22018

Foto: Alora Griffiths/unsplash

Konzept

Christoph Rüdesheim

Was um Himmels Willen ist denn die sakramentale Verfasstheit der Kirche? – Dogmatische Gedankensplitter in pastoraltheologischer Absicht

In manchen theologischen Diskursen stößt man zu einem gewissen Zeitpunkt auf eine Sprachfigur, die anzeigen soll, dass man in dieser eingeschlagenen Richtung an eine Denk- und Sprechgrenze geraten ist. Diese Grenze wird gerne als „sakramentale Verfasstheit der Kirche“ apostrophiert. In der Regel wird das gar nicht weiter expliziert, das Weiterdenken und -sprechen scheint an diesem Punkt an ein Ende gekommen zu sein. Die Funktion der Sprachfigur besteht anscheinend darin, daran zu erinnern, dass es eine Tradition des Unumstößlichen in der Kirche gibt, an der zu rütteln zu tragende Folgen nach sich zieht. Eine Art Blockade wird aufgebaut, die das Denken und Sprechen nachhaltig irritieren kann. Landläufig wird mit Sakrament das Geheimnishafte verbunden, das nicht zu durchschauen und nur zu glauben ist. Damit wird eine bestimmte Konnotation von Sakramentalität bevorzugt, die die Unterscheidung transzendent-immanent im Hintergrund mitlaufen lässt, aber sie im Sinne einer Numinosität der Reflexion zu entziehen sucht.

Am schnellsten wird man im Ämterdiskurs auf solche aufgebauten Barrieren treffen, die dann anzeigen, dass man gerade an den Festen der Kirche rüttelt und dies besser sein lassen sollte, weil man sich ansonsten – so die Unterstellung – auf theologischen Abwegen bewegt, die das beabsichtigte Stillstellen von Argumentationen umgehen. „Sakrament“ und „sakrosant“ gehen hier eine unheilige Allianz ein und haben das Potential, die eigentliche Sinnspitze dessen, was Sakramentalität gemäß den Texten des II. Vatikanischen Konzils heißt, nachhaltig zu verdunkeln.

Kirche lebt nicht aus sich selbst und nicht für sich selbst. Das meint im Grunde die Rede von der Sakramentalität der Kirche.

Ein Blick in „Lumen Gentium“ zeigt die grundlegende Bedeutung der Begrifflichkeit für die Ekklesiologie des Konzils auf. Bereits der zweite Satz des ersten Abschnitts LG 1 bringt die Kirche in einen definitorischen Zusammenhang mit dem Sakramentsbegriff, indem erläutert wird, dass „die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament bzw. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts (ist)…“1 sei.

Sakrament zu sein ist damit gleichbedeutend, in einem eigentümlichen Zusammenhang zu stehen zwischen dem Gottesbezug auf der einen und einem Welt- und Menschenbezug auf der anderen Seite. Beide Male geht es um eine Einheit, für die die Kirche Zeichen und Werkzeug ist. Ihr innerster Kern ist es, zutiefst die Einheit mit Gott zeichenhaft darzustellen und diese zugleich wirksam zu ihr hinzuführen. Und ihr innerster Kern ist es, das ganze vor Gott stehende Menschengeschlecht zu repräsentieren und dessen Einheit zu befördern. Somit weist die konkret erfahrbare Kirche immer schon doppelt über sich hinaus. Sie verweist auf den, aus dem sie lebt und darauf, für wen sie da ist. Der Dogmatiker Bernd Jochen Hilberath bringt das auf die Kurzformel: “Kirche lebt nicht aus sich selbst und nicht für sich selbst. Das meint im Grunde die Rede von der Sakramentalität der Kirche.”2

Das bedeutet, dass es der Kirche eigentlich nie um sich selbst gehen kann, um Selbsterhalt, um Rekrutierung. Stets ist neu zu fragen, wozu sie in diesem oder jenem Kontext Kirche Jesu Christi ist. Antworten auf eine solche Frage sind tatsächlich situations- und ortsgebunden, ohne allerdings in eine Beliebigkeit abzugleiten. Denn solche Fragen sind nur noch in einem prozessualem Zueinander von Zeit- und Ortdiagnosen und betendem Suchen im ganzen Volk Gottes zu beantworten. Mit Hans-Joachim Sander ist damit die Frage des „Wo“ von Kirche der Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach der Konkretisierung des „Wer“ der Kirche.

Das bedeutet, dass es der Kirche eigentlich nie um sich selbst gehen kann, um Selbsterhalt, um Rekrutierung.

Eine Kirche, die sich in solchen Prozessen wiederfindet, zeigt sich in ihrem Suchen verwundbar und berührbar. Sie ist dann nicht mehr eine ecclesia triumphans, die sich in allem ihres überzeitlichen Wesens sicher, über die Welt erhaben könnte, sondern eine solche, die tastend danach fragt, wie der Heilswille Gottes für alle Menschen gerade für diejenigen, die in ihrer Würde gefährdet und missachtet sind, zum Tragen kommen kann. Das ist eine Kirche, die sich lieber für andere verausgabt, sich in die Kenosis des Christusereignisses hineingibt, als in Großartigkeiten zu schwelgen.

