022017

Statements

Jonas Bedford-Strohm

Mensch, Material, Maschine: Wie intelligente Kombination von Software und Hardware unser Leben verändert

Industrie 4.0, Telemedizin und autonome Autos, Cloud Computing, Social Media und digitale Assistenten, die ständig zuhören: in schnellen Schritten verändert sich Gesellschaft im Kleinen wie im Großen. Was ist real, was ist wahr, wie ist unsere Welt? Ganz neue Fragen tun sich auf, neue Kompetenzen sind gefragt.futur2 hat verschiedene Autorinnen und Autoren um ein STATEMENT zu der folgenden Fragestellung gebeten.
1. Welche Organisationsstrukturen entstehen oder werden nötig, welche transparenten und welche intransparenten Machstrukturen bilden sich neu aus?
2. Was sind denn die notwendigen Kompetenzen, welche ethischen Grundpositionen sind für eine verantwortliche und erfolgreiche Navigation in der neuen Welt hilfreich?
3. In welcher Weise müssen sinnstiftende und weltdeutende Angebote formatiert und formuliert werden, um relevant und für die Menschen verfügbar zu sein? Und wie können sie diese Entwicklungen reflektieren und deuten?

Zwei Themen dominieren die Debatte um digitale Ethik: Datenschutz und Filterblasen. Beides wird besonders relevant, wenn Algorithmen mit Daten gefüttert und so trainiert werden, dass sie Entscheidungen treffen, die früher nur einem ausgebildeten Menschen anvertraut wurden.

Dass besonders seit der US-Wahl die Horizontverengung durch Filterblasen in sozialen Netzwerken diskutiert und auch Algorithmen und deren Struktur immer mehr unter die Lupe genommen werden, ist gut. Nur so kann eine digitale Alphabetisierung gelingen, die individuelle Nutzerkompetenzen stärkt und es demokratischen Gesellschaften ermöglicht, sich mit der fortwährenden technischen Neuerung zurecht zu finden. Und dass besonders in Deutschland mit der Historie des totalitären Nazi-Regimes und der DDR-Spitzelkultur auch der Datenschutz prominenter im Fokus steht als sonstwo, ist verständlich und an vielen Stellen auch sinnvoll.

Wenn sich die Diskussion aber nur auf Datenschutz und Filterblasen beschränkt, verpasst sie entscheidende Entwicklungen, die es mit ruhiger Hand zu untersuchen und einzuschätzen gilt. Weder blinde Technikeuphorie, noch blinde Technikpanik helfen dabei. Im Folgenden werde ich den Versuch eines Überblicks und der Einordnung wagen. Wohin geht die Spezies Mensch?

Dass besonders seit der US-Wahl die Horizontverengung durch Filterblasen in sozialen Netzwerken diskutiert und auch Algorithmen und deren Struktur immer mehr unter die Lupe genommen werden, ist gut.

In meiner Analyse haben die gegenwärtig entscheidenden Innovationen zwei Dinge gemein. Sie beschäftigen sich nicht nur mit Software-Anwendungen, sondern mit intelligenten Kombinationen von Software und Hardware. Und sie zielen ab auf die intelligente Interaktion von Mensch und Maschine. Das zeigt sich besonders bei Medizin, Medien und Infrastruktur.

I. Medizin

Im Bereich der Medizin und Biotechnologie ist die Entwicklung rasant. Nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms ist nun auch die gezielte Veränderung von genetischem Material möglich. Deutlich weniger kontrovers, aber auch nicht unumstritten sind die verschiedenen Formen der Datensammlung und -auswertung, die medizinischen Teams aus Menschen und Maschinen hilft effizientere Behandlungsmethoden zu entwickeln und dabei präventiver und mitunter weniger invasiv vorzugehen. Die Grundlagen für Organtransplantation von Tieren in menschliche Körper sind gelegt. Das erste Fleisch aus der Petrischale wurde erfolgreich gezüchtet. Durch Digitalisierung mögliche Technologien werden auch beim Endnutzer sichtbar integriert. Neue Hardware ermöglicht es zum Beispiel Diabetes-Patienten, einen physischen Port zu setzen, der auf Smartphone oder Lesegerät die nötige Insulin-Dosis anzeigt. Regelmäßiges Blutabnehmen ist für Diabetiker damit passé — ein großer Gewinn im Alltag.

