012012

Foto: Herr Herrner: buero (CC BY-NC 2.0), Bildausschnitt

Konzept

Peter Tscherne und Franziska Jakob-Friedenberger

ENTERPRISE 2.0: Der interne Einsatz von „sozialen Medien“: Hintergründe, Erfahrungen, Erfolgsfaktoren

Einführung und Begriffsklärung

Nicht das Raumschiff und auch keine IT-Systeme sind mit Enterprise 2.0 gemeint. Der Begriff, der von dem Harvard-Professor Andrew McAfee 2007 in einem Artikel geprägt wurde, bedeutet im Kern: wie kann auf Basis von webbasierten Software-Systemen wie z.B. Wikis, Blogs oder sozialen Netzwerken (die sogenannten „sozialen Medien“) die Informationsverteilung, die Kommunikation und vor allem die Zusammenarbeit zwischen Menschen in Organisationen unterstützt werden?

Wir möchten in diesem Beitrag auf die kulturelle und organisatorische Veränderung fokussieren, die aus unserer Sicht durch die interne Nutzung sozialer Medien in Organisationen bereits erfolgt und zukünftig verstärkt erfolgen wird. Digitale Werkzeuge wie Blogs oder Wikis sind deshalb „revolutionär“, da sie alte Arbeits- und Denkweisen in Frage stellen. Autonome Selbststeuerung von Teams, dezentrale Entscheidungen sowie eine Verkürzung der Wege zwischen den Hierarchieebenen sind dabei zentrale Stichworte, die zukünftig starke Auswirkungen auf Organisationen haben werden. Solch ein Wandel betrifft naturgemäß auch die Führungskräfte einer Organisation, wie wir noch sehen werden.

Aktuelle Situation in Deutschland

Andrew McAfee beschreibt in seinem Enterprise 2.0 Blog viele konkrete Fälle aus U.S.-amerikanischen Organisationen, in denen bereits erfolgreich Enterprise 2.0 Initiativen betrieben wird. Wie ist die Situation in Deutschland Anfang 2012? Immer mehr deutsche Unternehmen, vor allem die großen Konzerne, haben in 2010 und 2011 Pilotprojekte aufgesetzt und gehen erste Schritte. Eine Studie von centrestage aus dem Jahr 2010 zeigt, dass die interne Nutzung sozialer Medien in Deutschland stark gestiegen ist:

  • 69% der deutschen Unternehmen setzen Wikis ein
  • 61% der deutschen Unternehmen setzen Blogs ein
  • 44% der deutschen Unternehmen setzten Netzwerk Communities ein

Vor allem die Informations- und Telekommunikationsbranche hat dabei eine Vorreiterrolle eingenommen und nutzt in vielen Fällen zur internen Kommunikation und Zusammenarbeit bereits die neuen Tools und Kollaborationsplattformen.

Beispiel Deutsche Telekom

Bei der Deutschen Telekom kommunizierten vor einigen Jahren die Mitarbeiter noch ausschließlich per E-Mail (neben den persönlichen Kontakten). Heute werden immer häufiger Blogs, Wikis und Netzwerke zur Kommunikation und Zusammenarbeit genutzt. Interessanterweise haben aber auch neue analoge Formate wie Barcamps oder Thinktanks Einzug bei der Deutschen Telekom gefunden – obwohl sie auf der persönlichen Anwesenheit der Teilnehmer beruhen.

Bei der Deutschen Telekom existieren heute (Stand Ende 2011) fast 1.000 Projekt-Wikis und über 200 interne Blogs, die von allen Hierarchie-Ebenen, vom Azubi bis zum Vorstand, mit verschiedensten Inhalten bespielt werden. Dabei geht es sowohl um gemeinschaftliches Arbeiten als auch um die dialogorientierte Nutzung von Medien. So beantwortet z.B. der CEO Rene Obermann Fragen der Mitarbeiter direkt in seinem eigenen Blog. Ähnlich wie bei Angela Merkel´s youtube Kanal entscheiden die Nutzer, welche der eingesendeten Fragen beantwortet werden sollen: eine Abstimmung mit den Füßen.

Damit nimmt die Deutsche Telekom einen Spitzenplatz bei der internen Nutzung sozialer Medien ein. Die Deutsche Telekom schätzt, dass bis 2015 30-40 Prozent weniger E-Mails geschrieben werden und die Mitarbeiter mehr und mehr auf internen Portalen und in Netzwerken veröffentlichen. Wieso machen Unternehmen das? Ein Grund dafür, dass einige „Chefs“ mutig vorangehen ist – neben der Notwendigkeit, gerade jungen Mitarbeitern in einer Zeit des „war for talents“ die Arbeit mit diesen Tools zu ermöglichen – natürlich auch ein wirtschaftlicher: Unternehmen mit einer ausgeprägten Kollaborationskultur steigern ihre Produktivität um bis zu 250 Prozent wie eine Studie von Forrester Research und der Harvard Business School zeigt (siehe WiWo Artikel).

Welche Chancen gibt es?

