Was die Kirche von Marken lernen kann
Es war einmal ….
Die Kirche war eine Institution, der Menschen vertraut haben, die ihnen Halt gegeben hat und Hoffnung. Schon immer war die Kirche dabei in puncto Selbstvermarktung Vorreiter. So wurden althergebrachte Rituale in christliche Feierakte übernommen, weil man um die positive Wirkung auf Menschen wusste. Sinnbildlich dafür steht das Weihnachtsfest mit den Weihnachtsbäumen und dem Weihnachtsmann – heidnische Traditionen, die geradezu selbstverständlich aufgegriffen wurden. Sie alle kennen die wahren Geschichten dahinter.
Die Kirche war eine Institution, der Menschen vertraut haben, die ihnen Halt gegeben hat und Hoffnung.
Zudem verstand man es par excellence, das multisensuale Erleben und das Gemeinschaftsgefühl der Kirchenmitglieder wirksam zu stimulieren: von den großartig gestalteten Kirchen, den überbordenden Inneneinrichtungen mit dem Altar im Zentrum sowie anderen Insignien der Macht. Vom Weihrauchschwenken bis hin zu sakralen Liedern, die die Glaubensgemeinschaft im Chor mitsang. Marketing in Reinkultur würde man als Manager und Marketingforscher sagen.
Sie merken aber auch, dass ich von der Vergangenheit spreche. Heute sind die Kirchen leer, Mitglieder verlassen in großen Scharen die Kirche und das, obwohl die Sinnsuche heute für viele Menschen ein großes Thema ist. Auf den Hitlisten der Buchbestseller sowie bei Hörbüchern und Podcasts zeigt sich hier eine große Nachfrage. Dieser Nachfrage wird die Kirche in ihrer heutigen Form offensichtlich nicht mehr gerecht.
Hinzu kommen Skandale, die die Kirche durchschütteln und die in der Wahrnehmung der Menschen oft nur halbherzig angegangen werden. Lange wurden diese gar unter den Teppich gekehrt. Der Vertrauensverlust in eine Institution, die vertrauensstiftend wirken soll, ist somit vorprogrammiert.Das Henley Institut in England hat schon vor Jahren gezeigt, dass das Vertrauen in Institutionen und Marken stark voneinander abweicht. Während 84 bzw. 81 Prozent der Menschen Heinz Ketchup und Kellogg‘s Cornflakes vertrauen, liegt dieser Wert für die Kirche gerade einmal bei 64 Prozent. Heute wird er noch wesentlich niedriger sein.
Eine neue Studie zeigt, dass solche Unternehmen am erfolgreichsten sind, die einerseits über eine klare Haltung verfügen und andererseits aus dieser Haltung heraus den Wandel betreiben.
Verstehen die Kirchen die Menschen nicht mehr oder haben sie sich zu sehr von dem entfernt, was sie groß und stark gemacht hat?
Veränderte Rahmenbedingungen erfordern Anpassung.
Durch neue Technologien, allen voran die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz, sowie durch das Zusammenwachsen der Welt beschleunigt sich die Lebensumwelt der Menschen. Sie wird unübersichtlicher und unberechenbarer. Marken müssen neue Wege gehen, um überleben zu können.
Eine neue Studie von ESCH. The Brand Consultants zeigt, dass solche Unternehmen am erfolgreichsten sind, die einerseits über eine klare Haltung verfügen und andererseits aus dieser Haltung heraus den Wandel betreiben. Es zeigt sich in der Studie auch klar, dass Unternehmen, die sich auf ihren Erfolgen ausruhen und das Althergebrachte bewahren wollen ebenso auf der Verliererstraße sind wie solche Unternehmen, die einseitig auf Wandel setzen und sprunghaft in alle Richtungen agieren. Wo steht da die Kirche und was kann sie tun, um an vergangene Erfolge anzuknüpfen?
Ein Haltungshaus entwickeln und umsetzen
Wollen Sie als Manager den Status Quo in Ihrem Unternehmen hinterfragen, so sind aus meiner Sicht die wichtigsten Fragen, die es dabei zu klären gilt, in dem folgenden Haltungshaus zusammengefasst (Abbildung 1):
Das Fundament des Haltungshauses bildet die Mission oder der Purpose des Unternehmens: Hier geht es darum, eine Antwort auf die Frage zu geben, warum es das Unternehmen gibt und was das Unternehmen antreibt. Wenn der Versicherungskonzern AXA sagen würde „Born to protect“ oder die Walt Disney Company „to make people happy“, wären dies Antworten auf diese Frage. Die Mission kennzeichnet die idealistische Motivation, weshalb Mitarbeiter für dieses Unternehmen arbeiten.
Ebenso fundamental sind die Unternehmensgrundsätze oder -werte, also die Verhaltens- und Denkweisen, an denen sich alle Mitarbeiter in ihrem Verhalten orientieren sollen und die klar zum Ausdruck bringen, wofür ein Unternehmen steht. Gerade die Kirche hat ein starkes Wertegerüst. Man fragt sich allerdings manchmal, ob dieses wirklich gelebt wird oder es mehr darum geht, einen bestimmten Status der Kirche zu bewahren.