II. Medien

1. Interaktion

Im Bereich der Medien ist eine Wendung hin zur Sprache, zur Personalisierung und zur Interaktion zu beobachten. Der Grad an Interaktion ist dabei plattform- und kanalabhängig. Während viele Formen digitaler Interaktion auf Fernsehgeräten immer wieder gescheitert sind, hat die sogenannte Second-Screen-Nutzung mit Smartphones und Tablets deutlich zugenommen. Beliebt ist Social TV, also das Lesen und Schreiben von Twitter-Kommentaren während des Tatorts am Sonntag Abend. Die Verbindung von Social Media und linearen Angeboten wird also immer enger, auch weil sich alle Medienhäuser immer multimedialer aufstellen und Storytelling verstärkt mit intermedialer Multiplattformstrategie konzipiert wird.

2. Personalisierung

Personalisierung wird nötig durch die überfordernde Flut von Informationen und Reizen. Nicht alles Verfügbare, sondern nur das wirklich Relevante soll angezeigt werden. Wer entscheidet wie wo wann warum mit welchen Mitteln und Kriterien, welche Information am relevantesten ist?

Facebook hat dafür einen Algorithmus, der anhand der Engagement-Raten und weiteren Parametern analysiert, welcher Inhalt am relevantesten für den jeweiligen Nutzer ist. Das ist deswegen gefährlich, weil dadurch nur noch hoch emotionalisierte Inhalte wirklich Reichweite erzeugen können. Das wiederum verzerrt das Bild, das die Nutzer von der Wirklichkeit haben.

Facebook hat dafür einen Algorithmus, der anhand der Engagement-Raten und weiteren Parametern analysiert, welcher Inhalt am relevantesten für den jeweiligen Nutzer ist. Das ist deswegen gefährlich, weil dadurch nur noch hoch emotionalisierte Inhalte wirklich Reichweite erzeugen können. Das wiederum verzerrt das Bild, das die Nutzer von der Wirklichkeit haben. Im Feld der Personalisierung ist noch viel Arbeit zu leisten bis die Algorithmen wirklich intelligent und mit einer Reife ausgestattet sind, die der traditionellen Leistung der Redaktionen entspricht.

3. Sprache

Neben dem Trend zur Interaktion durch Social Media und Verknappung durch Personalisierung ist der Trend zur gesprochenen Sprache und zu dialogischen Ansätzen zu beobachten. Mit Quartz, Resi und dem Novibot haben sich eine Reihe funktionstüchtiger Chatbots etabliert, die Nachrichten in Dialogform ausspielen und den Nutzern ermöglichen, dort immer tiefer ins Geschehen einzutauchen, wo sie eh schon sind: Messenger-Apps. Der Novibot der Tagesschau zum Beispiel schickt morgens und abends dialogische Nachrichten auf Facebook Messenger. Chatbots sind nicht nur für Nachrichten, sondern auch für standardisierte Service-Leistungen interessant. Airlines bieten zum Beispiel Buchungsinformationen per Bot an. Das ist nichts anderes als eine klickbare Hotline, nur weniger nervig für die Nutzer und kreativer bespielbar. Um zu testen, für welche Formate sich Bots einsetzen lassen, haben wir im Bayerischen Rundfunk mit der Grünwald Freitagscomedy einen Comedy-Bot entwickelt. Das hatte bis dato kein Medienanbieter versucht. Unser Fazit: Bots und Comedy gehen gut zusammen. Letztlich ist die Chatbot-Technologie noch eine grüne Wiese, die nur dann auch Reichweiten erzeugen kann, wenn sie gut beworben wird. Hier stellen sich dieselben ethischen Fragen wie bei analogen Projekten. Auf diese Diskussion sind wir als Gesellschaft gut vorbereitet.

