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Konzept

Klaus Schellberg

Das Zeitfenster nützen – Wie die Volkskirchen zukunftsfähig werden können

Unternehmen mit ideeller Zielsetzung stehen stets vor dem Problem, zwei Handlungslogiken miteinander in Einklang bringen zu müssen: Die jeweilige Fachlogik und die betriebswirtschaftliche Logik. Die Fachlogik – medizinische, pädagogische, theologische etc. – beschreibt die inhaltlichen Anforderungen des Unternehmens, die betriebswirtschaftliche Frage hingegen ist die Überlebensfrage des Unternehmens. Die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge eines Unternehmens sind zu 80 % gleich – egal welches Arbeitsfeld (Branche) und welche Zielsetzung (Gewinn, Bedarfsdeckung, ideell Orientierung) diese Unternehmen haben.

In diesem Beitrag soll nun versucht werden, allgemeine betriebswirtschaftliche Überlegungen auf Kirche zu übertragen mit dem Ziel, für diese 80 % (vielleicht sind es ja auch nur 60 %) in der Kirche mit anderen Unternehmen vergleichbar ist, Handlungsempfehlungen für die Zukunft zu finden.

Situationsanalyse

Für die strategische Situation der großen Volkskirchen in Deutschland sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht folgende Punkte prägend:

Der aktive Mitgliederkreis der beiden Volkskirchen in Deutschland sinkt: Sowohl die Zahl der Kirchenmitglieder1 als auch der Gottesdienstbesucher2 ist über Jahre hinweg rückläufig. Die Kirchenaustrittszahlen sind seit Ende der 60er Jahre auf einem höheren Niveau und sind seither immer wieder von „Wellen“ gekennzeichnet3 Doch mit ca. 0,77 % des Mitgliederstamms jährlich sind die Werte an sich niedrig und wohl eher Ausdruck einer üblichen Fluktuation4. Sorgen bereitet eher, dass die Taufquoten kontinuierlich abnehmen5, womit sich zum einen die Altersstruktur kontinuierlich verändert, zum anderen die Wahrscheinlichkeit von Neueintritten nachhaltig senkt. Bei jüngeren Menschen in der Gesellschaft sinkt der Anteil religiös sozialisierter Menschen6. Neumitglieder können demzufolge nicht mehr aus der kirchlichen Sozialisation, sondern nur durch Neuakquise in kirchenfernen Bereichen gewonnen werden.

Die beiden großen Volkskirchen stehen mit rund 4 % der deutschen Bevölkerung regelmäßig in Kontakt.

Innerhalb der Kirchenmitglieder fällt auf, dass der Gottesdienstbesuch – der vermutlich beste verfügbare Indikator für den engeren Mitgliederstamm – in der katholischen Kirche bei rund 10,4 % er Mitglieder7, in der evangelischen Kirche bei 3,4 % der Mitglieder8 liegt. Insgesamt bedeutet dies aber auch: Die beiden großen Volkskirchen stehen mit rund 4 % der deutschen Bevölkerung regelmäßig in Kontakt9.

Die Bedeutung der Lebensbereiche Religiosität und Spiritualität (gegenüber anderen Lebensbereichen wie Familie, Politik, Freunde, Freizeit, Arbeit) werden am niedrigsten bewertet und auch hier zeigt sich ein sehr deutlicher Altersunterschied – junge Menschen messen Religiosität und Spiritualität eine deutlich geringere Bedeutung bei10. Konfessionslose sagen von sich nur zu ca. 3 %, dass sie „religiös auf der Suche seien“11. Dies bedeutet also, dass das kirchliche Angebot nicht auf eine ungestillte Nachfrage trifft. Demgegenüber messen aber ein großer Teil auch der nicht religiös sozialisierten Menschen der Religion und dem Gottesglauben eine hohe Bedeutung zu (möglicherweise eben nicht für sich persönlich)12

Dem Mitgliederrückgang stehen Rekordeinnahmen bei den Kirchensteuern gegenüber13. Durch die Alterung der Mitgliederbasis und den bevorstehenden Renteneintritt dürfte es hier einen Rückgang in den nächsten Jahren geben, der durch die zunehmende Steuerpflicht der Renten jedoch etwas abgebremst wird.

