theologisch, pastoral und seelsorglich Untiefen.

Theo-logische Offenheit

Der Ansatz der Instruktion steht selbst dann – mindestens auch – der pastoralen Erneuerung und der Evangelisierungsdynamik entgegen, wenn die genannten Verfälschungen der Heiligkeit durch theologische Engführungen und pastorale Schwerpunkte bisherig gelebter Strukturen und ihrer Akteure weiter betrieben werden. Hier können wir nicht, sondern müssen wir uns dem spannungsreichen Austausch und Disput auf und aus der Grundlage des Handelns und der Erfahrungen von allen Christen in der heutigen Welt stellen.
Es ist aus theo-logischer Perspektive keine nachgereichte oder gar marginale Option, die Erfahrungen aller Christ*innen in einer pluralen Grundsituation zu sehen, zu klären und daraus zu handeln. Dies betrifft sowohl die Gewichte der Charismen und Ämter in ihrem spannungsreichen Zueinander, als auch den Sensus fidei fidelium als Ort sich erneuernder Kirchlichkeit aus dem Grund der Erfahrung Gottes5. Und es betrifft im Prozess des Wandels die faktische regionale und internationale kirchliche Pluralität.

‚Mission possible‘ – Gesendet sein zum seelsorglichen Dienst in unserer Welt

Johann Pock hat im erwähnten Artikel auf das einseitige Missions- und Dienstverständnis hingewiesen, das sich vor dem Hintergrund der Frage nach Sendung, Dienst und Seelsorge heute weiter entfalten lässt. Die Sendung der Menschen, mit denen ich in der Pastoral meiner Gemeinde, als Krankenhausseelsorger und als diözesaner Beauftragter für die Krankenhaus- und Hospizseelsorge im Kontakt bin, ist nicht (für-) wahrgenommen, wenn sie primär entlang des geschilderten Pfarreiverständnisses und des darin enthaltenen Seelsorgeauftrags verstanden wird. Das wäre aber möglich – Doris Nauers weitgehend noch nicht ausgeschöpftes Seelsorgemodell6 beschreibt Dimensionen eines seelsorglich-diakonalen christlichen Handelns, das individualistische und sakramentale Engführungen hinter sich lässt. Und ‚Orte‘ des Handelns können und müssen heute sowohl im eigentlichen wie im übertragenen Sinn erschlossen werden. Dort gemachte Erfahrungen von dort lebenden und handelnden Christ*innen kommen nicht ‚auch noch‘, sondern essenziell zum Kirche-Sein-Heute aus dem Evangelium hinzu und erschließen und deuten die Gesamtheit der kirchlichen Wirklichkeit und Wahrheit.

Die Sendung der Menschen, ist nicht (für-) wahrgenommen, wenn sie primär entlang des geschilderten Pfarreiverständnisses und des darin enthaltenen Seelsorgeauftrags verstanden wird.

Das hält die pfarrliche Struktur ebenso einladend wie spannungsreich offen, ohne sich ihr gegenüber in falscher Konkurrenz und auch möglicher Eindimensionalität zu zeigen. Gleichwohl ist es ein spannungsreiches Miteinander, nun aber ausgespannt über rechtliche und ekklesiologische, amtliche, charismatische und theo-logische Wandlungs-Motive.

Handeln aus dem Glauben

Ein Feld mag diesbezüglich genannt sein: Das Beispiel der palliativen und hospizlichen Begleitung, die in ihrer Bedeutung noch letzthin durch eine römische Veröffentlichung7 hervorgehoben wurde, kann ernsthaft gar nicht anders denn durch ein sehr differenziertes Miteinander von Charismen, Ämtern und Diensten als christliches Zeugnis in unserer Welt gelebt werden. Das geschieht an vielen Orten bereits – über die pfarrlichen und diözesanen Möglichkeiten hinaus. Dort wird Wandel konkret und mit Konsequenzen für Strukturen gestaltet.

Die ekklesiogenetische Dynamik, die erlebbar ist, wenn man sich auf die Menschen und Gruppen mit ihrem (selbst-)kritischen Potential einlässt, ist enorm, allerdings oftmals nicht klassisch kirchlich-institutionell.

Die Herausforderung an hier erforderliche Kompetenzen und Professionen sowie an stattfindende Diskussionen um erforderliche Schwerpunkte ist so greifbar und angesichts des Themas von Leiden – Sterben – Tod und Hoffnung so offensichtlich, dass die oben skizzierten Engführungen im Sinne einer sich verlängernden ekklesialen Furcht aus pastoraler und seelsorglicher Sicht nicht unkommentiert gelassen werden können.
Die ekklesiogenetische Dynamik, die erlebbar ist, wenn man sich auf die Menschen und Gruppen mit ihrem (selbst-)kritischen Potential einlässt, ist enorm, allerdings oftmals nicht klassisch kirchlich-institutionell.

Wie damit nun umgehen?

Die Instruktion scheint demgegenüber schlicht an der Lebens- und Arbeitswirklichkeit in wichtigen Bereichen kirchlich-pastoralen Handelns vorbei konzipiert und bedient kirchlich-konservative bzw. klerikale Denk- und Handlungsmuster, die die Arbeit vor Ort – zumal in sogenannten kategorialen Feldern, in denen viele Christen handeln – bisher schon erschwert haben und nun erneut erschweren können. Dabei sind manche Fragen kirchlicher Dienste und ihres Zu- und Miteinanders theologisch eröffnet und im erforderlichen Klärungsprozess.