Die durchschlagskräftigere Technologie in diesem Feld ist aber die Sprachsteuerung, die sich über intelligente Sprachassistenten wie Amazon Alexa und Google Home ihren Weg in die Küchen und Wohnzimmer bahnen. Auf die Frage “Alexa, was sind die Nachrichten?” antwortet Amazons Gerät mit den Inhalten der Nachrichtenanbieter, die bei Amazon einen sogenannten Flash-Briefing-Skill hinterlegt haben. Entscheidend ist dabei die Unterscheidung von Hardware und Software. Das Gehirn der Geräte, die intelligente Sprachsteuerung, arbeitet internetbasiert in der Cloud des Herstellers und kann daher in verschiedenste internet-fähige Geräte integriert werden. Amazon kooperiert zum Beispiel mit LG, um Alexa in Kühlschränke einzubauen. Das Küchenradio wird damit obsolet, denn Alexa kann dadurch eine Vielzahl an Radioprogrammen auf Zuruf einfach aus dem Internet abrufen und per Lautsprecher im Kühlschrank abspielen. Eine fundamentale Veränderung ist das aus Sicht der Medienanbieter nicht. Solange sie ihre Inhalte für Assistenten verfügbar machen, bleiben sie genauso präsent wie bisher. Beim BR arbeiten wir deswegen gerade mit BR24 an verschiedenen Nachrichten-Formaten für Alexa.

III. Infrastruktur

Neben Durchbrüchen in der Medizin und den eher graduellen Veränderungen in den Medien kommt mit der intelligenten Kombination von Hardware und Software im Bereich Infrastruktur eine wirkliche Revolution auf uns zu. Das ist notwendig. Denn wenn wir nicht unverzüglich unsere gesamte Energie- und Verkehrs-Infrastruktur in erneuerbare und im umfassenden Sinne nachhaltige Bahnen lenken, wird der resultierende Klimawandel desaströsen Effekt auf uns haben. Digitale Technologien und die gezielte Verarbeitung von Daten helfen dabei, Energie effizient zu nutzen und Verschwendung zu reduzieren. Sie helfen auch bei der Koordination und Entwicklung der Infrastruktur der Zukunft. Weltweit maßgeblich und zum ersten Mal kommerziell wirklich erfolgreich ist auf diesem Feld Elon Musk, der mit Teslas Elektroautos der Autobranche den Spiegel vorgehalten und ihre ambitionslose Interpretation von Innovation entlarvt hat. Nachdem Tesla von Kapitalgebern, Autokonzernen, Politik und Öffentlichkeit lange Zeit belächelt wurde, genießt Tesla heute großes Vertrauen und hat mittlerweile Daimler und Toyota als Anteilseigner gewinnen und zu eigenen Projekten inspirieren können.

Denn wenn wir nicht unverzüglich unsere gesamte Energie- und Verkehrs-Infrastruktur in erneuerbare und im umfassenden Sinne nachhaltige Bahnen lenken, wird der resultierende Klimawandel desaströsen Effekt auf uns haben.

Musk wird oft mit Steve Jobs und dem iPhone verglichen, das die Mobilfunkbranche vor knapp zehn Jahren revolutionierte. Einiges spricht dafür, dass Musk einen noch größeren Einfluss auf die menschliche Entwicklung haben wird. Mit dem Start-Up SpaceX hat Musk nicht nur die erste landungsfähige Rakete entwickelt und durch das Ziel einer Marskolonie frischen Wind in die Weltraum-Industrie gebracht. Er hat mit Tesla demonstriert, dass Elektroautos gute Reichweiten erzielen und auch noch Spaß machen können. Mit Ladestationen in den USA hat Musk das Ende der fossilen Infrastruktur im Personenverkehr realistisch, und mit seiner Solarfirma Solar City die Energie für die Ladestationen erneuerbar gemacht. Mit seiner Gigafactory wird Musk zum größten Produzenten von Batterien zur Speicherung von Solarenergie und legt die Grundlage für eine Weiterentwicklung der Technologie für Elektroautos. Er hat mit der Popularisierung von Solarziegeln eine formschöne Alternative zu Photovoltaikanlagen geschaffen, die als Solardach ein ganzes Haus mit Energie versorgen können. Und mit dem Hyperloop und The Boring Company hat Musk zwei weitere Projekte angestoßen, die durch intelligente Kombination von Software und Hardware energie-effizient steuerbar werden.