Die Baulast der Immobilien dürfte kirchliche Haushalte weiter belasten. Ebenso dürften die Versorgungslasten für Kirchenbeamte durch die Zahl der ausscheidenden Mitarbeiter/innen steigen und eine laufende finanzielle Belastung darstellen.

Besonders stark sinkt die Zahl der entscheidenden „Dienstleister“ im kirchlichen Bereich: Die Zahl der Theologen im aktiven Dienst sinken bei der Evangelischen Kirche von 23.100 auf 18.60014, die Zahl der Welt- und Ordenspriester in der katholischen Kirche sinkt von 18.700 auf 14.100 (Pastoralreferenten und Diakone sind hier nicht berücksichtigt)15.

Die Zahl der Kirchengebäude sinkt hingegen nur geringfügig in der Evangelischen Kirche (von 21.100 auf 20.60016. Die Katholische Kirche geht davon aus, dass von den 24.500 Kirchen „in den nächsten Jahren“ ca. drei Prozent nicht mehr der Feier der Liturgie dienen werden17. Die Baulast der Immobilien dürfte kirchliche Haushalte weiter belasten. Ebenso dürften die Versorgungslasten für Kirchenbeamte durch die Zahl der ausscheidenden Mitarbeiter/innen steigen und eine laufende finanzielle Belastung darstellen.

Strategische Herausforderungen

Die Volkskirchen in Deutschland stehen also vor zwei Herausforderungen:

  1. Der „Stamm“ der Kirchenmitglieder sinkt kontinuierlich und wird älter. Die Kirchen werden schrumpfen und sich zu einem Angebot für Senioren entwickeln. Die Steuereinnahmen werden ebenfalls sinken, was bei den beschriebenen gleichbleibenden finanziellen Lasten zu einer unternehmerischen Handlungsunfähigkeit führen dürfte. Im Bereich der Kirchenmitglieder (und vermutlich der kirchennahen Konfessionslosen) ist insofern ein graduelles Umsteuern bei Leistungsangeboten und organisatorischen Strukturen erforderlich.
  2. Die Kirchen gewinnen zu wenig neue Mitglieder hinzu und erreichen zu wenig die Breite der Gesellschaft, die religiös und spirituell nur zum Teil interessiert ist. Hier muss das bisherige Leistungsangebot von Kirchen grundsätzlich verändert werden – mit entsprechenden Auswirkungen auf Organisationsstrukturen und Infrastruktur.

Das Dilemma der christlichen Kirchen, über ein aus eigener Sicht hervorragendes Leistungsangebot zu verfügen, aber sich dennoch einer schwindenden Nachfrage gegenüber zu sehen, ist in der Industriegeschichte kein neues Phänomen – die Produkte sind die Bereicherung jedes Technikmuseums.

Die Produktverliebtheit tröstet über die Warnsignale hinweg („unsere Qualität wird sich langfristig durchsetzen“).

Das Problem sind oft die Bereitschaft zu Umstrukturierung, die Ressourcen und die Zeitfenster. Strategische Krisen entstehen langfristig und deuten sich erst durch schwache Signale an. Hier steht das Unternehmen noch im Markt, kann mit Kunden kommunizieren und kann gestalten. Mutige und risikoreiche Entscheidungen werden verschoben. Die Produktverliebtheit tröstet über die Warnsignale hinweg („unsere Qualität wird sich langfristig durchsetzen“). Wenn die Signale jedoch unausweichlich auf die strategische Krise deuten, stehen dann oftmals nicht mehr ausreichend Ressourcen und Handlungsoptionen zur Verfügung. Im Fall der Kirchen sind die finanziellen Ressourcen noch vorhanden. Wenn aber zusätzlich – wie in den Kirchen – die Signale unterschiedlich interpretiert werden können und plötzliche autonome Trendbrüche (Wunder) nicht ausgeschlossen werden, können Entscheidungen gefährlich lange aufgeschoben werden.

Die Verantwortung für die Steuerung des Unternehmens liegt bei der Unternehmensführung. Von ihr muss die Bereitschaft zur nüchternen Situationsanalyse und die Bereitschaft zu Entscheidungen unter Unsicherheit ausgehen. Die Kirche verfügt dabei vermutlich ohnehin noch über den Vorteil eines sehr engagierten Kreises von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen mit hohem ideellen Interesse an der Organisation.

