Kirche im Abseits? Die Herausforderung gesellschaftsprägender Digitalität
1. Welche Organisationsstrukturen entstehen oder werden nötig, welche transparenten und welche intransparenten Machstrukturen bilden sich neu aus?
2. Was sind denn die notwendigen Kompetenzen, welche ethischen Grundpositionen sind für eine verantwortliche und erfolgreiche Navigation in der neuen Welt hilfreich?
3. In welcher Weise müssen sinnstiftende und weltdeutende Angebote formatiert und formuliert werden, um relevant und für die Menschen verfügbar zu sein? Und wie können sie diese Entwicklungen reflektieren und deuten?
Ich kann vom Arbeitsplatz aus den Staubsauer Zuhause in Gang setzen und der Waschmaschine Befehle erteilen! Ich kann dem vernetzen PKW die Verbindung mit dem eigenen Smartphone gestatten, um den eigenen Musikbestand in der Cloud zu nutzen! Derartige Beispiele für das „Internet der Dinge“ führt vielen Menschen vor Augen, was sich bei einem Hackerangriff auf Flughäfen, Bahnhöfe oder Krankenhäuser sehr viel dramatischer ausnimmt: Digitale Technologie prägt längst alle Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens. Sie hat damit den Horizont früherer Kommunikationsverständnisse überschritten.
Wo von Digitalität gesprochen wird, beschränkt sich dies nicht auf die kommunikative Vernetzung im Sinne des bloßen Austausches von Informationen. Längst kommunizieren über die Social Media nicht nur alle mit allen zu jeder Zeit, sondern zunehmend auch alles mit allem. Diese Entwicklungsschritte markieren den Übergang von einer digitalen Kommunikation, in der lediglich neue Medien an die Seite bisheriger, analoger Medien treten, zu einer „Kultur der Digitalität“. Deren markante Eigenschaften werden etwa von Felix Stalder in der Algorithmizität, den Partizipationssteigerungen und den Fragmentierungen, in denen alles mit allem re- und neukombiniert werden kann, gesehen.
Dabei fällt jedoch auch auf, dass es häufig Rückfälle in vormoderne Verständnisweisen von Kommunikation gibt, bei denen die grundlegenden Strukturelemente des Digitalen außer Acht bleiben.
Vor dem Hintergrund einer sich fortentwickelnden „Kultur der Digitalität“ ist nach der Rolle der Kirchen zu suchen, für die Fragen der Kommunikation zum Kern ihres Selbstverständnisses gehören. Dabei fällt auf, dass in den zurückliegenden Jahren im Kontext kirchlicher Glaubensverkündigung eine Vielzahl von Aufbrüchen zu beobachten sind: Vielerorts ist die Integration von Social Media in die katechetische und jugendpastorale Arbeit zu beobachten. In einer Reihe von Diözesen und Landeskirchen wurden Mitarbeiterstäbe für die Öffentlichkeitsarbeit in digitalen Medien gebildet. Eine Vielzahl medienpädagogischer Angebote ist entstanden, die dem Anliegen kirchlicher Medienbildung Ausdruck geben. Und nicht zuletzt ist eine intensive medienethische Debattenkultur gewachsen, in der aktuelle Entwicklungen kritisch reflektiert werden (z.B. Alexander Filipović). Diese Felder veranschaulichen das kirchliche Engagement im Bereich der digitalen Medien – neben den vielerorts zu beobachtenden Professionalitätsdefiziten und Milieuverengungen.
Kirchliche Rückfälle in vormoderne Kommunikation
Dabei fällt jedoch auch auf, dass es häufig Rückfälle in vormoderne Verständnisweisen von Kommunikation gibt, bei denen die grundlegenden Strukturelemente des Digitalen außer Acht bleiben. Dazu gehört, dass die vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten in den Social Media entsprechende Erwartungen auch an kirchliche Strukturen generieren. Wo dennoch bestehende Inhalte und Botschaften lediglich mit den neuen Formen übermittelt werden, entsteht eine Diskrepanz zwischen Digitalität und einem Verkündigungsverständnis, das eigentlich in den großen Kirchen im Verlauf des 20. Jahrhunderts überwunden wurde. Immer wieder lassen sich jedoch vor allem in der katholischen Kirche Rückfälle hinter die eigenen theologischen Aufbrüche beobachten, wenn Digitalität auf Medienarbeit beschränkt, die religionsproduktive, sinnstiftende und gemeinschaftsbildende Kraft der Social Media übersehen oder Medien gar als simple Transportmechanismen verstanden werden.
Digitale Medien relativieren nicht nur die Bedeutung von Institutionen, sie nivellieren auch soziale Strukturen und Hierarchien (Bernhard Pörksen), weil jeder und jede hier weitgehend gleichberechtigt die Kommunikation mitgestalten kann.
Wo lediglich Statements von Amtsträger_innen mit einem Youtube-Video oder im Rahmen eines Facebook-Accounts übermittelt werden, bleibt der entscheidende Schritt zum Verständnis einer umfassenden Dialogizität aus. Dieser bestünde darin, dass Monopole auf Themenfestlungen aufgegeben und wirklicher Meinungsaustausch unabhängig von Amt und Status ermöglicht wird. Digitale Medien relativieren nicht nur die Bedeutung von Institutionen, sie nivellieren auch soziale Strukturen und Hierarchien (Bernhard Pörksen), weil jeder und jede hier weitgehend gleichberechtigt die Kommunikation mitgestalten kann. Wo einzelne Formate lediglich zur einfachen Mitteilung im Modus der Indoktrination genutzt werden, wird häufig auch ein vormodernes Sender-Empfänger-Verständnis sichtbar und religiöse Kommunikation auf indoktrinäre Propaganda reduziert. In Anlehnung an Marshall McLuhan ist jedoch darauf zu verweisen, dass die Botschaft dezentral und individuell bei den Rezipienten entsteht. Die Botschaft lässt sich nicht wie ein Substrat als das Eigentliche neben dem Medium separieren, es gibt sie nur als Amalgam.
