022020

Foto: Finn/Unsplash

Praxis

Lorena Bittner und Tatjana Bittner

Ein Projekt mit Herzblut und Vision: JUST (Jugendliche Stärken)

Ein kleiner Artikel im Kölner Stadtanzeiger hat mich neugierig gemacht. Dort wurde über die Initiative JUST (=Jugendliche stärken) berichtet. JUST ist eine ehrenamtliche Organisation, die die beiden Schwestern Tatjana und Lorena Bittner ins Leben gerufen haben, kurz nachdem Sie Ihr Abitur gemacht hatten. JUST möchte Teenager in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen und ihr Selbstbewusstsein sowie ihre mentale Gesundheit stärken. Dazu suchen Sie die Kooperation mit Schulen und organisieren dort Veranstaltungen mit prominenten „Speakern“. Auf diese Weise eröffnen Sie den Schülerinnen und Schülern einen Raum, in dem persönliche Nöte und Sorgen offen angesprochen werden können. Meine Neugier ist geweckt. Was motiviert zwei sehr junge Menschen in ihrer Freizeit eine Organisation aufzubauen und weiterzuentwickeln, die sich für junge Menschen einsetzt. In einem Gespräch konnte ich mit den beiden über ihr Projekt und das, was sie motiviert und antreibt, reden.

Frank Reintgen: Der Ursprung eures Projektes, so habe ich es auf eurer Homepage gelesen, hat einen traurigen Hintergrund. In eurem Freundeskreis haben sich zwei Menschen das Leben genommen. Diese beiden Todesfälle haben euch unruhig werden lassen und wurden schließlich zum Impuls, das Projekt JUST zu starten. Was hat euch damals genau bewegt, initiativ zu werden?

Lorena Bittner: Nach dem zweiten tragischen Vorfall haben wir zu uns gesagt, es kann so nicht mehr weitergehen. Es kann nicht sein, dass Menschen, die noch nicht einmal die Volljährigkeit erreicht haben, an einen Punkt in ihrem Leben gelangen, an dem sie nicht mehr weiter wissen. Deswegen haben wir beschlossen, es muss etwas getan werden, und so sind wir selbst aktiv geworden.

Frank: Nachdem ihr zunächst versucht habt, das Kultusministerium darauf aufmerksam zu machen, dass der Persönlichkeitsentwicklung in der Schule zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, habt ihr euch entschlossen JUST zu gründen. Wie hat sich JUST entwickelt und was macht JUST heute konkret?

Lorena: Ja, genau. Wir haben zuerst einen Brief an das Bayerische Kultusministerium geschrieben, sozusagen als „Hilfeschrei“. Doch die Antwort war leider ernüchternd, denn es wurde nur aufgezählt, was bereits vorhanden ist. Jedoch sieht es in der Praxis oft ganz anders aus als in der Theorie. Das genannte Kriseninterventionsteam wird – wie der Name schon sagt – erst aktiv, wenn etwas passiert ist. Ebenso ist es vorteilhaft, Schulpsychologen zu haben, jedoch werden diese in der Realität nicht wirklich genutzt, was unsere Recherchen bestätigen.

Deswegen setzen wir auf die Präventionsarbeit. JUST hat sich in den letzten 2,5 Jahren von einer Idee zu unserem Herzensprojekt bis hin zu einer sozialen Organisation entwickelt. Unser Ziel ist es, Jugendliche in ihrer Persönlichkeit und mentalen Verfassung zu stärken. JUST versucht die ‚Bildungslücke der Persönlichkeitsentwicklung‘ zu kompensieren, indem wir Veranstaltungen an Schulen organisieren. Unsere Redner und Mental Coaches sprechen über Themen wie Motivation, Selbstbewusstsein und Selbstfindung.