Problemlösungspotenziale und Produktentwicklung

Bei der Entwicklung von strategischen Optionen dürfen nicht Trends verlängert werden oder kirchliche Angebote als unveränderlich gegeben gesehen werden. Natürlich kann der inhaltliche Kern der christlichen Verkündigung nicht verändert werden – aber die Verpackung, das konkrete Produkt muss auf den Prüfstand. Schallplatten sind heute zwar auch noch für Traditionsbewusste und Retroliebhaber erhältlich. Insgesamt wird Musik heute aber als mp3-Code angeboten und konsumiert.

Hilfreich kann sein, die Perspektive zu wechseln und nicht zu fragen „wie kann das Produkt attraktiver werden“, sondern die Perspektive der Menschen anzulegen. Welche Bedürfnisse, welche Probleme haben die Menschen? Welche der Probleme kann die christliche Botschaft lösen? Dies ist vergleichbar mit den Überlegungen, ob sich Autobauer nicht eher als Mobilitätsdienstleistern verstehen sollten18.

Hilfreich kann sein, die Perspektive zu wechseln und nicht zu fragen „wie kann das Produkt attraktiver werden“, sondern die Perspektive der Menschen anzulegen. Welche Bedürfnisse, welche Probleme haben die Menschen?

Möglicherweise werden die Problemlösungspotenziale weniger nicht nur in spirituellen Bedürfnissen, sondern auch in salutogenetischen oder psychotherapeutischen Bedürfnissen liegen. Diese können dann Ansatzpunkt sein, auch Menschen mit bislang geringerem religiösen Interesse zu erreichen.

Diese Problemlösungspotenziale sind dann weniger Gegenstand von Werbebotschaften, die auf die klassischen Angebote von Kirche hindeuten, sondern Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer kirchlicher Leistungsangebote. Es kann die Form sein, wie Kirche den Heilsauftrag in bestimmten Gesellschaftsgruppen verwirklicht (so wie die Online-Enzyklopädie von Brockhaus kein Werbemedium für das gedruckte Buch ist, sondern eben die heutige Form von Enzyklopädie).

Hier ist eine deutliche Entwicklungsanstrengung erforderlich, die systematisch und finanziell ausgestattet als Produktentwicklung erfolgt. Zum Vergleich das Handelsunternehmen Amazon gibt knapp 12 % seines Umsatzes für Forschung und Entwicklung aus, das Dienstleistungsunternehmen Facebook über 20 %19.

Gottesdienstbesucher nur eine Zielgruppe unter vielen

Eine große Gefahr für ein Unternehmen liegt in der Fokussierung auf die eigene Stammkundschaft und die Vernachlässigung der Bedürfnisse der potenziellen Kunden. Die Stammkundschaft ist in der Regel recht zufrieden mit den Produkten – sonst wäre sie ja nicht Stammkundschaft. Wenn aber das Ziel ist, einen größeren Kundenkreis zu erreichen, ist es notwendig, sich intensiv mit den Bedürfnissen des potenziellen Kundenkreises zu beschäftigen.

Dringend notwendig wäre daher eine systematische Marktforschung und Marktbeobachtung, mit der die verschiedenen Bedürfnisse der gesellschaftlichen Gruppen, Segmente und Milieus erfasst werden.

In die Gottesdienste der beiden großen Volkskirchen gehen derzeit regelmäßig ca. 3,3 Mio Menschen (siehe oben), dies sind rund 7 % der Kirchenmitglieder und 4 % der deutschen Bevölkerung. Unter der Annahme, dass diese Gottesdienstbesucher auch die Kunden sind, deren Bedürfnisse und Meinungen Kirche wirklich kennt, so steht die Kirche nur mit einem Bruchteil ihrer Mitglieder und nur mit einem Bruchteil der Gesellschaft wirklich in Kontakt.
Es ist davon auszugehen, dass diese Zielgruppe nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist und auch nicht repräsentativ für die passiven Mitglieder oder gar kirchenferne Kreise. Dringend notwendig wäre daher eine systematische Marktforschung und Marktbeobachtung, mit der die verschiedenen Bedürfnisse der gesellschaftlichen Gruppen, Segmente und Milieus erfasst werden.

