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Statements

Norbert Köster

Dass es so nicht weitergeht, ist klar

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche erleben sehr deutlich den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Kirche und den Zerfall ihrer inneren Strukturen. An sehr vielen Stellen sind sie davon betroffen, dass Menschen fehlen, die Bestehendes fortführen. Darüber, ob und mit welcher Strategie diesem Erosionsprozess zu begegnen ist, herrscht tatsächlich wenig Einigkeit.

Darüber, ob und mit welcher Strategie dem Erosionsprozess zu begegnen ist, herrscht wenig Einigkeit.

Dies liegt meines Erachtens zunächst einmal daran, dass die katholische Kirche in Deutschland seit 200 Jahren in einer Art innerer Starre verharrt. War sie vor dem 19. Jahrhundert eine selbstverständliche gesellschaftliche Größe, von der sich höchstens Einzelne distanzierten, kam die Kirche nach 1815 zunehmend unter erheblichen politischen und gesellschaftlichen Druck. War der Gegner zunächst der protestantische Staat, kamen im Laufe des 19. Jahrhunderts die emanzipierten Natur- und Geisteswissenschaften, der politische Liberalismus und die sozialistische Arbeiterbewegung hinzu. Dies führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter den Pius-Päpsten zu einer generellen Frontstellung der Kirche gegen die Moderne, die im sogenannten Antimodernisteneid unter Papst Pius X. 1910 ihren Höhepunkt fand. In den 20er Jahren gab es zwar verschiedene Aufbrüche, die einen Friedensschluss mit der Moderne versuchten. Nach dem Zweiten Weltkrieg schien aber der Vormarsch der säkularen Kräfte kaum noch aufzuhalten zu sein. Viele Bischöfe reagierten deshalb mit der Wagenburgenmentalität und förderten die in sich geschlossenen Pfarrfamilien. Die auch mit der Wagenburg nicht aufzuhaltende Erosion kirchlichen Lebens führte zu einer Lethargie, die bis heute die Grundstimmung kirchlichen Lebens prägt.

Das 2. Vatikanische Konzil hat deshalb in den 60er und 70er Jahren in Deutschland keine Öffnung der Kirche zur säkularen Welt bewirkt, sondern lediglich eine innere Demokratisierung der nach außen weitgehend abgeschlossenen Pfarrfamilie. Das eigentümliche Phänomen, dass sich z.B. beim „Kirchenkaffee“ niemand zu neuen Leuten an den Tisch setzt, gibt es in manchen Gemeinden bis heute.

In den katholischen Einrichtungen fehlten spätestens seit den 80er Jahren zunehmend identifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dies führte dazu, dass neben den aktiven Kirchenmitgliedern unter der Hand immer mehr kirchenferne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt wurden, die sich dann eher als U-Boote in den kirchlichen Einrichtungen bewegten und bewegen. Das Profil der Einrichtung hängt daher nicht selten an den wenigen kirchennahen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sowohl in Kindergärten und Schulen wie in Krankenhäusern und Seniorenheimen.

Das 2. Vatikanische Konzil hat keine Öffnung der Kirche zur säkularen Welt bewirkt, sondern lediglich eine innere Demokratisierung der nach außen weitgehend abgeschlossenen Pfarrfamilie.

Die Fusionen von Pfarrgemeinden zu größeren Pfarreien wurden von vielen Bistumsleitungen aus dem Mangel an Finanzen und Personal durchgeführt. Langfristige strategische Ziele oder gar ein Mentalitätswandel waren mit ihnen zumeist nicht verbunden. Somit wurden die Fusionen oft als Beschleunigung des Niedergangs erlebt, der die Lethargie noch verstärkte oder sogar zur Distanzierung bis hin zum Kirchenaustritt führten.

Dass es so nicht weiter gehen kann, ist allen klar, auch den Führungskräften. Dass es nur sehr wenig weiter nach vorn geht, hat m. E. vor allem vier Gründe, aus denen sich die notwendigen Maßnahmen ableiten.