Auf diese Weise zeigt sich, was Sakramentalität der Kirche wirklich heißt, was die „Analogie mit dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes“ (LG 8) für sie auch existentiell bedeuten kann. Für die Kirche ist dann ihr Sein vor jedem Haben (E. Fromm) durchzubuchstabieren. Ja, sie hat auch Sakramente, aber diese dienen dazu, ihre Sendung im Rahmen der Reich-Gottes-Botschaft Jesu zeichenhaft erfahrbar zu machen. Alles, was sie „hat“, soll ihr „Sein“ zum Ausdruck bringen. Alle Ämter dienen dann dazu, dass sie wirklich dem Heilswillen Gottes dienen kann. Das Sakrament der Weihe ist dann nicht der Weg der Herrschaftsübernahme über kirchliche Strukturen, sondern ein zeichenhaftes und hoffentlich wirksames Einschwingen in die Entäußerung Gottes zum Heil für die Menschen. Das feiern wir in der Eucharistie als zentrales Ereignis des Glaubens und zu Recht steht ein ordinierter Amtsträger dieser Feier vor, ist es doch sein Dienst, das Nicht-aus-sich selbst und Nicht-für-sich selbst der Kirche präsent zuhalten und stets sich selbst und alle anderen glaubhaft daran zu erinnern.

Das ist eine Kirche, die sich lieber für andere verausgabt, sich in die Kenosis des Christusereignisses hineingibt, als in Großartigkeiten zu schwelgen.

Deutlich wird: Die Sakramentalität der Kirche ist nicht dazu geeignet als Abgrenzungs- und Kampfbegriff gegen innerkirchliche Herausforderungen bei den zu klärenden Fragen zu dienen. Sie ist kein „Totschlagargument“, das vermeintliche Gegner verstummen lässt, sie sakralisiert nichts und grenzt nichts aus. Mit der Rede von der Sakramentalität der Kirche wird deshalb eine kommunikative Aufgabe gestellt, die in ihrer Konkretheit letztlich zwar nicht abschließend zu beantworten ist, jedenfalls eine Struktursicherheit im Sinne des Fromm’schen Habens stets übersteigt.

Nun sind Zeichen immer auch konkret und so betont das Konzil, dass Christus „seine heilige Kirche … hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst …“ hat (LG 8) und dass diese Organisation nicht trennbar ist von dem, was die Kirche in ihrer göttlichen Bestimmung her ist. Die Sakramentalität ist dann also nicht eine bloß geistliche Größe, sondern hat Auswirkungen hinein in die Organisationsform der hier uns jetzt konkret erfahrbaren Kirche. Von daher ist die Organisationsform der Kirche nicht beliebig, soll sie doch dazu verhelfen, dass sie das sein kann, was sie von Gott her schon längst ist: Zeichen und Werkzeug für die Reich-Gottes-Werdung dieser Welt.

Dieser letzte Punkt verweist noch einmal darauf, dass die Kirche auch nur Zeichen und Werkzeug ist. Sie ist nicht schon das himmlische Jerusalem und sie ist nicht identisch mit dem, was an gelebter Reiches-Gottes-Praxis in dieser Welt zu finden ist. In diesem Sinn ist Kirche immer in einem guten Sinn relativiert, nämlich bezogen auf diese beiden Pole.

Das redliche Vergewissern in der Rede von der Sakramentalität (in) der Kirche ist eine beständige Aufgabe, die nicht denen überlassen bleiben sollte, die das ängstliche Bewahren hinter verschlossenen Türen und Fenstern zum Programm erheben.

Mit Valentin Dessoy könnte man auf die Idee kommen, dass eine exklusivistische Wendung in der Frage nach der Sakramentalität der Kirche auch damit zusammenhängt, dass in Phasen starker Veränderung, „alte Muster der Problembewältigung aktiviert [werden], um die Angst vor Macht- und Kontrollverlust zu kompensieren“3. Das gilt auch für theologisches Denken und Sprechen auf der Suche nach einer angemessenen Rezeption des II. Vatikanischen Konzils, selbst noch 50 Jahre nach dessen Abschluss. „Die Wirkung dieser […] Mechanismen – gerade in Krisensituationen – ist nicht zu unterschätzen: sie lähmen das zentrale Nervensystem durch einen kulturell und strukturell verankerten Überhang negativer Feedback-Schleifen.“4

Deshalb ist das redliche Vergewissern in der Rede von der Sakramentalität (in) der Kirche eine beständige Aufgabe, die nicht denen überlassen bleiben sollte, die das ängstliche Bewahren hinter verschlossenen Türen und Fenstern zum Programm erheben.

  1. Hünermann, P. (Hrsg.), Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen. Lateinisch-deutsche Studienausgabe. Vgl. Hünermann, P. / Hilberath, B. J. (Hrsg.) Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 1, Freiburg / Basel / Wien 2004, 73.
  2. Redlicherweise kann in diesem kleinen Artikel die Tiefe der Argumentation nicht gänzlich ausgeleuchtet werden. Dazu näher Hünermann, P., Theologischer Kommentar zur dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, in: Hünermann, P. / Hilberath, B. J. (Hrsg.) Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 2, Freiburg / Basel / Wien 2004, 265-563, vor allem 355ff. 
  3. Dessoy, V., Wie Kirche zu einer lernenden Organisation werden kann, in: Lebendige Seelsorge 4(2012), 247.
  4. Ebenda. 

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