Differenzierung statt standardisiertem Breitenangebot

Mit der Veränderung des Profils gehen bestimmte Profilelemente unter, die möglicherweise entscheidend für die bisherigen „Stammkunden“ (also Kirchenmitglieder) sind bzw. waren. Die neuen kirchlichen Angebote werden in der Wahrnehmung nicht mit den bisherigen kirchlichen Angeboten vereinbar sein.

Dies könne sowohl das bisherige Angebot beschädigen als auch die Glaubwürdigkeit des neuen Angebots verringern. Wenn neue kirchliche Angebote nur als Kopie anderer nicht-kirchlicher Angebote wahrgenommen werden, dürfte die Akzeptanz gering sein20.

Es empfiehlt sich daher, eine stärkere Binnendifferenzierung von Kirche und verschiedene Produktlinien zuzulassen (also etwa „classic line“ und „new line“). Dies geschieht vielfach ja schon in Stadtkirchen, in denen eine Fokussierung auf bestimmte Angebotsformen und/oder Zielgruppen erfolgt. Der Trend zur Differenzierung von Produkten und zur Individualisierung von Leistungsangeboten würde damit nachvollzogen.

Die Konsequenz wäre dann aber der Rückbau des standardisierten Breitenangebots der „Kirche vor Ort“.

Eine solche Angebotsdifferenzierung auch auf neue Angebote und verschiedene Medien könnte der Weg sein, in einer differenzierten Gesellschaft auch verschiedene Kundengruppen anzusprechen. Die Konsequenz wäre dann aber der Rückbau des standardisierten Breitenangebots der „Kirche vor Ort“. Für die Nutzer der kirchlichen Angebote würden möglicherweise die Wege zum spezifischen Angebot dadurch weiter (wenn sie nicht ohnehin digital erreichbar sind).

Für die kirchlichen Angebote wird die Kirche weiterhin als Dachmarke fungieren. Diese Dachmarke Kirche ist jedoch (derzeit) möglicherweise nicht sonderlich attraktiv (das wäre genauer zu analysieren). Wenn das der Fall ist, sollten sich neue Angebote außerhalb oder zumindest nur mit loser Verbindung zur Dachmarke entwickeln. Möglicherweise bieten hier die kirchlichen Wohlfahrtsverbände ein geeignetes Dach. Jedenfalls müssen die Spielräume der neuen Angebote ausreichend groß sein, um eigene Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln.

Menschen schauen auf Menschen

Eine Marke benötigt nun einen Markenkern und ein Alleinstellungsmerkmal. Diese sollten für die „Marke“ Kirche an anderer Stelle umfassend herausgearbeitet werden.

Vermutlich werden wir sowohl bei der Identifikation der Problemlösungspotenziale als auch des Markenkerns zum Ergebnis kommen, dass in erster Linie Menschen Träger der Markenkerns der Kirche sein sollten. Ihre Präsenz ermöglicht Begegnung und Gespräche, sie ermöglicht Authentizität und vermittelt den Charakter von Kirche.

Es wird die Investition in gutes Personal mit der Fähigkeit zu persönlicher Begegnung notwendig. Weiterhin wird wohl auch der Aufbau von Repräsentanten, die Kirche in Medien repräsentieren (können) notwendig. Weiterhin sollte dieser Aspekt auch bei der Konzeption kirchlicher Angebote berücksichtigt werden.

Personal als Engpassfaktor

Für die anstehenden Restrukturierungsmaßnahmen braucht es hervorragende Manager/innen, die sich mit den ideellen Zielen von Kirche identifizieren, über Sachkompetenz, aber auch Managementkompetenz verfügen. Für die Angebotsentwicklung werden ebensolche Fachleute aus verschiedenen Disziplinen benötigt. Die seelsorgerliche, pastorale Arbeit am Menschen werden nur sach- und sozialkompetente, einsatzbereite Mitarbeiter/innen leisten können. Die Arbeit der Kirche wird nicht einfacher werden.

So wie der Fachkräftemangel auch vor keinem Industriezweig halt macht, so wird sich auch die Kirche aktiv um die Gewinnung von High Potentials am Arbeitsmarkt kümmern müssen und in den „Kampf um die besten Köpfe“ stürzen müssen.