Die Instruktion scheint demgegenüber schlicht an der Lebens- und Arbeitswirklichkeit in wichtigen Bereichen kirchlich-pastoralen Handelns vorbei konzipiert

Das Eigenverständnis der Instruktion könnte man im Rahmen eines Professionsdiskurses noch als grundsätzlich möglich und sich immer wieder stellende Frage nach Rahmenrichtlinien erachten. Aber es raubt in seiner Intention gegenwärtig und entgegen der Not die Perspektive auf eine engagierte heutige hauptamtliche kirchliche Tätigkeit – so der gesammelte Tenor aus Gesprächen mit Kolleg*innen dazu, die ich geführt habe.

Es verunsichert – mehr noch – ignoriert die ehrenamtlich bzw. freiwillig Tätigen, die sich nicht nur am Inhalt ihres Handels, sondern in der Dienst-Verantwortung im und aus dem Glauben wahr- und ernstgenommen wissen und gesehen werden wollen, gerade wenn sie über das oben genannte Beispiel hinaus in der Notfallseelsorge oder der ehrenamtlichen Krankenhausseelsorge oder in der Flüchtlingsarbeit oder der Sozialarbeit oder der Eine-Welt-Arbeit, etc…(!) engagiert sind.

Pastoral: Leidsensibel – streitbar – mit schwacher Stimme

Um es an einem Leitbegriff zu fokussieren: Die Instruktion erschwert die pastorale Arbeit, wenn Pastoral und Theologie angesichts der heute klar zutage tretenden Fragen ‚leidsensibel’ (Metz/Steinkamp) sein will. Und doch muss man angesichts der Herausforderungen heute (Frieden, Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Gesundheit) wohl eher sagen, dass Diakonie, Pastoral und Seelsorge leidsensibel sein müssen. Die Enzyklika ‚Laudato si’ von Papst Franziskus ist hier bereits 5 Jahre Impulsgeberin. Wichtige Fragen gehen über eine individuelle spirituelle Herausforderung hinaus bzw. öffnen sie. Sie sind gemeinschaftsstiftend und aus sich eine Herausforderung für unsere – auch die kirchliche – Gemeinschaft. Ist hier möglicher Weise der Nukleus der Dynamik für viele Christinnen und Christen, sich in mancherlei Organisationen zu engagieren?

Die Instruktion erschwert die pastorale Arbeit, wenn Pastoral und Theologie angesichts der heute klar zutage tretenden Fragen ‚leidsensibel’ sein will.

Jedenfalls: das kann (theologisch) und muss (pastoral) bestärkt werden! Die angedeuteten umfassenden Themen sind heute an allen Orten bekannt und Anlass für viele zum Handeln. Vor diesem Hintergrund ist es nach der Veröffentlichung der Instruktion einmal mehr erforderlich, die Form eines ‚Mit-der-Kirche-Wahrnehmens’ (sentire cum ecclesia) auch als vielfältige und streitbare Rede und streitbares Handeln pastoral und theologisch begründet im Sinn der Unterstützung von Erfahrungen heutiger Christinnen und Christen anzuregen. Dies mehr denn je nicht um des Streites, sondern um der Wahrheit Gottes gelebt in der Nachfolgegemeinschaft willen. So etwas klingt nicht ohne ein gewisses, vielleicht befremdlich-frommes Pathos im Bild. Aber genau diese alltagstaugliche Frömmigkeit ist auch der Anspruch.

Salz muss nährend würzen – Die u-topoi der Hoffnung in unruhigen pastoralen Zeiten

Die Herausforderung unseres Glaubens – und für unsere Glaubensgemeinschaft, die Kirche – ist eingebettet in der Erfahrung Gottes an und in den Orten seiner Welt (immer wieder: Lumen gentium mit Gaudium et spes gelesen). Unsere Hoffnung und unser Glaube sind so ausgespannt, dass die Zugehörigkeit sich nicht in Gottes Welt erschöpft, sondern erweist.

In der Vielfalt der Um- und Aufbrüche lässt sich eine erneuerte Gestalt von Kirche heute oftmals noch nicht erkennen.

Das Dilemma und die Grenze des Anspruchs der Instruktion sehe ich darin, dass sie zu einer sozialen Ordnung aufruft, die bestenfalls als Teil eines katholischen Welt-Ideals gesehen werden kann, das dem Wehen des Geistes heute nicht im Wege steht, aber nur in sehr geringem Umfang nähren, klären, begleiten und verantwortlich gestalten kann. Mir scheint momentan dagegen eine andere Herausforderung erheblich mehr Gewicht zu haben und Kräfte zu benötigen: neben einer rechtlich-theologischen, die ihren Gehalt und ihre Grenze kennen sollte, lässt sich in der Vielfalt der Um- und Aufbrüche eine erneuerte Gestalt von Kirche heute oftmals noch nicht erkennen.

Ich habe keine Bedenken, dies – zumal für die katholische Kirche – als geistliche Herausforderung zu charakterisieren. Das Ringen mit- und umeinander ist ‚dran’. Dafür stehen viele Christinnen und Christen ein.

Das macht mir Hoffnung.

  1. Franziskus, Apostolisches Mahnschreiben Gaudete et exsultate (19. März 2018) Nr. 35: AAS 110 (2018) 1120.
  2. Instruktion, S.6
  3. Vgl. hier unter https://www.feinschwarz.net/eine-instruktion-als-offenbarungseid-von-klerikalismus/
  4. https://zulehner.wordpress.com/2020/07/21/wer-soll-denn-da-umkehren/
  5. Christiane Bundschuh-Schramms Beitrag Der Gott von Gestern, Publik-Forum 13/20, S.28-31 ist ein möglicher Aufschlag dazu.
  6. Nauer, Doris, Seelsorge. Sorge um die Seele, Stuttgart 3 2014.
  7. https://www.palliativstiftung.de/fileadmin/downloads/PAL-LIFE/2019-05_PAL-LIFE_Wei%C3%9Fbuch.pdf

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