Tatjana Bittner: Jugendliche stehen während der Corona-Krise vor großen Herausforderungen und die (mentale) Gesundheit und somit auch JUST ist wichtiger denn je. Auch uns beeinträchtigt die globale Krise sehr. Vorträge oder Workshops an den Schulen – nicht möglich. Jedoch brauchen uns die jungen Menschen jetzt umso mehr! Viele Teenies fallen in ein Loch, haben Zukunftsängste, fühlen sich überfordert oder hilflos. Eine Plattform, die Jugendliche durch ihre Zeit begleitet? – Möglich! So war unser Gedanke! Wir werden sie genau dort aufgefangen, wo sie sich gerade mental und emotional befinden. Denn unsere Stärke ist der Kontakt auf Augenhöhe, denn wir sprechen die Sprache der Jugendlichen. Auf dem Instagram-Profil @just_your_mindset veröffentlichen wir täglich qualitative, inspirierende und motivierende Posts zusammen mit Mental Coaches und Diplompsychologen. Somit erreichen, stärken und inspirieren wir jetzt schon täglich über Tausende Teenies.

JUST hat sich in den letzten 2,5 Jahren von einer Idee, zu unserem Herzensprojekt bis hin zu einer sozialen Organisation entwickelt.

Frank: Eure ersten Erfahrungen zeigen ja, dass Jugendliche sehr dankbar die von JUST organisierten Veranstaltungsformate und Angebote annehmen. Bedarf scheint seitens der Jugendlichen also vorhanden zu sein. Mal angenommen in den kommenden Jahren würde für JUST alles optimal laufen, wie sähe dann die weitere Entwicklung aus? Welche Ziele strebt ihr an?

Tatjana: Ja, nach den ersten Vorträgen vor über 700 Schülern waren wir überwältigt von dem positiven Feedback der Schüler, Lehrkräfte, Eltern und Rektoren, die auf uns zugekommen sind. Nach unserem Event mit dem Vortrag von Babak Rafati – dem ehemaligen FIFA-Schiedsrichter – gab es so viele Wortmeldungen der Jugendlichen. Diese waren unglaublich ehrlich und offen zu Themen wie mentale Instabilität, Selbstverletzung von Freunden und Mobbing.

Auch über die Sozialen Medien erreichen uns laufend Nachrichten von Jugendlichen, die Unterstützung suchen. Das gab und gibt uns immer wieder die Bestätigung: Der Handlungsbedarf ist da und sogar nötig! Unser Ziel ist es, deutschlandweit bekannt zu sein, sodass wir so vielen Jugendlichen helfen können wie nur möglich. Sie dürfen uns als Anlaufstelle für Stärkung und Gesundheit sehen.
Damit die Nachhaltigkeit gewährleistet ist, werden auf die Impulsvorträge interaktive Workshops folgen. JUST agiert somit als Bindeglied und bringt das wichtige Thema der Persönlichkeitsentwicklung an deutsche Schulen.

Frank: Wenn ich noch mal auf den Ursprung von JUST zurückschaue, dann fällt mir auf, dass ihr euch angesichts der beiden Selbstmorde anders als die anderen Jugendlichen in ihrem Umfeld entschlossen habt, aktiv zu werden. Was glauben ihr, woran liegt das? Warum war es euch so wichtig, selber aktiv zu werden und etwas zu tun?

Wir werden sie genau dort aufgefangen, wo sie sich gerade mental und emotional befinden. Denn unsere Stärke ist der Kontakt auf Augenhöhe, denn wir sprechen die Sprache der Jugendlichen.

Lorena: Das ist schwierig zu beantworten. Wir hatten so viel negative und traurige Gefühle in uns, die uns dann letztendlich zum Handeln bewegt haben. Ich glaube, wir sind von Grund auf Machertypen. Wir haben versucht, die Regierung und das Bildungssystem zur Verbesserung zu bewegen, doch das ist zu komplex und träge. Da haben wir gesagt, wenn sie es nicht tun, dann packen wir eben selbst an. Wir wollen auch gewissermaßen vorausgehen und den Jugendlichen zeigen, dass man sein Ziel erreichen kann, wenn man dafür kämpft. Vor ein paar Jahren haben wir beide mit unserer Handballmannschaft Jugendbundesliga gespielt. Diese Zeit im Leistungssport gab uns viel Selbstbewusstsein, Durchsetzungsvermögen und Disziplin.

Außerdem stehen unsere Eltern immer hinter uns, und das ist, glaube ich, sehr wichtig. Sie haben uns von klein auf viel beigebracht, z.B. wie man aus Herausforderungen gestärkt hervorgeht. Viele haben diese Unterstützung von Zuhause nicht, deswegen muss es doch irgendetwas geben, das ihnen diese Tricks und Herangehensweisen zeigt. So sind wir Schritt für Schritt auf JUST gekommen.