So wie der Fachkräftemangel auch vor keinem Industriezweig halt macht, so wird sich auch die Kirche aktiv um die Gewinnung von High Potentials am Arbeitsmarkt kümmern müssen und in den „Kampf um die besten Köpfe“ stürzen müssen. Die Kirche wird sich daher den Spielregeln der üblichen Bedingungen um Arbeitgeberattraktivität unterwerfen müssen. Dabei werden speziell für Kirchen wohl zwei Faktoren eine Rolle spielen:

Kirche hat die Chance, eine Vision zu vermitteln, „eine Produktstory zu erzählen“ und wird daher sicherlich Vorteile beim Personalmarketing haben.

Demgegenüber sind die organisatorischen Strukturen in der Regel eher bürokratisch, wenig technologieaffin und entfaltungsorientiert. Sie sprechen damit nicht die Pioniere neuer Angebote an und dürften weniger attraktiv für die jungen Generationen X, Y und demnächst Z sein.

Ehrenamt attraktiv machen

Die ehrenamtlichen Strukturen in der Kirche sind wohl in einer Zeit entstanden, in der nicht Menschen, sondern Geld der Engpassfaktor war. So finden wir heute in den Pfarreien und Kirchengemeinden viele in Organisationsaufgaben engagierte Ehrenamtliche – seien es nun die ehrenamtliche Arbeit als Kirchenpfleger/in, ehrenamtliche Gartenarbeit am Kirchenvorplatz, Nudelsalat vorbereiten fürs Gemeindefest. Die Beobachtung in der kirchlichen Szene zeigt, dass es für die vielen ehrenamtlichen Aufgaben immer weniger Ehrenamtliche gibt – Menschen scheiden aus den Gremien aus, weil Gremienarbeit eben hauptsächlich in der Verteilung von Arbeit besteht. Für den engeren Mitgliederstamm von Kirche wird es so immer weniger attraktiv, sich für Kirche zu engagieren. Eine Strategie der Entlastung von wenig attraktiven Pflichtaufgaben könnte hier helfen, die Zugehörigkeit zum engeren Mitgliederstamm wieder attraktiv zu machen.

Abbau von Überkapazitäten

Machen wir eine sehr überschlägige Rechnung: In den Mitgliedskirchen der EKD werden jeden Sonntag 17.000 Gottesdienste gefeiert werden mit einem Besuch von im Schnitt ca. 766.000 Gläubigen21, so wird ein Gottesdienst von 45 Personen besucht. Wenn weiterhin die EKD 23.700 Kirchengebäude und Gemeindezentren mit integriertem Kirchenraum ausweist, findet in maximal 71 % der Kirchen tatsächlich ein Sonntagsgottesdienst statt (wenn in jedem Kirchengebäude nur ein Gottesdienst stattfindet). Wenn wir bei jedem Kirchengebäude eine durchschnittliche Kapazität von 100 Personen annehmen22, dann sind die Plätze zu einem Drittel ausgelastet. Die Kirche verfügt hinsichtlich der Kirchengebäude insofern über eine hohe Überkapazität.

Das Problem sind oft die Bereitschaft zu Umstrukturierung, die Ressourcen und die Zeitfenster. Strategische Krisen entstehen langfristig und deuten sich erst durch schwache Signale an.

Die Kosten für Kirchengebäude sind dabei ein finanzieller Risikofaktor: Die Betriebskosten sind in den Haushalten abgebildet und hier meist bereits sehr hoch. Die Baulast (Abschreibungen, Instandhaltungsrücklagen) werden meist nur unvollständig abgebildet. Die finanziellen Belastungen drohen die Kirchenhaushalte in der Zukunft zu belasten – und insbesondere die einzelnen Kirchengemeinden als Baulastträgerinnen vor Ort zu lähmen.

Die Konversion von Kirchenimmobilien wird, wenn sie nicht in einen einfachen Verkauf münden soll oder kann, ein langwieriger Prozess sein. Es müssen Denkmalschutzauflagen gelöst werden und Ausgleiche in den einzelnen Kirchengemeinden als selbstständige Körperschaften gefunden werden. Gleichzeitig werden für kreative Lösungen Investitionsmittel benötigt, die jetzt noch zur Verfügung stehen.