Im Zusammenhang mit Teslas Autopilot-Funktion wird oft von autonomen Fahrzeugen gesprochen. Noch sind keine vollständig autonomen Autos auf den Straßen, unter anderem weil Haftungsfragen zu klären sind und Steuerungssysteme verbessert werden müssen. Teil-automatisierte Autos werden allerdings immer mehr zur Norm. Von einer wirklichen künstlichen Intelligenz (KI) kann dabei keine Rede sein. Der Begriff führt in die Irre, weil Intelligenz eine Vielzahl von Konnotationen trägt, die kein Automatisierungssystem einlösen kann.

IV. Fazit

Entscheidend ist bei aller Innovation, welchem Zweck sie dient. Denn der Wert der Innovation hängt integral mit der Moral des Zwecks zusammen. Das ist kontrovers, weil der moralische Zeigefinger schon viel zu viele wichtige Projekte eingebremst oder sogar völlig vernichtet hat. Trotzdem halte ich daran fest, dass eine ethisch reflektierte Begleitung durch öffentlichen Diskurs für Ingenieure und Geschäftsleute wichtig ist. Nur wenn sie konkreten Menschen wirklich helfen, können sie krypto-religiöses Marketing als Weltretter halbwegs verantworten.

Trotzdem halte ich daran fest, dass eine ethisch reflektierte Begleitung durch öffentlichen Diskurs für Ingenieure und Geschäftsleute wichtig ist. Nur wenn sie konkreten Menschen wirklich helfen, können sie krypto-religiöses Marketing als Weltretter halbwegs verantworten.

Mit Tesla, SpaceX, Solar City und Co. ist ein Firmengeflecht entstanden, das in allen relevanten Innovationsfeldern (vor allem Software, Materialien, Engineering, Energiequellen) aktiv ist und untereinander befruchtet. Warum brauchte es eine solche privatwirtschaftliche Initiative, um wirklich weiter zu kommen? Das ist vor allem eine demokratietheoretische Frage der politischen Steuerung. Warum musste Uber privat erfunden werden, obwohl überall auf der Welt staatliche oder parastaatliche Verkehrswerke mit der Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur beauftragt sind? Warum braucht es Tesla, um Solarziegel zu popularisieren, die Batterieforschung voranzubringen, einen Konsens für elektrische Ladestationen herzustellen, die Weltraumforschung effizienter zu machen, den Verkehrskollaps in Großstädten mit neuen Transportsysteme anzugehen? Ist das nicht eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Hand?

Das Dilemma demokratischer Steuerung gilt auch für Musks neuestes Internet-Projekt: Er will hunderte Satelliten ins Orbit der Erde schießen, um überall auf der Welt eine verlässliche Internetverbindung sicherzustellen. Auch das ist eine Infrastrukturaufgabe, die früher von Nationalstaaten wahrgenommen wurde. Was ist schief gelaufen? Hier lohnt es sich nachzuforschen und die gewählten Regierungsvertreter immer und immer wieder herauszufordern, den echten Herausforderungen mit wirklichem Nachdruck und höchster Priorität zu begegnen und so die Zukunft lebenswerter und gerechter für alle zu gestalten. Denn das ist bei privatwirtschaftlichem Betrieb all dieser Bereiche mitnichten garantiert.

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