Das Leben ist so wundervoll und Herausforderungen sind eine Chance, an denen man wachsen kann.

Frank: Wenn man mit euch redet, oder wenn man euch in einem der verschiedenen YouTube-Videos1 ansieht, dann spürt man die Energie und eure Leidenschaft, die ihr in dieses Projekt steckt. Woher speist sich eure Motivation? Wie erklärt sich eure Leidenschaft für dieses Projekt?

Tatjana: Es ist unser Herzensprojekt und wir haben unsere Vision vor Augen. Eine Zukunft voller mental gesunder und positiver Menschen! Wir wissen, dass wir vielen Menschen helfen können, wenn wir einfach dran bleiben. Wir wollen Positivität und Leidenschaft vermitteln, und das leben wir auch selbst. Das Leben ist so wundervoll und Herausforderungen sind eine Chance, an denen man wachsen kann. Wir haben uns das Projekt zur Aufgabe gemacht und deswegen steckt da so viel Herzblut und Leidenschaft darin.

Wer glaubt, hat Hoffnung, schaut positiv in die Zukunft, und das gibt neue Kraft und Energie. Unser soziales Engagement blüht voll Glauben.

Frank: Ihr selber habt einen christlichen, katholischen Hintergrund. Hat für euch euer Engagement für JUST etwas mit eurem Glauben zu tun?

Lorena: Wir finden, dass Glauben auch sehr viel mit JUST zu tun hat. Wer glaubt, hat Hoffnung, schaut positiv in die Zukunft, und das gibt neue Kraft und Energie. Unser soziales Engagement blüht voll Glauben. Oft wissen wir auch nicht, was der nächste ‚richtige‘ Schritt ist. Doch wir spüren eine Sicherheit, dass wenn wir den Weg weiter gehen, sich die Dinge fügen. So ist es auch im Leben. Es besteht aus Ups and Downs und wenn man einmal in einem Tief ist, kann man voller Freude in die Zukunft blicken, denn dann kommt wieder ein ‚Hoch‘. Das sagt unser Vater immer.

Frank: Das Konzept von JUST zielt darauf ab, Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken. Dabei möchte JUST Jugendlichen helfen, ihr Potenzial zu entfalten und sie mental zu stärken. JUST verfolgt dabei einen Ansatz, der auf die Ressourcen und Stärken der Jugendlichen setzt, und der präventiv die Resilienz junger Menschen stärken möchte. All das sind durchaus auch Zielsetzungen, die Jugendseelsorge in einem kirchlichen Kontext verfolgt. Aus meiner Perspektive könnte man sagen, dass JUST so etwas wie „Seelsorge“ betreibt? Oder hinkt der Vergleich aus eurer Sicht? Wie würdet ihr selbst das beschreiben, was ihr macht?

Tatjana: Das trifft gewissermaßen auch auf JUST zu. Wir sprechen nicht nur die Jugendlichen an, die Probleme haben, sondern alle Teenies präventiv. Als Jugendlicher hat man mit vielen verschieden Situationen zu kämpfen. Beispielsweise ist man vielleicht zum ersten Mal verliebt; man tut sich schwer in der Schule; Zuhause gibt es Probleme; man wird gemobbt; der Körper verändert sich; und so weiter…

Wir wollen mit JUST hierfür den Jugendlichen die nötigen Werkzeuge mit an die Hand geben. Es ist in bestimmter Hinsicht auch eine Hilfe zur Selbsthilfe. Das Besondere an unserer Initiative sind die qualitativ hochwertigen Informationen, die wir durch die Zusammenarbeit mit Psychologen zur Verfügung stellen. Zudem interviewen wir Personen aus dem öffentlichen Leben, die Tipps geben, wie sie beispielsweise selbst mit Herausforderungen umgehen. Denn wir haben festgestellt, wenn Vorbilder von ihren Erfahrungen erzählen, sind Jugendliche sehr aufnahmefähig. Zusammenfassend würden wir bestätigen, dass JUST ein Teilgebiet der „Seelsorge“ übernimmt.

