022016

Foto: Schub@: take a seat, read a book (CC BY-NC-SA 2.0)

Service & Dialog

Frank Reintgen

Buchrezension: Navid Kermani: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum

Für sein literarisches und akademisches Werk wurde der in Köln lebende Schriftsteller Navid Kermani vielfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er 2015 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Kermani ist an einem echten Diskurs und an einer konstruktiven Auseinandersetzung der Religionen untereinander, insbesondere des Islams und des Christentums interessiert. Dies zeigt sich auch in seinem bereits in dreizehnten (!) Ausgabe erschienenen Buch „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“.

In diesem Buch stellt er 40 Bilder bzw. Skulpturen der christlichen Tradition vor. Kermani nähert sich dabei als Muslim und nicht als christlich Glaubender den Kunstwerken, also gewissermaßen mit einem fremden Blick. Hier können die Leserinnen und Leser den muslimischen Beobachter Kermani beim Beobachten christlicher Kunst beobachten, und seinen Gedankengängen folgen. Dies macht besonders für Christinnen und Christen den großen Reiz des Buches aus, dass ein dem christlichen Glauben Nicht-Zugehöriger, sich durch christliche Glaubensaussagen inspirieren lässt. Kermanis Gedanken und Assoziationen zu den beschriebenen Kunstwerken gewinnen ihre Kraft gerade durch diese fremde Perspektive. Die Leserinnen und Lesern werden auf diese Weise eingeladen, sich auf neue, irritierend-herausfordernde Weise mit den großen anthropologischen Themen von Schuld, Erlösung, Leid, Sünde und Opfer zu stellen.

Kermani bringt seine durch die Betrachtung der Kunstwerke gewonnenen Einsichten mit dem eigenen, muslimisch geprägten Glauben ins Gespräch. Hieraus entsteht ein spannungsvoller Dialog. Seinen Betrachtungen ist anzumerken, dass er ernsthaft damit rechnet, bei der Begegnung mit diesen Kunstwerken mit dem Göttlichen in Berührung zu kommen. Hierbei kommt die Hochachtung und der Respekt vor den oft Jahrhunderte alten Kunstwerken zum Ausdruck. Manche Betrachtungen zu den Bildern klingen fast wie eine Liebeserklärung ans Christentum. Auch das überrascht. Er findet Formulierungen, von denen er selber vermutet, dass ein Christ sie so wahrscheinlich nicht an seine Religion hätte schreiben können. Vielleicht ist es die Offenheit für das Göttliche, diese ernsthafte Suche nach Spuren Gottes über die Grenzen der eigene Religion hinaus, für die viele Menschen Kermani so schätzen.

Die Frage nach der Religion, ihrer gesellschaftlichen Relevanz ist ein durchgängiges Motiv in Kermanis Schaffen. Er zählt zu denen, die Religion als etwas zutiefst zum Menschen gehörig ansehen. In Kermanis Perspektive geht es nicht um Auflösung der einzelnen Religionen, sondern um das Miteinanderentdecken, dass im Kern Religionen einen gemeinsamen, die Welt humanisierenden Zielpunkt haben.

Dies schließt eine Hochachtung für das Fremde, das nicht zur eigenen Religion zugehörige ein. Am Fremden kann das Vertraute neu kennen und schätzen gelernt werden. Im wertschätzenden und von gemeinsamen Respekt getragenen Dialog der Religionen untereinander, kann neue Kraft für eine menschlichere Gesellschaft gewonnen werden. Das hier vorgestellte Buch ist ein Beispiel dafür, wie dieser Dialog geführt werden und gelingen kann. Dass das Buch bereits in 13. Auflage vorliegt, ist ein Indiz dafür, dass Kermani damit etwas gelungen ist, was auf breite Resonanz bei den Leserinnen und Lesern trifft.

Navid Kermani, Ungläubiges Staunen: Über das Christentum, München 2015, 303 Seiten. ISBN 978-3-406-68337-4. € 24,95

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