  • Der erste ist ein struktureller Grund. Die auch rechtlich starke Selbständigkeit der Pfarreien führt dazu, dass sich Pfarrer nicht selten als Päpste ihrer Pfarreien betrachten und sich mitunter schon allein aus diesem Grund von der oberen Führungsebene abgrenzen, nach links oder nach rechts oder wie auch immer. Im Prinzip betrachten sich darüber hinaus sogar alle Hauptamtlichen in der Katholischen Kirche als Führungskräfte, und das nicht ganz zu Unrecht. Alle sind in ihrem Aufgabenbereich, vor allem den Ehrenamtlichen gegenüber, Führungskräfte. Die Verantwortung für die Erstkommunion- oder Firmpkatechese einer Gemeinde z.B. verlangt tatsächlich keine geringen Führungsqualitäten. Bei Veränderungsprozessen in Diözesen braucht es daher einen sehr intensiven Kommunikationsprozess, der den Hauptamtlichen eine Verortung in den Veränderungsprozessen ermöglicht, die ihrem Selbstverständnis als Führungskräfte entspricht.
  • Ein zweiter ist ein eher theologischer Grund. Es gab und gibt auf allen Ebenen der Kirche eine tief verwurzelte, starke Aversion gegen ein strategisches Vorgehen, um die Erosion aufzuhalten. Schnell werden auch von solchen, die sich als sehr fortschrittlich empfinden, Argumente ins Feld geführt, die auf Gottes Wirken rekurrieren, dem man sich allein anvertrauen müsse. Strategische Handlungsmodelle aus den Wirtschaftswissenschaften werden als ungeeignet eingestuft, Beratungsunternehmen aus der freien Wirtschaft gelten als Inbegriff der Verweltlichung von Kirche, die nur von fehlgeleiteten Führungskräften genutzt werden. Ein „weltliches“ Vorgehen entlarvt für sie geradezu die Geistvergessenheit oberer kirchlicher Führungsetagen. Neben den strukturellen Schwierigkeiten muss also auch theologisch noch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass auch der Heilige Geist durchaus strategisch agiert und unsere qualifizierte Mitarbeit braucht.
  • Bei Veränderungsprozessen in Diözesen braucht es einen sehr intensiven Kommunikationsprozess, der den Hauptamtlichen eine Verortung in den Veränderungsprozessen ermöglicht.

    Dazu kommt ein dritter, vor allem die großen Volkskirchen betreffender kirchlicher Grund für das Stocken kirchlicher Entwicklung. Die Mission bzw. Evangelisierung, ein zentrales Gebot Christi (Mt 28, 19), gilt als verpönt. So etwas machen nur Sekten wie die Zeugen Jehovas oder evangelikale Kreise bis hin zu den Pfingstkirchen. Da es in den Pfarreien kaum eine eingeübte Praxis der Evangelisierung gibt, sind auch die Getauften und Gefirmten dafür nicht geschult. Das Gefühl der Überforderung führt bei hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie bei Gläubigen zum Widerstand gegen alles, was in den Geruch von „Mission“ kommt. Damit ist auch ein professionelles Verständnis von Seelsorge auf der Strecke geblieben. Zwischen professioneller Sozialarbeit, Beratung und Therapie sehen viele keinen Platz für eine professionelle Eröffnung der Ressource Glaube. Dieses Verständnis von evangelisierender Seelsorge muss dringend geklärt und auch in der Ausbildung implementiert werden.
  • Schließlich scheint es mir noch einen personellen Grund zu geben. Für die Hauptberuflichen in der Kirche war es in der Vergangenheit nicht einfach, angesichts verbreiteter Lethargie einen Weg für die eigene Berufsausübung zu finden. Der persönliche Umgang damit war sehr unterschiedlich. Während einige ihre Aktivitäten bis zur völligen Erschöpfung steigerten, haben sich andere ins Privatleben zurückgezogen und brauchen viel Zeit für sich selbst. Wieder andere haben sich auf andere berufliche Felder verlegt wie auf Beratung, Supervision oder andere kirchliche Angebote. Manche ziehen sich konservativ erstarrt in kirchliche Führungsetagen zurück, andere wählen den umgekehrten Weg und definieren ihr Profil vor allem in Abgrenzung zur Kirche. Ohne eine intensive Sorge um die einzelnen Führungskräfte wird es daher keine Entwicklung der Kirche geben.

Das Verständnis von evangelisierender Seelsorge muss dringend geklärt und auch in der Ausbildung implementiert werden.

Führungskräfte in der Kirche stehen also auf allen Ebenen (!) vor dem großen Problem, das Bewusstsein für ein strategisches Vorgehen theologisch wie persönlich überhaupt erst wecken und Widerstände dagegen abbauen zu müssen. Für ein gemeinsames Verständnis unseres „Markenkerns“ braucht es noch viel Kommunikation. Das ist ein spannender Prozess. Hauptamtliche und freiwillig Engagierte müssen sich bei dieser Aufgabe gemeinsam auf den Weg machen. Auch die kirchlichen Führungskräfte stehen dabei vor der Herausforderung, ihren eigenen Glauben neu zu erschließen. Das kann auch, wie ein Pfarrer es formulierte, eine Stunde des Heiligen Geistes sein.

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