Frank: Habt ihr euch bei der Gründung von JUST irgendwann einmal gefragt, ob es sinnvoll sein könnte, eure Initiative irgendwie an Kirche anzudocken?

Ich hätte die Befürchtung, dass gerade dieses Alleinstellungsmerkmal – das junge, moderne und coole – in der Außenwahrnehmung verloren gehen könnte, wenn JUST ein kirchliches Label trägt.

Lorena: Ehrlich gesagt, haben wir darüber noch nie nachgedacht. Es gibt bestimmt einige Verknüpfungspunkte, in denen wir uns gegenseitig gut ergänzen. Wir haben im ersten Moment an die Schulen gedacht, da Jugendliche dort einfach am besten zu erreichen sind. Diesem Weg sind wir bis heute treu geblieben und werden es jetzt auf die Onlineplattformen erweitern, um mit ihnen direkt in Kontakt treten zu können. Wir wissen noch nicht wie sich JUST in weiter Zukunft entwickeln wird. Deswegen kann es tatsächlich sinnvoll sein unsere Initiative mit der Kirche zu kombinieren.

Frank: Noch einmal weiter gefragt: Wenn das, was JUST tut, mit einem kirchlichen Label getan würde, hätte das aus eurer Sicht Vorteile oder wäre es vielleicht sogar hinderlich für eure Arbeit?

Lorena: Das ist eine sehr interessante Frage. Ich vermute, es könnte einerseits ein Booster sein, da die Kirche ein etabliertes und mächtiges Organ ist. Jedoch ist gerade unser beider Stärke, dass wir die Sprache der Jugendlichen sprechen. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe und das, weil wir selbst noch sehr jung sind. Ich hätte die Befürchtung, dass gerade dieses Alleinstellungsmerkmal – das junge, moderne und coole – in der Außenwahrnehmung verloren gehen könnte, wenn JUST ein kirchliches Label trägt. Nichtsdestotrotz ist es eine interessante Richtung, die wir uns auch vorstellen können. Wir vertreten im Grunde eine ähnliche Sichtweise wie die Kirche und engagieren uns mit dem gleichen Grundgedanken, der sich um den Menschen und seine Persönlichkeit dreht.

Wenn wir uns eine Sache wünschen dürften, dann wäre es mehr Positivität im Allgemeinen und vor allem in den Gottesdiensten. Kirche soll Spaß machen und eine ‚Tankstelle‘ sein.

Frank: Wie schätzt ihr das ein? Könnte die Kirche etwas Hilfreiches zu eurem Projekt JUST beitragen? Was könnte das sein? Oder andersherum gefragt, wenn ihr euch von der Kirche etwas wünschen dürftet, was wäre das?

Tatjana:Wir glauben, dass die Kirche eine Chance ist, da sie noch so viel Potenzial hat. Vor allem im Hinblick auf die Zielgruppe Jugendliche. Wir selbst wachsen in einer kleinen Gemeinde in Bayern auf, in der die Kirche eine große Rolle spielt. Sie gibt vielen Menschen Hoffnung, Zuflucht, sowie Kraft in schweren und Dankbarkeit in guten Zeiten.

Wir können uns schon vorstellen, dass wir uns bei einer gemeinsamen Zusammenarbeit gut ergänzen würden. Die Kirche als Organ könnte uns vor allem mit ihrer Reichweite weiterhelfen und die dort arbeitenden Leute mit ihrer fantastischen Erfahrung im Bereich Seelsorge, Jugendarbeit und Persönlichkeitsentwicklung.
Wenn wir uns eine Sache wünschen dürften, dann wäre es mehr Positivität im Allgemeinen und vor allem in den Gottesdiensten. Kirche soll Spaß machen und eine ‚Tankstelle‘ sein. Genau das wollen wir auch mit JUST vermitteln, denn Gesundheit und Liebe ist doch das wichtigste im Leben.

Frank: Ich danke ganz herzlich für das Gespräch und wünsche euch und dem Projekt JUST viel Erfolg!

Weitere Informationen zu JUST:

  1. z.B. https://www.youtube.com/watch?v=Z_7X_UQnZe8 oder https://www.youtube.com/watch?v=-6qtSA_Rs2k

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