Der Einsatz sozialer Medien in Organisationen bietet auf unterschiedlichen Ebenen Chancen: insbesondere in den Bereichen des Wissensmanagements, der internen Kommunikation und der Zusammenarbeit. Hier einige Stichwörter, die zeigen, wie einflussreich diese Tools in einer Organisation sein können.

1. Wissensmanagement

  • Aktivierung und Förderung von Wissensmanagement
  • Sichtbarkeit von Experten und Kompetenzfeldern
  • Aufbau von internen Experten-Netzwerken
  • Aktivierung der Kollektiven Intelligenz des Unternehmens
  • Erhöhung der Robustheit von Standards und Entscheidungen

2. Kommunikation und Zusammenarbeit

  • Offener Ad hoc Informationsaustausch über Hierarchien hinweg
  • Mehr Transparenz von Informationen und Entscheidungen
  • Schnellere Erkennung von Fehlern und Optimierungspotenzialen
  • Bereichs- und abteilungsübergreifende oder virtuelle Zusammenarbeit
  • Einfache Integration von externen Partnern
  • Selbstorganisation von Mitarbeitern und Stärkung der Medienkompetenz
  • Erleichterung des internen Recruitings

3. Organisationskultur und -struktur

  • Möglichkeit von mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung
  • Verbesserung der Agilität und Innovationskultur
  • Beschleunigung einer partizipativen Organisationskultur
  • Verbesserung des Images als innovativer Arbeitgeber, da Verhaltensmuster und Erwartungen auch auf das Arbeitsumfeld übertragen werden

Im kirchlichen Kontext könnte dies für die interne Arbeit beispielsweise bedeuten, das breite Netz der Engagierten zu bündeln, die unterschiedlichen Kompetenzen der ehrenamtlichen Helfer transparent zu machen und effektiver einzusetzen. Oder die Zusammenarbeit in Projekten und bei der Organisation von Veranstaltungen und kirchlichen Festen effizienter über solche sozialen Medien zu steuern. Und natürlich die Möglichkeit, das breite Wissen innerhalb der Gemeinden weiterzugeben. Nicht zuletzt wird man sich gerade auch bei diesem Thema mit anderen Organisationen und Kirchen messen müssen.

Die größten Potenziale von Enterprise 2.0 liegen aus unserer Sicht in der Schaffung einer organisationsweiten Gesamtstrategie, da sich Enterprise 2.0 in alle Bereiche der Organisation einbettet. Mitarbeiter bekommen so die Möglichkeit, sich in die Gestaltung der Organisation einzubringen und ihre Partizipationsmöglichkeiten werden gefördert. Die Zusammenarbeit in der Organisation kann effektiver und über bestehende strukturelle Grenzen hinaus durchgeführt werden. Die Organisation kann sich in ihrer Gesamtheit weiterentwickeln und Veränderungen als stetigen Prozess begreifen.

Dieser Aspekt ist für die Kirche von großer Bedeutung, denn nach Lumen gentium 4 konstituiert sich Kirche von oben (über das Amt, „ministratio“) und von unten (über die gläubige Gemeinschaft, „communio“). Gerade der aktuelle Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen macht deutlich, wie wichtig Transparenz und Partizipation für das Überleben der Kirche in unserer Gesellschaft sind.

Welche Risiken lauern?

Neben diesen Chancen gibt es natürlich auch Risiken, die bedacht werden müssen. Inwieweit soll und darf Autorität verändert werden? Wer kontrolliert die Mitarbeiter? Wer sorgt dafür, dass das Wissen der Organisation produktiv in der Organisation genutzt wird und nicht nach draußen abließt?

Auch das Thema Datensicherheit birgt ein Risiko, das nicht unterschätzt werden sollte. Hier benötigt es ein gutes Konzept und klare Richtlinien. Neben diesen Fragestellungen zeigen sich folgende Risiken, die bei einer Enterprise 2.0 Initiative analysiert werden müssen:

  • Längere Anlaufphase der Akzeptanz der neuen „Möglichkeiten“
  • Widerstände im Management aus Angst vor Kontroll- und Autoritätsverlust
  • Gefahr des Sinkens der Produktivität (z.B. durch private Nutzung zum chatten, bloggen etc.)
  • Überreizung und fehlende Fokussierung auf Grund größerer Informationsmengen
  • Notwendigkeit einer hohen Datensicherheit, da mehr Mitarbeiter Zugang zu Informationen haben und diese leichter verbreiten können
  • Gesteuerte Themenfokussierung durch Schlüsselfiguren und damit Manipulation von Entscheidungen
  • Investitions- und Umsetzungskosten

Was bedeutet das für die Führungskräfte?

Wie bereits angedeutet, erhält Hierarchie eine neue Bedeutung: die Führungskraft agiert im Enterprise 2.0 Kontext eher als Moderator denn als Entscheider. Teilen wird wichtiger als herrschen. Transparenz wichtiger als Geheimwissen, die Fähigkeit, gemeinsam etwas zu schaffen wichtiger als Einzelleistung. Herrschaftswissen, einer der Pfeiler einer herkömmlichen Organisation, gibt es bei einer Organisation, die ernsthaft Enterprise 2.0 implementiert, viel weniger als bisher.