Sie müsste auf einer radikalen Ernstnahme der eigenen Botschaft als kenotische Hinwendung Gottes zur Welt aufbauen – eines christlichen Verständnisses Gottes, der sich ohne Sorge um den eigenen Selbsterhalt verschenkt, also eines risikofreudigen Gottes.
Religiöse Kommunikation hat sich also von Vorstellungen der Deutungshoheit über die eigenen Inhalte weiter zu verabschieden, um zu einer Angebotsstruktur zu finden: entsprechend der Praxis der Referentialität wird nicht nur der christliche Glaube als Angebot zu kommunizieren sein. Er wird darüber hinaus von den Rezipienten fragmentiert und rekombiniert. In diesem eigenständigen Agieren praktizieren Rezipienten nicht nur, was ihnen auch andernorts im Rahmen digitaler Medien selbstverständlich ist. Sie praktizieren auch die Errungenschaft persönlicher Freiheit in einer Moderne, die gerade in der Wertschätzung des Fragmentarischen zur Postmoderne wird. Hier braucht es nicht die übergeordneten Erklärungsmuster und autoritativen Instanzen, die den Einzelnen übergeordnete Strukturen vorgeben, um die Unübersichtlichkeit des Lebens und Glaubens handhabbar zu machen. Diese werden ohnehin nur abgefragt, wo Zeitgenoss_Innen sich von der Unübersichtlichkeit der Gegenwart überfordert fühlen. Wo Kirchen dies versuchen, schlägt ihnen in der Regel Misstrauen entgehen. Und sie selbst fallen in eine häufig betrauerte gesellschaftliche Rolle zurück, in der sie sich als Welterklärerin und Ratgeberin präsentieren, mit der sie sich institutionell zu stabilisieren und gesellschaftlich aufzuwerten suchen. Wenn Kirchen diesem Muster des Aufweisens eigener Notwendigkeit entsprechen, bringen sie ihre Gegenüber in die Rolle der Hilfsbedürftigen und manifestieren dies Gefälle.
Dieses Verschenken als Grundstruktur eines Gottes, der Mensch wird und damit nicht nur etwas, sondern sich selbst aussetzt, hat auch die religiöse Kommunikation christlicher Kirchen zu bestimmen.
Doch wie müsste in Absetzung zu solchen vormodernen Mustern eine zeitgemäße religiöse Kommunikation aussehen, die wirklich bereit ist, sich auf das Spannungsfeld digitaler Medien in postmoderner Gesellschaft einzulassen? Sie müsste auf einer radikalen Ernstnahme der eigenen Botschaft als kenotische Hinwendung Gottes zur Welt aufbauen – eines christlichen Verständnisses Gottes, der sich ohne Sorge um den eigenen Selbsterhalt verschenkt, also eines risikofreudigen Gottes. Dieses Verschenken als Grundstruktur eines Gottes, der Mensch wird und damit nicht nur etwas, sondern sich selbst aussetzt, hat auch die religiöse Kommunikation christlicher Kirchen zu bestimmen.
Anderen gelingt, was die Kirchen vermissen
Im Umgang mit dem zunehmend gesellschaftsprägenden Phänomen der Digitalität erleben die Kirchen gegenwärtig im technischen und medialen Sektor, was sie bereits im Verlauf des 20. Jahrhunderts im Blick auf die gesellschaftsprägende Kraft des Marktes über ökonomische Kontexte hinaus zu lernen hatten: Bereits dem Markt-Schema des Wettbewerbs gelang, was sich im 21. Jahrhundert von der umfassenden Digitalisierung beschreiben lässt. Es ist das Überschreiten eines begrenzten gesellschaftlichen Sektors (beim Markt-Schema das der Ökonomie, bei der Digitalität das der Medien und Technik) hin zu einer die Gesamtgesellschaft prägenden Kultur. Damit lassen sich zwei Phänomene identifizieren, denen gelingt, was eigentlich der religiöse Anspruch der Kirchen darstellt, woran sie aber in der fortschreitend säkularen Moderne scheitern, wenn sie auf spezifische örtliche, zeitliche oder biographische Segmente des Lebens reduziert werden: die Präsenz im Alltag, in allen Lebensbereichen und in allen Milieus.
Entscheidend wird die Frage sein, ob die Kirchen diese Prozesse über medienethische und medienpädagogische Fragestellungen hinaus in der Entwicklung einer Theologie der Digitalität konstruktiv mitgestalten können.
Bereits der Logik des Marktgeschehens konnten sich die Kirchen selbst in ihren internen Abläufen nicht entziehen und haben (häufig unreflektiert) Wettbewerbs-, Erfolgs- und Leistungsstrukturen übernommen. Ähnliche Prozesse werden sich im Verlauf des 21. Jahrhunderts in den Spezifika der Digitalität beobachten lassen. Entscheidend wird die Frage sein, ob die Kirchen diese Prozesse über medienethische und medienpädagogische Fragestellungen hinaus in der Entwicklung einer Theologie der Digitalität konstruktiv mitgestalten können. Nur damit könnten sie wohl der permanenten Versuchung entkommen, sich in einer Kontrastidentität zu gesellschaftlichen Entwicklungen zu profilieren und damit zu entsolidarisieren. Es wird darauf ankommen, dass die christlichen Kirchen sich den Fragen der Digitalität umfassend und auch in ihrer theologischen Vergewisserung stellen, um sie als gesellschaftlichen Prozess mitgestalten zu können.