Das Dach des Haltungshauses bildet die Vision. Damit ist ein ehrgeiziges Ziel gemeint, das ein Unternehmen anstrebt. Dies kann eine Nr.1 Position im Markt, ein Vorbild aus einer anderen Branche (so einfach und intuitiv wie Apple werden), die Rolle bei Kunden (Bester Kundenservice weltweit) oder ähnliches sein.
Man fragt sich allerdings manchmal, ob dieses wirklich gelebt wird oder es mehr darum geht, einen bestimmten Status der Kirche zu bewahren.
Der Weg zum Ziel wird im Mittelteil des Haltungshauses beschrieben. Hier geht es um die Marke als Transportmittel zur Zielerreichung.
Zunächst ist dabei die Identität der Marke festzulegen und deren wesensprägenden Merkmale zu bestimmen. Da Marken Herz und Hirn der Kunden ansprechen sollen, geht es darum, Soft Facts und Hard Facts zur Marke systematisch festzulegen. Anschließend sind diese weiter zu fokussieren auf wenige Markenwerte (drei bis vier). Diese sollen zum Ausdruck bringen, wie es sich anfühlt, mit der Marke zu interagieren und welche Nutzen diese den Menschen liefert. Bei Apple wären dies Gefühle wie einfach, intuitiv, ästhetisch und jung sowie Nutzen wie die einfache und intuitive Bedienbarkeit, die Leistungsstärke, Vernetzung der Geräte in der Apple-Welt usw. Schlussendlich mündet das Ganze in eine Markenpositionierung, die zum Ausdruck bringt, warum ein Kunde eine bestimmte Marke und kein alternatives Angebot wählen soll. Eine Positionierung erfordert somit eine Fokussierung auf wenige für Kunden relevante und von Wettbewerbern differenzierenden Eigenschaften, die die Marke besser erfüllen kann als andere Konkurrenten. Bei BMW wäre dies Dynamik, Sportlichkeit und Freude am Fahren, bei Mercedes-Benz Sicherheit und Prestige.
Es ist selbstredend, dass das Haltungshaus mit Blick auf die Wurzeln der Marke zu entwickeln ist. Ebenso wichtig ist es allerdings, diese zukunftsorientiert auszurichten, weil man sonst am Bedarf der Menschen vorbei handelt. Dies impliziert, dass der Status Quo einer Marke entsprechend zu hinterfragen und zukunftsorientiert auszurichten ist.
Mitarbeiter sind bei diesem internen Veränderungsprozess mit auf den Weg zu nehmen, ansonsten läuft man Gefahr, ein Potemkin’sches Dorf zu bauen: mit einer schönen Fassade und nichts dahinter.
Die Umsetzung startet innen: Je größer dabei der Unterschied zwischen Soll- und Ist-Status, umso wichtiger wird der Change-Prozess, der im Unternehmen und bei den Mitarbeitern startet. Diese müssen zu Botschaftern der Marke gemacht werden. Sie müssen die Markenwerte inhalieren und in Denken, Fühlen und Handeln übersetzen, damit Kunden auch im Kontakt mit Mitarbeitern erleben können, wie das Markenversprechen eingehalten wird. Dies setzt wiederum voraus, dass jeder Mitarbeiter an seinem konkreten Arbeitsplatz weiß, was er tun kann, um das Haltungshaus zum Leben zu erwecken. Wie heißt es so schön: You can’t build a brand around an empty promise.
Bei der Umsetzung nach außen geht es darum, die wichtigsten Berührungspunkte mit den Kunden auf deren Kundenreise marken- und bedürfniskonform zu gestalten. Dies bedingt auch die Entwicklung neuer Kontaktpunkte in der digitalen Welt, um mit Kunden stärker in Interaktion treten zu können und sich als fester Bestandteil in deren Lebens- und Erfahrungswelt zu verankern. Vorbilder können hier Marke wie Amazon, Apple, Louis Vuitton oder Rituals sein, die dies par Excellence beherrschen.
Auf zu neuer Stärke
Der Weg auf zu neuer Stärke wird gerade für die Kirche ein langer werden. Dieser Weg ist konsequent zu gehen. Die meisten Unternehmen scheitern an der Umsetzung und nicht an der Strategie. Mitarbeiter sind bei diesem internen Veränderungsprozess mit auf den Weg zu nehmen, ansonsten läuft man Gefahr, ein Potemkin’sches Dorf zu bauen: mit einer schönen Fassade und nichts dahinter. Das wäre schade, weil die Kirche viel Substanz hat und gerade in einer Welt der Unsicherheit auch eine große Berechtigung. Sie muss ihren Kern allerdings zeitgemäß interpretieren und neue Wege zum Kunden suchen. Vor allem muss sie wieder sinnstiftend wirken, denn:
Menschen sind Sinnsucher. Marken sind Sinnstifter.