Unsere bisherige Erfahrung zeigt deutlich, dass Führungskräfte einer Organisation auch bei „Enterprise 2.0“ eine zentrale Rolle spielen. Sind die Führungskräfte offen für die neuen Werkzeuge und nutzen sie „vorbildlich“, wird auch das Vertrauen der Mitarbeiter in die Nutzung gestärkt. Allerdings haben wir beobachtet, dass viele Führungskräfte, zum Teil auch aufgrund ihrer Altersstruktur, noch nicht wirklich bereit sind, sich „…einfach mal darauf einzulassen.“

Der Bedarf an Trainings und Coachings für die Führungskräfte ist auf diesem Gebiet daher aktuell sehr groß. Viele Führungskräfte sind zwar mit dem Internet, aber nicht mit den einzelnen Tools und Möglichkeiten vertraut. Führungskräfte müssen mit den einzelnen Werkzeugen vertraut gemacht werden und man sollte sie selbst das Potential, dass diesen Werkzeugen innewohnt, entdecken lassen. Sinnvoll kann hier unter Umständen auch die Involvierung erfahrener Mitarbeiter aus dem eigenen Team sein, die damit als „interne Coaches“ agieren und die Hierarchie auf den Kopf stellen.

Was sind aus unserer Sicht und Projekterfahrung heraus die zentralen Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Enterprise 2.0 Projekten?

Erfolgsfaktor 1: Die Arbeit muss leichter werden

Ein häufiges Missverständnis ist die radikale Ablösung der bisherigen Kanäle und Werkzeuge, wenn es um den Einsatz von Enterprise 2.0 geht. Es geht um eine Erweiterung der Möglichkeiten und eine Vereinfachung der Arbeit. Alte und neue Werkzeuge und Methoden können gemeinsam nebeneinander existieren, aber die neuen Tools müssen das Arbeiten einfacher machen. Das bedeutet: Informationen müssen von den Mitarbeitern nicht doppelt ins System eingespeist werden, sondern nur einmal und am besten komfortabler als vorher. Auf welchem Kanal dies passiert, muss situationsbezogen entschieden werden.

Erfolgsfaktor 2: Führungskräfte einbinden

Ein weiterer zentrale Erfolgsfaktor ist die Einbindung der Führungskräfte bei Enterprise 2.0 Initiativen: Enterprise 2.0 macht vorhandene Führungsdefizite deutlicher und sichtbarer als bisher. Daher sollte man mit den Führungkräften die individuellen Nutzenpotenziale erarbeiten (Digital Mentoring). Außerdem benötigen Führungskräfte Begleitung, um ihren Aufgaben und Herausforderungen als Enterprise 2.0-Manager gerecht werden zu können

Erfolgsfaktor 3: Komplexität des Wandels über Piloten steuern

Aus unserer Erfahrung heraus gibt es einen dritten wichtigen Erfolgsfaktor: die Pilotierung, das Ausprobieren. Hier gilt es, einen tragfähigen Rahmen zu schaffen, der die neuen Freiheitsgrade unterstützt und nicht hemmt. Ein erster Pilot kann dabei helfen sich vertraut zu machen mit Chancen und Risiken und den Wandel an kleinen Beispielen erst erlebbar und nutzbar zu machen. Aber bei allen Aktivitäten gilt die Regel: die Organisation darf nicht überfordert werden.

Fazit

Die Kirche zeigt sich vor Ort als komplexes und sehr heterogenes Gebilde: unterschiedlichste Organisationsformen, Haupt- und Ehrenamtliche, unterschiedlichste Professionen und Einsatzgebiete, Personen unterschiedlichster Herkunft/ Milieus etc. Die Kirche vor Ort versteht sich heute immer mehr als Netzwerk multipler „Kirchorte“ (Orte an denen Kirche lebt). Die Notwendigkeit der Flexibilisierung und Dezentralisierung werden als Anforderungen zunehmend erkannt.

Das Problem dabei ist: die Grundstruktur ist weiterhin klar hierarchisch. Die „Organisation“ Kirche ist auf Stabilität programmiert: Die Regelwerke sind starr und Abweichungen unerwünscht. Daher ist Social Media zum einen eine große Chance und zum anderen eine große Herausforderung für die katholische Kirche.

Aus unserer Sicht ist es besser, sich frühzeitig damit auseinander zu setzen, auszuprobieren und die notwendigen Prozesse aktiv zu gestalten. Wie Bischof Ackermann bei der Tagung „Innovation als strategische Herausforderung in Kirche und Gesellschaft“ in Bensberg im Dezember 2011 sagte: „Wir müssen Räume für Kommunikation und Experimente bereitstellen.“

Literaturliste

Blogs:

Bücher:

  • Andrew McAfee : Enterprise 2.0: New Collaborative Tools for Your Organization’s Toughest Challenges
  • Willms Buhse (Herausgeber), Sören Stamer (Herausgeber): Enterprise 2.0: Die Kunst, loszulassen, April 2008

Artikel / Studien

Schlagworte

Soziale Netzwerke

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