22018

Foto: Suzanne D. Williams/Unsplash

Statements

Barbara Kruse

Neue Rollenarchitektur: Eine Ergänzung aus Sicht der Basis

Die Analyse hat gezeigt, dass die Kirche in der aktuellen historischen Situation in ganz besonderer Weise auf das freiwillige, ehrenamtliche Engagement von Laien angewiesen ist, wenn sie dem Sendungsauftrag Jesu gerecht werden will. Sie braucht dazu engagierte Laien, die in den Gemeinden und Diensten als Partner auf Augenhöhe zu Trägern der Botschaft werden, also eigenverantwortlich und per Auftrag die Seelsorge betreiben und im Alltag organisieren. Genau dies entspricht den Anforderungen, die Ehrenamtliche heute an eine solche Tätigkeit stellen. Um das vorhandene riesige Potential nutzen zu können, bedarf es seitens der Organisation Kirche allerdings grundlegender Veränderungen im Rollenverständnis der beteiligten Akteure und in der Art und Weise, wie die ehrenamtliche Tätigkeit im kirchlichen Raum gesehen, organisiert und unterstützt wird.1

Die Zugehörigkeit zu den klassischen Berufsgruppen ist in der zukünftigen Rollenarchitektur völlig irrelevant. Studium, Aus- und Fortbildungen gehören zum Schatz, den jede/r Einzelne in unterschiedlicher Weise mitbringt, neben der ureigenen Glaubens- und Berufungsgeschichte, der spirituellen Verwurzelung, den individuellen Neigungen und Begabungen und nicht zuletzt der mitgebrachten Lebens- und Berufserfahrung.

Auf diesem Fundus aufbauend brauchen Seelsorger zukünftig generell die Grundkompetenz, ihr pastorales Handeln nach dem Paradigma der Ermöglichungspastoral zu gestalten und Menschen, Gruppen, Kirchorte so zu führen und zu begleiten, dass sie ihr Kirche-Sein in Eigenverantwortung leben und gestalten können.2

Valentin Dessoy hat eine neue Rollenarchitektur vorgeschlagen, mit Profis in den Unterstützungsrollen und einer Trennung von Pastoral und Verwaltung. Dazu möchte ich aus persönlicher und professioneller Sicht hier etwas ergänzen und verdeutlichen (auch wenn ich nicht ausschließen kann, dass jenseits der Textausschnitte diese Ergänzungen schon vorgenommen sind).

1.

Ein Teil der neuen Rollenarchitektur ist in unserer Gemeinde vor sechs Jahren als Experiment gestartet: Wir haben eine Verwaltungsleitung eingestellt und gerade findet der erste Personalwechsel auf dieser Position statt. Die tatsächliche Trennung von Pastoral und Verwaltung fällt uns schwer, weil der leitende Pfarrer auch von Bistumsperspektive immer als Letztverantwortlicher adressiert wird. Dies hat sich während der Verhandlungen mit dem Bistum über die Nachfolge der Verwaltungsleitung bei uns vor Ort wieder bestätigt. Da sind also neue Initiativen, kleine und größere Experimente, die erst einmal parallel zum bisherigen Modell laufen. In unserem Fall der Verwaltungsleitung gab es Vernetzung mit anderen „Experimenten“, inzwischen eine Art lernende Gemeinschaft aller Verwaltungsleiter (im Bistum) und durchaus mit (selektivem) Entscheidungsgewicht bei Fragen der Verwaltung.

Abbildung 1) Konzept der „two loops“ des Berkana Instituts

Abbildung 1) Konzept der „two loops“ des Berkana Instituts

2.

Die Art of Hosting-Community nutzt in diesem Zusammenhang das Konzept der „two loops“ (Abbildung 1) des Berkana Instituts3. Nach diesem Verständnis wird das bestehende System nach Erreichen des Höhepunkts zunehmend bedeutungsloser und verfällt. In dieser Zeit entstehen Initiativen, die im besten Fall durch Ressourcen des bestehenden Systems unterstützt werden. Wenn sie sich vernetzen und schließlich so relevant werden, dass sie (oder andere) zum neuen bestehenden System werden, befindet man sich in der „zweiten Schleife“ (loop)4.

3.

Was fehlt mir also in der neuen Rollenarchitektur, die Valentin Dessoy beschreibt? Für den Übergang vom Bestehenden, vom „absteigenden Ast“ hin zum neuen, aufsteigenden brauchen wir Rollen, zu denen ich bisher nichts gelesen habe: Trauerbegleitung, Kompostierhelfer und Brückenbauer.