Die Gnade setzt die Natur voraus

Die Neuorientierung in einer Organisation ist kein Kirchenkonzert, das immer harmonisch klingt. Unsicherheiten und Widerstände sind normal. Wieso sollte etwas verändert werden, das doch ein so gutes Produkt, eine so bewährte Technologie, eine so traditionsreiche Praxis ist? Das Verständnis, dass Erfolge der Vergangenheit keine Garantie für die Zukunft sind, muss sich in jeder Organisation erst durchsetzen.

Eine besondere Schwierigkeit in Kirchen dürfte dabei die Frage des unveränderlichen Kerns von Kirche und ihrer Angebote sein. Dies kann aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht beantwortet werden. Die Betriebswirtschaft kann jedoch einen Beitrag für das Verständnis für erfolgreiche Austauschprozesse mit den Menschen und die Funktionsfähigkeit einer Organisation liefern. Thomas von Aquin könnte mit seinem Satz „Die Gnade setzt die Natur voraus“ auch die Rolle von betriebswirtschaftlichen Überlegungen gemeint haben „Ohne Empfänger läuft das Heilswirken von Kirche ins Leere“.

  1. Eicken, Joachim, Schmitz-Veltin, Ansgar, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in Deutschland, Statistisches Bundesamt 2010, S. 589; EKD (Hrsg.), Kirchliches Leben in Deutschland 2004, 2018, jeweils S. 4
  2. DBK, Kirchliche Statistik, Katholiken und Gottesdienstteilnehmer 1950 – 2016; EKD (Hrsg.), Kirchliches Leben in Deutschland 2004, 2017, jeweils S. 14
  3. Eicken, Joachim, Schmitz-Veltin, Ansgar, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in Deutschland, Statistisches Bundesamt 2010, S. 583 und 587
  4. www.kirchenaustritt.de/statistik, Abruf vom 05.04.2018
  5. Eicken, Joachim, Schmitz-Veltin, Ansgar, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in Deutschland, Statistisches Bundesamt 2010, S. 586
  6. Pollack, Detlef, Müller Olaf, Religionsmonitor 2013, Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), S. 15
  7. DBK (Hrsg.), Zahlen und Fakten 2015/2016, S. 46
  8. EKD (Hrsg.), Kirchliches Leben in Deutschland 2017, S. 14/15, eigene Berechnung
  9. Eigene Berechnung. Die Mitgliedschaftsuntersuchung der EKD geht von 13 % der Kirchenmitglieder mit intensiver Mitgliedschaftspraxis aus, vgl. EKD, Engagement und Indifferenz, V. EKKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, 2014
  10. Pollack, Detlef, Müller Olaf, Religionsmonitor 2013, Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), S. 14
  11. V. Evangelische Kirchenmitgliedschaftsstudie 2014, Tab. 5, S. 42
  12. Pollack, Detlef, Müller Olaf, Religionsmonitor 2013, Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), S. 16.
  13. Einnahmen steigen auf Rekordniveau, wiwo.de vom 22.06.2016
  14. EKD (Hrsg.), Kirchliches Leben in Deutschland 2004, 2017, jeweils S. 21
  15. DBK (Hrsg.), Zahlen und Fakten 2015/2016, S. 42
  16. EKD (Hrsg.), Kirchliches Leben in Deutschland 2004, 2017, S. 28 (Zahlen für 1994) und S. 35 (Zahlen für 2015)
  17. DBK (Hrsg.), Zahlen und Fakten 2013/2014, S. 38
  18. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 09.04.2016
  19. The 2017 Global Innovation 1000 study, www.strategyand.pwc.com/innovation1000#GlobalKeyFindingsTabs4, 05.04.2018
  20. In der Industriegeschichte wird hier gerne der Fall Kodak zitiert. Kodak, Hersteller von Kameras und Filmen, war auch das erste Unternehmen, das eine Digitalkamera entwickelte. Allerdings wurde die Kodak-Digitalkamera immer als (unglaubwürdige) Antwort eines Filmherstellers auf die digitale Konkurrenz wahrgenommen, vgl. Der Niedergang von Kodak oder der entmystifizierte Technologie-Mythos, in http://www.absatzwirtschaft.de, 27.01.2012
  21. EKD (Hrsg.), Kirchliches Leben in Deutschland 2017, S. 13, 14.
  22. Vereinfachende Annahme, wir haben natürlich kleine Kapellen für 5 Personen und große Kirchen für 500 Personen.

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