Die Trauerbegleitung: Sie unterstützt die Systembeteiligten – Gemeindeglieder, Seelsorger vor Ort, Mitarbeiter der Verwaltung, Unterstützungsrollen und direkte Rollen – dabei, das Alte würdevoll zu verabschieden. Wenn man sich „seinem“ System stark verbunden fühlt, ist für einen gelungen Wechsel das Abschiednehmen, das Würdigen der Errungenschaften und der gemeinsamen Geschichte ein wichtiger Baustein, um in die Zukunft zu gehen. Im Kontext der Kirchen- und Gemeindeentwicklung wird das Glaubenssystem und die Werte jedes Einzelnen berührt. Ein Gemeindemitglied sagte mir beispielsweise, dass es sich verletzt und abgehängt fühlt, wenn es sieht, dass der Pfarrer nicht mehr die Respektsperson ist, die „der Pastor“ früher war. Wahrscheinlich ist im Bereich der Kirchen- und Gemeindeentwicklung die Chance recht groß, dass es kompetente Profis für Trauerbegleitung gibt, die zwar vielleicht personenzentriert arbeiten und die Kompetenz für die Organisationsebene entwickeln dürfen, gleichwohl über eine gute Ausgangsbasis verfügen.

Im Kontext der Kirchen- und Gemeindeentwicklung wird das Glaubenssystem und die Werte jedes Einzelnen berührt.

Die Kompostierhelfer: Kompostierhelfer fragen: was denken wir (heute), kann auf den „Kompost“ und in anderer Form wiederverwendet werden? Die Schreinsprozession durch die Strassen mit alten Litaneien, die im heutigen Zusammenhang vielleicht ein Bild von Gemeinde und Christentum transportieren, das wir eigentlich gar nicht vermitteln möchten. Das Gemeindefest, zu dem nur wenige kommen, die sich (doch nur?) selbst feiern. Welche Elemente unseres Gemeindelebens, unseres gelebten Christentums, haben das Potenzial, in anderer Form fruchtbar zu sein? Für diese Rolle des Kompostierhelfers brauchen wir Menschen, die in Metastrukturen denken können und unabhängig handeln; Menschen, die Muster von Bedürfnissen erkennen und benennen und strategisch denken können. Sie sprechen Themen an, die bei dem einen oder der anderen mit schmerzhafter Erinnerung verbunden sein können und setzen Themen, Rituale, Gebräuche und Arbeitsweisen in einen anderen Zusammenhang.

Welche Elemente unseres Gemeindelebens, unseres gelebten Christentums, haben das Potenzial, in anderer Form fruchtbar zu sein?

Die Brückenbauer: Wenn das bestehende System verfällt und das sich das neue System etabliert, stelle ich mir als Bewahrer die Frage: wie setze ich über? Und: Möchte ich das wirklich? Oder steige ich lieber ganz aus? Im Falle des oben erwähnten Gemeindemitglieds würde dies zum Beispiel den Rückzug aus dem Gemeindeleben und Kirchenaustritt bedeuten. Die Brückenbauer zeigen auf, dass ein Übergang in das neue System möglich ist, sie geben „Übersetzungshilfe“, verstehen die Lebenswelten auf beiden Seiten und können auch Worte, Rituale, Symbole oder andere Kommunikationsmittel dazu einsetzen. Sie können in Kontakt treten mit den Bewahrern des bisherigen Systems und verstehen, welche Unterstützung sie für einen Übergang benötigen. Sie können diese Unterstützung entweder selbst geben oder vermitteln.

Die Brückenbauer zeigen auf, dass ein Übergang in das neue System möglich ist, sie geben „Übersetzungshilfe“.

Für den erfolgreichen Wandel arbeiten diese drei Unterstützungsrollen eng zusammen, vielleicht sogar in Personalunion.

Vielleicht sollte die von Valentin Dessoy beschriebene neue Rollenarchitektur lediglich das Zielbild darstellen und klammert bewusst den Übergangsprozess aus. In jedem Fall verdient dieser Veränderungsprozess besondere Beachtung.

  1. Dessoy, V., Partner auf Augenhöhe und Träger der Botschaft. Das „neue“ Ehrenamt in einer missionarischen Kirche, in: Wider die Resignation, Nr. 40, November 2007, 37-54.
  2. Dessoy, V.: Kirche braucht Profis – aber keine Gemeindereferenten. Skizze einer neuen Rollenarchitektur, in: das magazin 4/2017.
  3. http://berkana.org/about/our-theory-of-change/, abgerufen am 01.11.2018.
  4. Die Schwierigkeit liegt sicherlich darin, das Stadium zu erkennen, in dem man sich mit seinem System gerade befindet. Das ist eine eher organisationsanalytische Aufgabe, auf die ich hier nicht eingehe.

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